I.

[14] Ich kehrte von einem Ausfluge in die Berge des Soudah nach Murzuk zurück. Die Palmen-, Granaten-, Oliven-, Feigen-, Pfirsich- und Aprikosengärten der Stadt lagen schon vor uns, und mein Diener Ali hielt seinen wackern Braunen an, um die Löwenhaut, welche er hinter sich aufgeschnallt hatte, aufzurollen, damit die Bewohner des Ortes sehen sollten, daß wir es gewagt hatten, den »Herrn mit dem dicken Kopfe«, wie der Araber den Löwen zu nennen pflegt, zum Kampfe aufzufordern.

Ich ließ es lächelnd geschehen, denn der wackere, wenn auch ein wenig eitle Ali war ein Diener, zu dem ich mir wirklich Glück wünschen konnte: ausdauernd und kräftig, listig wie ein Fuchs, dabei seinem Herrn aber treu ergeben, und in allen Mundarten und Gebräuchen der Wüstenländer zu Hause, so daß ich mich in jeder Beziehung auf ihn verlassen konnte. Er war mir von dem Wirthe des rühmlichst bekannten Hotels d'Orient in Algier empfohlen worden, hatte mich von dort aus über Tunis, Tripoli und Sokna nach Fezzan begleitet und war fest entschlossen, mit mir auch weiter über Augilah und Siwah nach Cahiva zu gehen. Er hing mit wirklicher Liebe an mir und wäre wohl bis nach Sibirien an meiner Seite geblieben, wenn eine solche Tour in meinem Sinne gelegen hätte.

Er blähte sich nicht wenig auf, als er die halb scheuen, halb bewundernden Blicke bemerkte, welche die uns nun Begegnenden auf unsere Jagdtrophäe warfen.

»Siehst Du den Kahschef (Bezirksvorsteher,) der dort kommt, Sihdi«, frug er mich, »wie ihm vor Erstannen die Augen aus dem Kopfe fallen. Ja, ich habe einen Sihdi, einen Herrn, der ein großer Taleb (Gelehrter) und Effendi ist und sich selbst vor Assad, dem Aufruhrerregenden (Löwe), nicht fürchtet! Aber ich, Ali el Hakemi Ebn Abbas Ebn er- Rumi Ben Hafs Omar en Nasafi, ich habe von dem Vater meines Bruders die Flinte des weisen Sultans Soliman (König Salomo) geerbt, der mit den Thieren redete, und fürchte mich selbst vor dem schwarzen Panther nicht, der noch gefährlicher ist als der Löwe, den wir Abu el Salßali, Vater des Erdbebens, nennen!«

Ich mußte die Feinheit anerkennen, mit welcher er seine Tapferkeit noch über die meinige zu stellen verstand, und ließ ihn ruhig gewähren, bis wir vor dem Hause meines Gastfreundes, des jüdischen Kauf- und Handelsherrn Manasse Ben Arahab anlangten. Ich warf Ali die Zügel meines Pferdes zu, begab mich in die mir angewiesene Wohnung, um mich umzukleiden, und suchte dann den Hausherrn auf. Ich mußte mich wundern, daß mir von der zahlreichen Dienerschaft Niemand begegnet war und erschrak wirklich, als ich in den Divan trat und den ehrwürdigen Manasse nicht wie gewöhnlich mit unterschlagenen Beinen sitzend, eine Stellung, welche der Türke Rahat oturmak, Ruhen der Glieder nennt, sondern mit wirrem Haar und tief vergrabenem Gesichte lang auf den Kissen liegend fand.

»Salem aaleïkum, Friede sei mit Dir!« grüßte ich ihn.

»Salem – Friede –?« Wie soll sein Friede im Hause Ben Arahab, wo die Brunnen weinen und die Mauern klagen über – – ah, Du bist's Du?, Gelobt sei Gott, der Allmächtige, der Dich zurückgeführt hat an die Stätte des Unglücks! Sei mir willkommen, Effendi, und vernimm das Leid, das über uns hereingebrochen ist!

»Was ist geschehen?« frug ich, erschüttert von dem Ausdrucke der Verzweiflung, die in seinen bleichen Zügen zu lesen war.

