I.

[441] Es war ein ganz, ganz, ganz kleines Bergle. An dem lag ein ganz, ganz, ganz kleines Gärtle. Und obendrauf stand ein ganz, ganz, ganz kleines Häusle. Aber das Kleinsein schadet nichts, denn vor dem Herrgott sind die Allerkleinsten oft die Allergrößten. Das Bergle, das Gärtle und das Häusle hießen das Damenbergle, das Damengärtle und das Damenhäusle, aber nicht etwa, weil Damen darin wohnten, sondern aus einem ganz anderen Grunde, den wir schon noch erfahren werden.

Wie das Bergle entstanden war, das wußten alle Leute. Der Herr Pastor hatte es erzählt. Nämlich als die Erde noch keine Berge hatte, da lebten tief in ihrem Innern, wo das ewige Feuer brennt, zwei Götter, welche Pluto und Vulkan hießen. Wenn es ihnen einmal zu warm wurde, was bei der großen Hitze sehr häufig vorkam, so stiegen sie empor, um sich abzukühlen und frische Luft zu atmen. Das taten sie auch einmal an einem schönen, wolkenlosen Julitage. Sie saßen am niedrigen Strande des Weltmeeres und[441] betrachteten die vorweltlichen Rieseneidechsen, welche sich im Schlamme sonnten und dabei vor Vergnügen die Mäuler aufsperrten und die Augen verdrehten. Das ärgerte den Vulkan.

»Dumme Geschöpfe!« sagte er. »Die wissen noch nicht das geringste von Reaumur, Fahrenheit und Celsius! Sich in dieser Hitze wohlzufühlen! Das ist hier ja schlimmer als unten bei uns! Diese Sonnenglut! Kein Mensch bringt mich im Juli und August wieder in dieses Nordseebad! Die reinen Hundstage! Wollen wir vielleicht versuchen, ob es am Aequator kühler ist, Bruderherz?«

Pluto zog sein Taschentuch, wischte sich den Schweiß von der Stirn und antwortete:

»Aequator? Nein! In dieser Hitze gehe ich keinen Schritt. Ich bleibe einfach bis zum Dezember sitzen. Da wird es kühl. Ich lobe mir den Schnee!«

Da horchte Vulkan auf.

»Schnee!« rief er aus. »Höre auf den äußeren Planeten soll es sogar im Sommer schneien, nämlich oben auf den Bergen. Ich habe kürzlich zwei Halbgötter bei mir als Tagelöhner angestellt, für monatlich zwölf Taler fünfundzwanzig Silbergroschen, ohne Kaffee und Weihnachtsgeschenk. Der eine stammt vom Uranus und der andere vom Neptun. Ich selbst habe in den Dienstbüchern nachgeschlagen. Die erzählten mir, daß es da oben Berge gibt, auf denen sogar im Hochsommer das Eis nicht alle wird.«

»Wirklich?« fragte Pluto etwas ungläubig.

»Wirklich!« bestätigte Vulkan. »Diese Arbeiter flunkern nicht, denn sie sind nicht auf der Erde geboren.«[442]

»Aber da könnten wir uns doch sofort die allerschönste Kälte verschaffen!«

»Wieso?«

»Wenn wir Berge machten! Weißt du, entweder einzelne oder gleich so ein ganzes plutonisches oder vulkanisches Gebläse und Geschiebe, was man Gebirge nennt. Ich glaube, wenn wir es sechs- bis achttausend Meter hoch machen, so erreichen wir eine Abkühlung, um die man uns sogar auf dem Neptun und Uranus beneiden würde. Und bei neuntausend Metern bringen wir es ganz gewiß auf ein zwanzig Leipziger Ellen tiefes Gletschereis. Was meinst du dazu?«

»Hm!« brummte Vulkan. »Der Gedanke ist gar nicht so übel. Wir haben ja alles, was dazu gehört: Granit, Gneis, Porphyr und wie die Steine alle heißen. Nur den Sand hat uns das Meer weggeschwemmt. Zum Spaße können wir ein bißchen Steinkohle mit dazutun, oder Erz, wenn es nicht gar zu teuer wird!«

»Zu teuer? Mir kommt es auf einige Zentner Silber oder Kupfer nicht an, wenn es mir nur gelingt, mich abzukühlen. Wollen wir eine Probe machen, Kollege?«

»Ganz recht, eine Probe! Bei solchen Dingen ist es nicht geraten, gleich hoch hinauszugehen, weil es dann Jahrhunderttausende dauert, ehe man das Zeug wieder zurückgespült bekommt. Ich schlage vor, wir machen zunächst ein Modell.«

»Gut, ein Modell. Wie hoch?«

»Nun, sagen wir tausend Quadratfuß ins Geviert, bei einer Höhe von höchstens vierzig Brabanter Ellen.«

»Einverstanden! Wann fangen wir an? Morgen oder übermorgen?«

»Warum nicht gleich? Morgen, morgen, nur[443] nicht heute, sagen alle faulen Leute. Ich aber pflege so etwas nicht aufzuschieben. Also komm! Machen wir uns ans Werk!«

Sie nahmen sich bei der Hand und fuhren in das Erdinnere hinab, wo sie sich den Oberarchitekten, den Hochbaumeister und den Materialienverwalter kommen ließen, um ihnen ihren Plan mitzuteilen und sich die vorhandenen Vorräte zeigen zu lassen. Diese sind rund um das ewige Feuer aufgestapelt, in welches die Stoffe geworfen werden, um sich in der Weißglühhitze in Gase zu verwandeln. Diese werden emporgeblasen und auf dem Wege nach oben in der Weise zurückverwandelt, daß sie mit der emporgehobenen Erdrinde die beabsichtigte Form und Masse bilden.

Als Pluto und Vulkan sich mit dem Architekten und dem Baumeister über die Gestalt und Größe des Modells verständigt hatten, mußte der Verwalter die Vorratsräume aufschließen. Die Mischung stand ganz im Belieben der beiden hohen Götter. Sie nahmen Gneis, Granit, Glimmerschiefer, Tonschiefer, Porphyr, Basalt und verschiedene Quarzite.

»Tu' auch ein bißchen Serpentin hinein,« bat Vulkan. »Der ist gut zu Gräberplatten für unberühmte Menschen. Wer ihn findet, der findet ihn!«

»Sehr gern!« antwortete Pluto. »Hast du noch einen Wunsch?«

»Nur, wenn du bei guter Laune bist!«

»Beim Modellieren allemal. Das kostet wenig und macht doch viel Vergnügen.«

»Bon! Da drüben liegen die Erze. Ich sehe Zinn, Nickel, Kobalt, Zink, Wismut, Kupfer und Blei. Wie wäre es, wenn wir eine Probe von jedem mit hinunterschaufeln ließen?«[444]

»Einverstanden! Ich will sogar auch Silber dazu geben und eine Prise Gold. Weißt du, Vulkan, wenn wir es bis zu Gletschern bringen können, ist mir bei der heutigen Hitze wirklich nichts zu teuer.«

Die Halbgötter machten die Form des Modells. Die Viertelgötter füllten sie mit Erz und Stein. Das ging so schnell, daß man in zehn Minuten fertig war. Dann kamen die Achtel- und Sechzehntelgötter, um den Probeberg in das ewige Feuer zu werfen. Er wurde sofort von der Glut gepackt und aufgelöst. Ein zischender Blitz fuhr nach oben; dann war das Werk geschehen.

»Jetzt komm,« sagte Pluto. »Wir wollen sehen, ob es uns gelungen ist, die Erdrinde zu durchbrechen.«

Sie fuhren wieder nach oben. Die Erde ist groß, und das Modell war klein. Menschen hätten es gewiß niemals gefunden. Götteraugen aber sind bekanntlich scharf. Und weil die Erde damals noch nicht die allergeringste Erhöhung hatte, sahen Pluto und Neptun das zurückverwandelte Modell sehr bald genau auf dem dreizehnten Grad östlich von Greenwich liegen, und zwar fünfzig Grad und zwanzig Minuten nördlicher Breite. Das war sehr leicht zu bestimmen, weil damals die Längen- und Breitengrade noch nicht verwischt und mit sehr deutlichen Nummern versehen waren.

