[8] Scheffler. Dann Bertha.
SCHEFFLER durch die Mitte, Acten unter dem Arm. So – für heute wären die Geschäfte besorgt. Sieht nach der Uhr. Ich habe gerade noch eine Stunde Zeit für das Concept meiner Rede. – Legt an und setzt sich an den Arbeitstisch. Ah – wie ordentlich das hier ist – man sieht gleich, daß der gute Geist meiner Bertha hier gewaltet hat. Nimmt Feder und Papier. Nun also an meine Rede. Schreibend. Geehrte Festgenossen – Sprechend. die Anrede ist gut – heut ist der Jahrestag des freudigen Ereignisses –
BERTHA von links. Ah – guten Morgen, Bruno –
SCHEFFLER aufstehend, Feder in der Hand behaltend. Meine liebe Bertha sei mir tausendmal gegrüßt – als ich heut ausging, träumtest Du noch sanft – meine kleine Langschläferin.
BERTHA. Schiltst Du mich zum Morgengruß?
SCHEFFLER. Schelten – welch' hartes Wort – als ob ich das je thäte –
BERTHA. Wer weiß?
SCHEFFLER. Nein nein – von mir wirst Du niemals harte Worte hören.
BERTHA. Ich weinte mir dann auch die Augen aus, Bruno.[8]
SCHEFFLER. Diese schönen Augen – nein, sie sollen nicht weinen, meinethalben nie. Küßt sie.
BERTHA. Mein lieber Mann – aber da seh' ich schon wieder die Feder in Deiner Hand – die garstige Feder.
SCHEFFLER. Nur noch eine kurze Arbeit, mein Kind – Geht an den Schreibtisch. gerade in diesen Tagen ist etwas viel zu thun. Du könntest mir aber einen Gefallen – Sucht aus dem Schreibtisch umher. – wo ist denn nur –
BERTHA bei Seite. Er sucht das Kästchen! Laut. So will ich Dich nicht stören –
SCHEFFLER. Du störst nicht – unbegreiflich! Suchend.
BERTHA. Ich sehe Dich wohl vor Tisch nicht wieder? Will ab.
SCHEFFLER immer suchend. Ich begreife nicht – Bertha!
BERTHA umkehrend. Lieber Bruno!
SCHEFFLER. Ich hatte hier ein kleines braunes Kästchen, es enthielt Andenken aus meiner Studienzeit – einige Bänder und Schleifen vom vorjährigen Stiftungsfest – hier stand es immer – Sucht. unbegreiflich! Hat sich gesetzt.
BERTHA bei Seite. Wir stehen am Rubikon – jetzt Muth.
SCHEFFLER. Weißt Du vielleicht, wo es ist?
BERTHA fest. Oh ja – ich weiß es!
SCHEFFLER. So – nun das ist ja gut!
BERTHA. Oder besser – ich weiß wo es war.
SCHEFFLER erstaunt. Wo es war?
BERTHA. Ja – wo es war – denn ich – – ich habe den ganzen Kasten verbrannt. Bei Seite. Gott sei Dank – es ist heraus!
SCHEFFLER dreht sich erstaunt herum. Verbrannt, sagst Du?
BERTHA. Verbrannt.
SCHEFFLER. Jedenfalls aus Versehen, liebe Bertha – Steht auf. aus Unvorsichtigkeit.[9]
BERTHA. Oh nein – mit Absicht und in aller Seelenruhe.
SCHEFFLER. Das ist doch stark – all' meine alten Erinnerungszeichen, die mich so manchen wackern Mannes – die mich so schöner Stunden gedenken ließen! Wenn ich fragen darf – weshalb, Bertha?
BERTHA. Weil Du sie nicht mehr brauchst.
SCHEFFLER. Gewiß – gerade morgen zum Stiftungsfest.
BERTHA. Oh – da gehst Du ja nicht hin.
SCHEFFLER. Zweifelst Du daran?
BERTHA. Ja – denn ich bitte Dich dringend, es nicht zu thun.
SCHEFFLER. Erst verbrennst Du meinen Kasten – die Form der Bitte ist wenigstens neu – es ist ungefähr dasselbe, als wenn ich sage: ich werde morgen ganz bestimmt das Stiftungsfest besuchen – wir können ja nachher darüber reden!
BERTHA. Bruno – das sagst Du nicht.
SCHEFFLER. Allerdings – ich werde das Stiftungsfest besuchen.
BERTHA. Oh das ist entsetzlich hart. Weint.
SCHEFFLER. Glaube nicht, daß Du mich mit Thränen zwingst.
BERTHA gefaßt und sicher. Oh! ich weine nicht, um Dich zu zwingen – doch einige Worte habe ich noch zu sagen, zu meiner Rechtfertigung – wir sind unter vier Augen – es wird Dich also nicht geniren. Setzt sich rechts. Bitte setze Dich einen Augenblick zu mir. Auf den Stuhl neben sich zeigend.
SCHEFFLER geht auf seinen Schreibtisch zu und setzt sich entfernt von ihr. Ich sitze schon.
BERTHA. Du entsinnst Dich des Tages, gerade vor einem Jahr, wo auch Euer Stiftungsfest, wie Du es nennst, gefeiert wurde.
SCHEFFLER. Oh weh – Kleinlaut. ist es das? Sieht sich um. Aber lassen wir das nicht lieber?
BERTHA. Nein – nein – es hört ja Niemand zu.