»Was geschehen ist?« Der Gott meiner Väter hat sein Angesicht von mir gewendet und mir genommen das Kind meines Alters, welches gewesen ist mein größtes Glück auf Erden.

»Dein Kind? Rahel?« rief ich bestürzt. »Ist sie gestorben?«

»Gestorben?« Ach, wenn sie doch lieber gestorben wäre! »Ich wollte Dank sagen Jehova Elohim, daß er mir wenigstens gelassen hätte ihr Grab, um darauf zu weinen meine Thränen und zu trösten das Weib, welches mir gegeben hat das einzig gute Kind! Warum bin ich doch nicht geblieben in Sokna, wo es giebt keine Räuber der Wüste und keinen Mörder unserer Töchter; warum bin ich doch gezogen nach Murzuk, um zu vermehren mein Vermögen durch den Handel mit der Kaffila (Karawane)! Du hast gekannt Rahel, die Tochter meines Herzens, das Kind meiner Seele und den Stolz meines Lebens. Sie war jung wie Sulamith, schön wie Bathseba und stolz wie Judith, die Heldin aus der Stadt Bethulia. Sie war das Licht meiner Augen, der Stern meiner Tage und die Sonne meines Daseins. Nun ist der Stern verlöscht und die Sonne untergegangen; ich werde mit Herzeleid zur Grube fahren, wie Jacob wollte um Joseph, den Verkauften!«

Die Thränen rannen ihm während dieser ächt orientalischen Herzensergießung in schweren Tropfen in den grauen Bart. Er versuchte, sie zu trocknen, und fuhr fort:

»Sie hat sich die schönen Augen bestrichen mit Khol und angelegt ihr goldgeschmücktes Gewand, um mit ihren Freundinnen lustzuwandeln vor dem Thore Ain el schemms (Sonnenquelle, östliches Thor). Da sind gekommen zwei gewaltige Reiter mit langen Flinten und scharfen Handschars (Dolchsäbel), haben sie gezogen auf das Pferd und sind gesprengt mit ihr davon, hinaus in die Wüste.«

Ich wollte eben fragen, wann das geschehen sei, als einer der vorhin unsichtbaren Diener eintrat und, sich demüthig bis zur Erde neigend, meldete:

»Es ist ein Mann im Hofe, der Dich zu sprechen verlangt, o Herr!«

»Ich spreche nicht – ich rede nicht – ich will Niemand sehen. Sag, ich bin verreist – sag, ich bin todt, gestorben vor Gram und Herzeleid!«[14]

»Ich habe es ihm gesagt,« entgegnete der Manu, der seinen Herrn genau kannte; »aber er will reden von einem großen Geschäfte, bei welchem viele Beutel zu verdienen sind.«

»Ein großes Geschäft – viele Beutel? Was hilft mir das Geschäft, und was sollen mir die Beutel, wenn fort ist Rahel, die einzige Erbin von mir! Wer ist der Mann?«

»Ein Araber mit goldener Spange am Burnus und silberbeschlagenen Pistolen.«

»Goldner Spange – silberbesch – –? Er mag kommen!«

Der Klang des edlen Metalles hatte bei meinem Freunde wohl dieselbe Macht wie sein Schmerz. Nach einigen Augenblicken trat der Angemeldete in stolzer würdevoller Haltung herein.

»Salem aaleïkum!« grüßte er, ohne den Kopf nur einen Zoll tief zu neigen. Er war ein freier Sohn der Wüste und kam zu einem Giaur, er, der Rechtgläubige zu einem Juden.

»Friede sei mit Dir! Wie ist Dein Name, und was willst Du von mir?«

»Mein Name ist gefürchtet wie der Name von el Timsach, dem Krokodile, und was ich will, sollst Du vernehmen, Manasse Ben Arahab!«

Er sprach dies mit fester, tiefer Stimme, und, obgleich er das Ende des Turbantuches als Lischam (Gesichtsschleier) herabgeschlagen hatte, bemerkte ich doch, daß sein dunkles Auge mit scharfem Blicke den Raum durchsuchte.