Welch eine Freude, als die beiden Götter nach einer sehr eingehenden Untersuchung erkannten, daß der kleine Probeberg ihren Erwartungen vollständig entsprach. Vulkan lachte vergnügt und sagte:

»Du, Pluto, die Sache kann sich machen! Wir multiplizieren das Modell sovielmal, wie es nötig ist, um achttausend Meter Höhe herauszubekommen. Die Rechnung ist sehr leicht. Meinst du nicht auch?«[445]

»Allerdings,« nickte der Gefragte. »Aber der Wassergott wird sich beleidigt fühlen.«

»Warum?«

»Wenn wir die Erde heben, drängen wir sein Wasser zurück. Siehst du das nicht ein? Er wird über diesen Gebietsverlust gewaltig räsonieren.«

»Das glaube ich nicht. Laß mich die Sache machen! Ich fange das ganz schlauerweise an. Er will doch auch einmal aufs Trockne. Wenn wir ihm erlauben, in den Wolken zu uns zu kommen und auf unseren Bergen Bäche und Flüsse anzulegen, so ist das ein Geschäft für ihn, wie er es gar nicht besser machen kann. Ich werde mit ihm sprechen. Du kannst inzwischen wieder niederfahren und an die Arbeit gehen. Ich sage ihm gar nicht, daß wir sein Wasser zu den Gletschern brauchen. Du weißt es ja, man muß mit anderen Göttern stets so vorsichtig wie möglich sein, zumal wenn man selbst einer ist! Wenn du alle deine Untergötter scharf zusammennimmst und ich die meinen dazufüge, können wir schon morgen einen Berg bis über die Wolken heben, der allen Ansprüchen genügt, die wir zu machen haben.«

»Und das Modell?«

»Das hat seinen Zweck erfüllt. Wir lassen es hier liegen.«

»Ja, als Merkstein oder als Standpunkt, von welchem aus wir morgen zusehen, wie der beabsichtigte Berg sich vor unseren Augen erheben wird.«

»An welcher Stelle?«

»Von hier aus grad im Süden, wenn du nichts dagegen hast. Er wird an seinem Fuße eine Breite von zwei geographischen Meilen haben. Es wird sogar für uns Götter ein großartiges Schauspiel werden,[446] wenn er sich majestätisch aus der Erde erhebt und immer höher wächst, bis er den Himmel zu erreichen scheint. Beliebt es dir vielleicht, die Stunde anzugeben, in welcher dies geschehen soll?«

»Ich bitte, punkt zwölf Uhr zu Mittag. Jetzt gehe ich zum Wassergott, und du steigst in die Tiefe. Sobald ich mit ihm gesprochen habe, komme ich dir nach.«

Sie trennten sich, um dann den ganzen Nachmittag und die ganze Nacht hindurch an den Vorbereitungen zu dem beabsichtigten plutonisch-vulkanischen Werke zu arbeiten. Das geschah nicht, ohne daß die irdische Kreatur etwas davon merkte. Ein dumpfes Rollen ging zuweilen durch die Erde. Die See schlug kürzere Wellen als gewöhnlich. Die Winde wußten nicht genau, wohin. Das Licht hatte einen fahlgelben Schein. Die Wolken zogen sich ängstlich zusammen. Das Getier verkroch sich, als ob es fühle, daß etwas Ungewöhnliches im Anzuge sei. Die Sonne schien in ihrem Laufe zu zögern. Sie wäre am liebsten wieder umgekehrt; aber da sie sich kontraktlich verbindlich gemacht hatte, sich an jedem Mittage genau Punkt zwölf Uhr am Zenite einzustellen, so lief sie heute von elf Uhr an dann etwas schneller, um das Versäumte nachzuholen. So kam es, daß sie schon drei viertel zwölf den Scheitelpunkt erreichte und eine ganze Viertelstunde warten mußte, bis Pluto und Vulkan bei dem Modell erschienen, um den erwarteten, imposanten Anblick zu genießen.

Es war in der ganzen Natur eine tiefe Stille eingetreten, jene bekannte Stille, welche großen, noch unbekannten Ereignissen vorauszugehen pflegt. Dann aber rollte und grollte es in der Tiefe, erst leise, dann lauter und immer lauter. Zuweilen krachte es, oder[447] es knatterte, worauf es klang wie ein gewaltiger Kanonenschuß.

»Es beginnt,« sagte Pluto. »Paß auf! Da, grad im Süden muß er aufsteigen.«

Sie wandten ihre ganze Aufmerksamkeit nach dieser Richtung hin und sahen also nicht, daß sich im Norden von ihnen eine ganz, ganz geringe Erhebung zu bilden begann. Aber als Vulkan sich doch einmal umschaute, bemerkte er diese kleine Bodenveränderung.

»Was ist denn das?« fragte er. »Da unten scheint die Erde Blasen zu bekommen!«

Da drehte sich auch Pluto um, schaute hin und rief erschrocken aus:

»Was sehen meine Augen? Das sind ja die Rochlitzer Berge, nur hundertsiebzig Meter über dem Meere! Und ganz, ganz da draußen, das ist der Kreuzberg bei Berlin! Wo sind denn meine schönen Gase hingeflogen?!«

»Was bewegt sich denn dort im Westnordwesten?«

»Das sind ein paar Bodenwellen, die zwischen Altenburg und Reichenbach liegen.«

»Und da drüben rechter Hand?«

»Das ist die Freiberger Gegend. Da sind die Erze hingeflogen, denn es wackelt alles. Ich kenne das!«

»Da scheint die Sache also schief gehen zu wollen?«

»Wahrscheinlich. Sie geht in die Breite, anstatt in die Höhe!«

»Schade, jammerschade! Wie steht es da mit unseren kühlen Gletschern?«

»Warten wir es ab! Horch! Da hinter uns! Drehe dich um, schnell, schnell!«

Sie wandten sich wieder nach Süden, wo sich die[448] Erdoberfläche im höchsten Grade unregelmäßig hob und senkte.

Sie gewann aber sofort Ruhe, wo sich ein fester Berg gebildet hatte. Götter wissen bekanntlich alles; darum konnten Pluto und Vulkan sofort die Namen dieser neuerstandenen Erhöhungen sagen.

»Dort kommt der Pöhlberg bei Annaberg,« sagte Pluto. »Nicht weit davon der Scheibenberg. Ah, schau; da drüben arbeitet sich der Spitzberg empor!«

»Der Auersberg, der Rammersberg, der Schneckenstein,« fügte Vulkan hinzu. »Und dort, dort, dort! Jetzt geht es los! Jetzt kommen unsere Gletscher! Das wächst ja riesenhoch!«

»Glaube es nicht!« warnte Pluto. »Das ist der Fichtelberg und der Keilberg. Die werden nur ganz wenig über zwölfhundert Meter hoch! Wir haben die Gase nicht zusammengehalten. Das ist ein Fehler, der gar nicht zu verzeihen ist. Sie haben in die Breite gewirkt, anstatt nur in die Höhe. Anstatt einen einzigen, himmelhohen Berg zu bekommen, haben wir es nur zu einem niedrigen, aber langen Gebirge gebracht, welches von Hof bis Bodenbach reicht und höchstens von späteren Geschöpfen bewohnt werden kann, die wir wahrscheinlich Menschen nennen werden, für Götter aber, wie wir sind, vollständig unbe– – – halt!« unterbrach er sich. »Paß auf! Nimm dich in acht, Vulkan! Merkst du etwas unter unseren Füßen? Komm schnell herauf auf das Modell und halte dich fest!«

Sie sprangen auf den kleinen Probeberg und klammerten sich an seinen Felsenzacken fest, denn der Boden begann unter ihnen zu wanken. Dann war es, als ob sie auf einem gigantischen Tiere säßen, welches sich schüttelte. Es erhob sich aus dem Schlafe. Es[449] stand auf und wurde höher, hundert Fuß, fünfhundert Fuß, tausend Fuß. Dann blieb es, wie es war; aber es bückte sich nach vorn. Dadurch verlor das Modell den festen Halt. Es kam ins Rutschen, erst leise, langsam, dann schnell und immer schneller, bis es sausend in die Tiefe schoß, quer über das neu entstandene Tal hinüber, und dann so plötzlich liegen blieb, daß die beiden Götter weit fortgeschleudert wurden. Glücklicherweise sind Gottheiten auch körperlich unsterblich, aber etwas bange war es ihnen doch geworden. Sie standen auf und sahen erst sich und dann die Gegend an, in der sie sich befanden.

»So etwas habe ich noch nicht erlebt!« gestand Pluto. »Es ist ein tausendes Glück, daß es niemand gesehen hat! Wie befindest du dich, Kollege?«

»Verhältnismäßig wohl,« antwortete Vulkan. »Nur da im Rücken hat es mich gepackt. Wahrscheinlich ein Hexenschuß oder so etwas Aehnliches. Du hast recht. Es trifft sich gut, daß wir allein gewesen sind. Hätte man uns bei diesem Rutsch gesehen, so wären wir blamiert wie alte, abgedankte Heidengötter! Es ist mir überhaupt, als ob unsere Ehre heute einen Stoß erhalten hätte. Diese mißlungene Gletscherfabrikation bringt uns keine gute Zensur, höchstens die Viere-b! Wir können das unmöglich auf uns sitzen lassen!«

»Allerdings! Wir schieben es auf den Oberingenieur und auf den Hochbaumeister. Die werden freilich sagen, daß die Dämpfe und Gase unsere Sache seien, aber wozu hat man Untergebene, wenn man das Unangenehme nicht auf sie abladen kann! Und wenn einer kommt, der Laie ist und von der Geologie und Geodynamik nichts versteht, so sagen wir einfach, daß wir hier einen höchst gelungenen Versuch gemacht haben,[450] zwischen Sachsen und Böhmen eine Grenze zu errichten, und in nächster Woche daran gehen werden, weiter im Süden hohe Gletschergebirge aufzubauen.«

»Du willst also doch noch Gletscher haben?«

»Natürlich. Hier aber ist das nun nicht mehr möglich, weil uns die Gase den ganzen Untergrund zerklüftet und verdorben haben. Wir müssen uns also nach dem Süden wenden. Und zwar haben wir das gleich en gros zu betreiben, damit die heutige Schlappe vergessen wird. Ich nehme da ein Gebiet in Aussicht, welches von der Wien-Triester Eisenbahn bis an die spanische Grenze geht und die gehörige Breite besitzt, schwere Alpenstöcke tragen zu können. Das eröffnet für spätere Jahrtausende einen interessanten Ausblick auf Sennerinnen, Wildschützen, Bergfexe, Schweizerkäse und Eierschmarren, ein Gedanke, der mir schon am heutigen Tage höchst sympathisch ist, wenn ich bedenke, in was für einer unbelebten, leeren Szenerie wir uns in diesem Augenblick befinden.«

»Nach Nektar und Ambrosia sieht es freilich hier nicht aus. Und auch, wenn ich die Augen zumache und in die Zukunft schaue, geht es hier so ziemlich ärmlich her. Ich sehe da meist arme Weber, Strumpfwirker und Spitzenklöpplerinnen. Sollte mich freuen, wenn so ein armer Wurm recht billig in den Besitz unseres Modelles und auf den Gedanken käme, in seinem Inneren nachzusuchen. Wieviel Silber hast du wohl hineingetan?«

»Es ist sehr reichlich ausgefallen; du weißt ja, daß ich bei guter Laune war. Die Schaufel hat so ungefähr zwischen fünfzehn und zwanzig Pfund gefaßt, und da das ›Pfund fein‹ dreißig sächsische Taler wert ist, ergibt das einen Betrag von fünf- bis sechshundert[451] Talern. Du weißt, daß ich dir in Beziehung auf das ›In die Zukunft schauen‹ über bin. Ich mache auch die Augen zu, und was sehe ich da? Einen gewissen Berthold Schwarz, der das erfindet, was wir Götter nicht erfunden haben, nämlich das Pulver. Mit diesem wird man unser Modell auseinandersprengen und das Silber finden. Ich vermute, daß es eine Stufe sein wird, denn ich verstehe mich auf die Metallurgie.«

»Siehst du, wer der glückliche Finder sein wird?«

»Nicht deutlich. Es ist zwar auch ein bißchen Gold dabei, aber höchstens für zwei Doppellouisdor. Das findet man wohl kaum. Jetzt aber frage ich dich, ob wir hier noch etwas zu schaffen haben?«

»Ich wüßte nichts.«

»So laß uns gehen!«

Als sie den Platz verlassen wollten, sah Pluto, daß Vulkan hinkte.

»Hast du Schmerzen?« fragte er.

»Na, und ob!« antwortete der Gefragte, indem er die Zähne zusammenbiß. »Dieser Hexenschuß geht mir bis in die Zehen. Der Anprall an die Felsenwand ist doch zu stark gewesen. Untersuche doch einmal, ob es kurabel ist!«

Pluto erfüllte diesen Wunsch und sagte dann im Tone des Bedauerns:

»Es ist irgendwo eine Flechse gesprungen. Du wirst also das Hinken behalten und zwar für immer.«

Da sah ihn Vulkan erschrocken an.

»Wirklich?« fragte er.

»Ja, ganz gewiß!«

»Du, das ist schlimm, sehr schlimm! Wir Götter sind leider öffentliche Persönlichkeiten, über welche jeder Narr sprechen oder schreiben zu müssen glaubt. Man[452] wird fragen, warum ich hinke. Wenn man dabei auf unseren heutigen Mißerfolg und gar auf den unfreiwilligen Bergrutsch kommt, ist es mit unserem guten Rufe zu Ende. Ja, wenn die Mythologie nicht wäre, besonders die griechische und römische! Man weiß ja ganz genau, daß einst jeder Quartaner seinen ›Mythologischen Leitfaden von Dr. Ebeling‹ in der Tasche haben wird, und infolgedessen ist es einem immer zu Mute, als ob man einige Dutzend Steckbriefe hinter sich her hätte. Es wäre geradezu fürchterlich, wenn in diesem Leitfaden erzählt würde, daß Vulkan hinkt, weil er seine Gase nicht zusammengehalten hat!«

»Dem ließe sich wohl abhelfen, lieber Bruder!«

»Wodurch?«

»Wir geben einen anderen Grund an.«

»Welchen?«

»Mir fällt da der Zwist ein, den es im vorigen Herbst zwischen Jupiter und Juno gab. Du kamst dazu und hieltest es für deine Ritterpflicht, die hohe Göttin gegen ihren Gemahl in Schutz zu nehmen. Der aber nahm das übel und warf dich auf die Erde herunter. Du kannst es gar nicht verhindern, daß diese Affäre mit in die mythologischen Schulbücher kommt. Darum würde ich an deiner Stelle das Hinken als eine Folge dieses hohen Sturzes bezeichnen.«

»Hm! Nicht übel! Es ist allerdings besser, man hinkt infolge einer höflichen Umgangsform, als daß es heißt, man sei lahm geworden, weil das Modell mit einem durchgegangen sei. Es muß unbedingt verschwiegen werden, daß ich mir hier im Königreich Sachsen, zwischen Jöhstadt und Ehrenfriedersdorf, einen Hexenschuß oder einen Flechsenriß zugezogen habe, weil ich mit meinen unterirdischen Gasen nicht umzugehen[453] weiß. Diese Schande würde ich wohl kaum überleben, obgleich mir meine Unsterblichkeit das ewige Dasein sichert. Ich nehme also deinen Vorschlag an und bitte dich, soviel wie möglich für die Tradition zu sorgen, daß ich infolge jenes Sturzes auf die Erde mir diesen kleinen Schönheitsfehler zugezogen habe. Nun laß uns gehen! Erlaube mir, daß ich mich auf dich stütze! Komm! Ich habe genug. Hier lasse ich mich gewiß nicht wieder sehen!«

Sie entfernten sich und sind dann niemals wiedergekommen. Wie man weiß, ist den beiden Göttern die beabsichtigte Täuschung sehr gut gelungen. Noch heute glaubt jedermann, daß Vulkan wegen Jupiters Gewalttat hinke. Aber wie jede Wahrheit endlich einmal an den Tag kommen muß, so hat auch diese durch den Mund des Herrn Pastors schließlich doch ihr Recht erhalten, und es steht zu erwarten, daß alle Leitfäden der Mythologie hiernach geändert werden. Man kann das mit der besten Ueberzeugung tun, denn das ›Bergle‹ ist als glänzender Beweis noch heute vorhanden, wenn auch in etwas veränderter Gestalt. – – –