SCHEFFLER. Dann sprich wenigstens etwas leiser.
Nimmt den Stuhl und rückt näher zu Bertha.
[10]
BERTHA. Am Tage vorher schicktest Du mir einen Boten, ließest sagen – Du würdest nicht zu Tisch kommen.
SCHEFFLER kleinlaut. Ja allerdings – ich glaube – –
BERTHA. Wir waren kurz verheirathet – ich war noch nie des Abends allein gewesen – Du sagtest mir – Du würdest etwas spät nach Hause kommen. Ich wartete bis 11.
SCHEFFLER. Du solltest ja nicht warten, solltest Dich zur Ruhe legen.
BERTHA. Kann man das, wenn man seinen Mann in tiefer Nacht draußen weiß – allen Gefahren preisgegeben, ich wartete bis 12 – Du kamst nicht – es stiegen allerlei böse Gedanken in mir auf – was konnte Dir nicht begegnet sein! Du konntest Streit bekommen haben, angefallen worden sein – im Geist sah ich Dich verwundet auf der Straße liegen – blutig – es schlug eins –
SCHEFFLER bei Seite. Wenn's nur erst vier geschlagen hätte!
BERTHA. Meine Furcht wurde immer größer – es schlug 2 – meine Angst stieg immer höher, ich wollte hinaus – wollte Dich suchen – es wurde 3 – ich fieberte heftig – ich konnte kaum athmen da endlich Schritte, ein Trupp Männer kommt die Straße herauf, laut lachend – unter ihnen mein Mann – er schließt die Hausthür auf lärmend rufen seine Genossen ihm: gute Nacht zu – er lacht mich an – er sieht meine Angst – er lacht darüber – meine gebleichten Wangen rufen sein Lachen hervor – über meine Thränen lacht er! – Ich eilte zurück, verschloß meine Thür und brachte den Rest der Nacht weinend zu – am andern Morgen fand ich meinen Mann hier sitzend – eingeschlafen im Lehnstuhl – hier auf dieser selben Stelle. Steht auf.
SCHEFFLER steht auf. Ja, ja – ich entsinne mich – ich war allerdings etwas angeheitert – ich habe so oft auf Dein Wohl trinken müssen – liebe Bertha – Will zärtlich sein.
BERTHA zurückweichend. Kein Wort des Vorwurfs ist damals über[11] meine Lippen gekommen – mit keiner Sylbe habe ich je diesen Vorfall berührt, aber das hab' ich mir in jener Nacht gelobt: dies entsetzliche Lachen will ich nie wieder hören – deshalb hoffe ich – deshalb glaube ich, daß Du diesmal nicht auf das Stiftungsfest gehen wirst. Nicht wahr, Du bleibst zu Hause?
SCHEFFLER. Das kann ich ja gar nicht.
BERTHA. Du kannst nicht?
SCHEFFLER. Wer soll denn die Festrede halten?
BERTHA. Was kümmert mich die Festrede – Du hast auch Pflichten gegen Deine Frau!
SCHEFFLER entschlossen. Du erinnerst mich an meine Pflichten. Ja, Bertha, ich habe Pflichten gegen Dich, gegen mich – gegen unser Glück – und aus dem Grunde kann ich diesmal nicht nachgeben. Ich muß darauf bestehen – ich werde das Fest besuchen.
BERTHA böse. Und ich werde es nicht leiden.
SCHEFFLER. Aber Bertha, welcher Ton?
BERTHA. Der Ton meiner Liebe – meiner Besorgniß.
SCHEFFLER. Mir klang der Ton anders – wie Eigensinn und Rechthaberei.
BERTHA. Rechthaberei?! – Vorhin erst sagtest Du – Du wüßtest nicht, wie Du ein hartes Wort gegen mich aussprechen könntest, und jetzt hast Du harte Worte in Hülle und Fülle.
SCHEFFLER. Du reizest mich!
BERTHA. Durch meine Liebe und Besorgniß?
SCHEFFLER. Die Besorgniß geht zu weit, ich bin kein Kind mehr, das man nicht unbeachtet ausgehen lassen kann.
BERTHA. Aber mich hieltest Du für ein Kind, das nur gehorchen – das keinen eignen Willen haben soll. Ich bin Deine Frau, nicht Deine Untergebene – hier bin ich im Recht – und ich will mein Recht vertheidigen – Du wirst nicht das Stiftungsfest besuchen.[12]
SCHEFFLER. Aber ich kann nicht anders – ich muß gehn.
BERTHA. Ist das Dein letztes Wort?
SCHEFFLER. So höre doch nur –
BERTHA. Ist das Dein letztes Wort?
SCHEFFLER. Ja denn – ja, ja, ja, ja!
BERTHA. Gut denn – mein Entschluß ist gefaßt; ich will keine zweite Nacht erleben – wie damals – ich gehe auch fort.
SCHEFFLER erstaunt. Du gehst fort?
BERTHA. Ja.
SCHEFFLER. Wohin?
BERTHA. Das kann Dir ja ganz gleichgültig sein. Zu meiner Freundin nach Lindenhain – zu meinem Bruder nach Rosendorf, wohin es sei – nur fort – daß ich Dich nicht wieder angeheitert sehn muß. Ab nach links.
Buchempfehlung
Die letzte zu Lebzeiten des Autors, der 1835 starb, erschienene Lyriksammlung.
242 Seiten, 12.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro