Scena IIX.

[145] Der Praesident setzet sich mit denen Adsessoribus.


DES BARBIRERS ERSTER SOHN kniehend. Ach hertzliebste Herren / erbarmet euch meiner! Ach erbarmet euch meiner um Gottes willen! Ach sehet doch mich armes und fast gar verlassenes Kind mit barmhertzigen Augen an / und schenket meinem[145] liebsten Vater das Leben / daß er mich und meine Brüder / samt diesem unsern kleinen Schwesterlein / noch so lange erziehen möge / biß wir unser Bißlein Brod selbst verdienen können. Ach! erbarmet euch auch über unsre liebste Mutter / welche von einer Ohnmacht in die andere sinket. Vnd wer weiß / ob wir sie / wenn wir wieder heimkommen / noch am Leben finden? Wer will sich denn hinfüro unser annehmen / wenn ihr / hertzliebste Herren / euch unser ietzo nicht erbarmet? Wie sich nun der liebe GOtt über arme Sünder erbarmet; ach so erbarmet euch doch über unsern Vater / u uns arme kleine Kinder. Gott wird sich euer wieder erbarmen / und diese uns erwiesene Gnade reichlich an euch u den eurigen vergeltē.

DER ANDERE SOHN. Ach ihr hertzliebsten Herren / können eure sonst so sanfftmühtigen Hertzen durch kein bitten und flehen erweichet / und zur Barmhertzigkeit beweget werdẽ? Ach seyet doch mich armes Kind in Gnaden an / und gebet mir meinen liebsten Vater wieder. Denn wer wolte mir zu essen geben / wenn ich keinen Vater hätte? Ach! unsre liebste Mutter will auch sterben. Ach! wo wollen wir denn hin? Ach! wer will uns aufnehmen? Ach! wer will uns essen uñ trinken geben? Ach! wer will uns neue Schuhe uñ Kleider kaufen? Darum ach hertzliebste Herren / erbarmet euch doch über uns / und schenket uns unsren Vater. Wenn ich nur ein wenig grösser werde / so will ich euch gerne die Schuhe putzen / und hin gehen / wohin ihr mich schicken werdet. Ihr sollt mir so lieb seyn / als mein Vater selbst.[146]

PRAESES. Wir erbarmen uns recht hertzlich über euch / ihr lieben Kinder. Aber euren Vater können wir euch nicht wieder geben. Denn demselben muß nach Vrtheil und Recht der Kopf abgeschlagen werden.

DER ANDERE SOHN. Wenn mein liebster Vater todt ist / so begehre ich nicht zu leben. Bitte derowegen / daß ihr mir auch den Kopf wollet abhakken lassen.

DER DRITTE SOHN. Weñ meines lieben Vaters uñ meiner lieben Brüder Kopf abgehakket / so will ich meinen Kopf auch abhakken lassen. Denn wenn mein lieber Vater kein Wa ies hat angehabt / so hab ich meins flugs auch ausgezogen. Weñ nun er keinen Kopf hat / so begehre ich auch keinen.

DAS KLEINE TÖCHTERLEIN. Schweigt stille / ihr lieben Brüder / und laßt euch den Kopf i ier abhakkē. Ich will eure Köpfe und den lieben Vaters Kopf wohl wieder aufsetzen. Neulich setzte ich auch meiner Dokken ihren Kopf wieder an.

DER ERSTE SOHN. Ach liebes Schwesterlein / mit ansetzen ist es nicht außgerichtet. Der liebe Vater bliebe doch todt / wenn du ihm gleich den Kopf wieder ansetztest. Darum bitte die lieben Herren / daß sie dem Vater den Kopf nicht abhakken lassen.

DAS TÖCHTERLEIN. Wenn der liebe Vater gleich todt und gestorben ist / so will ich beten / daß ihn der liebe GOtt wieder lebendig mache.

DER ERSTE SOHN.[147] Ach! sehet doch / hertzliebste Herren / was das vor ein Jammer ist / wenn ein solch armes Kind keinen Vater haben soll. Darum bitt ich nochmals um Gottes willen / erbarmet euch unser!

PRAESES. Es kan ietzo anders nicht seyn. Der Vater muß sterben. Aber GOtt wird sich euer annehmen / und Vaterstelle vertreten. Vnd wir selbst wollen bedacht seyn / daß ihr durch Vormündere und Anverwandte nohtdürfftig versorget werdet. Gehet hin / und betet fleissig.


Darauf gehen die Kinder mit Händeringen und kläglichen Gebährden ab.

Hernach auch die Richtere.


PHILOSOPHUS SEXTUS. Daß viel Menschen gefunden werden / die in ihrem Hertzen weder GOtt / noch Göttliche Providenz mit rechtem Ernst gleuben / das ist zwar zu beseufzen und zu beweinen / gleichwohl aber nicht schlechter Dinge zu leugnen: Sintemahl das Leben so vieler hundert Personen es überflüßig bezeuget. Denn wenn man glaubte / daß ein GOtt wäre / der alles siehet / höret / und richtet / was von den Menschen geschicht / so würden nicht so schändliche Thaten begangen werden. Daß aber wahrhafftig ein GOtt sey / der alles siehet und richtet / das können wir auß dem Exempel des Barbirers nicht allein sehen / sondern auch / so zu reden / mit den Händen greiffen. Denn ob wohl ietzt ermeldter Barbirer meinte / weil er die That im Keller begangen / und seine Helfers-Helfer[148] alle so hoch beeydiget wären / es könte solche That nicht außbrechen; so fügte es doch die Göttliche Providenz, daß der eine aus den bösen Gehülfen um einer andern That willen peinlich examiniret / und auf die Folter-bank gebracht wurde: Da er denn zugleich / was der Barbirer gethan / neben andern Missethaten bekennete. So wolten auch ihme / dem Barbirer / seine adhibirten Scheingründe gar nicht zustatten ko ien / als welche im hohen Gerichte alle gründlich wiederleget und darnieder geschlagen wurden. Dannenhero er auch sein Vrtheil empfangen / und zu gebührender Straffe gezogen worden. Sehet derohalben wohl zu / ihr sterblichen Menschen / was ihr vornehmet. Denn Gottes gerechtes Gerichte pflegt zwar eine zeitlang verborgen zu liegen / aber endlich außzubrechen / und an den Tag zu kommen.


Moriones agiren.


Quelle:
Johann Sebastian Mitternacht: Dramen. Tübingen 1972, S. 145-149.
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