Alverde an die Prinzeßinnen.

1208.

[221] Ich soll euch erzählen, wie Alix starb? Himmel! werde ich das können? Jahre könnten wohl hingehen, ehe meine Stimme fest, von Thränen ungehemmt genug seyn würde, um, wenn ich von diesen Dingen rede, euch verständlich zu werden!

Nein, der Feder sey überlassen, was der Mund nicht auszusprechen vermag; da kann die müde Hand doch so oft ausruhen, das Auge sich so oft satt weinen als es will, ohne daß euch die Erzählerin lästig oder langweilig würde. Doch langweilig genug werde ich euch auch mit meinem Schreiben werden, nicht durch Zahl der Worte; wenig Züge werden im Stande seyn, euch die Trauergeschichte zu schildern; nein, durch Länge der Zeit, die ich zu dieser sauren Arbeit brauchen werde. Ich spare sie für die düstern Stunden der Nacht auf, die ich doch ohnedem schlaflos verweine, der Tag sey euch geweiht, ob vielleicht die lebenden Freundinnen mich wieder mit der Welt aussöhnen möchten, die mich der Tod meiner Alix hassen lehrte, und in der ich doch leben muß.[221]

Unter allem, was mich beym Gedanken an ihr Scheiden martert, ist die Vorstellung, ob wohl ich oder jemand von den Meinen ihren Tod beschleunigte, die fürchterlichste Quälerin. Tröstet mich, meine Freundinnen, tröstet mich nur über diesen einigen Punkt, und ich will der himmlischen Seele mit Lächeln in jene bessern Welten nach sehen, die ihr schneller Flug nun schon erreicht hat.

Alf von Dülmen, er, den ihr als meinen Bruder kennt, liebte die Gräfin von Toulouse; Fluch über den, welcher seine Wahl auf die schon Verlobte lenkte! – Alf von Dülmen hatte hohen Sinn, nichts schien seinen Wünschen unerreichbar, er würde seine Augen zu Kaiser Philipps Töchtern erhoben haben, hätte man ihre Reize gebraucht, ihn zu verlocken, aber die frevelhafte Hand nach dem Eigenthum eines andern auszustrecken, dazu dachte er zu edel, er würde den ersten Gedanken an Alix getödtet haben, hätte man ihm gesagt, daß sie nicht mehr frey, daß sie versprochene Königin von Kastilien sey. Sein falscher Freund, jener Peter von Kalatin, der, ich weiß nicht welchen Vortheil in seinem Untergang suchen mußte, verschwieg ihm dieses, fachte die enstehende Leidenschaft durch teuflische Kunst zur Flamme an, brauchte sie zum Mittel, meinen Bruder und[222] mich aus dem Schooß der Ruhe und Sicherheit zu reißen, und uns in die quaalvollsten Verhältnisse zu setzen. Als der unglückliche Adolf erfuhr, Alix sey nicht für ihn gebohren, frühere Bande fesselten sie an einen andern, da war es schon zu spät, Gefühle auszurotten, welche bereits zu tief im Herzen gewurzelt hatten, und Schritte zurückzunehmen, die ihn an den Rand des Verderbens brachten. Seine Leidenschaft kennte weder Einschränkung noch Behutsamkeit mehr; was er für Alix fühlte, was er ihrentwegen zu unternehmen fähig war, mußte bald der ganzen Welt in die Augen fallen; nur ihr, der unschuldsvollen Seele, blieb es verborgen, sie hielt ihre Reize nie für mächtig genug, eine Leidenschaft, wie die seinige, zu erregen, sie war zu bescheiden, so etwas nur zu denken, zu fromm, es zu wünschen, sie kümmerte sich wenig um irdische Liebe, da ihr Sinn mit himmlischen Dingen erfüllt war; es dauerte lang, ehe der Unglückliche, von welchem ich spreche, nur ihre Aufmerksamkeit erregte, und als endlich ihr Auge sich auf ihn heftete, so fühlte sie, bey sehr richtiger Beurtheilung seiner Vorzüge, nichts für ihn als Mitleid; ein Mitleid, welches doch die wahre Ursach, warum er zu beklagen war, weit verfehlte.[223]

