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[138] Am nächsten Tage, als am Sonntage Nachmittags, ritten zwei Männer auf dem Vizinalwege dahin, welcher nach Allstädt führte. Der Eine war in einen militärisch geschnittenen Rock gekleidet, mochte ungefähr fünfundzwanzig Jahre zählen und hatte ein vollständig bartloses Gesicht, aus welchem jedoch ein Paar Augen blitzten, welche dem Gesichte einen sehr bedeutenden Ausdruck gaben. Der Andere[138] war viel älter und trug sich in Civil, seine Züge verriethen einen tief denkenden, sich in ruhigem nachhaltigem Wirken gefallenden Geist.
»Und was sagst Du zu diesem Plane, Piper?« frug der Jüngere.
»Wenn er gelingt, Majestät, so macht er Euch zum Herrn des ganzen nördlichen Deutschlands, und Ihr könnt Euren Feinden diejenigen Grenzen diktiren, hinter welche Ihr sie zurückdrängen wollt.«
Der Sprecher war der schwedische Reichsrath Piper, der bekannte Freund und Rathgeber des zwölften Karls von Schweden.
»Deine Zustimmung erfreut mich,« meinte der letztere. »Ich weiß, daß ich dieses Mal nicht den gewohnten geraden Wege gehe, aber ich habe mich entschlossen ihn zu betreten, weil er mich am schnellsten zum Ziele führt.«
»Wer hat diesen Plan entworfen?«
»Nicht ich, denn ich mag niemals mit fremden Federn schmücken. Er stammt von dem Obristen Börjesson, der sich dann auch alle mögliche Mühe gegeben hat, ihn zur Ausführung zu bringen. Ich werde seinen Eifer belohnen.«
»Wodurch?«
»Nach dem Gelingen unseres Vorhabens mache ich ihn zum Generale, und bereits jetzt gebe ich ihm eine Frau, die er sich von mir erbeten hat.«
»Von Euch? Habt Ihr ihre Hand zu vergeben?«
»Eigentlich nicht, aber die Umstände geben mir die Macht dazu.«
»Das klingt, als ob er diese Hand freiwillig nicht erhalten würde.«
»So ist es auch. Sie liebt ihn nicht.«
»Ich könnte ihn auch nicht lieben. Wer ist das Mädchen?«
»Ein Fräulein von Boberfeld; ihr Vater war Obrist in preußischen Diensten.«
»Ah! Er starb in den Niederlanden?«
»Ja.«
»Der Freund des Dessauers?«
»Derselbe.«
»So ist der Herzog von Merseburg ihr Vormund?«
»Ja.«
»Ist es edel von Borjesson, sich die Hand eines Mädchens zu erzwingen, welches ihm ihre Liebe und vielleicht auch ihre Achtung versagt?«
»Ich kann darüber nicht urtheilen, denn Du weißt, ich hasse die Frauen. Ein Freund wie Du ist mir mehr werth als alle Frauen der Welt. Und darum hast Du mir mit Deiner Reise von Schweden hierher eine Freude bereitet, welche ich Dir hoch anrechnen werde. Uebrigens was diese Boberfeld betrifft, so verhält sie sich nur deshalb abweisend zu dem Obristen, weil sie eine kleine Liebelei mit einem meiner niederen Offiziere angesponnen hat.«
»Mit wem?«
»Mit Erich Seeström.«
»Dem Sohne von Axel Seeström?«
»Ja.«
»Das ist ein nicht nur körperlich, sondern auch geistig ausgezeichneter junger Mann, der Karrière machen wird, obgleich er einer armen Familie angehört.«
»Ich weiß es. Er hat mir bereits verschiedene Aufgaben von großer Schwierigkeit gelöst, und ich stehe im Begriffe ihm einen Auftrag zu ertheilen, dessen gute Ausführung ihm viel nützen wird. Ich sende ihn nach Warschau.«
»Wenn?«
»Morgen.«
»Weiß er davon?«
»Noch nichts.«
»Ich verstehe! Dann ist er dem Obristen aus dem Wege geräumt. Majestät, ich würde dies nicht thun!«
»Ich verbinde mir dadurch nicht nur den Obersten, sondern auch den Herzog und den Grafen von Mansfeld. Ich kenne meine Handlungen. Es muß jede einzelne von ihnen beurtheilt werden nach dem Zusammenhange mit den andern, mit denen sie eine geschlossene Kette bildet, die mir zur Fesselung meiner Feinde dient. Hier ist Allstädt. Ich hoffe, daß die Andern bereits anwesend sind.«
Sie ritten in den Hof des Gutes ein. Da ihre Ankunft bemerkt worden war, kam ihnen der Obrist mit dem Herzoge und dem Mansfelder, welcher bereits auch eingetroffen war, entgegen, um sie zu empfangen.
Kurze Zeit später schritten zwei andere Männer auf demselben Wege dahin. Auch hier war der eine jünger als der andere. An dem herkulischen Gliederbau war Erich von Seeström und an dem von einem dunklen Barte bewaldeten Gesichte der schwarze Klas, Feldwebel Baldauf leicht zu erkennen.
»Also es ist wirklich wahr von dem Börjesson?« frug Erich.
»Ja, Herr Lieutenant. Er ist gestern Mittag fort und bis heute noch nicht zurückgekehrt. Sein Bursche sagte, daß er nach Allstädt sei.«
»Und ohne Bedienung?«
»Ja.«
»Auffällig.«
»Und zwar hat er sich durch sein Faktotum, den Korporal Malholm dort anmelden lassen. Ich habe es von dem Korporal selbst erfahren.«
»Was hat das Fräulein gesagt?«
»Daß ihr der Obrist willkommen sei, sie habe ihn längst mit Sehnsucht erwartet.«
»Lüge! Grade das Gegentheil hat sie gesagt, dafür will ich mit meinem Leben einstehen. Dieser Malholm weiß, daß Du mir Alles wiedersagst, und hat mich ärgern oder gar mit dem Fräulein veruneinigen wollen. Ehe wir nach dem Gute gehen, kehren wir erst im Dorfe ein. Dort werden wir erfahren, ob sich der Obrist bei dem Fräulein befindet oder nicht.«
Das Dörfchen bestand aus nur einigen Bauerngütern und Häusern. Ehe sie es erreichten, sahen sie einen Mann langsam seitwärts vom Felde kommen.