Nun wissen wir also, wie es entstanden ist, das ganz, ganz, ganz kleine Bergle. Wie es sein heutiges Aussehen bekommen hat, das werden wir, wie wir bereits hörten, auch noch erfahren. Es genügt für jetzt, zu wissen, daß es eigentlich ein kleines Inselchen ist. Denn als der Bach, der durch das Dorf läuft, zum ersten Male von den benachbarten Bergen herunterkam und das Bergle drüben liegen sah, da gefiel ihm dieses so sehr, daß er gleich schnell hinüberlief und einmal rund um das ganze Bergle floß, um es von allen Seiten genau zu betrachten. Und das ist so geblieben. Jedes Wässerchen, welches den Lauf des Baches findet,[454] will unbedingt einmal eine Runde um das Bergle machen, weil es einst Modell gewesen ist. Das Wasser bildet also einen vollendeten Ring, der das Bergle einschließt und sich so tief in den Boden eingegraben hat, daß er viel, viel tiefer ist, als der Bach selbst. Wenn zwei oder gar drei Männer übereinander in dem Wasser ständen, so schaute der oberste wohl noch nicht über dasselbe heraus. Darum würde man gar nicht hinüber können, wenn es nicht eine Brücke gäbe, die von einem Ufer nach dem anderen führt.

Das Gärtle steigt wie ein aufrecht stehender Trichter rund aus dem Wasser auf. Der Musteranton hat es mit großer Liebe angelegt, und obwohl es schon lange her ist, daß er plötzlich starb, es ist doch genau alles so geblieben, wie er es damals geschaffen hat, nur daß die Bäume unterdessen gewachsen sind und reiche Früchte tragen. Es gibt da nämlich erstens einen Kirschbaum mit gelbroten, schönen, großen Früchten, sodann einen Rettichsbirnenbaum und einen Apfelbaum mit goldig glänzenden Reinetten. Auch ein Zwetschgenbaum ist da, dessen dunkelblaue Früchte stets pünktlich genau zur Kirchweih reifen, wenn Pflaumenkuchen gebacken werden muß. Dazwischen stehen Stachel- und Johannisbeeren, Himbeeren und Brombeeren aber nicht, denn diese holt man sich ja aus dem Walde, wo sie überreich vorhanden sind. Von den Gartenbeeten sind einige für Petersilie, Spinat, Sellerie und andere Küchenpflanzen bestimmt, die anderen aber alle für die Blumen, welche das ›Herzle‹ pflegt vom ersten Frühlingstag bis in den späten Herbst hinein, und zwar mit bewundernswürdigem Erfolge. Denn das Herzle hat eine Blumenhand, wie es keine zweite gibt, so weit man in der Umgegend nachzufragen vermag.[455]

Und oben auf dem Bergle über dem Gärtle liegt das Häusle.

Es ist so niedlich klein, daß man meinen sollte, es sei nicht Platz für Menschen, sondern nur für Heinzelmännchen da.

Wer hat das Häusle einmal anders als schön blütenweiß gesehen? Gewiß niemand! Denn wenn das Wetter die Farbe zu verwandeln beginnt, so wird es schnell wieder frisch angestrichen. Und das tut das Herzle stets selbst; da darf kein anderer kommen. Und wer hat einmal eine trübe oder gar schmutzige Fensterscheibe gesehen, oder einen Spinnenfaden, einen Schmutzfleck oder Staub? Solche Dinge sind für das Herzle grad wie nicht vorhanden!

Die Herren Gelehrten behaupten, das Herz des Menschen habe zwei Herzkammern und zwei Herzvorkammern. Das wird wohl richtig sein. Aber ebenso richtig ist es, daß es beim Herzle nur eine Stube und eine Kammer gibt, denn was auf der anderen Seite liegt, das ist der Ziegenstall mit dem Winterheu darüber. Die Ziege heißt Karlinchen und hat dafür zu sorgen, daß die Mutter des Herzle ihren Kaffee nicht schwarz zu trinken braucht. Das ist das einzige, was man von ihr verlangt, und da sie von Natur ein gutes Gemüt und für die freundliche Pflege Dankbarkeit besitzt, so wird die Milch im Krüglein niemals alle.

Wer zu dem Herzle will, der geht über die Brücke und auf dem schmalen Gartenweg herauf bis an die Tür. Wenn das Wetter nicht gar schlimm ist, braucht man nicht einzutreten. Denn das Häusle hat ein weitvorspringendes Sommerdach, unter welchem die beiden Bewohnerinnen stets bei der Arbeit sitzen, so lange die Witterung erlaubt, sich im Freien aufzuhalten. Sie[456] sind die geschicktesten Spitzenklöpplerinnen weit und breit, und das Herzle ist außerdem als Nähterin und Putzmacherin bei alt und jung sehr wohl bekannt. Man sagt sogar, daß sie besseren Geschmack besitze als manche Stadtmamsell.

So! Jetzt ist die Vorrede fertig, und da der Herr Lehrer grad über die Wiese herüberkommt und es sehr eilig zu haben scheint, so mag die Erzählung beginnen.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Das Herzle und ihre Mutter saßen einander vor dem Häusle am Tische gegenüber. Ueber diesen war ein weißes Tuch gebreitet, denn die Spitzen, welche beide klöppelten, waren so kostbar, daß man sie mit der größten Vorsicht und Sauberkeit zu behandeln hatte. Zwischen den Klöppelkissen lag ein Muster. Es war nicht gedruckt, sondern mit der Hand gezeichnet und stellte eine Handmanschette vor, wie sie nur von feinen Damen bei festlichen Gelegenheiten getragen wurden. Die Figuren bildeten Schmetterlinge, welche sich um ein Herz gruppierten.

Die Mutter hatte graues Haar, doch war ihrem lieben, stillen Gesichte anzusehen, daß sie eigentlich noch nicht in dem Alter stand, in welchem man grau zu werden pflegt. Sie hatte rote, gesunde Wangen, aber einen Zug um den Mund, der auf das Vorhandensein schwermütiger Gedanken schließen ließ.

Dem Herzle sah man an, daß sie die Zwanzig überschritten hatte. Ihr Anzug war aus weißem, frisch gewaschenem Leinen. Man sah sie außerhalb des Winters nur selten in einer anderen Farbe gehen. Sie liebte das Weiß, obgleich es nicht geeignet war, eine Unschönheit zu verbergen, die wohl jedes andere Mädchen[457] mit aller Mühe verborgen hätte. Daher sei es aufrichtig gesagt, daß das Herzle ›bucklig‹ war. Aber wenn man sie ohne Vorurteil betrachtete, so kam man gar nicht darauf, sie wegen dieser gewiß unverschuldeten Verkrümmung des Rückens zu bemitleiden. Wie klein, fein und schön die Händchen waren, in denen die Klöppel fast melodisch klapperten! Wie reich und weich das hoch aufgesteckte, dunkelbraune Haar! Auf der Stirn gab es auch nicht das kleinste Fältchen. Die Wangen waren voll, gesund gerötet, die Nase fein, ein wenig aufgerichtet, der Mund sehr wohlgestaltet, das Kinn weich gerundet, mit einem schelmischen Grübchen. In diesem Gesichtchen gab es keine Spur von jener bitteren, oft beißenden Schärfe, welche die unliebsame Begleiterin der oben erwähnten Verkrümmung zu sein pflegt. Und nun gar die Augen! Fast hätte man behaupten mögen, sie gehörten nicht auf das Dorf, sondern wo ganz anders hin. Solche Augen hatte Murillo gemalt, wenn er beabsichtigte, der Seelenreinheit menschliche Gestalt zu geben. Sie sind sehr selten. Wer sie besitzt, der ist ein guter Mensch.

