II

[1217] Den Nachmittag führte mich Herr Oheim hinaus auf seine Felder, weil er ohnedies nach seinem Knecht zu sehen hatte. Da das Haus auf einer ziemlichen Anhöhe stand, so bemerkte ich[1217] bald, daß weit und breit meist alle Felder mit lebendigem Haag eingefaßt waren, in welches alle zwanzig bis dreißig Schritte ein ziemlicher Stamm von Brennholz eingeflochten war. Ich erstaunte über diese nützliche Einrichtung, und hielt sie für sehr kostbar. – »Sie ist«, sprach Hr. Oheim, »bekanntlich nur in England allgemein, allein überall sehr leicht nachzuahmen, wo ein Gutbesitzer, wie hier mein Fall ist, seine Grundstücke auf einem Fleck beisammen liegend hat. Ich habe meine Hecken mit Gärtnersorgfalt und Baurenaufwand erzogen, und wer mir folgen mag, wird sich wohl dabei finden. Im Winter, wo es müßige Taglöhner, und wenig beschäftigtes Gesinde gibt, hab ich meine Hecken gepflanzt, Gräben aufgeworfen, im Frühjahr nachgesehen, und da ich vom Wasser Herr war, ihnen in den heißen Sommermonaten zuweilen reichlich Tagwasser zufließen lassen. Einfassungen von toten Holz sind in meinen Augen die kostbarsten Hof- und Stadtdekorationen, und wer nur je ein Krauthaupt gepflanzt hat, wird zu viel Respekt für die Vegetation haben, als daß er einen Baum unnützerweise fällen sollte. Außerdem ist's in unsern Gegenden auch die liebe Not. Ich ziehe aus dem Oberholz meiner in den Hecken stehenden Bäume, und dem Abfall der aus dem notwendigen Beschneiden der Hecke selbst entsteht ohngefähr 3/4 alles meines Brennholzes. In 4 Jahren sind alle meine Hecken groß und dicht genug, klein und großes Vieh abzuhalten, indem ich die Staude nicht gerade, sondern ins Kreuz pflanze, nichts als Kreuzdorn dazunehme, und mich für den zärtlichen Hammbuchen hüte. Hätte ich meinem Gesinde oder meinen Nachbarn von Anfang ein Wort davon gesagt, daß ich gegen 100 Morgen Feldes mit Gräben und Hecken versehen wollte, sie hätten geglaubt, es sei hier nicht richtig. Jetzo da's steht, hat kein Mensch was dagegen einzuwenden, und sogar die Leute aus der Stadt sperren das Maul mit Vergnügen darüber auf, weil's hübsch gekämmt aussieht. Überhaupt, wer da haben will, daß sein Werk stehen und fortgehen soll, der schweige und tue.« Ich fand an dem Abhange rechter Hand eine Menge Wiesen, die ohngeachtet der späten Jahrszeit wegen der trefflichen Ordnung, worin sie gehalten, und der Art und Weise wie sie gewässert waren, für den Kenner immer ein reizendes Schauspiel waren. Obenher floß ein Mühlenbach, der sie reichlich versah – Ich wunderte mich darüber wie der Eigentümer der Mühle, die auf der andern Seite stand, dieses erlauben könnte. – »Der bin ich selbst«, sagte Herr Oheim mit Lächeln. »Eh ich[1218] auf einen Morgen Landes in dieser Gegend dachte, war der Gedanke wie ich zu der Mühle kommen wollte der erste, der mir im Kopf herumging. Weil es keine Bannmühle war, und der Müller sich durch seinen Handel mit Weißgut, und durch seine ewige Fuhren nach der Stadt in die Schulden gestürzt hatte, und am Ende auf Betrügereien gegen jeden Mahlgast ausgegangen war, so hatte sie alle Nahrung verloren. Sie ward aufgesteckt, und ich war für ein billiges Gebot der dem sie zugeschlagen ward.