»Der Wirth! Der wird uns Auskunft geben können.«
Sie versuchten ihn einzuholen, dies gelang ihnen aber erst, als er seinen Garten bereits erreicht hatte.
»Ah, der Herr Lieutenant!« meinte er. »Wollt Ihr auch auf das Schloß?«
»Auch? Das klingt ja, als ob bereits Wer dort sei?«
»Will es meinen!« antwortete der Wirth mit wichtiger Miene.
»Wer ist es?«
»Ihr wißt es wirklich nicht, Herr Junker?«
»Nein.«
»So muß ich es Euch freilich sagen: Der König.«
»Der König?« frug Erich erstaunt. »Welchen König meint Ihr denn?«
»Wir haben ja jetzt nur einen König hier, Euren König, den König von Schweden.«
»Das ist wohl nicht gut möglich. Was will der König auf Allstädt?«
»Weiß es nicht.«
»Er hat sich eine Unwahrheit aufbinden lassen!«
»Dann müßte ich sie mir selber aufgebunden haben. Ich habe ihn nach dem Gute gehen sehen.«
»Kennt Er ihn denn genau?«
»Will es meinen! Habe ihn oft genug in der Stadt gesehen, und zwar erst gestern noch mit dem Regentschaftsvikar Piper, der heut auch mit ist.«
»Wenn dies wahr ist, so muß es allerdings etwas höchst Wichtiges geben.«
»Könnt Euch darauf verlassen!«
»Sind noch andere Herren da?«
»Ja.«
»Wer?«
»Der Graf von Mansfeld, der Herzog von Sachsen-Merseburg und der Obrist Börjesson. Der erstere ist heut Vormittag gekommen, die beiden andern aber schon gestern.«
»Alle Wetter, das Fräulein ist zu Hause?«
»Ja.« Und mit gutmüthig verschmitzter Miene fuhr er fort: »Sie ist auch erst heute Vormittag gekommen, denn gestern ist sie vor dem Herrn Obersten ausgerissen.«
»Weiß Er das genau?«
»Sehr. Die Kammerzofe ist meine Base; die macht mir keine Lügen. Es gibt auf dem Gute heut noch mehr Sonderbares.«
»Er will mich neugierig machen!«
»Schadet aber nichts, denn ich kann diese Neugierde auch stillen.«
»Nun?«
»Gestern haben sie einen Scheerenschleifer gefangen genommen.«
»Weshalb?«
»Weil er einen andern Schleifer todt geschlagen und ihm den Karren und die Lieder abgenommen hat.«
»Die Lieder?«
»Ja. Die hat er hier gesungen, und davon ist es herausgekommen.«
Der Lieutenant wurde aufmerksam.
»Weiß Er was es für Lieder gewesen sind?«
Es soll gar wunderbar sein was er gesungen hat. Die Base[139] hat Alles mit angehört und gar sehr lachen müssen. So hat es zum Beispiel darin geheißen:
»Der Frau gebührt natürlich Recht,
Sie ist das schönere Geschlecht.«
dann ferner:
»Im Tintenfasse schwimmt das Thier,
Frißt Federn, Schreib- und Druckpapier.«
und auch:
»Denn wer das Einmaleins verdaut,
Der stirbt auch nicht am Sauerkraut.«
»Klingt das nicht possirlich? Und nun steckt er unten im Gewölbe, und ein Knecht muß stets Wache vor der Thüre stehen, daß er nicht echappiren kann. Gehen die Herren einmal mit herein? Ich habe ein frisches Faß angesteckt!«
»Wir gehen mit,« antwortete der Lieutenant nachdenklich.
»Ich führe Euch durch die Küche gleich in die Herrenstube.«
Dieses geschah. Das Herrenstübchen war von der gewöhnlichen Gaststube durch eine Glasthüre getrennt, welche keinen Vorhang hatte. Eben wollte sich der Lieutenant setzen, als der Feldwebel beinahe erschrocken seinen Arm ergriff.
»Herr Junker!«
»Was?«
»Seht durch die Thür!«
Der Lieutenant warf einen Blick durch die Glasscheibe und fuhr zurück.
»Alle Wetter!«
»Was denn?« frug der Wirth.
»Dieser Tabuletkrämer ist ein Bekannter von uns.«
»Soll ich ihn herausschicken?«
»Nein, um keinen Preis! Wirth, ich muß Ihm sagen, daß Er mir einen großen Gefallen thun kann!«
»Sehr gern, wenn es mir möglich ist.«
»Sagt diesem Krämer nicht, daß ich hier bin; verschweigt ihm auch, daß die Herrschaften sich auf dem Gute befinden, und versucht es, ihn nur eine Viertelstunde aufzuhalten, bis ich wiederkomme. Baldauf, passe auf ihn auf. Daß Du ihn mir ja nicht aus den Augen lässest!«
Er verließ das Zimmer durch die Küche und eilte mit raschen Schritten nach dem herrschaftlichen Gute. Dort trat ihm die Wirthschafterin entgegen.
»Der Herr Lieutenant!«
»Ja. Ist das gnädige Fräulein zu Hause?«
»Ja.«
»Wo ist sie?«
»In der blauen Stube bei den Herren.«
»Kennt Sie diese Herren?«
»Nicht alle.«
»Ich muß hinauf.«
»Halt, das ist verboten!«
»Warum?«
»Der gestrenge Herr Herzog haben gesagt, daß kein Mensch Zutritt haben soll, er mag heißen wie er will.«
»Das gilt nicht für mich.«
»Oh, für Euch auch, denn der Herr Obrist hat das hinzugefügt.«
»Ah! Und dennoch gehe ich hinauf!«
»Ihr dürft nicht!«
Sie wollte ihn beim Aermel zurückhalten, brachte es aber nicht fertig.
»Herr mein Heiland, ist das eine Noth und eine Sorge! Wer soll das aushalten? Da soll er nicht hinauf und rennt dennoch hinauf. Ueber wen wird man dann herfallen? Ueber mich! Das ist ja eine ganz heillose Geschichte, eine Unordnung, gerade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte!«
Oben trat der Lieutenant ein. Die Herren saßen um die Tafel, hatten allerlei Karten, Pläne und Skripturen bei sich und vor ihnen stand die Herrin des Hauses in einer Haltung und einer Miene, welche sehr kampfbereit aussah. Bei seinem Anblicke erhoben sich die Herren alle.
»Lieutenant Seeström,« rief der König in strengstem Tone.
»Majestät!«
»Weiß Er, daß der Eintritt hier verboten wurde?«
»Die Wirthschafterin sagt es.«
»Und Er wagt es meinen Befehl zu übertreten?«
»Majestät, der Grund wird mich entschuldigen.«
»Es gibt keinen Grund, der einen solchen Ungehorsam entschuldigen könnte. Ich werde Ihn bestrafen lassen! Herr Obrist!«
»Majestät!«
»Lieutenant Seeström erhält eine Woche Stubenarrest!«
Das Auge des Junkers blitzte zornig auf.
»So mag der Fang zum Teufel gehen! Majestät, ich bedanke mich für die gnädige Strafe!«
Mit dröhnendem Schritte verließ er das Zimmer.
»Lieutenant!« erklang es hinter ihm.
Es war der König. Er mußte umkehren.
»Majestät!«
»Mache Er die Thür wieder zu! Von welchem Fange sprach Er?«
»Ich habe soeben den Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen im Inkognito gesehen und er kannt.«
»Wetter! Er fabulirt!«
»Majestät, ich bin nüchtern!«
Es kam eine eigenthümliche Bewegung unter die Anwesenden. Der König frug:
»Wo hat Er ihn gesehen?«
»Hier in der Nähe. Das war der Grund, der mich entschuldigen sollte!«
Schnell hatte er sich umgedreht und war zur Thüre hinaus.
»Teufel, welch ein Benehmen! Obrist, eile Er ihm nach und bringe Er ihn zurück!«
Börjesson sprang davon, kehrte aber bereits nach einer Minute allein zurück. Sein Gesicht war vom Zorne geröthet.
»Nun, wo hat Er ihn?«
»Majestät, ich fordere Genugthuung! Dieser Mensch antwortet mir, daß er keine Achtung vor mir zu haben brauche; einem solchen Boten könne er nicht gehorchen.«
Bei diesen Worten blitzten die Augen der Herrin stolz und befriedigt auf. Der König ergrimmte sichtlich über den Widerstand des Lieutenants, aber es stand so viel auf dem Spiele, daß er sich beherrschte.
»Wer weiß, wie Er dem Junker gekommen ist.«
Er trat zum Fenster und öffnete es. Seeström hatte bereits das Thor erreicht.
»Lieutenant von Seeström!«
»Majestät!« klang es von unten herauf.
»Ich befehle ihm zurückzukehren!«
»Zu Befehl!«
Er trat nach wenigen Augenblicken wieder ein. Der König fixirte ihn lange mit finstern Blicken, dann sagte er:
»Ich will ihm den Stubenarrest erlassen. Wo ist der Kronprinz?«
»In der Schenke hier.«
»Inkognito?«
»Als Tabuletkrämer.«
»Hat Er Seine Maßregeln getroffen, daß er nicht entkommen kann?«
»Feldwebel Baldauf bewacht ihn.«
»Wie viele Mann gebraucht Er, um ihn gefangen herzubringen?«
»Keinen als mich allein.«
»Warum hat Er ihn dann nicht gleich gebracht?«
»Einen Kronprinzen? Ohne Euer Majestät Erlaubniß oder Instruktion?«
»Er hat Recht! Ich vertraue ihm diese Mission an. Gehe Er und bringe Er ihn!«
Der Lieutenant trat ab und eilte nach der Schenke. In der Herrenstube angekommen sah er, daß der Tabuletkrämer noch anwesend war. Er hatte Mehreres an die Gäste abgesetzt und verschloß soeben seinen Kasten, um das Lokal zu verlassen.
»Du folgest mir nachher, Baldauf, daß er nicht fliehen kann.«
Mit diesen Worten trat er in das allgemeine Gastzimmer und legte dem Krämer, der ihm den Rücken zudrehte, die Hand auf die Achsel. Er wandte sich um.
»Donnerwetter, der Seeström!« rief er erschrocken.
»Ja, der Seeström,« antwortete Erich freundlich. »Willkommen hier zu Lande! Wie geht der Handel, Kamerad?«
Der Krämer hatte sich bereits wieder gefaßt.
»Schlechte Zeiten, man muß zufrieden sein!«
»Ja, ja. Wenn Er ein besseres Geschäft machen will, als hier, so folge Er mir!«
»Wohin?«
»Auf das herrschaftliche Gut.«
Das Gesicht des Krämers wurde ernster.
»Habe keine Zeit!«
»Einer Dame zu Liebe hat man allemal Zeit!«
»Fräulein von Boberfeld?«
»Ja, die Ihn wohl nicht fressen wird!«
»Habe keine Angst, aber auch keine Zeit, wie ich schon sagte!«[140]
»Und ich habe Befehl Ihn mitzubringen, todt oder lebendig!« antwortete der Lieutenant in scherzhaftem Tone; der Tabuletkrämer aber mußte erkennen, daß der strengste Ernst dahinter stecke.
Sollte er es auf einen Kampf ankommen lassen? Der Junker war ihm überlegen, und ein Schauspiel mußte auf alle Fälle vermieden werden.
»Gut, ich gehe mit!«
»So nehme Er Seinen Kasten!«
»Ich bin ermüdet. Ich werde ihn mir tragen lassen!«
»Mir auch recht.«
Gegen eine kleine Belohnung nahm einer der anwesenden Gäste den Kasten auf den Rücken, und die Beiden folgten.
»Sehe Er sich einmal um!« meinte Seeström. »Kennt Er den, der hinter uns herkommt?«
Der Händler blickte sich um.
»Geht mich nichts an!« antwortete er.
»Ist der Kasten in Halberstadt gemacht?«
»Halte Er das Maul!«
»Gut!«
Der Kronprinz that keinen Schritt, der zu der Annahme, daß er fliehen wolle, berechtigen konnte. Sie erreichten das herrschaftliche Gut; der Kasten wurde in den Flur niedergesetzt und der Prinz von dem Lieutenant nach oben geführt.
»Er tritt ab, bleibt aber zur Verfügung!« bemerkte der König dem letzteren.
Seeström trat ab. Es war kein Mensch auf dem Korridore. Er wagte es an die Thür zu Annas Wohnzimmer zu gehen und zu klopfen. Sie öffnete.
»Erich!«
»Anna! Was passirt hier?«
»Ich weiß es nicht. Etwas politisch Wichtiges aber ist es.«
»Ihr habt bereits einen Gefangenen?«
»Ja.«
»Wer ist es?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wegen Mordes?«
»Ja. Er hat Dein Lied gesungen.«
»Ich muß kurz sein, denn der König kann jeden Augenblick rufen. Du hattest eine Scene mit den Herren gehabt?«
»Ja.«
»Ich sah es Dir an als ich eintrat. Was war es?«
»Ich habe mich gewehrt, mit aller Kraft.«
»Wogegen?«
»Gegen die Heirath mit dem Obristen. Der König und die Andern wollen mich zwingen.«
»Was war das Resultat?«
»Man gab mir noch zwei Stunden Bedenkzeit.«
»Ach! Und wenn Du nicht einwilligest?«
»Komme ich in ein Stift für alte adelige Fräuleins.«
»Was wirst Du thun?«
»Nicht heirathen und auch nicht in das Stift gehen.«
»Wohin sonst?«
»Nach Berlin zum Könige oder nach Dessau zum Fürsten. Beide nehmen sich sicher meiner an. Mein Vermögen soll dann, wenn ich nicht auf die Heirath eingehe, halb dem Herzoge, viertheils dem Mansfeld und viertheils dem Herrn Bräutigam zufallen abgerechnet die Summe, welche das Stift beanspruchen wird.«
»Schöner Plan! Sie wollen Dich wohl gleich mitnehmen?«
»Ja.«
»So willst Du fliehen?«
»Ja.«
»Ich gehe mit!«
»Wolltest Du?« jubelte sie.
»Ja, zum Dessauer. Ich werde den Kronprinzen wieder befreien. Das ist kein Hoch-, kein Landesverrath und keine Desertion, das ist nur die einfachste Nothwehr. Für meine Treue bekam ich eine Woche Arrest; wer weiß, was später noch auf mich wartet. Wir besprechen das Weitere noch. Adieu, mein Leben!«
»Adieu, Erich!«
Kaum hatte er seinen Posten wieder erreicht, so wurde er gerufen.
In dem blauen Zimmer hatte sich unterdessen eine eigenthümliche Scene abgespielt. Der Kronprinz hielt es natürlich unter allen Umständen für gerathen, sein Inkognito festzuhalten. Er kannte sie Alle persönlich und war ebenso Allen wieder persönlich bekannt. Sie erhoben sich bei seinem Eintritte, nur Karl blieb sitzen.
»Monseigneur,« meinte er mit einem ironischen Lächeln, »es ist eine eigenthümliche Audienz, Die ich Euch gegenwärtig ertheile!«
»Audienz? Alle Teufel, was ist das für ein Ding?«
»Ich hoffe nicht daß Euch Euer bekannter Starrkopf – – –«
»Herr!« donnerte der Krämer dazwischen hinein. »Wer seid Ihr?«
»Ich bin der König von Schweden!«
»Gut! Und ich bin ein armer Tabuletkrämer. Ihr habt mich kommen lassen. Was wollt Ihr von mir kaufen?«
»Ich ermahne Euch dringend, Euer Inkognito aufzugeben, da Ihr sonst als Derjenige behandelt werdet, für den Ihr Euch ausgebt!«
»Inkognito? Macht Euch nicht lächerlich! Inkognito gibt es nur bei sehr vornehmen Herren; wäre ich ein solcher, so würde ich nicht stehen bleiben, sondern mich setzen; wäre ich ein solcher, so würdet Ihr nicht sitzen bleiben, sondern so höflich sein aufzustehen. Verstanden, Herr König von Schweden? Basta, abgemacht!«
»Also Ihr seid ein Tabuletkrämer? Wie heißt Ihr?«
»Hier ist mein Hausirzettel, da steht Alles darauf. Macht es kurz!«
Der König nahm Einsicht in die Zeilen und frug darauf:
»Was wollt Ihr grad in dieser Gegend?«
»Kuriose Frage! Ehrlichen Handel treiben! Was aber wollt Ihr in dieser Gegend?«
»Zunächst habe ich hier zu fragen! Er schweigt, bis ich eine Antwort erwarte! Ist Er mit Erlaubniß Seines Vaters hier?«
»Gehe Er doch dahin, wo mein Vater ist, und frage Er diesen! Ich pflege mich nicht so wie Andere den Leuten zum Unfrieden und zur Molestation in der Welt umherzudrücken. Er wird wohl verstehen, wen ich meine!«
»Ein renitenter Kerl! Man wird Ihn aber zu packen wissen und Ihm zeigen, daß Er die Angelegenheiten Seines Herrn Vaters vollständig über den Haufen wirft!«
»Wird kein großer Haufe sein! Ich habe übrigens keine Zeit. Lasse Er mich gehen!«
»Daß man ein Thor wäre! Man wird sich Seiner Person versichern. Seeström!«
Auf diesen Ruf trat der Lieutenant ein.
»Dieser Krämer wird in dasselbe Gewölbe gebracht, in welchem sich bereits der Scheerenschleifer befindet. Er kommt dann wieder zu mir!«
Seeström führte den Kronprinzen ab, nahm der Wache den Schlüssel aus der Hand und öffnete. Der Kronprinz trat willig ein.
»Durchlaucht!«
»Hoheit!«
Diese beiden Rufe vernahm der Lieutenant, warf einen Blick in das Gewölbe und erkannte den Dessauer. Er hatte aber keine Zeit, seiner Ueberraschung Ausdruck zu geben; er mußte wieder nach oben.
Als er das blaue Zimmer wieder betrat, winkte ihm der König näher zu treten.
»Lieutenant von Seeström, Eure Umsicht, Tapferkeit und Treue hat mir schon öfters lobenswerthe Dienste erwiesen. Ich bin Euch zu Dank verpflichtet und mache Euch hiermit zum Hauptmanne!«
»Majestät – –!«
»Schon gut! Ich bin überzeugt, daß ich mich auch ferner auf Euch verlassen kann, und will Euch einen Beweis meines unbeschränkten Vertrauens geben, indem ich Euch eine Mission ertheile, von deren Erfüllung sehr viel abhängt. Ihr geht nämlich nach Warschau, wo Eurer voraussichtlich ein längerer Aufenthalt wartet. Eure Instruktion ist bereits ausgefertigt. Ihr geht jetzt sofort zu meinem Sekretär, sie zu holen. Morgen früh müßt Ihr abgereist sein. Die Instruktion habt Ihr erst in Warschau zu öffnen. Lebt wohl!«
Er streckte ihm mit gnädigem Lächeln die Hand entgegen, Seeström aber ergriff sie nicht, sondern verbeugte sich kalt.
»Ja, lebt wohl, Majestät. Ich werde um meinen Abschied einkommen!«
»Wie! Höre ich recht?« fuhr der König auf.
»Ich werde um meinen Abschied einkommen!« wiederholte der Junker.
»Warum?«
»Weil ich Euch durchschaue, Majestät. Ich werde niemals ohne[150] Gegenwehr den Ort verlassen, an welchem ein gewisser Börjesson nicht am Platze ist.«
»Was will Er damit sagen?«
»Daß ich selbst einem Könige das Recht nicht zugestehe, in das Glück zweier Herzen vernichtend einzugreifen. Ich war Euer Majestät treuester, eifrigster und furchtlosester Soldat. Man belohnt mir diese Treue mit Verrath. Ich nehme meinen Abschied.«
Der König schnellte in die Höhe.
»Verrath! Elender, weiß Er, wem Er dieses Wort gesagt hat? Ich kann Ihn zertreten wie einen Wurm!«
»Wurm?« frug Seeström mit blitzenden Augen und reckte sich in die Höhe. »Seht mich einmal an, Majestät! So wie ich hier stehe, fürchte ich Euch Alle und noch zwanzig Andere nicht. Wer ist nun der Wurm!«
»Er!« knirschte Karl. »Das will ich Ihm sogleich beweisen! Er ist mein Gefangener. Ich selbst werde Ihn in das Gewölbe bringen, und ich will sehen, ob Er es wagt, sich an der Majestät zu vergreifen!«
Er faßte den Lieutenant beim Arme.
Dieser lächelte von oben auf ihn hernieder.
»An der Majestät? Pah! Wo wäre diese in diesem Augenblicke zu finden. Aber dennoch werde ich mitgehen, und zwar nicht wie der Verbrecher mit der Majestät, sondern wie das starke edle Roß, welches sich willig von dem kleinen Buben führen läßt. Vorwärts. Ich bin bereit und werde wieder Fürsten für Euch fangen!«
Unten im Gewölbe hatte sich unterdessen eine etwas kräftige Unterhaltung abgesponnen.
»Durchlaucht!« hatte der Prinz, und
»Hoheit!« hatte der Fürst gerufen.
Dann schloß sich die starke Eichenthüre hinter ihnen. Sie beguckten einander vom Kopfe bis zu den Füßen herab, und dann brachen sie beide in ein schallendes Lachen aus, welches mit der gegenwärtigen Situation allerdings nicht gut harmoniren wollte.
»Donnerwetter, nehmt Ihr Euch gut aus, Prinz!«
»Sapperlot, seid Ihr ein netter Kerl, Fürst!«
»Nicht wahr? Ja, man hat auch so seine Meriten! Wer hat Euch denn eigentlich abgefangen, he?«
»Dieser verdammte Seeström!«
»Was? Der? Den soll doch ein Donnerwetter neunundneunzig Klafter tief in den Erdboden schlagen! Hat denn den der Teufel überall?«
»Wie es scheint! Und wer hat Euch beim Zopfe genommen?«
»Der Börjesson! Diesen verfluchten Kerl lasse ich noch Spießruthen laufen, und wenn ich die Stöcke dazu barfuß und höchst eigenhändig aus Sibirien herbeischaffen sollte! War da über dem besten Schleifen, habe jedes Messer und jede Scheere um eine halbe Elle kürzer gemacht und stets von der verkehrten Seite an den Stein gehalten – sang wie eine Haidelerche mein schönes Lied; da läßt mich dieser Himmelhund zu sich kommen und schickt mir das ganze Gesinde auf den Hals. Habe mich aber gar nicht gewehrt!«
»Ich auch nicht.«
»Warum sollte man denn Spektakel machen! Das Bischen Holz hier könnte man mit dem Fuße zertreten, ist aber auch nicht nöthig. Jetzt ist es bereits acht Uhr, und halb elf Uhr kommt der Major Hagen mit fünfzig Mann von Blankenfelde herüber, um mir die Tinte, in der ich stecke, abzulecken.«
»Ah! So habt Ihr Euch also vorgesehen?«
»Ja, Doch still! Man schließt wieder auf.«
Die Thüre wurde geöffnet, und der König in eigener Person steckte den Lieutenant herein. Dieser war einigermaßen verlegen, wie er sich benehmen sollte, aber diese Verlegenheit schwand sofort, als er von einem wahrhaft homerischen Gelächter empfangen wurde.
»Oho! Wer kommt denn da? Ich glaube gar der Herr Urian selber! Auch als Gefangener oder um uns hübsch auszuhorchen!?« frug der Kronprinz.
»Als Gefangener,« antwortete er einfach.
»Kann Er sein Wort als Edelmann darauf geben?«
»Ich gebe es!«
»Na, da schlage doch Gott den Teufel todt! Erzähle Er!«
Während der Lieutenant seinen Bericht erstattete, saß Anna in schweren Sorgen oben in ihrer Stube. Sie hatte erfahren, daß Erich eingesperrt worden war, und die Zeit, in welcher sie ihren Entscheid geben sollte, rückte heran. Doch als die Stunde gekommen war, wurde sie nicht gerufen. Sie hätte leicht fliehen können, aber sie mochte es nicht ohne Erich. Man hatte da drüben im blauen Zimmer gewiß sehr nothwendige Berathungen zu pflegen. Es wurde neun Uhr und zehn Uhr, und die Dunkelheit des Abends begann sich über die Gegend zu breiten.
Da kam ein Mann durch das Thor und über den Hof herüber. Im Flur bei der Wache stand die Wirthschafterin, welche sich die Behütung der Gewölbethüre angelegener sein ließ als der Posten selbst. Der Mann trat ein. Es war der Feldwebel Baldauf, der die Rückkehr seines Lieutenants in der Schenke vergebens erwartet hatte.
»Wo ist der Herr Junker von Seeström, Jungfer Zeißig?« frug er.
»Wo der ist? Da drin steckt er!«
»Da drin? Was thut er da?«
»Er brummt!«
»Was soll das heißen?«
»Na, was anders, als daß er gefangen ist!«
»Gefangen? Weshalb denn?«
»Weiß ich es?« frug sie schnippisch.
»Ist es wahr?« frug er den Posten.
»Ja,« antwortete der Knecht treuherzig. »Ich stehe hier Wache. Ich darf das Fräulein nicht herunterlassen und auch die Drei nicht hier heraus, sonst werde ich selber eingesteckt.«
»Das Fräulein? Donnerwetter! Und diese drei? Wer ist das?«
»Der Herr Lieutenant, der Schleifer und der Krämer.«
»Darf man denn nicht einmal mit dem Herrn Lieutenant sprechen?«
»Nein, das ist sehr streng verboten!« antwortete die Wirthschafterin.
»Halte Sie Ihr Maul! Sie hat gar nichts darein zu reden! Klaus, ist es wirklich wahr, daß ich nicht mit dem Herrn Lieutenant reden darf? Ich habe als Feldwebel ganz nothwendig mit ihm zu sprechen.«
»Hm! Mir ist blos gesagt worden, daß ich eingesteckt werde, wenn sie ausreißen.«
»So mache mir einmal auf!«
»Nein; das darf Er nicht, Klaus! Ich sage es dem Herrn Obristen!«
»Will Sie wohl stille sein, Sie alte Kanaille, Sie? Wenn Sie das Maul noch einmal aufthut, so soll Sie sehen was passirt!«
Klaus hatte den Schlüssel bereits angesteckt und öffnete.
»Herr Lieutenant!«
»Feldwebel!«
»Ihr seid wirklich gefangen?«
»Ja.«
Er trat heraus um sich zu zeigen, da faßte ihn aber die Wirthschafterin am Arme.
»Ihr habt hier drin zu bleiben! Versteht Ihr?«
Der Lieutenant war ganz erstaunt über das Frauenzimmer und antwortete ihr nicht. Aber an seiner Stelle antwortete ein anderer.
»Ah, das ist ja Sie mit Ihrem gottsvergessenen Plapperment, Sie Jungfer Staar geborene Kreuzdorn! Sie soll doch gleich der Gottseibeiuns bei Ihren Storchwaden nehmen und durch die Lüfte säuseln!«
»Halte Er sein großes Maul, Er Thunichtgut! Er ist ja keinen Heller werth! Er hat mir ja lauter Unheil angestiftet! Die Wiegmesser hat er auf der obern statt auf der untern Seite geschliffen, bei den Tischmessern die Hefte statt der Klingen und bei den Scheeren die Griffe anstatt der Schneiden. Das war eine schöne Bescheerung, das war ja eine Wirthschaft gerade wie in Polen, wie mein Seliger immer sagte!«
»Warte, da werde ich Sie auch gleich beim Hefte nehmen. Höre Er, wie heißt Er?«
»Klaus.«
»Er ist der Posten hier?«
»Ja.«
»Hat Er einmal vom Dessauer gehört?«
»Ja.«
»Der bin ich, und das ist der Kronprinz von Preußen. Wer jetzt muckst, dem schneide ich den Hals ab. Draußen vor dem Gute stehen meine achttausend Soldaten, die rauben, morden, sengen und brennen, die spießen die Kinder im Mutterleibe todt und schneiden den Jungfern die Bäuche auf, wenn Ihr nicht Ordre parirt. Herein mit Euch Zweien! Sie, Jungfer Henne, geborene Balsamine, wagt es nicht, einen Laut auszustoßen, und Er, Klaus, bewacht sie drin und sieht darauf, daß sie keinen Skandakel macht. Also hinein mit den zwei Sechsern in den Klingelbeutel! So!«
Er schob sie hinein, schloß zu und steckte den Schlüssel ein.
»Nun wartet einen Augenblick! Ich will sehen, ob der Hagen da ist!«
Er ging in den Hof und hinter das Gut.
»Hagen!«
»Hier!«
»Alle da?«[151]
»Alle, Durchlaucht.«
»Das Ding wird eingeschlossen, daß niemand hindurch kann. Hinein darf Jeder, heraus aber Niemand. Waldow, Er ist Feldwebel; besorge Er das. Die Offiziere aber folgen mir jetzt!«
Als er mit diesem Gefolge den Flur erreichte, trat ihm Baldauf entgegen.