»Du hast eine Tochter?« fuhr er fragend fort.

»Eine Tochter! Kennst Du sie – hast Du sie gesehen – weißt Du von ihr, nach der ich all die Meinen ausgesandt habe?« rief Manasse, sich mit gespannter Miene erhebend.

»Weder Deine Diener noch der Bey mit seinen Soldaten, bei dem Du gewesen bist, werden sie finden, auch der Pascha von Tripoli nicht. Schick alle Scheidans (Teufel) aus, es ist umsonst, denn – sie ist bei mir!«

»Bei Dir?!« Er sprang vollends auf und trat auf ihn zu. »Wie bist Du zu ihr gekommen, und wie heißest Du?«

»Mein Name ist Dir bekannt; ich bin der Kofla-Aga.«

»Der Kofla-Aga!«

Manasse sank bei diesem entsetzten Ausrufe wieder zusammen, und auch ich war in hohem Grade bestürzt. Kofla-Aga, Herr der Karawanen, nannte man den berüchtigten und gefürchteten Anführer einer Gum (Raubkarawane), welche bald hier und bald dort auftauchte und die Karawanen überfiel und vernichtete, so daß weder von Mensch noch Thier jemals wieder etwas zu hören war. Jeder Handelszug, der nicht von einer zahlreichen militairischen Escorte begleitet wurde, war ihr verfallen, und weder die zornigen Befehle des Pascha's noch die Anstrengungen des Bey's hatten vermocht, dem Unwesen zu steuern. Jetzt stand der fürchterliche und kühne Mann vor uns und erklärte, daß Rahel sich in seiner Gewalt befinde. Jedenfalls hatte er sie des Lösegeldes wegen geraubt, denn Ben Arahab war als sehr reich bekannt.

»Ja, Habihb (Geliebter), der Kofla-Aga!« wiederholte er in stolzem Tone.

»Allah kerihm, Gott ist gnädig! was soll sie bei Dir?«

»Willst Du sie wieder haben?«

»Ja, ja – so bald wie möglich – jetzt gleich! Du hast sie gefunden. Du willst sie wiederbringen – Handullillah, Preis sei Gott; Du bist ein ehrlicher Mann!«

»Hilf ihm, o Gott; er ist delih, verrückt geworden!« spottete der Räuber. »Du sollst sie haben, gesund und unverletzt, sobald Du mir zehn Beutel in Gold (51000 Mark) bezahlst.«

»Bezahlst –?« Wie von einer Natter gestochen, schnellte Manasse bei Seite. »So hast Du sie geraubt? Bösewicht, ich werde Dich auf der Stelle festhalten lassen!«

»Das thust Du nicht,« klang es unter einer verächtlichen Handbewegung; »denn ich schwöre Dir beim Barte des Propheten, Dein Kind stirbt, sobald ich nicht zur festgesetzten Stunde zurückgekehrt bin! Ich gebe Dir zwei Wochen Zeit, die Beutel herbeizuschaffen, und werde Dir dann sagen, wohin sie zu liefern sind.«

»Zehn Beutel in Gold! Ich bring sie nicht zusammen!«

»So wird das Mädchen mein Weib und meiner Männer Weib, Allah weiß es, und dann stirbt sie! Jetzt aber halte Deinen Mund verschlossen, denn was der Kofla-Aga beim Barte des Propheten schwört, das bricht er nie. Salem aaleïkum, Friede sei mit Dir!«

Ohne mich auch nur mit einem einzigen Worte beachtet zu haben, schritt er hinaus. Manasse Ben Arahab aber sank wie vernichtet auf die Kissen nieder. Es war ihm niemals ein so unvortheilhaftes Geschäft angeboten worden wie dasjenige, welches der Mann mit der goldenen Spange und den silbernen Pistolenbeschlägen mit ihm eingeleitet hatte. –

Quelle:
Die Rose von Sokna. Ein Abenteuer aus der Sahara von Karl May. In: Deutsche Gewerbeschau. (1. Jg. 1878/79). Mühlhausen (1878). Nr. 1, S. 14-15.
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