Vorerinnerung zur zweiten Auflage.

[8] Der französische Akademiker, Herr Vanderbourg, welcher im Journal des savans, Octobre 1817. p. 626., über diesen meinen Versuch gesprochen hat, billigt zwar mehr als ich selbst den Inhalt der fünften Scene des dritten Aktes zwischen Yngurd und Irma; aber er tadelt ihren Ort durch den Beisatz: si elle ne venoit se placer au milieu d'une bataille – au moment le plus décisif. Einen ähnlichen Einwand hat mir mein verehrter Freund Böttiger gemacht. Ich kann ihn an sich nicht für gegründet halten; muß aber glauben, daß ich aller Bemühungen ungeachtet nicht deutlich genug in der Exposition des fraglichen Momentes gewesen bin. Es giebt in dem Augenblicke, wo Yngurd auf der Bühne erscheint, um die Ausreißer vom Reichsvolk[9] aufzuhalten, keine Schlacht mehr. Der König hat sie bereits verloren, er ist im Rückzug vor einem Feind, dessen Ueberlegenheit an Zahl er klar erkannt hat, und seine Hoffnung ist jetzt, am Abend des sieglosen Tages, einzig noch darauf beschränkt, mit dem Kern seiner Schaaren sich in dem natürlich-festen Felsenpasse zu behaupten. In dieser Stellung, die er bereits genommen hat, will er den Angriff erwarten, der nicht erfolgen kann, so lange noch Graf Egrösund, dem er eben Verstärkung durch Nös gesandt hat, gegen die nachdringenden Völker Brunhildens kämpft. Mithin ist in seiner Lage nichts, was ihn abhalten könnte, dicht hinter seinem Heer der Königin Gehör zu geben, die ihm unerwartet nachgefolgt ist, und von welcher er Wichtiges zu hören erwarten muß.

Dieser Zustand der Dinge schien mir um so unverkennbarer angedeutet, da Yngurd selbst gegen Marduff erklärt, daß er gegen den unzählbaren Schwarm des Feindes mit seinem Heer das Feld nicht halten könne. Er ist darauf gefaßt,[10] sogar den Hauptort des Reichs für jetzt in die Hände der Dänen fallen zu sehen, und drückt die Hoffnung eines geschickten Feldherrn, den Feind durch einen klugen Rückzug nach und nach zu überwinden, in den Worten aus:


Norweg ist lang, ich will ihn schon ermüden,

Und eh' er's denkt, ist Auslo wieder mein.


Um inzwischen jede Dunkelheit zu heben, die noch vorhanden seyn könne, hab' ich die Stelle benutzt, wo Yngurd den Erichson zu seinen Schaaren sendet. Ich hab' ihm hier die Worte in den Mund gelegt:


Weis't sie zur Geduld,

Bald zahlt der Sieg dem Muthe seine Schuld,

Ermüden nur die Heldin von der Spindel

Soll vorn im Feld der Flachs von Reichsgesindel.

Spinnt sie ihn fleißig auf vor Nacht, wohlan,

So mag sie diesem Steingethürme nahn!

Im Felsenthor von Norweg auf das Beste[11]

Empfangen wir die ungeladnen Gäste.

Bewacht des Feindes Thun u.s.w.


Die übrigen Einwendungen des ausländischen Kunstrichters hab' ich nicht berücksichtigen können, weil sie auf den Lehren einer Schule ruhen, welche dem Geschmack meiner Nation fremd ist. Ich ehre die Regeln derselben. Herr Vanderbourg gesteht mir zu, daß ich in meinem früheren Versuche, die Schuld, mich ihnen nach Möglichkeit angenähert habe. Wenn es hier weniger geschah; so liegt der Grund im Stoff, welcher die größere Freiheit der englischen Bühne in Anspruch nahm. Uebrigens hab' ich seinen Tadel mit Vergnügen gelesen. Ein zusammenhängendes System von Regeln der tragischen Kunst, wenn auch nicht das meinige, ist dessen Basis. Wie viel angenehmer liest sich das, als solch' eine gequirlte Aesthetik, solch' eine zerfahrne Suppe kunstphilosophischer Halbbegiffe sich genießt, wie sie in der Leipziger Literatur Leitung bei Gelegenheit des Yngurd der Herr Professor Clodius[12] angerichtet hat. Es ist in solchen Fällen nicht der Tadel, welcher mir wehthut, sondern das Lob: denn jener schadet im unglücklichsten Falle nur mir; dieses hingegen der Kunst.

Weißenfels, im December 1818.


Müllner.

Quelle:
Adolph Müllner: Dramatische Werke. Band 3, Braunschweig 1828, S. 8-13.
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