2.

[415] Wenn zwischen zwei Geschichten so einige Jahre in das Land gehen, so kann man auch beim Erzählen eine Pause machen. Es geht ja auch im Leben nicht Alles so glatt und hurtig ab, und zumal Unsereiner wird von den Winden hin und hergeworfen, die bald von hier und bald von da herüberwehen und zumal dem Westmanne gar arg mitzuspielen pflegen.

Ich hatte das an mir selbst erfahren und war nach Vicksburg gekommen, um mich einmal so recht gehörig auszuruhen. Aber, pshaw! Das Trapperblut ist mit keiner Ruhe einverstanden als mit der, zu welcher Jeder einmal kommt, wenn er seine letzte Kugel verschossen und das feindliche Messer oder Blei gekostet hat. Es dauerte kaum eine Woche, so wurde mir die Zeit gewaltig lang, der Gedanke, wieder aufzubrechen, fing an, mir ernstlich zu schaffen zu machen, und ich stieg den lieben langen Tag am Strome hin und her, um nach irgend Etwas auszuschauen, was meinem Entschlusse eine bestimmte Richtung geben sollte.

So stehe ich denn am Quai oder wie sie das Ding dort nennen, und habe meine helle Freude an dem Menschengewühl, welches die ankommenden Steamer bringen und die abgehenden wieder mitnehmen, da sehe ich plötzlich ein Gesicht, sage ich Euch ein Gesicht, welches ich nicht vergessen konnte, obgleich schon fast zwanzig Jahre vergangen waren, seit ich es zum letzten Male vor mir gehabt hatte.

»Betty, Betty Kroner!« rufe ich und dränge mich durch das Volk bis hin zu ihr. »Gott segne meine Augen; bist Du es, oder bist Du es nicht?«

»Tim,« ruft sie, die Hände vor Freude und Verwunderung zusammenschlagend; »Tim Summerland, welch ein Glück, daß ich Dich finde!«

»Ja, ein Glück ists, Betty, ein verteufelt großes Glück! Weißt Du noch, damals, als ich Dich zur Frau haben wollte und Du mochtest nicht, sondern hattest den Fink Panschlaw lieber als mich? Es war doch eine verdamm – – eine schöne Zeit, wollte ich sagen, Betty! Du bist mit dem Panschlaw gelaufen, ich aber hab' Dich nicht vergessen bis auf den heutigen Tag. Domm, es ist doch mit dem Dinge, was sie Liebe nennen, eine eigenthümliche Sache! Wie ist Dir's gegangen, und wie kommst Du nach Vicksburg?«

Ihre Augen wurden plötzlich naß, sage ich Euch, so naß, daß ich mir beinahe auch mit der Hand in mein altes Gesicht fahren mußte, denn ich muß Euch sagen, daß mir Alles gleich ist, aber die Betty Kroner, die kann ich nicht weinen sehen.[415]

»Ach, Tim, mir ist's schlecht gegangen,« antwortete Betty Kroner unter Thränen, »und jetzt, da ist's am Allerschlimmsten!«

»Zonds, ist's möglich?« rief Tim Summerland aus. »Wer ist Schuld daran, Betty? Bringe ihn her und ich nehme sein Genick zwischen die Finger, daß er seiner Seele fünfzig Meilen weit nachlaufen muß, ehe er erfährt, daß er sie nicht wiederbekommt!«

»Ja, wenn ich ihn Dir nennen könnte, Tim; ich weiß ihn ja selber nicht!«

»So erzähle! Oder komm dort in den Store, da können wir sitzen und sind Keinem im Wege!«

Sie ging mit und begann ihre Erzählung.