Ihr war es unbekannt, daß ich seine Schwester sey, sie hielt mich für den Gegenstand seiner Wünsche; sie sprach oft mit mir zu seinem Besten; mich für ihn einzunehmen, lobte sie ihn oft in Gegenwart verdächtiger Personen, und als endlich seine rasenden Versuche auf sie, die nur sie nicht kannte, ihn um die Freyheit und in Lebensgefahr brachten, da verwendete sie sich mit solchem Eifer für ihn, daß sie jedem Verdacht, den man auf sie hatte, oder zu haben affektirte, volle Nahrung gab. Meine Warnungen, sich zu mäßigen, fruchteten nichts, ich hätte ihr die ganze Sache entdecken müssen, wenn ich ihr hätte die Augen öffnen wollen, und wie konnte ich das, ohne die Pflichten der schwesterlichen Liebe und der Klugheit zu beleidigen?

Es fragt sich, ob mein Betragen verantwortlich war? ich hielt es damals für das einige rechtmäßige, obgleich jetzt tausend Gewissensbisse mich foltern, und die Reue mir tausend andere Wege zeigt, welche ich hätte gehen sollen.

Man haßte die Gräfin von Toulouse schon längst, und beneidete ihr den kastilischen Thron. – Himmel, wars möglich, daß man einen Engel hassen, daß man der Tugend eine Stelle beneiden konnte, die sie mit so vieler Würde[224] erfüllt haben würde? – Doch nichts ist der Bosheit zu viel! – Immer bedacht, irgend etwas ausfindig zu machen, das man an der selbstständigen Vollkommenheit tadeln könne, gerieth man auf die Spur ihrer Meinungen in Religionssachen; ich schweige hiervon; was ich sagen könnte, möchte partheiisch ausfallen, da ich bekenne, von ihr auf den Weg geleitet worden zu seyn, den sie selbst ging.

Ihre Anhänglichkeit an die Lehren des Waldus mußte, wie man glaubte, sie schnell von dem Throne verdrängen, den man ihr misgönnte, nur wünschte man, sprechende Beweise von ihren Gesinnungen zu haben. Eine Unvorsichtigkeit meines Bruders bot hierzu die Hand, einige im Namen des Grafen von Toulouse der unglücklichen Dame auf unbehutsame Art überreichte Bücher veranlaßten eine strenge Untersuchung, man fand in ihrem Kabinet wenigstens etwas von dem, was man finden wollte, und eilte, es zu ihrem Nachtheil nach Kastilien zu schicken; König Alphons, der für seine künftige Tochter fast noch mehr eingenommen war, als ihr bestimmter Bräutigam, schrieb dem Bischof von Kastilien nach Pamiers zurück: er wolle die fromme Alix über diese Dinge selbst hören, sie trügen den Stempel der Wahrheit,[225] und er sey zu gewohnt, die himmlische Wahrheit überall zu verehren, wo er sie fänd, als daß er ihre schöne Anhängerinn ungehört verdammen sollte.

Dies war zu viel für den altgläubigen Bischof von Kastilien, welcher eben neue Verhaltungsbefehle zu Verfolgung und Ausrottung jeder Ketzerey, wo er sie nur immer finden möchte, von Rom erhalten hatte. Hier war nach seinen Gedanken Gefahr für den Glauben seines Herrn, Gefahr für das ganze Königreich vorhanden. Die, welche die Fackel der Wahrheit in entfernte Gegenden hätte tragen können, mußte aus dem Wage geräumt werden, und es kam hier nur darauf an, wie man die Unschuldige von einer andern Seite verdächtig machen, oder glückte dieses nicht, sie ohne weitere Rücksprache verderben wollte.

Die Rasereyen meines unglücklichen Bruders gaben Anlaß genug zu dem, was man wünschte; man nahm die unschuldige Gräfinn als Theilhaberinn seiner Leidenschaft an, weil man diese zu verborgenen Absichten tauglich fand; es zeigte sich in ihrem Betragen, wie ich vorhin erwehnte, unterschiedliches, welches das, was man für erwiesen annehmen wollte, begünstigte, man griff begierig zu, und ich glaube,[226] von diesem Augenblicke an war ihr der Tod geschworen.

