Drey und Zwanzigstes Kapitel.
Welches noch nicht das letzte in diesem Buche ist.

[164] Seine Gnaden hörten aus der Zeitung, daß in Wien ein neues Schauspiel von Stephanie mit vielem Beyfall aufgeführet sey, und erkundigten sich stracks, was es mit solcherley Dingen für eine Bewandniß habe. Zu allem Glück war der Schloßpoet bey dieser Erkundigung zugegen, der im Stande war, Seiner Gnaden hinlängliche Auskunft zu geben, weil Monsieur le Premier es nicht so recht deutlich machen konnten, was eine Komedia und ein Theatrum sey. Der Poet hatte sogar in seiner sehr mignonnen und ponponnen Bibliothek einige theatralische Sachen, die er holen ließ, um dem Edelmann das Ding recht begreiflich zu machen. Der dirigirende Minister mußte vorlesen, und so erbärmlich er las, fand der gnädige Herr doch an der Minna von Barnhelm so viel Behagen, daß er plötzlich ausrief: Kriege Lust zu den Kram. Hagel noch mal, das ist schnurrig! Manister Lektoris, weiß er was? Will auch ein Triatrum anlegen.

Dem Minister war nicht leicht ein Anschlag zu abentheuerlich; und die zierliche Gerechtigkeit bequemte sich gern zu allem, wobey es Accidenzen gab, und disponirte den Secretär und Verwalter eben dahin. Die Herren beruhigten sich, außer der Beruhigung[164] die feile Seelen allemal in dem Anwachs der Einkünfte finden, damit, daß das größte Theil des Lächerlichen, wenn auch das Gerücht davon über die Grenzen des abgelegnen Gütchens kommen würde, auf den gnädigen Herrn fiel. Kurz, das Theater ward, wie jede Thorheit, allgemein beliebt. Der Kuhstall, wo die Viehstände rechts und links die natürlichsten Koulissen von der Welt machten, war der Schauplatz. Minna von Barnhelm hatte, als die erste Komödie, die dem gnädigen Herrn vorgelesen war, den stärksten Eindruck auf ihn gemacht, also war sie auch die, womit das Lindenbergsche Triatrum eröffnet wurde. Die Frau Schloßpoetinn hatte just einen hysterischen Zufall von großer Heftigkeit, und konnte nicht mitspielen. An ihrer Stelle mußte man sich dann nach einer andern Minna umsehen.

Es lebte in dem Dorfe Lindenberg, im Hause eines Bauren, eine alte ein und sechzigjährige französische Mamsell, aus mir wohlbekannten Ursachen, inkognito vel quasi. Sie hatte weiland zu Prag, der Hauptstadt im Böhmerland, als Französinn oder Gouvernante gedienet, sah sich aber genöthigt, das Königreich Böheim zu verlassen, und zog nach Sachsen, in die Polackey, wieder nach Sachsen, nach Braunschweig, Hannover, Magdeburg, Berlin und Spandau; hatte aller Orten merkwürdige Ebentheuer, und lebte jetzt im Pommerlande. Sie hatte, Kasu, das rechte Auge verlohren, konnte aber mit dem linken noch ganz gut sehen, und sprach – nicht Kasu – stark durch die Nase. Der Edelmann konnte sie nicht leiden, weil sie aus Frankreich war, jetzt aber mußte er aus der Noth eine Tugend machen, und dieß holde Geschöpf repräsentirte die Minna.

Des Edelmanns Haushälterinn, eine feine Matrone, lud sich Franciska auf den Nacken. Sie hattesich wohl einmal in ihrer Jugend das Sternum entzwey gefallen, daher denn unter ihrem spitzen Kinn ein so merkliches Vorgebirge hervor ragte, daß das ehrliche Weib nicht wußte, wie ihre Knie aussahen: aber das that nichts zur Sache, sie machte darum ihre Franciska flott weg. Die männlichen Rollen waren nicht weniger gut besetzt. Den Grafen von Bruchsal machte der Edelmann selbst, weil es die vornehmste Person im Stücke war, wiewohl er, als Soldat, auch zum Oberstwachmeister herzlichen Appetit hatte. Da er aber sein Gedächtniß nicht überladen wollte, fand er für gut, sein Part, wie ers nannte, aus dem Buche herzulesen, worinn ihn, weil er die edle Lesekunst lange nicht mehr getrieben hatte, der Herr dirigirende Minister fleißig üben mußte, so daß er ohne eben sehr oft anzustoßen, damit fertig würde. Den Tellheim machte der Jäger mit dem Stelzfuße, und der Herr Schloßpoet den Wachmeister. Der Oberkammerherr Christian stellte den Wirth vor, u.s. weiter.