»Panshlaw ist todt, Tim, schon viele Jahre; meine jüngste Tochter, die Ellen, zählt acht Jahre. Es war mir fast die Liebste von Allen, aber nun ist sie auch mit verloren!«

»Verloren? 'sdeath, hast Du denn Kinder verloren, Betty?«

»Ja, alle Vier,« weinte sie leise aber heftig. »Ich zog mit Panshlaw nach New-Orleans, wo ich geblieben bin bis vor wenigen Wochen. Da rief mich die Schwägerin nach dem Norden, und ich brach mit den Kindern auf. Hier bin ich an das Land gegangen, um einen Einkauf zu machen, und als ich auf das Schiff zurückkam, waren sie fort. Ich konnte weiter Nichts erfahren, als daß ein gut gekleideter Mann sie abgeholt habe, um sie zu ihrer Mutter zu führen.«

»Bei meinem Bowiemesser, Betty, das ist eine verteufelt unglückliche Geschichte! Was werden wir thun?«

»Ich weiß es nicht, Tim! Ich bin im Policehouse gewesen; es hat Nichts geholfen. Ich habe die Stadt wohl Tag und Nacht durchstrichen; es ist vergebens gewesen. Nun ist mein Geld alle, weil ich die hohe Fahrt bezahlt habe, und ich bin in der fremden Stadt ohne alle Hülfe und allen Rath!«

»Beim Teufel, Betty, das ist nicht wahr! Oder hältst Du den Tim Summerland für Nichts, für gar Nichts?«

»Tim, verzeihe mir, ich weiß doch nicht, ob Du mir noch bös bist von damals her, und kenne doch auch Deine Verhältnisse nicht, ob Du mir helfen kannst!«

»Bös? Ich Dir? Wer Dich das glauben machen will, Betty, dem schlage ich den Kopf so breit, daß er ihn für eine alte Landkarte halten soll! Und meine Verhältnisse? Ich will Dir Etwas sagen, Betty: Tim Summerland hat keine Verhältnisse, aber Geld hat er, viel Geld, und das wird er gern drangeben, um Deine Kinder aufzufinden!«

Die Sache war um ein Weniges schlimmer, als Ihr denken werdet. Die Betty war nämlich eine Freigegebene und hatte ein ziemlich Maaß von dunklem Blute in den Adern, das war nicht nur an Haar und Hautfarbe, sondern auch an den Nägeln deutlich zu sehen. Ihre Kinder hatten also dieselben Kennzeichen an sich, und wenn irgend ein Schelm sie vom Schiffe geholt und für seine Sclaven ausgegeben hatte, so war es nicht leicht, sie wieder zu bekommen, selbst wenn man wußte, wer's gewesen war.

Vor allen Dingen brachte ich sie zu meinem Boarding-Manager, bei dessen Frau sie eine freundliche Aufnahme fand. Dann mußte sie mir Alles genau beschreiben und erzählen, und nun machte ich mich auf die Suche, um eine Fährte des Wildes zu entdecken, das ich noch gar nicht kannte.

Mein Suchen war tagelang vergebens, bis ich zufälliger Weise in den Boar-room des Washington-Hotels gerieth.

Es waren verteufelt noble Gentlemen's hier, und der alte Tim Summerland wurde nicht zu wenig angestaunt, daß er es wagte, so eine »dearness-spelunc« zu betreten. Aber er ist ein besserer Mensch als mancher Andere, der mit der Nase Löcher in den Himmel sticht, und ließ sich darum gar nicht irre machen.

Da auf einmal kommt Einer herein, der besser und gentlemanliker als sie Alle sieht, wirft einen Blick herum, als wolle er die Köpfe von den Rümpfen spießen und dreht sich schon wieder zum Gehen um, als er mich gewahrt. Da blitzt es in dem treuen Auge auf; er tritt zu mir heran und streckt mir die Hand entgegen.

»Tim Summerland, alter Rifler, welcher Sturm hat denn gar Dich in dieses Haus gejagt?«

»Linkoln, Abraham Linkoln, wahrhaftig, Ihr seid es mit Haut und Haar!«

»Du, Du, heißt es, Tim, grad so wie damals, als wir die zwölf Indsmen von Fort Gibson auf die Floßhölzer schnallten. Komm mit herauf in meinen Room, Du mußt erzählen!«

Denkt Euch, der Mann war während der Zeit, daß ich ihn nicht gesehen hatte, Kapitän und gar Lawyer geworden, so was man im alten Lande einen Advocaten nennt, und Alles ohne Schule und nur durch sich selbst. Jetzt hatte er ein Geschäft im Lande und hatte im Hotel gewohnt, wollte aber schon mit dem nächsten Steamer fort. Ich will des Teufels sein, wenn ich ihm nicht sofort die Geschichte von[430] der Betty erzählte. Er hörte aufmerksam zu, sagte aber Nichts und nickte nur einige Male zustimmend mit dem Kopfe, als sei ihm Alles schon bekannt.