Mich hatte man von ihr verbannt, um sie desto gewisser zu fällen; was hätte sonst die Ursach meiner Entfernung seyn sollen, da man vor Augen sah, daß ich keinen Antheil an den Dingen hatte, welche man zur Ursach meiner Entlassung machte, daß ich Alf von Dülmens Anschlägen entgegen gearbeitet hatte, anstatt sie zu befördern? Daß Alix vielleicht längst in seine Hände gerathen wär, wenn ich nicht gesteuert hätte. – Ach Gott! daß ich dieses that, ist jetzt die heftigste Pein meines Gewissens. Hätte Alf sie doch entführen mögen, so wär sie nun aus den Händen ihrer grausamen Henker gerettet, lebte in den Armen ihres Bruders, des Grafen von Toulouse, (denn dorthin und an keinen andern Ort würde ihr Entführer sie gebracht haben,) in Ruhe, und ich müßte nicht nur glauben, daß ich in dem Augenblicke, da ich der Tugend ein Opfer zu bringen glaubte, die Unschuld eines Rettungsmittels beraubte, das ihr vielleicht vom Himmel zugesandt worden war. – O meine Freundinnen, meine Gedanken verwirren sich, wenn ich hierüber nachsinne, doch wird zuweilen die tröstende Ueberzeugung in mir lebendig, daß ich nach meiner besten[227] Kenntniß von Recht und Unrecht handelte, und also nicht straffällig seyn kann.

Ich hatte auf die Bitte meiner unglücklichen Freundinn bey meiner Entlassung Pamiers nicht gänzlich verlassen, sondern mich zu den Cölestinernonnen begeben, in deren Kirche Alix oft ihre Andacht hatte, dies ward das Mittel, mir öfters Briefe und zweimal eine geheime Unterredung mit ihr zu verschaffen. Das letztemal, da ich sie sah, – Himmel, es war den Tag vor ihrem Tode! – Prinzessinnen, ich muß die Feder niederlegen, muß Luft schöpfen, ehe ich fortfahre; die Erinnerung an die letzte Unterhaltung mit ihr drückt mich zu Boden.


Es war am heiligen Osterabend; die Nonnen waren nach geendigter Vesperandacht mit Ausschmückung ihrer Kirche beschäftigt, ich hatte die betende Alix in einem mir in ihrem letzten Briefe kenntlich gemachten Schleyer gehüllt längst in einem Stuhle knien gesehen; das unter uns verabredete Zeichen zur geheimen Unterredung war das Läuten der Abendglocke, ich erhub mich von meiner Stelle, und sah von weitem auch Alix sich erheben, ich ging durch[228] eine kleine nur wenigen bekannte Pforte in einen verfallenen Kreuzgang, und von da auf den sonst von allen Seiten verschlossenen Begräbnißplatz der Nonnen; eine weite grünende Wiese, mit den ersten Blumen des Frühlings geschmückt, rund um von säußelnden Lindenbäumen umgeben, und nur durch die weißen Kreuze, die sich über den Gräbern erhuben, als das ausgezeichnet, was sie wirklich war, als einen Todenacker.

Ich hatte von Zeit zu Zeit zurück geblickt, und Alix mir folgen gesehen, mein Wink hatte sie in dem sinkenden Gemäuer, durch welches wir paßiren mußten, fleißig vor den Stellen gewarnt, welche am meisten den Einsturz drohten; – wahrhaftig niemand hätte sich auf diesen gefahrvollen Weg wagen können, als ein paar Liebende, oder ein paar Freundinnen, die so wie wir von Feinden belauscht, sich einige frohe Augenblicke abstehlen wollten. Ach es war das letzte mal, daß wir uns sehen sollten! das letzte Lebewohl, dem wir mit Lebensgefahr entgegen eilten!