Unweit des Tisches lag das Karlinchen auf einem Haufen frischgeschnittenen Grases. Das sollte ihr heutiges Frühstück sein; sie hatte es aber vorgezogen, es als Kanapee zu verwenden. Sie schien überhaupt etwas irritiert zu sein, so innerlich beschäftigt, vielleicht gar gedankenschwer. Dachte sie vielleicht darüber nach, warum ihr heute in aller Frühe ein Kranz aus duftenden Tannenzweigen um den Hals gelegt worden war? Oder galt der ungewisse Blick, den sie zuweilen nach dem Tische warf, den kleinen Blumensträußchen, welche Mutter und Tochter vorgesteckt hatten? Es ist ja gar nicht auszusagen, wie es eine Ziege überraschen[458] und aus dem Gleichgewicht bringen muß, wenn sie vom Herzle gleich früh den Kaffeezucker in das Maul gesteckt und dabei die Worte zu hören bekommt: ›Heut' werde ich vierundzwanzig Jahre alt, und du, mein gutes Karlinchen, bist nur erst achte!‹ Jetzt wendete sie den Kopf. Ein frohes Meckern folgte; dann sprang sie auf. Dadurch aufmerksam gemacht, schauten die Frauen zur Wiese hinunter, über welche ein schmaler Pfad nach der Brücke zum Häusle führte.

»Der Herr Lehrer kommt,« sagte die Mutter.

Das Herzle senkte den Kopf. Das Karlinchen aber eilte den Garten hinab und auf die Brücke zu, um den wohlbekannten Freund ihrer Herrschaft freudig zu begrüßen. Das tat sie immer, wenn er kam, denn sie hatte ihn sehr innig in ihr warmes Ziegenherz geschlossen. Warum? Wohl aus verschiedenen Gründen, von denen einer jetzt offenbar wurde, denn der junge Lehrer zog eine seiner Morgensemmeln, die er ihr mitgebracht hatte, aus der Tasche, gab sie ihr und sagte:

»Hier, dein Deputat, Karlinchen. Gehe voran, und sag', daß ich gratulieren komme!«

Sie drehte sich, als ob sie ihn verstanden hätte, um und kehrte mit den sonderbarsten Sprüngen nach ihrem Grashaufen zurück.

Der Lehrer hatte eine Rose in der Hand, nur eine einzige; sie war weiß. Er gab, als er hinaufgekommen war, den Frauen die Hand, fügte für das Herzle die Rose hinzu und sagte:

»Da kommt man, um zu gratulieren, und sieht doch, daß es gar nicht nötig ist. Es ist gerade umgekehrt: Mir sollte ich gratulieren, daß ich zu euch beiden kommen darf.«

Das Herzle wollte hineingehen, um ihm einen[459] Stuhl herauszuholen; er tat es aber selbst. Er war bei ihnen wie daheim.

»Ich habe auch anderswo schon gratuliert,« sagte er, als er sich niedergesetzt hatte.

»Beim Rösle?« fragte die Mutter. Die Tochter schwieg.

»So hieß sie früher, als sie noch Kind war,« antwortete er. »Jetzt aber läßt sie sich Rosalia nennen. Ich brachte ihr einen großen Busch von roten Nelken. Die sind ihre Lieblingsblumen. Andere mag sie nicht. Es gab Kuchen und Champagner.«

»So in der Frühe?«

»Ja.«

Daß er nicht mitgetrunken hatte, sagte er nicht. Dann fuhr er fort:

»Ich wäre lieber erst zu euch gekommen; aber ich mußte hin, eines Briefes wegen, den ich Herrn Frömmelt zu zeigen hatte, weil er der Vorsitzende vom Komitee ist. Die Regierung hat unsere Ausstellung genehmigt. Der Minister schreibt, er freue sich sehr darüber, daß solche einfache Dorfbewohner so einsichtsvoll und mutig gewesen seien, ein Werk zu unternehmen, dessen weittragende Bedeutung von den Städten nicht erkannt worden sei.«

»Das ist schön! Das ist eine Freude!« rief das Herzle aus. »Das haben wir dir zu verdanken, dir und dem Herrn Pastor!«

»Mir wohl kaum. Er aber war es, der die Sache in seine kräftige Hand und auf seine beredte Zunge nahm.«

»Von dir aber ist der Gedanke ausgegangen. Du hast ihn ausgedacht und klar gesonnen. Dann bist du der Schriftführer vom Komitee geworden und hast wie[460] ein Feldherr in alle Gegenden hinausgewirkt, um uns den Zuspruch und Erfolg zu sichern. Von dir stammen auch die Schreiben an die Amtshauptmannschaft, an die Kreishauptmannschaft und an das Ministerium. Auf diese Schreiben ist es angekommen, ob wir die Genehmigung erhalten oder nicht. Der Minister wollte durch diese Ausstellung die verarmte Handweberei des Gebirges heben; er wollte zeigen, daß die Hungernden nicht zu verzagen brauchen, wenn sie ihre Zukunft in die eigenen Hände nehmen. Aber keine einzige der Städte ist so herzhaft gewesen, sich dazu herzugeben. Da ist er unwillig geworden und hat gesagt, daß er verzichte. Nur deinen Plänen und Berichten ist es zu verdanken, daß er den guten Willen wiederbekommen hat.«

Man sah ihr an, wie gern sie hiervon sprach. In ihren Augen lag ein schönes, frohes Licht, und in ihrem Tone klang die Stimme ihres Herzens. Er sah sie dankbar lächelnd an und erklärte:

»Mein ganzes Verdienst liegt darin, daß ich der Ausstellung einen gesunden Körper und ein einfaches Kleid gegeben habe. Man wollte ein großes Gebäude mit teurer Ausstattung, eine weithin schallende Reklame und allerlei andere Kostspieligkeiten. Das war falsch. Auch hätten wir den Neid der Nachbarschaft erregt. Da habe ich ein ehrliches Wort gesprochen und freue mich, daß ich damit durchgedrungen bin. Die Ausstellung wird sich über alle Dörfer unseres Tales erstrecken, welche dieselbe Not und dieselben Bedürfnisse haben, und auf einen großen, prunkenden Expositionspalast können wir verzichten, weil wir in jedem Hause und in jeder Hütte ausstellen werden. Es wird jedermann seine Wohnung säubern und schmücken, um den[461] Besuchern die Früchte seines Fleißes, die Tränen seiner Armut und das Lächeln seiner Hoffnung vorzuzeigen. Wer da kommt, der soll den strebenden Geist und die gottvertrauende Seele unserer Bevölkerung kennen lernen. Er soll sehen, daß uns der Kampf zwischen Menschenhand und Maschine, zwischen Armut und Reichtum keineswegs vernichtet hat. Wir wollen nicht etwa gegen das Kapital kämpfen, denn wir brauchen es; aber es soll sich nicht mehr zwischen den Produzenten und Konsumenten stellen, um beide auszubeuten. Und das wollen wir nicht durch Sturm und Kampf, sondern auf dem friedlichen Wege des Gesetzes und christlicher Liebe erreichen. Und weil wir diesen Frieden betonen, hat der Herr Minister sich ohne unser Ansuchen bereit erklärt, in eigener Person zu kommen, um die Ausstellung zu eröffnen.«

Da schlug das Herzle die kleinen, fleißigen Hände zusammen und rief aus:

»Der Herr Minister selbst? Welch eine große Ehre! Hermann, das ist wieder etwas, was wir nur dir zu verdanken haben! Weiß man das auch im Gasthof schon?«

»Ja, freilich weiß man es. Ich habe ja den Brief vorzeigen müssen.«

»Bitte, zeige mir ihn auch!«

»Das darf ich nicht, Herzle, denn es stehen Komiteegeheimnisse darin.«

Sie sah ihm forschend in das gute, jetzt lächelnde Gesicht und sagte dann:

»Du, ich durchschaue dich! Du bist vom Herrn Minister gelobt worden, und das willst du mir nicht zeigen. Was du sagst und was du schreibst, das hat stets Hand und Fuß. Ich glaube, man hat sich da[462] droben im Ministerium den Namen Hermann Bernstein besonders angemerkt. Was sagt denn das Rösle zu diesem hohen Besuche?«

»Fräulein Rosalia? Das brauche ich dir nicht erst zu berichten, weil sie zu dir kommen wird, um es dir selbst mitzuteilen. Ihr erster Gedanke warst gleich du.«

»Ich? Und der Minister? Wie komme ich mit dem zusammen?«

»Das wirst du schnell erfahren. Dort kommt sie schon. Da muß ich gehen, denn von dem, was nun bei euch gesprochen wird, verstehe ich ja nichts.«

Er stand auf, gab beiden die Hand und ging. Man sah ihm an, daß er wohl gern noch länger geblieben wäre. Unten an der Brücke begegnete er der Nahenden. Er zog vor ihr den Hut, als ob sie etwas Vornehmeres als nur ein Kind des Dorfes sei. Sie hatte ihm ja gesagt, daß sie das so wolle und daß es sie ärgere, wenn man sie jetzt noch Rösle nenne; sie heiße doch Rosalia, wie es im Kirchenbuch geschrieben stehe.