»Well, Tim,« meinte er dann; »Du kommst jetzt grad an den rechten Mann und sollst die Kinder haben, wenn Du willst!«

»Ob ich will? Ich schieße Jeden nieder, der das Gegentheil behauptet, und laufe neunzig Mal um die Erde herum, wenn ich nur weiß, daß ich sie dabei irgendwo finde!«

»Gut, sehr gut! Wie also hat der Mann gesehen, mit dem sie vom Schiffe gegangen sind?«

»Wie jeder Andere! Carrirte Beinkleider, grauer Rock und gelber Panamahut, eine Nase, zwei Beine und – –«

»Und lahm, lahm ging er, nicht wahr, Tim?«

»Zounds, der Stewart hat so Etwas gesagt, doch wußte er es nicht genau! Kennst Du den Kerl, Abraham?«

»Ein Weniges! Ich muß Dir nämlich sagen, daß ich beauftragt bin, einem Manne nachzugehen, den eine gewisse Jury gern bei sich sehen möchte. Er ist durch die Länder gegangen und Keiner hat ihn finden können. Ich aber bin ihm auf der Ferse. Er scheint zwischen hier und dem Missouri ein artiges Pecaninygeschäft zu treiben, nimmt braven Leuten die Kinder weg und verkauft sie in die untern Staaten, wo diese Waare gut bezahlt wird. Ich werde ihm das Handwerk legen. Willst Du mit?«

»Ich bin dabei! Wann geht es fort?«

»Sogleich!«

»Gut, ich bin fertig. Aber die Betty?«

»Bleibt hier. Wir gehen noch zu ihr und tragen Sorge, daß sie bis zu unserer Rückkehr nicht Noth zu leiden hat.«

»Linkoln, der Alligator soll mich fressen, wenn ich jemals vergesse, daß – – –«

»Schon gut, Tim! Ich bin ganz allein nur auf mich angewiesen, denn die Südstaatenmänner werden mir in meiner Angelegenheit nur feindlich entgegentreten. Wer weiß, ob ich nicht in schlimme Lagen komme, und da ist es mir ganz lieb, Jemand bei mir zu haben, auf den ich mich verlassen kann.«

»Well done, so passen wir zusammen grad wie damals, als wir dem Kanada Bill unser Blei zu schmecken geben und die Rothhäute in Kidren so prächtig ablieferten.«

»Was den Kanada Bill betrifft, Tim, so muß ich Dir sagen, daß er grad in dieser Gegend hier nicht selten zu finden ist. Er soll am Red River ein großes Sumpfland besitzen und dort viel Ebenholz zu seinem Vergnügen zu Tode peitschen. Das ›three carde monte‹ hat er nicht verlernt und erst kürzlich in St. Louis zwanzig Tausend Dollars damit gewonnen. Entweder habe ich mich da oben am Arkansas geirrt, und er ist es gar nicht gewesen, oder unsre Kugel ist nicht genug für ihn gewesen. Jetzt trink und rauch; ich will mich fertig machen!«

Es war ein wunderbares Zusammentreffen, Ihr Leute, und ich hatte meine helle Freude über ihn. Er war ein Gentleman geworden, wie er nur so im Buche steht, und man konnte ihm schon ansehen, daß er es auch noch um ein Beträchtliches weiter bringen werde. Zu meiner Verwunderung zog er einen alten Trapperanzug aus dem Koffer und stand bald grad so vor mir, wie ich ihn im Walde getroffen hatte.