Schon stand ich unter den Linden, meine Freundinn zu erwarten, die jetzt auch die morschen Stufen, welche aus dem Gewölbe herabgingen, zurückgelegt hatte, und sich in meine Arme stürzte; wir setzten uns auf das nächste[229] Grab, das einer der dichtesten Bäume in seinem Schatten barg, ich drückte Alix an mein Herz, und setzte sie über die ungewöhnliche Blässe, die ich jetzt erst auf ihren Wangen wahrnahm, zur Rede.

Sie lächelte. Wünsche mir Glück, sagte sie, das, was dich erschreckt, verkündigt mir baldige Freiheit.

Freiheit, Alix? ist eine königliche Braut eine Gefangene? Du wirst doch die Kleinigkeit, daß wir uns verstohlen sehen müssen, dich nicht bewegen lassen, deinem Zustande einen so verhaßten Namen zu geben.

Alverde, du bist nicht aufrichtig! niemand kann wohl meinen Zustand richtiger beurtheilen, wie du; was quälst du dich, mir ihn unter gefälligen Farben vorzustellen. Mich dünkt – (dies sagte sie leise ihren Mund dicht zu meinem Ohr geneigt, als fürchte sie, belauscht zu werden) mich dünkt, ich bin in bösen Händen, und daß ich dir es kurz sage, ich glaube, man hat mich vergiftet.

Vergiftet, Alix? du tödest mich!

Erschrick nicht! – ich kann mich ja irren! doch höre meine Beweise: Ich bemerkte schon seit einiger Zeit an meinem Morgentrunk einen seltsamen Geschmack, über den ich mir aber vielleicht keine Gedanken gemacht haben würde,[230] wären meine Empfindungen nach dem Genuß desselben nicht allemal so sonderbar gewesen; eine befremdende, zwar nicht unliebliche Mattigkeit, eine übertriebene Neigung zum Schlaf, aus dem ich mich doch eben erst erhoben hatte, war diese überwunden, ein konvulsivisches Zittern über den ganzen Körper, und eine fliegende Hitze, die sich oft mit dem stärksten Fieberfrost endigte, dies waren die Zufälle, welche ich so oft bemerkte, als ich getrunken hatte; unterließ ich dieses, so blieb ich frey. Du wirst errathen, daß ich nun nicht mehr trank, sondern bey der gänzlichen Verdachtlosigkeit, man könne Absichten wider mein Leben haben, mich über den bemerkten fremden Geschmack und die darauf erfolgten Empfindungen beklagte; man stellte sich besorgt um mich, man sprach von Symptomen einer annahenden Krankheit, man brachte mir Arzney. Ich kostete, und bemerkte den nehmlichen widerlichen Reiz auf der Zunge, der mir mein Morgengetränk zuwider gemacht hatte. Hier erhob sich der erste Argwohn in meiner Seele, welcher dadurch vermehrt wurde, daß man mir eben Botschaft brachte, wie mein kleiner Hund, der von allem etwas zu bekommen pflegte, was ich genoß, und der diesen Morgen das Getränk, das ich hinweg setzen ließ weil es mir[231] nicht schmeckte, ganz ausgeschlürft hatte, gestorben sey.

Mich überfiel ein Zittern über den ganzen Körper bey den Gedanken, die sich auf einmal in meiner Seele erhuben, ich sah die Person, welche mir die Arzney reichte, bleich werden, und gleichfalls zittern. Man drang nicht in mich, das Dargereichte zu nehmen, auch habe ich jenen verdächtigen Geschmack seit dem weder an Speisen noch Getränken bemerkt; aber ich muß glauben, ich habe bereits in den zwey-oder dreymalen, da ich noch verdachtlos hinnahm, was man mir gab, ohne mich durch Geschmack und Empfindungen irren zu lassen, genug bekommen, um den Tod oder ein sieches Leben besorgen zu müssen. Siehe selbst, wie bleich und abgefallen ich bin, ist das noch die blühende Alix, die du vor vierzehen Tagen auf dieser Stelle in deine Arme schlossest? – Und sprich, warum widerfuhr mir dieses? Wer gab den Befehl dazu? Was habe ich verbrochen? – O Alverde, soll ich leben denen zum Trotz, die meinen Tod wünschen? soll ich mein schmachtendes Leben in ein Land schleppen, wo man wahrscheinlich nichts weniger wünscht, als meine Ankunft? – Bedenke, wie diese Gedanken mein Herz beengen müssen, und wundre dich[232] noch, wenn ich der baldigen Befreyung, die mir der Tod bringen wird, entgegen leuchte.