»Durchlaucht, der Herr Lieutenant von Seeström sagt mir, daß er mit Euch geht!«
»Ja.«
»Ich bin sein Feldwebel.«
»Kenne Ihn schon, Er Hallunke, von wegen der Krautpopels damals!«
»Darf ich mit?«
»Komme Er nur, denn solche Galgenstricke kann ich gern gebrauchen! Jetzt hinauf!«
Die Treppe wurde leise erstiegen, und ebenso leise öffnete Leopold die Thür. Drin stand jetzt Anna vor den Herren und der Herzog meinte eben:
»Ihr laßt also von diesem Seeström und habt die Wahl zwischen Börjesson und dem alten Jungfernstifte. Entscheidet Euch!«
»Packt Euch selber zu den alten Jungfern, Ihr malefizer gichtbrüchiger Kuppler Ihr!« klang es da von der Thüre her.
Der Fürst, der Kronprinz, Seeström, Baldauf und vier Offiziere vom halberstädtischen Regimente traten ein. Die Ueberrumpelten sprangen auf.
»Was ist das? Verrath!« rief der König und suchte die auf der Tafel liegenden Schriften fortzuraffen.
»Laßt das Zeug in Gottes Namen liegen, ich habe die Mappe meines lieben Merseburger Vetters bereits gestern in der Küche gelesen.«
»Ihr seid unsere Gefangenen! Was wollt Ihr hier oben? Ich werde Euch schärfer bewahren lassen!« brauste der König auf.
»Da steckt nur auch meine Buntröcke mit ein, die das ganze Allstädt umzingelt haben, daß keine Maus und keine Laus sich durchbeißen kann! Setzt Euch nieder, Ihr Herren. Wir haben mit Euch zu reden!«
Man folgte seinem Gebote. Er wandte sich nach der Thür.
»Major Hagen, befehlt zehn Mann mit guten Stricken herauf. Man weiß nicht, wie man den Hanf brauchen kann, denn ich habe nicht Lust, mir den Schnabel wund zu reden.«
Der Major entfernte sich. Leopold wandte sich wieder der Tafel zu.
»Ihr Herren habt vorhin diesem Fräulein von Boberfeld Bedingungen gestellt, jetzt nun kommt die Reihe Bedingungen zu machen an uns. Ihr Alle kennt mich genau und wißt, daß ich kein Faselhans bin. Was ich sage, das gilt, und damit Punktum! Hört Ihr die zehn Mann mit den Stricken kommen? Sie bleiben draußen, denn unsere Unterredung dürfen nur wir hören. Unten stehen noch so viel Buntröcke, wie ich brauche. Und nun sage ich Euch, entweder werden wir einig, oder Ihr Alle geht als meine Gefangenen mit mir!«
»Das ist gegen das Völkerrecht! Ich protestire da – –«
»Donnerwetter,« unterbrach Leopold den König, »wer muckst noch? Habe ich nicht deutlich genug gesagt, daß jetzt ich, nämlich ich spreche! Ihr habt uns ohne Umstände gefangen genommen; ich könnte es mit Euch ebenso thun; aber ich will es gnädig machen und Euch Bedingungen stellen, die Euch den Rückzug erleichtern. Geht Ihr nicht darauf ein, so ist es Euer eigener Schaden. Ich kehre mich den Teufel um Euer Völkerrecht und um Eure Protestation. Ihr macht es ebenso, wenn Ihr das Heft in den Händen habt. Also hört mein letztes Wort: Ihr habt zu Altranstädt im vorigen Jahre Frieden mit dem Kurfürsten von Sachsen gemacht; Ihr wollt zu Altranstädt in diesem Jahre eine Konvention mit dem Kaiser von Oesterreich schließen; ich verlange, daß Ihr in diesem Jahre und noch vor dieser Konvention ein Bündniß mit Preußen schließt. Ihr habt uns bisher hingehalten und unsern Obersten Ravenau mit schönen Redensarten gefüttert. Ich verlange, daß endlich Ernst gemacht wird und der Traktat bis spätestens den sechzehnten August unterzeichnet ist. Wollt Ihr nicht, dann marsch mit Euch nach Halberstadt! Gebt eine Antwort. Aber kurz und deutlich!«
»Dieser Antrag,« meinte der König vorsichtig, »ist allerdings einer reiflichen Ueberlegung werth, und ich werde in Zeit von einigen Tagen – – –«
»Kreuz-Bomben-Hagel- und Granatenwetter! Ist das eine kurze und deutliche Entscheidung? Ich sehe, daß ich in den Wind rede. Major Hagen, laßt die Leute eintreten. Wir müssen zu einer andern Sprache – – –«
»Halt, Herr Major!« gebot der König dem bereits sich nach der Thüre kehrenden Hagen. »Ich bin bereit, bis zu dem angegebenen Tage das Bündniß abzuschließen und zu unterzeichnen!«
»Gut! Aber ein Hundsfott, wer sein Wort nicht hält! Weiter, Wir haben vorhin unten in unserem Gefängnisse Zeit gehabt, die einzelnen Punkte dieses Traktates zu Papiere zu bringen. Sie sind, Gott straf mich! sehr gerecht und billig von uns gestellt worden, und wir legen sie Euch hiermit vor. Papier liegt genug hier. Diese Punkte werden in zwei Exemplaren abgeschrieben und unterzeichnet, ein Exemplar bekommt der König und das andere der Kronprinz hier. Das ist der Traktat, der am sechzehnten August öffentlich ausgefertigt wird. Unsere heutige Abmachung bleibt bis dahin geheim, ebenso Alles, was in diesen zwei Tagen geschehen ist, und auch die Art und Weise, wie Ihr dazu gekommen seid uns willfährig zu sein. Ihr seht, daß wir Euch schonen wollen. Die geheimen Ausarbeitungen, welche Ihr hier liegen hattet, und die gegen uns gerichtet sind, kommen in meinen Gewahrsam. Sie werden Euch aber prompt und reell ausgehändigt, sobald das Bündniß abgeschlossen ist. Lest unser Papier durch. Ich gebe Euch zehn Minuten Zeit. Am Schlusse der zehn Minuten aber kommandire ich meine Jungens herein, und wenn Ihr dann zehnmal Ja sagen wollt, es ist zu spät; das schwöre ich Euch bei allen Heiligen des Kalenders, bei meiner Seligkeit und beim Teufel und seiner Großmutter, ganz wie Ihr wollt! Heraus also mit dem Wische, Hoheit!«
Der Prinz griff in die Tasche und brachte einen Fetzen Papier hervor, welchen er dem Könige übergab. Dieser studirte die Punkte.
»Fünf Minuten –« zählte der Dessauer – »sechs – – sieben – – acht – – –«
»Ich muß bemerken,« meinte der König, dem wirklich der Schweiß auf der Stirn zu stehen schien, »daß der dritte Punkt von mir nicht – – –«
»Nichts wird bemerkt, Majestät! Ihr sprecht heute einmal nicht mit dem Obersten von Ravenau, sondern mit dem Dessauer. Angenommen oder gefangen! – neun Minuten – – zehn – – Major Hagen, laßt – – –«
»Halt, ich nehme an!«
»Gut! Hagen, laßt die Leute wieder hinuntergehen!«
»Aber, Fürst, Ihr seid ein ganz entsetzlicher Mensch!«
»Gott bewahre! Ich bin ein höchst gemüthlicher und verträglicher Bursche, nur lasse ich mir nicht gern die Katzen vor dem Wege herumlaufen. Also schreiben, meine Herren! Ein Exemplar schreibt mein Major und das andere der Herr Graf von Mansfeld!«
»Durchlaucht, ich bin mit der Feder nicht so recht – – –«
»Papperlapapp! Ihr schreibt eine ganz erträgliche Pfote. Hier seht Euch einmal diesen Brief an! Ich habe ihn dem Wachtmeister Roller abgenommen, der jetzt bei mir in Halberstadt steht. Auch diese Beiden gehen über. Der Junker von Seeström wird als Hauptmann mein Adjutant. Könnt ihm gratuliren!«
Mit größtem Aerger sah Mansfeld sein Schreiben in der Hand Leopolds; er mußte sich bequemen und griff zur Feder. In einer halben Stunde waren die beiden Exemplare geschrieben und unterzeichnet und gingen in die Hände des Königs und des Kronprinzen über.
»So!« meinte Leopold. »Ich weiß, das ist nur für kurze Zeit, denn ich kenne die Majestät von Schweden. Aber wenn es losgeht, dann wird der Dessauer mit dem Säbel ebenso dazwischenfahren, wie heute mit dem Maule. Und nun zu etwas Anderem! Herzoglich Merseburgische Durchlaucht wissen, daß mein Freund und Kampfgenosse von Boberfeld in meinen Armen gestorben ist, der Teufel hole die Kugel, die ihn traf! Er legte mir in seinen letzten Worten das Glück seines Kindes an das Herz, und ich will heut Abend an mein damaliges Versprechen denken. Herzogliche Durchlaucht, ich bitte hiermit bei Euch um die Hand Eurer hier stehenden Mündel Anna von Boberfeld für meinen Adjutanten, den Hauptmann Erich von Seeström!«
Das kam dem Herzoge doch zu überrascht.
»Durchlaucht, meine Mündel ist bereits versprochen, und übrigens hat der Junker von Seeström noch seinen Abschied aus dem schwedischen Dienst nicht erhalten.«
»Richtig, Eure Mündel ist bereits versprochen; sie selbst hat sich nämlich an meinen Adjutanten versprochen. Ein Anderer hat nichts darüber zu bestimmen, sonst lasse ich bei der obersten Reichsbehörde die Verwaltung ihres Vermögens untersuchen. Pasta, abgemacht und kein Wort weiter! Und was den Herrn von Seeström betrifft, so bitte ich Euer Majestät um seinen mündlichen Abschied. Die Erfüllung dieser Bitte würde ich Euch zu aller Zeit gedenken.«
Der König mußte doch lächeln über die rasche unwiderstehliche Art, in welcher der Eisenfresser Bresche zu legen versuchte.[152]
»Durchlaucht, da Ihr mich bittet, so verabschiede ich ihn hiermit!«
»Ehrenvoll?«
»Ehrenvoll!«
»Auch seinen Feldwebel, den schwarzen Klas, den Hallunken, der mich so unverschämt gefoppt und gemeiert hat?«
»Auch ihn!«
»Danke, Majestät! Und nun, Herzogliche Durchlaucht, Eure Antwort!«
»Was soll der Herr Obrist von Börjesson sagen!«[153]
»Der? Der hat gar nichts zu sagen! Der mag sich zum Kukuk scheeren, und wenn er ihn nicht findet, so will ich ihm gern einen Wegweiser malen! Also, heraus damit!«
»Ich habe nichts dagegen!«
»Gut! Hauptmann, geht hin, nehmt sie bei der Parabel und gebt ihr einen Schmatz, aber einen Zwanzigpfünder!«
Der Hauptmann gehorchte. Dann meinte Leopold lustig:
»Und nun ist heute Verlobung; die Herren sind ein geladen. Und am sechzehnten August, wenn man das Bündniß unterzeichnet, wird die Hochzeit gefeiert. Hier, Hauptmann, hat Er den Schlüssel zum Gewölbe. Lasse Er die zwei Gefangenen heraus und bringe Er mir die Jungfer Rabe geborene Esche mit herauf!«
In der kürzesten Zeit trat die Wirthschafterin herein. Leopold zog ihr sein fürchterlichstes Gesicht.
»He, Sie alte Trauerweide, heute Abend ist Verlobung. Weiß Sie, was das ist?«
»Ja.«
»Da wird gegessen und getrunken. Verstanden?«
»Ja.«
»Na, da spute Sie sich, und schaffe Sie her, was Sie nur finden kann. Aber bringe Sie um Gotteswillen keine Messer von denen, die ich gestern geschliffen habe! Eigentlich sollte ich Ihr Verschiedenes um die Ohren pfeifen, aber da Alles ein so gutes Ende nimmt, so will ich mich einmal nicht weiter um Ihre Flöhe bekümmern, Sie alte Jungfer Stieglitz, geborene Hollunder, Sie!« –[154]
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