»Jetzt bin ich fertig, Tim. Man darf es hier nicht in die Welt hineinschießen, wer man ist und was man will. Den Koffer schicken wir zu Deiner Betty; die mag ihn behalten als Zeichen, daß wir wiederkommen.«

Das schnappte und klappte nur so Alles an ihm. Ein Stündchen später bestiegen wir den Steamer, suchten uns als einfache Westmänner ein Plätzchen auf dem Deck und machten es uns so bequem als möglich. Die Fahrt dauerte vier Tage. Ich frug nicht, wo wir aussteigen würden und bekümmerte mich auch nicht um das, was Linkoln that und trieb. Ich wußte, daß er reden werde, wenn die rechte Zeit gekommen sei. Er hatte ein scharfes Auge auf Jeden, der das Schiff bestieg, obgleich es kein Anderer als nur ich allein bemerken konnte.

Da, es war in der Gegend von Game-city, brachte ein Boot einen Mann an Bord, welcher zwei Kinder bei sich hatte. Es war ihnen auf den ersten Blick anzusehen, daß sie Negerblut in den Adern hatten. Sie schienen sich sehr vor ihm zu fürchten und blieben in dem Winkel versteckt, nach welchem er sie führte.

»Das ist unser Mann!« meinte Abraham leise.

Wirklich hinkte er ein Wenig, wenn auch die Kleidung nicht die beschriebene war. Er blieb bis zum Abende auf dem Schiffe, wo er dann mit den Kindern einen Kahn bestieg, welcher mitten im Strome auf ihn gewartet zu haben schien.

»Bounce,« sagte Linkoln; »er hat sich vorgesehen und wird uns leicht entgehen. Laß sehen, was zu machen ist!«

Er ging zum Capitain und sprach Einiges mit ihm. In kurzer Zeit wurde ein Boot ausgesetzt; wir stiegen hinein, und von sechs Rudern getrieben, flog es in den Nebel hinein, in welchem der Kahn verschwunden war. Die Bootsleute hatten den Steamer wieder einzuholen und legten sich daher gewaltig auf das Holz. Die Leute im Kahne bemerkten uns nicht, obgleich wir fast zu gleicher Zeit mit ihnen das Ufer erreichten. Wir landeten an einer tieferen Stelle als sie und blieben ihnen wacker auf der Fährte.

Der Weg führte nach einer Pflanzung, welche in der Nähe des Stromes lag. Als der Mann das Camp, in welchem die Neger wohnten, erreicht hatte, stieß er einen Pfiff aus. Eine Gestalt erschien, die Peitsche in der Hand. Es war einer der Aufseher.

»Hier bringe ich zwei Neue. Gieb ihnen zu esse und laß sie mit den Andern spielen, damit sie nicht heulen. Sind sie aber nicht zu trösten, so zieh' ihnen den Riemen über den Rücken!«[431]

Unser Unbekannter ging dem Wohnhause zu. Wir erreichten es, um nicht gesehen zu werden, auf einem Umwege. Auf der Veranda befand sich Niemand; auch im Parlour war Niemand zu erblicken, doch schimmerte aus einem offenen Fenster des Erdgeschosses Licht. Wir schlichen uns herbei. Am Tische saßen drei Männer, der Angekommene unter ihnen. Der Zweite konnte der Pflanzer sein, und der Dritte, by god, das war der Kanada Bill, Zug für Zug und Haar um Haar, grad wie ich ihn droben am Arkansas zu meinen Füßen hatte liegen sehen.

»Und wie viel habt Ihr heut wieder, Willmers?« frug er eben.

»Zwei. Es war eine harte Arbeit, fast so wie mit den Vier, die ich für Euch von Vicksburg mitbrachte. Sind sie gefüge geworden?«

»Tragt keine Sorge; Hunger und Peitsche thun weh. Mr. Thanny hier sieht schon darauf, daß er bei dem Kostgeld Nichts verliert. Morgen geht es fort nach dem Rad River. Sind die Zwei nach meinem Geschmack, so kaufe ich sie Euch noch ab und nehme sie mit.«

Lincoln zog mich in eine dunkle Ecke.