Er hatte sein Wesen geraume Zeit mit dem Theater. Aber zuletzt, wie denn alles vergänglich ist, zerfiel es durch einen witzigen Einfall der Frau Schloßpoetinn. Diese vornehme Dame war zu Zeiten sehr vornehm, und fand es abscheulich tief unter ihrer Würde, eine Rolle in einem Schauspiele zu übernehmen. Da man aber doch nicht sein Lebenlang hysterische Zufälle haben kann, ohne sich selbst gewaltig zu inkommodiren, so mußten die ihrigen auch ihre Lucida Intervalla haben. In einem solchen Zwischenraume, da andre Ursachen es foderten, daß sie schlechterdings gesund seyn mußte, drang ihr der Edelmann die Rolle der Lise, im Bauer mit der Erbschaft, auf. Dieß war sein rechtes Leibstück, und er beschloß, selbst den Jürgen zu machen. Alles gieng auch recht gut, bis man an die zwote Scene kam, wo Jürgen seine Frau unterrichten will, wie sie sich nun, da sie vornehme Leute geworden, aufzuführen habe.[167] Hier will Jürgen seine Liese in der Galanterie unterweisen, setzt den Fall, er wäre nicht ihr Mann, sondern ihr Liebhaber, und fragt, wie sie sich bey einer Liebeserklärung nehmen würde? sagt ihr nach seiner Art Douceurs, fällt auf die Knie, und fragt: wat wullt du woll darop seggen?

Lise. Wat ick darop seggen will? Jürren? Ih! wiß un warhaftig, jüh! erst stöt ick die vör de Panß.

Sie begleitete diese Worte mit einer so heftigen Aktion, daß Seine Hochwohlgebohrne Gnaden beynahe rücklings übergeschlagen wären. Als er wieder zu Athem kam, und die ersten Schmerzen überwunden waren, da hätte man die Wuth des Edelmanns sehen sollen, die durch das laute Gelächter der Dame noch vermehret wurde. Sie unter den Arm gleich einem Bündelchen nehmen, zum Viehhause hinaus fliegen, und die Frau Schloßpoetinn kopflangs in die Pferdeschwemme stürzen, das war geschehen, ehe man eine Prise Toback nimmt. Man hatte Mühe, sie zu retten, denn der tobende Junker wollte sie durchaus ersäufet wissen. Und als man sie dennoch heraus zog, bestand er lange darauf, sie sollte lebenslang im Hundeloche sitzen, und den niedlichen Justitiarius wollte er schlechterdings mit Schimpf und Schande aus dem Schlosse karbatschen lassen. Die vereinigten Fürbitten des gesammten Hofes, selbst die dringenden Vorstellungen des Herrn Premierministers wären beynahe zu schwach gewesen, diese strenge Sentenz zu mildern. Der Staatsminister und Generalintendant über die Taschendruckerey Herr Peter Fix, hatte noch den gesunden Einfall, Seiner Gnaden vorzustellen, es würde ein großes Aufsehen in der Welt machen, wenn in allen Avisen stände, Seine Gnaden hätten einen solchen Vorfall selbst und in der ersten Hitze entschieden, ohne Ihr geheimes Kunseihl zu Rathe zu ziehen.

Das machte Eindruck. Die Sache ward dem[168] Konseil übertragen, und dahin entschieden, daß die Frau Schloßpoetinn in einem Kleide von Sackleinwand mit fliegenden Haaren, barhaupt und barfuß, im großen Konseil erscheinen, beym Eintritt, mitten im Saal, und drey Schritt vom Sitze Seiner Gnaden, also in allen dreymal auf ihre ruchlosen Knie fallen, das letzte mal liegen bleiben, und in Ausdrücken, die das Konseihl vorher schriftlich eingereicht haben wollte, ihr Verbrechen bekennen, die Gnade Seiner Hochwohlgebohrnen anflehen ...

»Halt da! Blix noch mal, Halt da! rief der Junker, als man ihm den Schluß des Konseils bis hieher vorlas. Streicht das all man aus. Soll mir nicht vors Gesicht kommen, das Thier! Soll mir aus'm Hause! und damit aus.«

Dabey blieb es denn. Der poetische Staatsminister verlohr Tisch und Wohnung auf dem Schlosse, und mußte sein Quartier im Dorfe suchen. Doch durfte er seine Stelle als Chef von der Leibgarde nicht niederlegen. Ueber diesen Zufall wurden die theatralischen Repräsentationen eingestellet.

Quelle:
Johann Gottfried Müller: Siegfried von Lindenberg. Hamburg 1779, S. 164-169.
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Siegfried von Lindenberg. Komischer Roman