Sie war eine hohe, sehr voll gebaute Person, die sich ganz städtisch trug. An ihrer Brust prangte die Hälfte des roten Nelkenbusches, den Bernstein ihr gebracht hatte. Sie grüßte kurz, als sie den Tisch erreichte, gab nur die Fingerspitzen ihrer Hand, setzte sich auf den leergewordenen Stuhl und fiel dann sofort mit der ganzen Tür in das Hans:

»Herzle, es gibt Festjungfrauen, zwölf Stück, alle weiß gekleidet. Ich bin die oberste von ihnen und sage dem Minister das Gedicht, welches mir der Herr Lehrer machen muß. Er will zwar nicht, aber ich weiß, ich setze es noch durch!«[463]

»Festjungfrauen?« fragte die Nähterin erstaunt.

»Ja; was sollte der Minister von uns denken, wenn er nicht von weißgekleideten Damen mit einem Gedicht empfangen würde! Dieser Gedanke ist von mir. Fein, nicht wahr? Es müssen zwölf sein, gerade ein ganzes Dutzend. Ich suche sie mir aus. Dich kann man nicht mit wählen, weil du buckelig bist. Der Herr Lehrer brachte den Brief, dazu einen großen Nelkenstrauß, zweiunddreißig Stück. Ich habe sie gezählt. Für dich hatte er nur eine kleine Rose. Da ist sie ja; ich sehe sie. Warum bist du nicht auch gekommen, mir zu gratulieren? Wir sind an demselben Tage geboren und an demselben Tage in derselben Kirche getauft worden. Da schickt es sich doch, daß man sich das Wort vergönnt!«

Das Herzle schwieg; die Mutter aber fragte:

»Und du, Fräulein Rosalia?«

»Ich? Ich bin ja da!«

»Um zu gratulieren?«

»Ja. Was sonst?«

»Ich habe noch kein Wort davon gehört!«

»Ach so! Ich soll euch eine Rede halten? Das habe ich nicht nötig. Es genügt vollauf, daß ich gekommen bin!«

»Aber gewiß nur wegen des neuen Kleides für die weiße Festjungfrau! Wegen Herzles Geburtstag aber nicht!«

»Du bist noch immer des Musterantons Frau, die uns nicht leiden kann, obgleich ihr uns euer ganzes Bergle zu verdanken habt. Und heute ist deine Laune doppelt schlecht. Ich weiß, woran du immer denkst, wenn du mich siehst. Warum war das Herzle immer so krank und immer so still, wenn ich mit ihm reden[464] wollte? Warum spielte es nur mit anderen? Das hat mich wütend gemacht. Hätte es mir gehorcht, so hätte ich ihm damals nicht die Ohrfeigen gegeben und es auch nicht den Berg hinabgeworfen, worauf es buckelig geworden ist. Es ist ein Unterschied, ob man den reichen Musterwirt oder den armen Musteranton zum Vater hat. Wer nicht hört, der muß eben fühlen. Jetzt aber bin ich da, um mit euch über das weiße Kleid zu reden. Das meinige muß natürlich von Seide sein. Der Vater spannt nach dem Mittagessen an. Da fährst du mit in die Stadt, Herzle, um den Stoff für mich auszusuchen.«

»Das kann ich nicht; ich habe keine Zeit,« antwortete die Nähterin.

»Das geht doch mich nichts an! Ich bezahle dich. Und eine Wagenfahrt mit mir ist doch wohl eine Auszeichnung, auf die du dir etwas einbilden kannst. Was hast du denn so nötig, zu tun?«

»Diese Spitzengarnitur muß bis zur Ausstellung fertig werden. Und heute ist mein Geburtstag; da gebe ich mir für den Nachmittag frei. Man will doch auch einmal zu Atem kommen.«

»Wenn du mit der Garnitur fertig werden mußt, so arbeite in der Nacht! Oder meinst du damit auch, daß du keine Zeit für mein neues Kleid hast? Die Nähterinnen in der Stadt mag ich nicht. Sie sagen zwar, daß sie mich nicht mögen, aber umgekehrt ist es richtiger. Willst du es machen?«

»Ja. Dann muß ich allerdings des Nachts arbeiten.«

»Und fährst mit mir in die Stadt?«

»Nein. Suche dir den Stoff selbst aus!«

»Das kann ich nicht, dein Geschmack ist mir lieber[465] als der meinige. Und du sagtest ja soeben, daß du dir freigeben willst.«

»Nicht für die Stadt. Ich habe mit dem Herrn Lehrer die Muster zu besprechen. Er ist an meinem Geburtstage stets zum Kaffee zu uns gekommen und wird dies wahrscheinlich auch heute wieder tun. Da muß ich also zu Hause sein.«

Da fuhr die Tochter des Musterwirtes schnell auf:

»Hat er es dir etwa vorhin versprochen?«

»Nein.«

»So kommt er heute nicht; ich werde dafür sorgen! Ich weiß gar wohl, was du denkst und was du willst. Aber das schlage dir nur aus dem Sinn. Der Herr Lehrer ist nicht für dich! Der braucht eine Frau, die gerade gewachsen ist und die das Geschick besitzt, mit feinen Leuten zu verkehren. Der hat eine Zukunft; das sagt der Vater, und der versteht es wohl. Er wird nicht lange mehr Lehrer bleiben. Die Behörde ist auf ihn aufmerksam geworden; wir wissen es. Auch sogar der Vater hat mir anvertraut, daß er noch Großes mit ihm vorhabe. Wenn so ein Mann sich eine Frau sucht, so geht er nicht zum armen Damenhäusle, sondern zum reichen Musterwirt, der ganze Säcke voll von blanken Talern hat und dazu eine Tochter, auf welche man selbst in Dresden Augen macht, wenn man sie sieht. Also, willst du mir das neue Kleid machen?«

»Ja.«

»Und am Nachmittag mit mir in die Stadt fahren?«

»Nein.«

»So laß es bleiben! Wenn du nicht mitfährst, darfst du es auch nicht machen. Es leckt jede Nähterin die Finger danach, für Fräulein Rosalia zu arbeiten. Ich gehe jetzt. Wir sind geschiedene Leute. Aber vorher[466] sage ich dir noch einmal: Der Herr Lehrer ist nicht für dich gewachsen, und wenn du ihn dir nicht aus dem Kopfe streichst, bekommst du es noch ganz anders mit mir zu tun, als damals, wo ich dich nur buckelig machte!«

Sie war von ihrem Stuhle aufgesprungen. Nun drehte sie sich um und ging, ohne einen Gruß zu sagen, durch das Gärtle hinunter, über die Brücke und auf dem Wiesenwege nach dem elterlichen Hause, wo sie im Stalle bekannt gab, daß sie nicht heute, sondern erst morgen nach der Stadt fahren werde.

»Heute muß ich daheim bleiben,« dachte sie. »Ich werde auf den Lehrer lauern und mit ihm reden. Dann soll es sich zeigen, wo er den Geburtstagskaffee trinkt, bei ihr oder bei mir!«

Von da ging sie nach dem Innern des Hauses, in die große Gaststube, wo auf einem besonderen Tische alle ihre Geburtstagsgeschenke ›aufgebaut‹ waren, damit jedermann sie sehen und bewundern möge. Der Musterwirt liebte es, auch in dieser Weise zu zeigen, daß er der reichste Mann im ganzen Dorfe, ja, wohl in der ganzen Umgegend sei.

Obgleich es noch am Vormittage war, hatte sich schon eine Anzahl von Gästen eingestellt, die von der Nachricht herbeigelockt worden waren, daß der Gendarm im Gasthofe gewesen sei und etwas Neues vom ›Geldmännle‹ erzählt habe. Auch das Ausstellungskomitee hatte sich eingefunden, wegen des Briefes aus dem Ministerium von dem Wirt zusammenberufen. Die Tochter kam grad, als ihr Vater zu erzählen begann, was er von dem Sicherheitsbeamten erfahren hatte. Er sagte soeben:

»Es ist zwar schade um den Neubertbauer aber,[467] er hat immer groß hinaus gewollt. Mit solchen Protzen sollte man eigentlich gar kein Mitleid haben. Er hat ein einziges Kind, eine Tochter. Nun schaut die mal an, wie sie dahergeht! Wie ein Fürstin tritt sie auf, und nichts ist ihr gut und teuer genug gewesen. Ein solches Gehabe mußte den Neuberthof herunterbringen. Die Tochter hat nach und nach den Vater aufgefressen und er dabei sein schönes Bauerngut. Und alles, alles hat er besser verstanden als andere Leute. Und recht hat er gehabt in allem, was man mit ihm sprach. Er hat sich sogar sehr oft mit mir herumgestritten, und das will schon was sagen! Als es immer mehr und mehr abwärts gegangen ist und er bald nichts mehr gehabt hat, da hat er sich nach dem Geldmännle umgeschaut, und dieses ist sehr schnell zu ihm gekommen. Denn das Geldmännle ist allwissend und findet jeden, der es haben will. Der Neubertbauer hat für jeden guten, echten Schein fünf falsche, nachgemachte bekommen, die er gern wieder losgeworden ist, weil sie keinen einzigen Fehler haben, als nur einen ganz, ganz kleinen, den nur der richtige Kenner entdecken kann. Ich habe zwar noch keinen gesehen; Ihr wißt ja alle, daß ich nie ein Papiergeld annehme, denn es ist mir einmal eine große Summe in Papier verbrannt; aber ich habe gehört, daß man ein sehr gutes Vergrößerungsglas haben muß, um die falschen Scheine von den echten zu unterscheiden. Darum ist gar keine Gefahr dabei, sich von dem Geldmännle sogar viele tausend Taler oder Gulden umwechseln zu lassen; nur muß man beim Ausgeben vorsichtig sein und es nicht merken lassen, daß man mehr Geld besitzt, als einem zuzutrauen ist.«

Er machte hier eine Pause, durch welche seine[468] letzte Darlegung zur besonderen Betonung kam. Wer ihn nicht besser kannte, hätte beinahe denken mögen, daß er die Ausgabe von falschem Gelde empfehlen wolle. Aber jedermann kannte seine unüberwindliche Abneigung gegen alles, was Papiergeld heißt. Er hatte schon oft fremden Gästen, welche von dieser Besonderheit nichts wußten und mit Billets zahlen wollten, die Zeche gestundet oder gar geschenkt, weil er nur gemünztes Geld mit seiner Hand berührte. Der Herr Pastor, welcher sich auf gelehrte Worte verstand, hatte einmal gesagt, das sei eine sogenannte Idiosynkrasie, nämlich eine Abneigung, bei der sich die ganze Natur des Menschen sträube, etwas zu tun, was doch eigentlich ganz natürlich ist.

»Der Neubertbauer ist aber nicht so vorsichtig gewesen,« fuhr er fort. »Anstatt das nachgemachte Geld an verschiedenen Orten auszugeben, wo man ihn nicht kannte, hat er nur stets daheim auf seinem Hof damit bezahlt. Das war dumm. Denn es mußte auffallen, daß er, der fast gar nichts mehr hatte, nun plötzlich für jede Kleinigkeit einen Hunderttalerschein auf den Tisch legte. Dadurch ist die Polizei aufmerksam auf ihn geworden, und ich habe sie auf die richtige Spur gelenkt.«

»Du, Vater, du?« fragte seine Tochter.

»Ja, ich!« antwortete er, indem er sich mit einem triumphierenden Blick im Kreise umschaute.

»Das ist recht! Das ist die richtige Antwort auf die Beleidigung, die uns geworden ist vom Neuberthof. Die Tochter hat gesagt, daß wir das Blut der armen Weber saugen; nun mag sie sehen, was es für sie zu saugen gibt!«

Der Eindruck dieser Worte auf die Anwesenden[469] schien kein guter zu sein; darum fügte der Wirt sehr schnell hinzu:

»Das war nicht mein Grund; ich hatte einen anderen. Ich bin ein Christ, ich gehe Sonntags zweimal in die Kirche und bete oft das heilige Vaterunser. Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern! Ich habe also diese Beleidigung sofort und gerne vergeben, denn alle Welt weiß, daß grad ich es bin, der für die armen Weber Sorge trägt. Das habe ich durch die Ausstellung von neuem bewiesen. Ich bin der Vorsitzende des Komitees. Aber ich bin auch Untertan des Königs und weiß genau, was ich seinen Gesetzen schuldig bin. Ein guter Untertan darf kein Verbrechen dulden, und wenn er eines erfährt, so hat er Anzeige zu machen. Das habe ich getan, weiter nichts. Es war meine Pflicht.«

»Hast du denn gewußt, Herr Frömmelt, daß der Neubertbauer mit dem Geldmännle Geschäfte macht?« fragte einer der Anwesenden.

»Ja. Er hat es mir erzählt, beim Kartenspiel, als er betrunken war. Er hatte viel an mich verloren und wollte mit einem großen Scheine bezahlen; den nahm ich aber nicht. Da steckte er ihn schnell wieder ein. Das fiel mir auf. Ich machte ihn noch betrunkener und fragte ihn aus. Alle anderen waren gegangen, wir befanden uns allein. Da begann er im Rausche zu erzählen. Ich erfuhr sogar die Stelle, wohin er des Nachts das gute Geld trägt. In der nächsten Nacht kommt dann das Geldmännle und wechselt es mit falschem aus. Das habe ich der Polizei gemeldet. Die hat sich bei dem Orte aufgestellt. Er kam und legte fünfhundert gute Taler in das Loch. Die ließen die Gendarme liegen, um das Geldmännle zu fangen.[470] Dieses aber war klüger als die Polizei. Als sie in der nächsten Nacht kam, waren die Taler schon fort, und es lagen fünfundzwanzig falsche Hunderttalerscheine an der Stelle. Heute früh ist dann der Neubertbauer gekommen, um sie zu holen. Grad als er sie schon in den Händen hatte, wurde er abgefaßt. Nun sind sie noch bei ihm, um alles auszusuchen; dann wird er in die Untersuchung transportiert, wobei er hier bei uns vor über muß. Das ist es, was mir der Gendarm vorhin erzählte. Ich muß wahrscheinlich als Zeuge vor Gericht. Man tut das gar nicht gern, denn auch der Falschmünzer ist ein Mensch; aber wer ein gutes Gewissen behalten und ruhig sterben will, der hat zu erfüllen, was das Gesetz von ihm verlangt. Warum schaust du mich so sonderbar an, Gevatter Weigelt?«

»Ich weiß nicht, ob ich ihn an deiner Stelle verraten hätte,« antwortete der Genannte.

»Ja, ich sehe wohl, daß mehrere da sind, die wahrscheinlich auch so denken; aber die Richter sind klug, und der Neubertbauer ist dumm. Er brauchte nur zu gestehen, daß er mit mir gesprochen habe, so wäre ich als Hehler und Mitwisser eingezogen worden. Meint ihr auch jetzt noch, daß ich hätte schweigen sollen?«

»Dann freilich nicht. Jetzt sieht man wieder einmal, wie pfiffig das Geldmännle ist. Es war schon fast in der Falle, ist aber doch nicht hineingegangen. Man möchte so ungeheuer gern wissen, wer es eigentlich ist und wo es wohnt, aber es scheint, daß niemand es erfahren wird. Eines nur ist sicher, nämlich daß es von kleiner Gestalt ist. Niemand sagt ›der Geldmann‹, sondern im ganzen Gebirge wird nur vom ›Geldmännle‹ gesprochen. Das ist der Beweis.«

»Der aber nichts taugt,« fiel ein anderer ein.[471] »Das Geldmännle ist nicht klein, sondern groß und stark.«

»Woher weißt du das?«

»Aus dem Oesterreichischen herüber. Dort ist im vorigen Jahr einer gestorben, der auch Geschäfte mit ihm gemacht hat. Auf dem Sterbebett ist die Reue über ihn gekommen, und er hat alles gestanden, was er wußte. Man hat sich dann gewaltig viel Mühe gegeben, das Geldmännle zu fangen, hat es aber nicht bekommen. Doch hat man nun gewußt, was es mit seiner Gestalt für eine Bewandtnis hat. Nämlich das frühere Geldmännle ist von sehr kleiner Figur gewesen und nur darum in dieser Weise benannt. Nach seinem Tode hat es aber einen Nachfolger bekommen, von dem man weiß, daß er – – schaut,« unterbrach er sich, »was ist das für ein Wagen, und wer sitzt darin?«

Er deutete hinaus auf die Straße. Aller Augen richteten sich nach den Fenstern.

»Das ist der Wagen vom Neuberthof, und der Bauer sitzt darin mit zwei Gendarmen!« rief der Wirt. »Sie halten draußen an. Die werden doch nicht etwa hereinkommen wollen?«

»Ja, sie kommen,« antwortete seine Tochter, »denn sie steigen ja aus.«

»Was wollen sie bei mir? Ich will im Gericht gern zeugen, aber in meinem Hause will ich keinen Falschmünzer haben, der es mir mit seiner Schande verschimpfiert.«

»Laß nur, Vater! Wir können nichts dagegen ma chen. Die Polizei wird schon wissen, warum sie ihn zu uns hereinbringt. Mir paßt das gar nicht schlecht.«

Die Tür ging auf, und die Genannten traten ein. Voran der Neubertbauer und hinter ihm die beiden[472] Beamten, ein Brigadier und ein Gendarm. Der Bauer war von hoher, breitschulteriger Gestalt. Seine Hände waren vorn zusammengefesselt, doch so, daß er sie auf- und niederbewegen konnte. Aber seine Haltung zeigte nichts von Niedergeschlagenheit; sie war aufrecht, ja fast stolz, und als seine Augen nach dem Wirte suchten und ihn fanden, leuchtete ein Blick trotziger Verachtung in ihnen auf.

»Herr Wirt,« sagte der Brigadier, »Sie wissen, was geschehen ist. Wir sind unterwegs nach dem Gerichtsamte. Der Neubertbauer bat mich, hier anhalten zu lassen, da er in dieser Angelegenheit ein Wort mit Ihnen zu sprechen habe. Ich hatte keinen Grund, es abzulehnen. Führen Sie uns nach einem Zimmer, in welchem sich keine Gäste befinden!«

»Das ist nicht nötig,« fiel da der Gefangene ein. »Weswegen ich hierhergekommen bin, dessen brauche ich mich nicht zu schämen. Ich hätte es schon zu Hause getan; aber ich will, daß der hochangesehene Herr Frömmelt dabei ist, wenn ich mein Geständnis und meine Buße tue. Und alle, die hier anwesend sind, sollen hören, was ich sage.«

Da trat die Tochter des Wirtes auf ihn zu und fragte in höhnischem Tone:

»Willst wohl Abbitte dafür leisten, daß deine Tochter schöner sein soll als ich, und daß wir dem armen Webervolke das Blut aus den Adern saugen? Für diese Frechheit wirst du außer der Falschmünzerei noch eine Extrastrafe bekommen!«

»Geh' mir aus dem Weg, Weibsen!« herrschte er sie an, indem er sie mit dem Ellbogen auf die Seite schob, um an den nahen Schenktisch zu treten und einen schnell forschenden Blick auf ihn zu werfen. Dann[473] drehte er sich um, lehnte sich mit dem Rücken an den Tisch und warf einen langen, eigentümlichen Blick auf die erwartungsvoll vor ihm stehenden Personen.

»Darf ich reden, Herr Brigadier?« fragte er.

»Ja; aber nur, was zur Sache gehört,« antwortete der Gefragte. »Sie wissen, daß Sie Untersuchungsgefangener sind, und haben sich danach zu verhalten.«

»Keine Sorge! Ich weiß schon, was sich schickt, wenn man das ist, was ich geworden bin!«

Er schloß die Augen. Seine Lippen zuckten, als ob er weinen wolle; aber er war ein willensstarker Mann und kämpfte die innere Bewegung nieder. Als er dann wieder aufschaute, war sein Gesicht so ruhig wie vorher.

»Wißt ihr, Leute,« sagte er, »wer hier vor euch steht? Ihr meint, es sei der Neubertbauer; aber der ist es nicht, sondern der Staatsanwalt, der euch den Steckbrief eines Verbrechers sagt, auf den das Gericht schon lange vergeblich wartet.«

Seine Augen bohrten sich in das Gesicht des Wirtes, als er fortfuhr:

»Ich bin ein Falschmünzer. Wer hat mich dazu gemacht? Etwa das Geldmännle? Nein, denn das war nur der Schluß. Wer ist das Geldmännle? Ich weiß es nicht, aber ich ahne es. Gott sei ihm gnädig, wie er mir gnädig sein mag! Ich habe es jetzt mit dem Manne zu tun, der mich mit aller Absicht und Berechnung auf die Falschmünzerei vorbereitet hat. Er kam zu mir und bot mir seine Freundschaft an, die mich zu Trunk und Spiel verleitete. Er führte mich zu Prozessen, die ich verlieren mußte; er aber gewann sie als der verborgene Hintermann. Er setzte meiner Tochter teure Mücken in den Kopf und zog mir mein[474] treues, fleißiges Gesinde aus dem Hause. So ging es schnell bergab mit mir, weil ich der Hilfe traute, die er mir fest versprach. Aber als er den letzten blanken Taler von mir bekam, den ich besessen hatte, da zeigte er mir sein richtiges Gesicht. Der Freund war weg, und mit ihm mein ganzer, schöner, lieber Neuberthof. Er ließ mich zwar drin sitzen, doch war dies nur zum Schein. Da bekam ich ein Schreiben vom Geldmännle. Es verhieß mir schnelle Hilfe. Der Hof könne schon in kurzer Zeit wieder mein Eigentum werden. Ich griff zu. Wer mich darüber steinigen will, der lasse es bleiben, denn ich steinige mich selbst! Man hat mich auf der Tat ertappt. Warum? Ich wurde angezeigt. Von wem? Von demselben Manne, dem ich meine Freundschaft mit dem Geldmännle verdanke! Ich komme heute zu ihm, um ihn einzuladen, mit mir vor Gericht zu gehen, nicht als Zeuge gegen mich, sondern als mein Angeklagter, denn ich bin in diesem Augenblicke der Staatsanwalt. Ich komme eher hin als er; die Gendarmen haben mich ja schon. Aber ich fordere ihn auf, mir nachzufolgen. Ich versichere ihm bei dieser und auch bei jener Gerechtigkeit, daß mit ihm genau, ganz genau dasselbe geschehen wird, was hier mit mir geschieht. Und was das ist, das sollt ihr sogleich sehen!«

Er drehte sich schnell nach dem Schenktische um. Man sah, daß er die gefesselten Hände ausstreckte und dann kräftig wieder auf sich zu bewegte. Die Gendarmen wollten auf ihn zutreten; aber da wandte er sich auch schon wieder zurück, langsam, immer langsamer. Seine Hände lagen zu Fäusten gekrümmt, als ob sie etwas hielten, übereinander auf der Brust.

»Musterwirt,« stieß er mit rauher, zitternder[475] Stimme hervor, »so stirbst auch du – – – genau – – – mit diesem Messer!«

Sein Gesicht wurde fahl. Er wankte. Seine Fäuste öffneten sich. Die geschlossenen Hände fielen nieder. Da sah man, was geschehen war. Er hatte sich das scharfe, spitze Fleischmesser, welches stets auf dem Schenktische bei den Tellern lag, in die Brust gestoßen. Nur der Griff schaute noch heraus. Ein langer, schwerer, röchelnder Atemzug – – – dann brach er tot zusammen. – – –

Quelle:
Das Geldmännle. In: Erzgebirgische Dorfgeschichten. Karl Mays Erstlingswerke. Band I. – Dresden-Niedersedlitz (1903). S. 439–648, S. 441-476.
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