»Tim, hast Du verstanden?«

»So ziemlich.«

»Es ist der wirkliche Kanada Bill.«

»Der wirkliche.«

»Unser Schuß ist ihm doch nicht durch das Leben gegangen, und die Indsmen haben ihn mit ihren Kräutern geheilt.«

»So meine ich auch. Vielleicht erfahren wir heut von ihm, was die zwölf Schurken damals in Kidron so hartnäckig verschwiegen. Es war nur richtig, daß sie die Kugel bekamen.«

»Ich glaube nicht, daß wir Etwas erfahren; die Umstände sind nicht günstig. Tim Summerland, jetzt werde ich Deine Hülfe brauchen!«

»Ist mir recht.«

»Ich habe einen Verhaftsbefehl, aber er wird mir Nichts nützen.«

»Das ist möglich. Auf den Bill?«

»Nein auf den Andern, der sich hier Willmers nennen läßt.«

»Ah so!«

»Er raubt Mulattenkinder.«

»Und verkauft sie weiter?«

»So ists. Hier bei diesem Mr. Thanny hält er die Niederlage. Bill ist gekommen, um zu kaufen. Die Kinder Deiner Betty sind sein, sie befinden sich noch hier. Hast Du's vernommen?«

»So viel ich's brauche, ja.«

»Wie bringen wir sie los? Gutwillig bekommen wir sie nicht! Achtung vor dem Gesetze und meinem Befehl finden wir nicht; Hülfe und Unterstützung giebt es ja auch nicht – –«

»Hm, wie wär's, wenn wir's auch ohne Hülfe versuchten, Abraham? Ich habe eine verdammt gute Büchse, und das Uebrige ist auch nicht übel!«

»Ich dachte auch daran und bin dazu bereit, was meine Person betrifft; es giebt ja keinen andern Weg. Aber wenn es mißlingt, so sind wir verloren, und darum will ich Dich – –«

»Silence, alter Lawyer! Ich thue mit, und damit stopp. Die Betty soll ihre Kinder wieder haben. Vor diesen Menschenkrämern fürchte ich mich nicht!«

»So mag es sein! Es ist noch nicht dagewesen, sicher nicht, aber wir zwei werden bis morgen die Herren dieser Pflanzung sein. Früh acht Uhr geht der Steamer Wilson aufwärts hier vorüber; ich habe erfahren, daß der Capitain Haller heißt und ein Deutscher ist. Einem solchen dürfen wir uns anvertrauen; er wird nicht dulden, denn sein Gastrecht wird uns schützen, so lange wir uns auf seinen Planken befinden. Ich kenne diese Deutschen, sie sind Ehrenmänner durch und durch und mögen von der Sclaverei Nichts leiden. Mach das Messer locker, nimm die Büchse herab und komm!«

Wir gelangten ungesehen und also auch unangefochten auf die Veranda, ebenso in das Parlour und hatten nun nur noch eine Thür zwischen uns und den Dreien. Lincoln stieß sie auf.

»Good evening, Mesch'schurs!« grüßte er, trat an das Fenster, warf die Jalousien herab und schloß die Flügel.

Ich blieb an der sofort verschlossenen Thür stehen und zog die Büchse an das Gesicht. Die Männer waren aufgesprungen, aber die Ueberraschung raubte ihnen die Sprache.

»Bleibt sitzen; ich werde Gesellschaft leisten!«

Den gespannten Revolver in der Hand, zog er sich den Schaukelstuhl herbei und ließ sich in demselben nieder.

»Damn, Master, was wollt Ihr hier?« frug Kanada Bill. Er hatte sich zuerst gefaßt und griff mit der Hand nach dem Gürtel.

»Laßt das stecken, Bill! Ich gebe Euch mein Wort, daß ich Euch die Hand entzweischieße, wenn Ihr sie nicht augenblicklich wegnehmt!«

Bill folgte. Er sah, daß hier nicht zu spaßen sei.