Als ich das Stadtleben verließ, merkte ich wohl, daß mir zu meiner neuen Hantierung das nötige Geschick fehlte. Ich kaufte also in dem nahliegenden Dorfe nur ein Bauernhaus mit den notdürftigen Nebengebäuden, und ohngefähr 20 Morgen Äcker, um nicht gar müßig zu sein, und erst von meinen Nachbarn zu lernen. Da ich keine Wiesen hatte, mußte ich anfangs alles mit Futterkräutern zwingen, im ganzen aber war's doch Spielwerk, weil mir's den Aufwand für Gesinde und Pferde und Geschirr nicht auswarf. Indessen trieb ich den Ackerbau auf Gärtnerweise, raffinierte mit Krapp-, Mohn- und Hirsenbau, damit ich mein Gesind beschäftigte – allein dies alles war zu mühsam, zu gefährlich, und eine andre Art von prekärer Existenz, als die, die ich eben verlassen hatte. Diese Stücke die ich jetzo in einer Flur besitze, waren ehedem sogenannte Außenfelder, die zum Teil der Gemeinde, zum Teil einzelnen Einwohnern zugehörten, allein weil kein Mensch seinen Mist so weit verschleppen wollte, eine wahre Wüstenei ausmachten. Sie wären wirklich auch jetzo noch mein Verderb, wenn ich nicht auf der Stelle wohnte, und die 30 Morgen Wiesen nicht hätte, an deren Möglichkeit vor zehn Jahren kein Mensch gedacht hatte. Da man im Dorf sah, daß ich noch Dünger dazu kaufen mußte, um meine 20 Morgen, davon 2/3 Samereien und Futterkräuter waren, instand zu erhalten, so dachten die Leute, ich sei verrückt, als ich ein Stück nach dem andern von dieser Wüstenei an mich handelte. Man überließ mir dies alles nach und nach um eine so kleine Summe, daß ich mich's jetzo zu sagen schäme. Sobald ich die Mühle kaufte, konnte man wieder nicht begreifen, warum ich mich von neuem in ein Gewerbe stürzte, das ich schlechterdings nur durch Knechte treiben konnte, und wo der gescheuteste unendlichen Betrügereien ausgesetzt ist. Man änderte indessen die Sprache, als man sah, daß mir's nur um das Wasser zu tun gewesen war. Ich führte den Bach, der unten plötzlich in die Tiefe gegangen war, oben über[1219] die Mitte der Anhöhe weg, und bekam sehr gern von Schultheiß und Gericht die Erlaubnis, den Kot ihrer Hintergasse, der keinen Abfall hatte, hineinzuführen. In zwei Jahren waren meine 20 Morgen Wiesen imstand, und im vierten mit Gräben und Hecken aufs beste versehen. Die Mühle hab ich einem alten Auszugsmann verpachtet, und da ich den Zins, um ohngefähr 40 fl. heruntergesetzt habe, blieb ich Herr von Wasser, wie ich's nötig finde, und habe dadurch die Unterhaltung meiner Wiese gewonnen, die das Hauptkleinod vom ganzen erworbenen Schatz ausmachen. Bei diesem Teil meiner Wirtschaft hat mir mein bißchen Mathematik und Botanik Dienste getan, und die Principia die ich aus meiner ehemaligen verfeinerten Lebensart herüberbrachte, haben mir Winke gegeben, mich bei Sachkundigen näher zu belehren, ihnen Antworten, auf Zweifel abzulocken, woran sie nie gedacht hätten, und haben mich überhaupt für tollen Projekten bewahrt.

Ich glaube, mein Herr«, fuhr Herr Oheim fort, »Sie sind nicht so weit außer der Straße geritten, um gerade einen wohlhabenden Bauern zu sehen, sondern Sie möchten gern schauen wie er's treibt, und wie er's geworden ist. Wär ich eines Landmanns Sohn, und hätt ich meine Jugend in diesem Berufe zugebracht, so wären Sie auch nicht gekommen mich zu besuchen. Allein weil ich ehmals die politische Trommel gerührt, und wohl oder übel Einfluß auf Tausende gehabt, und nun mich in das Schneckenhaus eines Landmanns zurückgezogen habe – darüber möchten Sie einige Erläuterung haben, nicht wahr? Und diese will ich Ihnen herzlich gerne geben, weil ich mich in Ihren Fall setzen kann. – Dies alles hab ich mir erworben, und wenn ich auf die Art und Weise zurückdenke, so gereut es mich eben nicht. Vergleichen Sie den Wert dieses Guts mit andern, so sinkt es in die Menge so vieler mittelmäßigen Besitzungen zurück, die keines Worts und keiner Zeile Beschreibung bedürfen. Sehen Sie's aber als den Zweck an, auf dessen Erreichung ein ehrlicher Mann seine Zeit und Fleiß verwandt hat, so ist's ein andres Ding. Wenn Sie wüßten auf welche vergängliche Dinge dies ziemlich massive Gebäude meiner Wohnung, meine Äcker und Wiesen gegründet sind, Sie würden von Herzen lachen. Der erste Fonds dazu ist was ich aus dem Ausruf meiner Stadtherrlichkeiten erlöste. Ehedem waren's Spiegel, Phaeton, Büros von Mohogany, Silbergeschirr, Stickereien, Spitzen, Porzellan, Bibliothek, Kupferstiche, Gemälde, Gemmen, Pasten, Vasen von Terrakotta, und wie alle[1220] die schöne Dinge heißen, die ich mit meinen Kindern jetzo entbehren kann. Sie stehen in meinem Gehirn neben dem Spielzeug meiner ersten Kindheit in einem Rang, und ich würde kaum mehr daran denken, daß so was in der Welt wäre, wenn mich nicht das Intelligenzblatt aus der Stadt zuweilen daran erinnerte. Die Landwirtschaft im großen, als eine Spekulation zu treiben, halte ich, unter uns gesagt, für ein so widriges Projekt, als wenn einer seine Küche aufs Bücherschreiben fundieren wollte. Allein es ist ohnstreitig, im kleinen getrieben, die würdigste Beschäftigung eines ehrlichen Mannes, der versuchen will, was eigener Fleiß und Verstand vermag, der seine Existenz der Einförmigkeit entziehen und seine Gesundheit durch freie Luft erhalten will. Ehedem lebte ich, wie sie's nennten, für den Staat, für die Welt, und ich glaube auch gar für die Nachwelt, jetzo lebe ich für meine Familie. Doch davon ein andermal.«

Die Nacht hatte uns überfallen, ehe wir's uns versahen. Wir eilten also nach Hause. Hier fanden wir im Hof alles mit Lichtern und Laternen erleuchtet. Die ganze Wirtschaft war beisammen, um die angekommene Pferde zu examinieren. Mitten innen hielten sie mit ihrem Füllen, und oben saß der kleine Oheim triumphierend mit einer Peitsche. Der Sohn war mit dem Knecht im Stall, und murrte, daß jener den Ankömmlingen die Streu nicht gut genug gemacht hatte. Er ging selbst mit seinem Besen unterm Arm, streute auf, und zeigte ihm, wie's ferner immer sein sollte.

Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1217-1221.
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