Die Bürgschaft.
Parodie nach Schiller39.

[237] Zum Chemiker N**, den Hofrath, schlich

W**, ein Glas im Gewande;

Der Laborant schlug ihn in Bande.

»Was willst Du mit dem Glase, sprich!

Entgegnet der Laborant fürchterlich.

»Mein Herrn von dem Goldsalz befrei'n!«

»Das sollst du mir wacker bereuen.«
[237]

»Ich bin«, spricht W**, zu sterben bereit,

Und bitte nicht um mein Leben;

Doch willst Du Gnade mir geben,

Ich bitte dich um drei Tage Zeit,

Bis sich der Schwefel vom Spießglas scheid't;

Mein Freund Doktor M** wird bürgen,

Ihn magst du weg'n meiner erwürgen.«


Da grinst der Hofrath mit arger List

Und spricht nach kurzem Bedenken:

»Den möcht i net, dürfest mir'n schenken;

Doch weil i eben Stickgas bereit,

So send' ihn, hör' aber meinen Eid:

Kehrst du nicht, dein Wort ist gebrochen,

So soll er in Scheidwasser kochen.«


Und er kommt zum Doktor: »Der Hofrath gebeut,

Daß in der Retorte mein Leben

Ich ende für's frevelnde Streben,

Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit,

Bis sich der Schwefel vom Spießglas scheid't;

So bleib' du demselben zum Pfande,

Bis ich komme zu lösen die Bande.«


Und schweigend umarmt ihn der treue Freund

Und eilt in die chemischen Hallen:

»Gern, Freund! thu' ich dir den Gefallen.«

Und eh' die Sonne zum drittenmal brennt,

War er mit der Analyse zu End',

Eilt fort mit sorgender Seele,

Damit er die Frist nicht verfehle.


Da kommt mit hastigem Schritte auf ihn

Herr P**40 winkt mit dem Stocke

Und packt ihn beim dunkelgrau'n Rocke.[238]

Und reißt in den Laden den sträubenden Freund;

Sein Vorsatz war gut und redlich gemeint,

Zu zeigen die Wurzeln und Samen,

Die eben aus Engeland kamen.


Und Schubladen auf und Schubladen zu,

Wie weit er auch spähet und meinet,

Ob nicht bald die Letzte erscheinet:

Doch da ist kein' Hoffnung bis finstere Nacht,

Denn als er die Kasten zu Ende gebracht,

Da kam erst noch – Teufel und Hölle –

Die Reih' ätherischer Oele.


Und rastlos irrt er im Laden herum,

Kaut Dattelkern zwischen den Zähnen,

Doch wollt' er der Sach' nicht erwähnen;

Doch da ist kein Ende, denn wie der Mann

Die Oele gezeigt, so reißt er alsdann

Mit Höflichkeit, ohne zu rasten,

Herrn W** hinauf auf den Kasten.


Ja! ja!41 spricht W** in Zorn und Wuth,

Herr P**, alles zum Loben,

Ich bin überzeugt durch Proben;

Doch jetzt muß ich eilen, s' Collegium

Ruft, werde die Ehre bald wiederum

Mir geben, vielleicht morgen frühe,

Ich danke für Arbeit und Mühe!


Und gewinnt die Straße und eilet fort,

Und danket dem rettenden Gotte;

Da stürzt eine schändliche Rotte

Von Kräuterweibern, die schreien all':

»Zahl Er die gelieferten Kräuter einmal;«

Und wollten den Weg ihm verstopfen,

Ihn schimpfend ein'n elenden Tropfen.
[239]

»Was wollt ihr!« ruft er vor Schrecken bleich

Und droht mit gehobenem Stocke;

»Ich habe nichts hier als den Rocke,

Der aber, sterb ich hier auf dem Platz,

Kommt in des Kaisers von China Schatz

Und wird – ach ich trenn' mich mit Rühren! –

Die fürstliche Schatzkammer zieren.«


Und ruft's, darauf rennt die Eine gleich,

Ein Tritt auf den Hintern, in Staube,

Und weitweg flieget die Haube;

Drauf packt er die andere wiederum

Und kehrt sie im Straßenkothe um;

Die Dritt' bei so wüthigen Streichen –

Sucht schimpflich ihr Heil im Entweichen.


Und die Sonne versendet glühenden Brand,

Und von der unendlichen Mühe

Ermattet, sinken die Kniee.

»Du hast mich gnädig aus Weibeshand,

Aus P**s Laden gerettet an's Land,

Und soll hier verschmachtend verderben

Und der Freund mir, der liebende, sterben!«


Doch horch! beim S***bräu lieblich klingt's

Aus G*ius42 rufendem Munde:

»Sie lechzen ja wie ein Hunde!«

Und reicht ihm die Halbe zum Fenster hinaus,

Der stürzt mit einem Zuge sie aus

Und ohne in Eile zu danken

Verläßt er des Wirthshauses Schranken.


Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün

Und malt auf den glänzenden Matten

Des W*s Nase gigantischen Schatten;[240]

Und zwei Männer sieht er die Straße zieh'n,

Will eilenden Laufes vorüber flieh'n,

Da hört er die Worte, die flotten:

»Jetzt wird er in Scheidwasser gesotten.«


Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß,

Ihn jagen der Sorge Qualen:

Schon schienen des Abendroths Strahlen,

Es stiegen düstre Wolken auf.

Da stürzt auf ihn in vollem Lauf

Ein anderer Freund mit den Worten:

»Was willst du Unglücklicher dorten?«


»Zurück! Du rettest den Freund nicht mehr,

So rette das eigne Leben!

Salpetergas schnupft er soeben;

Von Stund' zu Stund' gewartet er

Mit hoffender Seele die Wiederkehr,

Sprach endlich, dem Publikum näher:

»Da seht's itzt den Erz-Pharisäer!«


»Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht

Ein Retter willkommen erscheinen,

So will ich die Säure, wo er war,

Als Andenken drei volle Jahr'

Zum Analysir'n mich bedienen!«


Und die Sonne geht unter, da steht er schon

Vor Florens herrlichen Pforten,

Da sieht er die großen Retorten43;

Und rothe Dämpfe entsteigen dem Glas,

Ringsum husten s' vom stinkenden Gas,

Und der Freund liegt gebunden zur Erden,

Vorher verkleinert zu werden.
[241]

Da ruft er aus: »Halt Laborant, halt!

Hier bin ich, den Freund zu erlösen,

Es wär' so pressant nicht gewesen!«

Und rafft den Freund vom Boden auf.

Die Leute reißen die Mäuler auf,

Entrüstet mit wilder Geberde,

Daß aus dem Spektakel nichts werde.


Und zum Hofrath kam die Wundermähr;

Der fühlt ein menschliches Rühren

Und läßt sie auf's Zimmer citiren.

»Weil die Treue Dir so heilig war,

So erlaß ich Dir das Honorar

Und will noch zum Angedenken

Die Goldauflösung dir schenken.«

39

Herr W**, des Verfassers Freund, Cand. med., ein Mann mit wenig Geld und viel Talent, dessen vorzügliches Studium Chemie war, der sich mit Verfertigung kleiner pharmaceutischer Sammlungen zum Gebrauche der studirenden Mediziner befaßte, stand deswegen mit allen Materialisten, Kräuterweibern und Wurzelgrabern in genauen Rapport. Da er zu seinen chemischen Arbeiten vieler, oft theurer Ingredienzien, wie z.B. der Gold- und Silberauflösung benöthigte, so suchte er dieselben durch Tauschhandel etc. zu erhalten, und dieses gab Veranlassung zu vorstehendem scherzhaften Gedichte. Charakteristisch für ihn war ein eben nicht mehr gar zu junger, die Spuren mannigfaltiger chemischer Experimente an sich tragender mausgrauer Ueberrock, ein altes Familien-Erbstück, das bereits sein 25 jähriges Dienstjubiläum feierte.

40

Materialist.

41

Gewohnheitswort des W**.

42

Auch ein Materialienhändler.

43

Eine Glasgeräthschaft zum Destilliren.

Quelle:
D. C. Müller: Gedichte, Aufsätze und Lieder im Geiste Marc. Sturms. Rorschach 1853, S. 237-242.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Anonym

Li Gi - Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche

Li Gi - Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche

Die vorliegende Übersetzung gibt den wesentlichen Inhalt zweier chinesischer Sammelwerke aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert wieder, die Aufzeichnungen über die Sitten der beiden Vettern Dai De und Dai Schen. In diesen Sammlungen ist der Niederschlag der konfuzianischen Lehre in den Jahrhunderten nach des Meisters Tod enthalten.

278 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon