Fünfte Scene.

[67] Die Vorigen. Valeros tritt ein, Otto an der Hand, welcher ein Licht hält.


HUGO der furchtsam sich nach der Thür gewendet, und einige Schritte dahin gethan, prallt entsetzt zurück.

Sein Geist!

VALEROS bleibt bestürzt stehen.

Wie? –


Zu Otto.


Du irrst im Zimmer, Kleiner,

Ist das –?

ELVIRE ihn in's Auge fassend.

Don Valeros!

HUGO.

Wer?

ELVIRE.

Karlos Vater!

VALEROS.

Ihr erkennt mich?[68]

ELVIRE.

Ja, ihr seid's! Verzeiht – Ihr findet –

VALEROS.

Mir verzeihet, und dem Knaben,

Der nicht mehr zu halten war,

Als ich einmal mich entdeckt.

Wenn ich, ungemeldet kommend,

Wie ein Geist euch hab' erschreckt,

Biet' ich euch die Hand, zum Bürgen,

Daß ich lebe.


Elvire küßt seine Hand mit Innigkeit. Er umarmt sie gerührt.


Tochter!


Zu Hugo.


Ihr

Seht mich heut' zum ersten Male.

Daß mir's zukommt, eure Dame

»Tochter« zu begrüßen, mag

Sie, und dieser Brief bewähren,

Des Gesandten Hand und Siegel.

HUGO der den Brief nahm, ohne das Auge von Valeros Gesicht wegzuwenden.

O, fürwahr, ihr braucht der Zeugen[69]

Nicht – die Aehnlichkeit mit Karlos

VALEROS weich.

Sie ist alles – alles, was

Mir geblieben ist vom Sohne!


Nach einer Pause.


Ihr, Herr Graf, ihr seid der Erbe

Seiner beiden schönsten Güter:

Seiner Wittwe Gatte, seines

Sohnes Vater! Beider Liebe

Ist eu'r Eigenthum geworden.

Ich – hab' niemand. – – Mögt ihr's tadeln,

Daß der Arme mit dem Reichen

Solches Erbe kommt zu theilen?

HUGO giebt ihm die Hand.

Seid willkommen, Ritter!

ELVIRE.

Euch

Konnten wir uns nicht vermuthen.

HUGO.

Wenn mir recht ist, war't ihr ja

In Westindien Gouverneur?[70]

VALEROS.

Vor neun Jahren zog ich hin,

Mir das goldne Vließ zu holen,

Das den Spanier ewig lockt.

Ich errang's; doch minder glücklich

Als der Argonauten Führer,

Der ein Weib fand über Meer,

Hab' ich meines dort begraben.

Glücklich, einen Sohn zu haben,

Der, geehrt im Mutterland,

Trost und Ruh mir konnte geben,

Ward die Bitte fortgesandt,

Mich des Amts zu überheben.

Die Gewährung kam; dabei

Lag die Nachricht, Karlos sei –


Sehr weich.


Eingegangen in das Leben.


Nach einer Pause der Erholung.


Günstig linde Lüfte dehnten

Weit des Schiffes Flügel aus,

Und das leicht bewegte Haus

Trug die Pilger, die sich sehnten[71]

Nach der Heimath, fröhlich fort.

»Land!« erscholl's; an straffen Tauen

Klimmten sie empor vom Bord,

Spaniens Küste zu beschauen,

Die im sonnenhellen Tag

Auf der See wie Nebel lag. –

Wehmuth nicht; ein seltsam Grauen

Faßte mich, als ich den blauen

Nebel sich gestalten sah.

Bilder, dunkel und doch nah,

Hingen drohend um mich her.

Bang und schwer

Trat ich auf der Heimath Boden.

Weinen wollt' ich um den Todten;

Aber keine Thräne rollte,

Und, wie vor mir selbst entsetzt,

Stand ich vor Tortosa's Thoren.

Nicht, als hätt' ich ihn verloren

Nein, mir war, als ob ich jetzt,

Jetzt erst ihn verlieren sollte.


Hugo wankt und hält sich an einem Stuhl.


Fehlt euch etwas, Graf? Ihr seid[72]

Blaß!

HUGO sich erholend.

Ein Schwindel. – Uebelkeit

Von der Anstrengung der Jagd.

ELVIRE bestürzt.

Lieber Hugo!

HUGO.

Wie gesagt,

Nichts. – Nichts, was euch dürfte stören;

Sprecht nur fort, und laßt mich hören!

's ist vorüber.

VALEROS.

Nein, fürwahr!

Wenn ihr krank seid, möcht' ich euch,

Was zurück ist, nicht erzählen

ELVIRE.

Soll uns dunkles Ahnen quälen?

Redet!

VALEROS zu ihr tretend.

Saht ihr Karlos Leich'

Auf der Bahre?[73]

ELVIRE.

Nein; ich war

Außer Stand –

VALEROS.

Im Sarge?

ELVIRE.

Nein.

OTTO.

Ich – ich habe sie gesehn!

Schwarz behangen war der Saal,

Aber hell vom Kerzenschein,

Und im Bette, lang und schmal,

Lag der Vater, bleich, doch schön,

Wie ein weißes Marmorbild –

Sichtbar nur bis an die Brust,

Die der Sammetmantel deckte

Mit dem Calatrava-Sterne. –


Mit Thränen in den Augen.


Viele, aus der Näh' und Ferne,

Kamen, weinten sehr und küßten

Ihm des Mantels goldnen Saum:

Denn den Sammet aufzuheben,[74]

Und die Hände zu berühren,

War verboten, weil man ihn

Köstlich balsamiret hatte.

VALEROS.

Oh! hätt' ich ihn nie gesehen

In dem lang' verschloss'nen Sarg,

Der das Grausende verbarg!

Ist es – ist es nicht geschehen –?

Einerlei! Für mich ist's da,

Was mein inn'res Auge sah,

Als der Deckel ward gehoben,

Und der Mantel weggezogen!

ELVIRE geängstiget.

Was? – ich bitt' euch, Vater, was?

VALEROS seine Kraft zusammennehmend zu der Schilderung.

Eine Hand auf seiner Wunde,

Und den rechten Arm gespannt,

Niederwärts, die Faust geballt,

Und der Augen hohe Bogen

Wie im Zorn herabgezogen,

Schien der stumme Mund zu sagen:[75]

»Räche mich! ich bin – erschlagen!«

ELVIRE.

Jesus Christus! – Wenn das wäre!

HUGO bleich, mit wankenden Knieen, am Stuhl sich haltend, und mit starren Blicken.

Ja, das wär' entsetzlich!

OTTO zu Valeros.

Höre,

Schweig davon! Herr Hugo ist

Krank jetzt –

HUGO mit Anstrengung, rasch.

Schweig du selbst! – du bist

Kindisch! – Weiter, weiter nur!

Eure Ahnung – keine Spur –?

VALEROS.

Wie er da im Sarge lag,

Fand man ihn im Walde. – So,

(Das bezeugten seine Diener,

Die mich in die Gruft geleitet.)

So die Hand, den Arm, die Miene –

Nirgends weiter eine Wunde,[76]

Als der Kugel Weg durch's Herz!

Und die Hand wie angewachsen

Auf der Wunde, und die Faust

Nicht zu öffnen, und der Arm

Nicht zu beugen an der Leiche!

Vor mir, in mir ging es auf,

Wie ein Nordlicht, das den Wald

Blutigroth und matt beleuchtet.

Nicht ein Argwohn war's; ein Schauen

Und ein Drängen nach der Gegend,

Die des Nordlichts Graus gebiert.

So durch Frankreich zog's mit mir,

Und durch Deutschland, über'n Belt,

Bis zu euren Eisgebirgen.

Rachsucht nicht – nicht die Begier

Seinen Mörder zu erwürgen,

Ist es, was mich durch die Welt

Drängt und zieht. – Ich such' ihn nicht;

Nein, es graut mir, ihn zu finden,

Und doch lechzt mein Geist nach Licht,

Wie das Aug' des halb nur Blinden.

Zweifelnd, ob ich vor ihm fliehe,[77]

Oder ihm entgegen ziehe,

Steht sein nie geseh'nes Bild

Wechselnd vor mir, mild und wild,

Und –


Zu Hugo tretend.


erklärt mir, Oerindur,

Diesen Zwiespalt der Natur! –

Bald möcht' ich in Blut sein Leben

Schwinden sehn, bald –


Sanft, fast weich.


ihm vergeben.

HUGO kaum noch der Sprache mächtig.

Mir wird schlimmer – ich –


Er wankt nach der Thür.


VALEROS zu Otto.

Mein Kind,

Nimm ein Licht, ihn zu geleiten.


Es geschieht. Elvire, starr vor sich hin sehend, scheint nichts zu bemerken. Hugo geht bis nahe an die Thür; als Otto mit dem Licht neben ihm ist, stürzt er ohnmächtig zu Boden.


OTTO schreiend.

Ah!

VALEROS.

Mein Gott![78]

ELVIRE erwachend aus der Erstarrung.

Was ist –?

OTTO.

Der Graf!

ELVIRE zu ihm stürzend.

Jesus!

OTTO nach der Thür rufend.

Hülfe! Hülfe! Hülfe!


Ende des zweiten Akts.


Quelle:
Adolph Müllner: Dramatische Werke. Band 2, Braunschweig 1828, S. 67-79.
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