In Thränen schwimmend sank ich an den Busen der Gräfinn von Toulouse, sie weinte nicht. Ein himmlisches Lächeln überströmte ihr Gesicht. Freundinn, sagte sie, indem sie mich fester umschlang, ich fühle es, daß wir uns heute zuletzt sehen, aber wie schön, wie ahndungsvoll ist unsre heutige Zusammenkunft an diesem Orte! Bedenke selbst, heute am Vorabend vor dem Feste der Auferstehung, hier unter Gräbern, welche der Frühling alle neu bekleidet, unter Gräbern welche einst alle die Schlummernden wieder heraus geben werden – –

Sie wollte weiter reden, aber ein gräßliches Gepolter hinter uns im Kreuzgange unterbrach sie, wir sprangen beyde auf und starrten einander an. – Ich besorge, sagte sie, welche sich am ersten faßte, uns ist das verdrüßlichste Abentheuer begegnet, das uns zustossen konnte! Ganz gewiß ist eins von jenen überhangenden Gewölbern, durch welche wir hieher gekommen sind, eingestürzt, und hat uns den Rückweg versperrt. Was soll ich nun beginnen? An der Pforte warten meine Leute, welche mich in der Kirche noch betend glauben, es wird Nacht, was wird man denken, wenn[233] ich nicht zurückkehre, und man nirgend mich findet?

O schrie ich, möchtest du nie in jene Hölle zurückkehren dürfen! möchtest du hier bleiben! In meinen Armen, durch meine Pflege sollte dir Gesundheit und Leben erhalten werden.

Das sind vergebliche Wünsche, sagte sie, ich muß zurück, wenn mit mir nicht auch du unglücklich werden sollst; glaube mir, ich kenne die Wuth dieser Leute besser als du, ich mag dich ihr nicht aufopfern.

Mit diesen Worten sah ich sie von mir eilen, die Stufen zum Kreuzgange hinaufsteigen, und in das Gewölbe eindringen, das von der kürzlich erlittenen Erschütterung noch zu schwanken schien. – Ich rief ihr nach, lieber alles als dieses zu wagen, sie hörte mich nicht! –

Ihr Muth erweckte den meinigen; ich konnte sie nicht verlassen, ich folgte ihren Fußtapfen, und wir traten bey halbem Dämmerlichte einen Weg an, auf welchem sich bey jedem Schritte neue Schrecknisse unsern Augen darboten; hier wadeten wir in Schutt und Steinen, dort versperrten die herabgestürzten Quader uns den Weg, auf einer andern Seite hatte sich ein Grab geöfnet, und zeigte uns zerfallene Totenleichen und morsche[234] Gebeine; wir mußten hinüberschreiten, und uns bücken um unter dem zusammengesunkenen Gemäuer durch zu kommen; aber nun war auch der gefährlichste Theil unserer Reise überstanden, der Weg krümmte sich, die Gewölber wurden fester, und wir erreichten die Kirche.

Wir sahen sie mit Leuten erfüllt, welche die Prinzeßinn mit Fackeln suchten. Dies machte unsern Abschied kurz, sie umarmte mich noch einmal, und drückte mir einen Brief in die Hand. Er ist an meinen Bruder, den Grafen von Toulouse, sagte sie heimlich, du wirst ihn zu gehöriger Zeit zu bestellen wissen.

Noth bereichert auch die truglosesten Seelen mit Einfällen zu anderer Täuschung. Während ich mich in einer Nische hinter einem heiligen Bilde verbarg, sah ich die Gräfinn in einen Kirchenstuhl schlüpfen, und sich schlafend stellen. Hier ward sie gefunden, dem Anschein nach erweckt, und trat den Rückweg mit ihren Leuten an, welche ihr ihre Sorge über ihr langes Ausbleiben, und die Angst bey der vergeblichen Nachsuchung nicht genug beschreiben konnten.

