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[78] in welchem Lazaro die Freundschaft erzählt, die er mit einigen Deutschen in Toledo unterhielt, und was ihm mit denselben begegnete.
Zu dieser Zeit befand ich mich in meinem besten Wohlsein und auf dem Gipfel meines Glücks; und da ich immer in meiner Gesellschaft einen guten Weinkrug und einige gute Früchte führte, die in dieser Gegend wachsen, als Probe des, was ich ausrief, so gewann ich dadurch so viele Freunde und Gönner, sowohl Eingeborne als auch Fremde, daß, wohin ich auch kam, keine Tür für mich verschlossen[78] war. Ja, ich sah mich so begünstigt, daß ich glaube, wenn ich damals einen Menschen getötet hätte oder mir sonst ein schrecklicher Unfall begegnet wäre, alle Welt würde auf meiner Seite gewesen sein, und ich würde bei diesen meinen Gönnern alle nur mögliche Hilfe und Unterstützung gefunden haben. Dafür ließ ich sie aber nie mit trocknem Munde und führte sie mit mir dahin, wo das Beste, was ich ausgerufen hatte, zu haben war, wobei wir ein gutes, herrliches und lustiges Leben führten. Da begegnete es uns oftmals, daß wir auf unsern Füßen hinein und auf fremden wieder herausgingen.
Das Beste bei der ganzen Sache war, daß Lazaro von Tormes in dieser Zeit nicht eine einzige Blanke ausgab noch ausgeben durfte. Wenn ich ja einmal absichtlich die Hand nach dem Beutel ausstreckte, indem ich tat, als ob ich bezahlen wollte, so nahmen sie es für eine Beschimpfung, blickten mich zornig an und sagten: Nichts, nichts! Landsmann, laß! – womit sie tadelnd sagen wollten, daß, wo sie wären, niemand eine Blanke zu bezahlen hätte. Dafür hätte ich aber auch aus Liebe für solche Leute mein Leben gelassen; denn dabei blieb es nicht einmal, sondern sie füllten mir auch noch, so oft wir beisammen waren, die Taschen und den Busen mit geräucherten Schinken, mit Stücken Hammelfleisch, das in jenen herzstärkenden Weinen mit der feinsten Würze gekocht war, und mit Überbleibseln von gesalzenem Fleisch und Brot, überflüssig genug, zu Hause mich und mein Weib auf eine ganze Woche bis zum Überfüllen zu sättigen.
Bei meinem jetzigen Überfluß erinnerte ich mich meiner vergangenen Hungersnot und lobte und dankte Gott, daß so die Dinge und Zeiten wechseln. Aber, wie das Sprichwort sagt: Wer Gutes dir erzeigt mannigfalt, der zieht hinweg[79] oder stirbt bald! so ging es auch mit mir. Der Hof zog nach eingeführter Weise wieder fort, und bei der Abreise lagen mir diese meine wackern Freunde sehr an, mit ihnen zu ziehen, und versprachen mir goldne Berge. Ich dachte aber an das Sprichwort, welches heißt: Besser einen Spatz in der Hand als einen Storch auf dem Dache!, dankte ihnen für ihren guten Willen und nahm unter vielen Umarmungen und mit vieler Wehmut Abschied von ihnen.
In der Tat, wenn ich nicht verheiratet gewesen wäre, ich hätte ihre Gesellschaft nicht verlassen; denn sie sind Leute ganz nach meinem Geschmacke und nach meinem Sinne. Sie führen ein herrliches Leben, sie sind nicht hochmütig oder anmaßend, gehen ohne Schwierigkeit und ohne Bedenken in die Kneipe, mit abgezogenem Hute, wenn es der Wein verdient. Sie sind offene brave Leute und immer mit allem Nötigen so gut versehen, daß mir Gott keine schlechteren zuschicken möge, wenn ich rechten Durst habe. Aber die Liebe zu meinem Weibe und zum Vaterlande, das ich schon für das meinige hielt, dann die Frage: Woher bist du denn, mein Freund? hielt mich zurück.
Und so blieb ich einsam in dieser Stadt; zwar hinlänglich gekannt von den Einwohnern derselben, doch meiner Freunde und des fröhlichen Hoflebens beraubt. Ich war sehr zufrieden bei Vergrößerung meiner Freude und meines Stammes durch die Geburt eines sehr schönen Mädchens, das mein Weib mittlerweile zur Welt brachte; denn ungeachtet ich einigen Argwohn dabei hatte, so schwur sie mir doch zu, daß es das meine wäre. Dies dauerte so lange, bis es meinem Geschick einfiel, daß es mich vergessen hätte und daß es billig wäre, mir von neuem sein erzürntes, strenges und wildes Gesicht zu zeigen und mir diese wenigen Jahre eines angenehmen und sorgenlosen Lebens[80] durch ebensoviel neue Drangsale und einen schmerzhaften Tod zu verbittern.
O großer Gott! Wer könnte wohl solche höchst unglückliche Schicksale und so schreckliche Ereignisse beschreiben, ohne nicht vorher das Tintenfaß ausruhen zu lassen und die Feder beiseite zu legen?
Ende des ersten Teils