»Ihr fragt, was ich hier will? Hm, ich möchte gern wissen, wie Ihr wieder aufgekommen seid, als Euch bei Fort Gibson meine Kugel niederstreckte. Mein Floß und der Sack waren wohl die zwei Schüsse werth, die uns Beide in's Jenseits[446] schicken sollten. Ihr seht, ich habe eine kleine Rechnung mit Euch quitt zu machen!«

»Cheer up, da habe ich Euch ja!« rief er, frohlockend in die Höhe fahrend. »Ihr sollt mir jetzt Rede und Antwort stehen, daß – –«

»Schon gut! Setzt Euch, Bill, sonst kann ich meine Kugel nicht mehr halten! Also Ihr habt jetzt eingestanden, daß – –«

»Eingestanden? Nichts habe ich eingestanden; ich weiß nicht, was Ihr meint. Nur das weiß ich, daß Ihr ein verdammter Dedective seid, den ich gehörig heimschicken werde!«

»Ein Dedective bin ich nicht, wenigstens nicht für Euch, Bill, und heimgehen werde ich ganz von selbst, so bald es mir beliebt. Unsre Sache ist mehr privater Art. Also laßt Euch sagen, Ihr Herren: Dieser Mann dort an der Thür wird Euch die Waffen abnehmen, die Ihr vielleicht bei Euch habt. Ihr laßt das ruhig geschehen, denn ich werde Den, der eine widerspenstige Miene macht, sofort niederschießen!«

»Da habe ich zuerst ein Wort zu sprechen,« meinte jetzt erst Thanny, der bisher bestürzt geschwiegen hatte. »Ich bin hier Herr im Hause. Wer mich überfällt, ist ein Räuber und wird gepackt. Ich rufe meine Leute!«

»Das sollt Ihr sogar thun, aber jetzt noch nicht. Tim Summerland, geh her. Nimm das Messer vor und zeige ihnen die Schneide!«

»Keine Sorge, alter friend! Wer sich nur rührt, der schmeckt die Klinge. Zeigt her, Mesch'schurs, ob sich 'was finden läßt!«

Sie hatten heillosen Respect bekommen und gehorchten. Nur Bill und Willmers hatten Waffen bei sich; der Erstere ein Messer, der Andre aber Messer und Revolver. Ich nahm die Sachen zu mir und kehrte an die Thür zurück.

»So, das war die Einleitung,« lächelte Lincoln. »Nun kommt die Hauptsache, und ich werde der Reihe nach einem Jeden sagen, was ich ihm mitzutheilen habe. Die Andern haben zu schweigen, sonst mengt sich meine Kugel in das Gespräch! Mr. Willmers, ich kenne Euch. Ihr heißt eigentlich Jonas Forbisch und werdet mich auf einige Tage begleiten!«

Der Mann wurde blaß.

»Das ist eine Lüge, das ist nicht wahr! Ich heiße –«

»Stopp, wir sind fertig. Sprecht Ihr noch ein Wort, so ist es aus mit Euch. Die Vereinigte-Staaten-Bank wird ihren Clorc wiedersehen, der so schnell zu verschwinden wußte, darauf könnt Ihr Euch verlassen! Nun zu Euch, Bill. Ich werde eine Frage an Euch richten; Ihr beantwortet sie mit Ja oder Nein. Sprecht Ihr ein Wort mehr oder zögert Ihr mit der Antwort länger als eine Minute, so schieße ich. Mein Name ist Lincoln, Abraham Lincoln. Merkt ihn Euch!«

»Was wollt Ihr?«

»Gebt Ihr mir freiwillig die geraubten Kinder heraus, welche Ihr von Forbisch gekauft habt, wenn ich Euch verspreche, Fort Gibson nicht zu erwähnen?«

»Ja,« ertönte es nach einer Pause. »Ja, wenn –«

»Halt, sonst schieße ich! Ich spaße nie. Den Preis werdet Ihr zurück erhalten, wenn er sich noch bei Forbisch findet. Und nun zu Euch, mein ehrenwerther Mr. Thanny. Ihr beantwortet meine Fragen der Wahrheit gemäß. Beim geringsten Widerstreben seid Ihr eine Leiche. Gehorcht Ihr, so wird Euch nicht das Geringste geschehen! Diese beiden Männer wohnen in Eurem Hause?«