Der Schlaf, sagte Alix, der mich jetzt überall beschleicht, überraschte mich auch hier; ich danke euch, das ihr mich erweckt habt, und[235] verlange, daß die Fürstinn von Kastelmoro nichts von diesem Vorgang erfahre.

Zitternd stand ich in meiner Nische. Nicht die Furcht, von denen noch im Kirchgewölbe verweilenden Klosterleuten entdeckt zu werden, machte mich beben, es war eine andere Empfindung; ich glaube, es war Vorgefühl, daß ich jetzt die geliebte Alix zum letztenmahl gesehen hatte, die sich in der Kirchthür noch einmahl umwandte, und einen Blick auf den Ort warf, wo sie mich verborgen wußte; es war der letzte Abschiedsblick, alles lag in demselben, was sich liebende Seelen so kurz vor Trennung am Grabe sagen können. –

Die Kirche war jetzt leer, ich konnte hervorgehen, aber ich fand alle Thüren verschlossen, und mußte mich entschliessen hier zu übernachten, wenn ich es nicht etwa für bequemer hielt, durch den Kreuzgang, den Weg auf dem Gottesacker noch einmal zu machen. – Um Mitternacht hörte ich das Geräusch einstürzender Gewölber noch einmahl, ich zog mich auf den Altarstufen, auf welchen ich jetzt saß, dichter zu sammen, und Gedanken von Vernichtung und Untergang erfüllten meine ganze Seele. Ach nichts schwebte mir lebhafter vor Augen, als die Vernichtung des schönsten Werks Gottes, das allmählige Hinsterben meiner Alix;[236] doch hielt ich sie noch nicht ganz rettungslos, ich machte Plane zu ihrem Besten, zu deren Ausführung ich am künftigen Morgen den ersten Schritt dadurch thun wollte, daß ich mich dem Kaplan der Nonnen, der zugleich unser Arzt war, entdeckte, ihm den Zustand der Gräfinn schilderte, ihm unsere Besorgnisse mittheilte, und seine Hülfe für sie forderte; er war ein so kluger als frommer Mann, alles ließ sich von ihm erwarten.

Unter der Metten, welche nun anging, fand ich Gelegenheit aus der Kirche zu entschlüpfen, und nach meiner Zelle zu kommen. Erstarrt und bis zum Tode von den letzten Vorgängen, und von dem Kampf im Innern meiner Seele ermattet, verhüllte ich mich in mein Bette. – Ich läutete der dienenden Nonne, die wie gewöhnlich diesesmahl vom Gottesdienst hatte zurück bleiben müssen; es ward mir leicht, Krankheit zu erdichten, und dadurch den Besuch unsers Kapellans, des Pater Cyrill, zu erlangen, da ich mich würklich krank fühlte. – Man sagte mir, ich müsse mich gedulden, weil er zu einem Krankenbesuch bey der Fürstinn von Kastelmoro gefordert worden wäre. –

Bey der Fürstinn von Kastelmoro der kastilischen Oberhofmeisterinn? wiederholt ich. –[237] Die Antwort war ja, und ich fühlte, daß sich ein geheimer Schauer meiner bemächtigte. – Ist die Fürstinn krank? fuhr ich fort zu fragen. – Nein, aber die Prinzeßinn Alix, welche ohnedem schon seit einiger Zeit kränklich war, befindet sich sehr übel, sie soll sich gestern in unserer Kirche, wo sie der Schlaf übereilt hat, so daß man sie erst nach länger als einer Stunde hat finden und erwecken können, eine Erkältung geholt haben. – Pflegt Pater Zyrill sonst Kranke ausserhalb des Klosters zu besuchen? fragte ich, indem ein schrecklicher Gedanke gegen des Mannes Redlichkeit in meiner Seele aufstieg, weil mir die vergiftete Arzney der Gräfinn einfiel. – Nie! war die Antwort, ausser in ganz ausserordentlichen Fällen, wie wohl dieser seyn mag.

In außerordentlichen Fällen? wiederholte ich, nun so sey Gott mir gnädig! – Die Nonne deutete diesen Ausruf auf meine Begierde nach der Hülfe des Arzts, und suchte mich zu beruhigen. Ich hörte nicht auf sie, und schickte ohn Unterlaß, um zu vernehmen, ob Zyrill noch nicht zurück sey.

Endlich erschien er. Mit einer Stimme, die ihn wohl bey so einer kranken Person, als ich seyn sollte, befremden mochte, fragte ich nach[238] der Gräfin von Toulouse. Ihr ist wohl! erwiederte er mit gen Himmel gehobenem Blick.

Gott sey Dank! der Schlaf im kalten Kirchgewölbe hat ihr also nicht geschadet?

Kennt ihr die Prinzessin Alix? fragte er, indem er sich umsah, ob wir allein wären.

Ob ich sie kenne? – Mehr um ihret- als um meinetwillen ließ ich euch zu mir berufen; sie bedarf eurer Hülfe!

Sie bedarf ihrer nicht mehr!

So schnell genesen, bey so bedenklichen Umständen?

Genesen auf ewig! – Sie ist bey Gott!

Eine Ohnmacht war bey mir die Folge dieser Nachricht.

Zyrill wußte nicht, wie nahe Alix meinem Herzen war, sonst würde er die Nachricht von ihrem Tode behutsamer eingekleidet haben; doch hätte wohl etwas den Eindruck, den dieselbe auf mich machte, vermindern können? Sie, die gestern noch mit leidlicher Gesundheit in meinen Armen lag, sollte nach so wenigen Stunden tod seyn? Sie war schwach, aber ihre Krankheit war ein schleichendes Uebel, sollte würklich Erkältung in der Kirche und vielleicht Schrecken und Angst über den verschütteten Rückweg nebst der heftigen Anstrengung ihr Ende beschleuniget haben?[239]

Als ich wieder zu sprechen vermochte, entdeckte ich dem Mönche meine Gedanken. Er schüttelte den Kopf. Die Prinzessin sagte er, starb weder an Schreck noch Erkältung, sie starb am Gifte!

Gott! und ihr konntet sie nicht retten?

Nicht sie zu retten, nur sie erblassen zu sehen ward ich gerufen, ihr könnt wohl aus dem, was euch von ihr bewußt zu seyn scheint, urtheilen, daß es ihren Feinden nicht darum zu thun war, daß ein geschickter Arzt ihr Werk vernichtete, ein solcher mußte nur gerufen werden, da es zu spät war; ich kam nur den letzten Blick ihrer brechenden Augen zu sehen, und dann nebst andern Aerzten, die man der Ceremonie wegen herbey gerufen hatte, das nothwendige Zeugniß von ihrem würklichen Tode abzulegen, dessen Ursach keiner unter uns, so unwissend man uns auch halten mochte, in so dichtem Schleyer man sie auch gehüllt glaubte, verkennen konnte.

Ich sah Zorn in den Augen des redlichen Mannes über die Unthat, zu deren Zeugen man ihn gemacht hatte, und ich beschwur ihn, laut wider dieselbe zu schreyen, und aller Welt kund werden zu lassen, welches Todes Alix gestorben sey.[240]

Was verlangt ihr von einem armen Mönche? sagte er. Wird meine Anklage irgend etwas in der Sache ändern? Die unschuldig Ermordete wird nicht erwachen, ihre Feinde werden sich rechtfertigen, Zyrill wird gelogen haben, und das Opfer ihrer Rache werden. Ein einiges flüchtiges Wort dieser Art, das ich gegen den Almosenier des Bischofs von Kastilien fallen ließ, zog mir eine Antwort zu, welche ich wohl nie vergessen werde, und die mich gänzlich zur Ruhe und Schweigen verweist.

Ich überließ mich dem finstersten Gram über den Tod meiner Freundin. Zyrill war und blieb mein liebster Gesellschafter, er wußte von den kaiserlichen Angelegenheiten so viel als ich, und versprach mir, (denn auch dem redlichsten Mönche ist die Gabe des Auskundschaftens gegeben), noch mehrere Beyträge.

Die Nonnen des Klosters, wo ich lebte, schickten eine Gesandtschaft an die Fürstin von Kastelmoro und den Bischof von Kastilien, mit der Nachricht, wie sich in voriger Nacht bey ihnen ein großes Anzeichen von dem Tode der Prinzessin, die ihre Heiligen so fleißig zu besuchen geruht hätte, durch Einstürzung eines Kreuzgangs ereignet habe, und erhielten sich dadurch die Ehre, daß der Leichnam der unglücklichen[241] Alix indessen in ihrem Kloster beygesetzt wurde. Ein Todesfall, meynten die Kastilier, welcher auf so anständige Art durch Zeichen vorgedeutet worden wär, müsse bey jedermann das Ansehen eines unzeitigen gewaltsamen Todes verlieren.

Allerdings mochte man befürchten, daß einiger Verdacht dieser Art unter dem Volke durch die albern herbeygerufenen Aerzte, welche nicht schwiegen, rege werden möchte; das Volk liebte Alix, und man konnte einen Auflauf besorgen; derhalben ward der Leichnam in äußerster Stille beygesetzt, und aufs strengste verboten, so lang derselbe der Gewohnheit zu folge noch über der Erde bleiben mußte, niemand seinen Anblick zu gönnen.

Ich ließ mir diese traurige Genugthuung dennoch nicht rauben. Der Pater Zyrill, welcher die Messen zu besorgen hatte, die bey dem Sarge gelesen wurden, verschaffte mir das Anschauen meiner entseelten Alix; einen Anblick, den ich nie vergessen werde. Ach dieses schöne Gesicht war von scheuslicher Geschwulst entstellt, und mit schwarzen und blauen Flecken gezeichnet! dieser herrlichgebildete Körper trug schon überall Spuren schneller Verwesung, das Merkmahl beygebrachten Giftes! und die, welche noch gestern in meinen Armen lag, konnte des andern Tages schon nicht mehr über der Erde[242] geduldet werden, wenn nicht durch todathmenden Duft auch die noch Lebenden vergiftet werden sollten.

Ich erstaunte über den plötzlichen Fortgang eines Anfangs so langsam schleichenden Uebels, aber Zyrill bewies mir, daß man aus der letzten Begebenheit im Kloster, nehmlich aus ihrem langen Außenbleiben, und einigen Umständen bey der Wiederfindung der Vermißten, Anschläge zur Flucht gemuthmaßt, und es daher für schicklich gehalten habe, durch Beybringung einer doppelten Dosis von dem schon zu verschiedenen malen gekosteten Todestrank, lieber schnell mit ihr zu enden, als sich der Entdeckung auszusetzen; da, wie es scheint, der kastilische Hof mit dieser Unthat nichts zu thun hat, und so wohl von ihm als von Toulouse bey dem geringsten Verdacht schwere Ahndung zu befürchten wär.

Pater Zyrill hat mir viel hierüber gesagt, das ich nicht entdecken darf, nur eins halte ich mich verbunden anzuzeigen, da es eine der edeln Prinzessinnen, an welche ich schreibe, unmittelbar angeht. O Elise, man denkt darauf, durch euch die Stelle eurer Freundin zu ersetzen, prüfet euch, was euer Herz dazu sagt, und nehmt darnach eure Maaßregeln, so wie ich die meinigen nahm, als ich aus dem Munde meines Vertrauten[243] erfuhr, man ahnde im Kloster die Anwesenheit einer verdächtigen Person, und ich werde wohlthun, mich zu entfernen.

Ich flohe, flohe an den Hof, wo ich schon einmal Schutz gefunden hatte, flohe in die Arme der Freundinnen, welche in Alix verlohren haben, was ich verlohr, die süsseste Gespielin, das herrlichste Tugendmuster, die Leiterin zur Wahrheit! – Ach sie war das erste Opfer unter Tausenden, die vielleicht dieser verfolgten verkannten Wahrheit geschlachtet werden möchten, wenn das erfüllt wird, wovon man mir sagt, daß es jetzt am römischen Hofe im Verborgenen reife.

Quelle:
Benedikte Naubert: Alf von Dülmen. Leipzig 1791, S. 221-244.
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