»Ja.«

»Ihr habt die Waare des Mr. Willmers in Eurem Camp?«

»Ja.«

»Ich will Eure Handlungsweise nicht verurtheilen, aber Ihr werdet gut machen, was Ihr gefehlt habt; Schaden giebts ja nicht für Euch dabei. Ihr führt mich nach Forbisch' Zimmer, wechselt aber dabei außer mir mit Niemandem Wort oder Miene, sonst seid Ihr verloren. Kommt! Tim, Du sorgst dafür, daß ich hier Alles so wiederfinde, wie ich es verlasse!«

»Versteht sich ganz von selbst!«

Ich hatte keinen leichten Stand, und die Abwesenheit Abrahams dauerte mir fast ein Wenig zu lange. Es war beinahe eine Stunde vergangen, als er zurückkehrte. Er kam allein. Seine Beredtsamkeit und die Beweise, welche sie in dem Zimmer des Clorcs vorgefunden hatten, waren ein Glück für uns. Der Pflanzer hatte versprochen, sich nicht in unsre Angelegenheit zu mischen, wenn er nicht behelligt werde, und Lincoln war so klug gewesen, ihm Vertrauen zu zeigen.

Mit den beiden Andern gab es noch ein hartes Stückchen Arbeit. Sie wurde glücklich vollendet, da der Pflanzer wirklich Wort hielt und uns keine Feindseligkeit in den Weg legte.

Am andern Morgen verließen wir mit dem gefesselten Forbisch und mehr als einem Dutzend Kindern die Farm, und nur der gewaltigen Persönlichkeit Abrahams hatten wir dieses glückliche Ergebniß zu verdanken. Kapitain Haller nahm uns auf. Zwar hatten wir unterwegs noch manchen kleinen Strauß mit unserm Gefangenen, aber es war nur gering gegen unser vorheriges Wagniß, und wir kamen wohlbehalten in Vicksburg an.

Ihr könnt Euch Betty's Freude denken, als sie die Kinder wiedersah. Die andern waren schon unterwegs den Ihrigen zurückgegeben. Ich blieb in Vicksburg, und – na ja, die Geschichte von dem Fink Panfchlaw, den sie lieber hatte als mich, ist vergessen; sie hat nun einen andern Mann, und der ist besser als der erste, denn er heißt Tim Summerland.

Lincoln aber ist mit seinem Clorc fort nach dem Osten. Ich habe ihn nie wiedergesehen, desto mehr aber von ihm gehört. Ihr kennt ihn Alle, und die ganze Welt kennt ihn. Booth hat ihn erschossen, der Teufel segne es ihm, aber er lebt doch fort in den Staaten, denn was er that, ist für Jahrhunderte gethan, und solch einen Abraham bekommt das Land nicht wieder. Und wenn ich so dasitze und an ihn denke, so klingts mir immer in den Ohren: »Du, Du, heißt es, Tim, grad so, wie damals!« Ja, er war ein ganzer Mann, ein self-man, wie es keinen zweiten giebt, und darum hatte er das Herz auf dem rechten Flecke, war zäh grad wie Hickoryholz und weich dabei wie – wie – ja, wie es sonst eigentlich nur die Deutschen sind. Gott lohne es ihm![447]

Quelle:
Ein Self-man. Authentischen Schilderungen nacherzählt von Emma Pollmer. In: Frohe Stunden. 2. Jg. Dresden, Leipzig (1878). Nr. 28, S. 446-448.
Lizenz:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Sophonisbe. Trauerspiel

Sophonisbe. Trauerspiel

Im zweiten Punischen Krieg gerät Syphax, der König von Numidien, in Gefangenschaft. Sophonisbe, seine Frau, ist bereit sein Leben für das Reich zu opfern und bietet den heidnischen Göttern sogar ihre Söhne als Blutopfer an.

178 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon