Zweiundzwanzigste Erzählung.

[180] Ein sehr frommer Prior wird in seinem Alter genußsüchtig und versucht unter dem Deckmantel der Frömmigkeit in heuchlerischer Weise eine Nonne zu verführen, wodurch sein gottloser Lebenswandel ans Tageslicht kommt.


In Paris lebte ein Prior in der Kirche Saint-Martin-des-Champs, dessen Namen ich aus Freundschaft für ihn verschweigen will. Sein Leben war bis zu seinem fünfzigsten Lebensjahre ein so strenges, daß der Ruf seiner Heiligkeit über ganz Frankreich sich[180] ausbreitete und alle großen Herren und Damen ihn ehrerbietigst aufnahmen, wenn er sie besuchte. Auch wurde in der Kirche keine Verbesserung vorgenommen, an welcher er nicht mitwirkte, und man nannte ihn allgemein nur den Vater der wahren Religion. Er wurde zum Generalvisitator der Nonnenklöster der Abtei von Fontevrault ernannt und war von den Nonnen so gefürchtet, daß, wenn er in eines ihrer Klöster kam, alle vor ihm zitterten und, um ihn etwas milde zu stimmen, ihn nicht anders behandelten, als sie es mit dem Könige gethan haben würden. Anfangs weigerte er sich dessen; am Ende aber, als er alt wurde, fand er die von ihm früher zurückgewiesene Behandlung sehr gut, und da er sich selbst für das Heil der ganzen Kir che hielt, wünschte er etwas mehr, als es bisher in seiner Gewohnheit lag, für seine Gesundheit zu thun. Und obwohl seine Regel ihm verbot, Fleisch zu essen, dispensirte er sich selbst davon (was er bislang noch nie gethan hatte), indem er sagte, daß auf ihm die ganze Last der Kirche ruhe. Er ließ sich nun nichts mehr abgehen und wurde bald aus einem dünnen ein sehr wohlgenährter Mönch. Mit dieser Veränderung seiner Lebensweise ging auch eine Veränderung seiner Anschauungen Hand in Hand, so daß er auf die Gesichter zu sehen begann, wovor er sich bisher gewissenhaft gehütet hatte. So wie er nun erst die Schönheiten sich ansah, welche der Schleier nur zu heben pflegt, begann er bald nach ihnen zu verlangen, und um diesem Verlangen zu fröhnen, verlegte er sich auf die Schlauheit und wurde anstatt eines Seelenhirten ein räuberischer Wolf, so daß er schließlich, wo er nur in den Klöstern eine etwas einfältige Nonne fand, sie verführte. Nachdem er aber diesen gottlosen Lebenswandel eine lange Zeit fortgesetzt hatte, erbarmte sich die göttliche Gnade der verirrten Lämmer und machte dieser frevelhaften Herrschaft ein Ende, wie Ihr gleich sehen werdet. Eines Tages nämlich besuchte er das Kloster Gif in der Nähe von Paris, und als er dort die Beichte der Nonnen hörte, fand er eine darunter, namens Marie Herouët, deren Stimme so lieblich und sanft erklang, daß er von ihrem Gesicht und ihrem Herzen Gleiches voraussetzte. Schon sie anzuhören, fachte in ihm eine Leidenschaft an welche alle, die er für andere Nonnen bis zu diesem Tage[181] empfunden hatte, bei Weitem übertraf. Während er mit ihr sprach, beugte er sich nieder, um sie besser betrachten zu können, und sah einen so rothen und lieblichen Mund, daß er sich nicht enthalten konnte, ihr den Schleier hoch zu heben, um zu sehen, ob auch ihre Augen mit ihrem übrigen Gesicht in Einklang ständen. Er fand seine Hoffnung nur übertroffen, worüber sein Herz so von Liebe entbrannte, daß er den Appetit und die Ruhe verlor, wie sehr er sich auch verstellte. Auch als er in seine Abtei zurückgekehrt war, konnte er seine Ruhe nicht wiederfinden, sondern verbrachte Tag und Nacht damit, auf Mittel und Wege zu sinnen, wie er sein Verlangen befriedigen und von ihr dasselbe erlangen könnte, was er von einigen anderen erlangt hatte. Er wußte wohl, daß es seine Schwierigkeit haben würde, da sie ihm in ihren Reden sehr vernünftig und sehr zurückhaltend erschienen war. Andererseits sah er, daß er selbst alt und häßlich war; deshalb beschloß er, nicht etwa von Liebe zu reden, sondern sie mit Furcht zu gewinner. Er begab sich deshalb bald wieder nach dem Kloster Gif, wo er sich strenger zeigte, als er je gewesen, und gegen alle Nonnen aufgebracht war, indem er die eine tadelte, weil ihr Schleier nicht tief genug reiche, die andere, weil sie den Kopf zu hoch trug, eine dritte, weil sie sich nicht gut verneigte. In allen diesen kleinen Sachen zeigte er sich so streng, daß man ihn wie Gott beim jüngsten Gericht fürchtete. Obwohl er an Podagra litt, mühte er sich so ab, alle Ecken des Klosters zu visitiren, daß er, als die Vesperglocke ertönte, auf die er nur gewartet hatte, im Schlafsaal war. Die Aebtissin sagte ihm: »Ehrwürdiger Vater, es ist Zeit, die Messe zu hören.« Er antwortete: »Gehet nur, ich bin zu müde, ich werde hier bleiben, auch nicht, um mich auszuruhen, sondern um mit der Schwester Maria zu reden, über die mir recht Schlechtes berichtet ist; sie soll schwatzhaft sein, wie eine weltlich gesinnte Frau.« Die Aebtissin, welche die Tante ihrer Mutter war, bat ihn, sie recht abzukanzeln, und ließ sie allein mit ihm und einem jungen Mönch, der mit dem Prior gekommen war. Als er sich nun mit Maria allein sah, nahm er ihr den Schleier vom Gesicht und befahl ihr, ihn anzusehen. Sie antwortete, daß die Regel ihr verbiete, Männer anzusehen,[182] worauf er sagte: »Gut gesagt, meine Tochter; aber wenn wir unter uns Geistlichen sind, fällt die Unterscheidung fort.« Sie fürchtete nun, ihm ungehorsam zu sein, und sah ihm ins Gesicht. Sie fand ihn so häßlich, daß es ihr mehr eine Buße als eine Sünde erschien, ihn anzusehen. Nachdem ihr der Alte viel von seiner Freundschaft für sie vorgeredet hatte, wollte er die Hand auf ihren Busen legen; er wurde aber von ihr, wie es sich ziemte, zurückgestoßen, worauf er zornig sagte: »Darf denn eine Nonne überhaupt wissen, daß sie einen Busen hat?« Sie antwortete: »Ich weiß das wohl, und jedenfalls werdet weder Ihr noch ein anderer mich berühren; ich bin nicht so jung und einfältig, um nicht zu wissen, was Sünde und was keine Sünde ist.« Als er nun sah, daß sie mit schönen Redensarten nicht zu gewinnen sei, versuchte er es auf andere Weise und sagte ihr: »Ich muß Euch sagen, meine Tochter, in welcher schlimmen Lage ich bin, ich habe eine Krankheit, welche alle Aerzte für unheilbar halten, es sei denn, daß ich mich mit einer Frau, die ich recht liebe, vergnüge. Für mein Leben möchte ich keine Todsünde begehen; aber wenn man mir das auch entgegen halten wollte, so weiß ich doch, daß Unzucht noch kein Mord ist. Wenn Euch also mein Leben lieb ist, so seid nicht grausam und rettet mich.« Sie fragte ihn, welche Art von Vergnügungen er vornehmen wolle. Er sagte ihr, sie könne sich auf sein Gewissen verlassen, er werde schon nichts thun, was ihnen beiden als Vergehen ausgelegt werden könnte. Dann wollte er mit der gewünschten Unterhaltung beginnen, umarmte sie und versuchte, sie aufs Bett zu werfen. Sie durchschaute aber seine Absicht und vertheidigte sich mit Worten und mit ihren Armen, so daß er nur ihre Kleider berühren konnte. Als er nun alle seine Aufforderungen und Anstrengungen erfolglos sah, wurde er ganz wild und nicht nur sein Gewissen, sondern auch die einfache Vernunft verließ ihn, und er fuhr mit der Hand unter ihren Rock, und was er erreichen konnte, zerkratzte er voller Wuth mit seinen Nägeln, daß das arme Mädchen unter lautem Schreien ohnmächtig zur Erde fiel. Bei ihrem Schrei trat die Aebtissin in den Schlafsaal; als sie nämlich in der Messe war, fiel ihr ein, daß sie die junge Nonne, ihre Großnichte, allein mit dem ehrwürdigen Vater gelassen habe, worüber sie sich Gewissensbisse[183] machte, so daß sie die Messe sein ließ und lieber an der Thür des Schlafsaales horchte. Als der Prior der Aebtissin ansichtig wurde, zeigte er auf die ohnmächtige Nonne und sagte: »Ihr habt ein großes Unrecht begangen, ehrwürdige Mutter, mir von der schwachen Gesundheit Eurer Nichte nichts zu sagen; denn da ich nichts davon wußte, habe ich sie vor mir stehen lassen, während ich sie abkanzelte, und darüber wurde sie, wie Ihr seht, ohnmächtig.« Dann riefen sie sie mit Essig und anderen Medicamenten wieder ins Leben zurück und fanden, daß sie sich im Fallen am Kopf verletzt hatte. Als sie wieder zu sich gekommen war, sagte ihr der Prior aus Furcht, sie möchte ihrer Tante den Grund ihres Sturzes erzählen: »Bei Strafe ewiger Verdammniß befehle ich Euch, niemals ein Sterbenswörtchen von dem, was hier geschehen ist, zu verlautbaren. Wisset, daß nur übergroße Liebe mich zu der That gebracht hat, und da ich sehe, daß Ihr mir nicht geneigt seid, werde ich Euch nicht mehr belästigen; wenn Ihr mich aber lieben wollt, will ich Euch zur Aebtissin einer der reichsten Abteien Frankreichs machen.« Sie antwortete, daß sie lieber im Gefängniß umkommen wolle, als jemals einen anderen Freund als den haben, der für sie am Kreuz gestorben sei; mit diesem wolle sie lieber alles Schlimme erdulden, was die Welt ihr geben könnte, als Reichthum und Ehren ohne ihn besitzen. Deshalb solle er nicht wieder mit einem solchen Anliegen an sie herantreten, sonst würde sie es ihrer Tante mittheilen, während sie so schweigen wolle.

Dann entfernte sich dieser brave Seelenhirt, und um sich recht fromm zu geberden und auch die, die er liebte, noch einmal zu sehen, wandte er sich an die Aebtissin und sagte zu dieser: »Ich bitte Euch, laßt Eure Nonnen ein Salve Regina zu Ehren dieser Jungfrau, auf welche ich meine Hoffnung setze, singen.« So geschah es, und während des Gesanges weinte der alte Fuchs in Einem fort, nicht aus Andacht, sondern aus Bedauern, mit seiner besonderen Anbetung nicht zu Ende gekommen zu sein. Alle Nonnen, die nichts anders dachten, als daß es aus Liebe zur Jungfrau Maria geschehe, hielten ihn für einen heiligen Mann. Schwester Maria aber, die es besser wußte, bat im Geheimen Gott, den Verächter der Keuschheit zu bestrafen. Dann ging der Heuchler nach Saint-Martin zurück. Das[184] Feuer in seinem Herzen hörte aber nicht auf, Tag und Nacht zu brennen und nach Mitteln und Wegen zur Erreichung seines Zieles zu suchen. Da er aber vor Allem die Aebtissin fürchtete, die eine tugendhafte Frau war, so ging er fürs Erste daran, sie von dem Kloster fortzubringen. Er begab sich deshalb zur Herzogin von Vendôme, welche damals in La Fère residirte und ein Kloster des heiligen Benediktus namens Mont d'Olivet gegründet hatte. Da er auch über dieses Kloster die Oberaufsicht hatte, gab er ihr zu verstehen, daß die derzeitige Aebtissin des genannten Klosters diesem umfangreichen Gemeinwesen nicht recht gewachsen sei, worauf die gute Frau ihn bat, ihm eine andere würdigere zu nennen. Hierauf hatte er nur gewartet und nannte ihr die Aebtissin von Gif als die geeignetste Dame von ganz Frankreich.

Die Herzogin von Vendôme ließ sie kommen und gab ihr die Leitung von Mont d'Olivet. Da ferner der Prior von Saint-Martin die Wahlstimmen ganz in seiner Hand hatte, ließ er für Gif eine ihm ergebene Dame wählen und begab sich nach der Wahl dorthin, um noch einmal durch Bitten oder Zureden zu versuchen, ob er nicht die Schwester Maria Herouët für sich gewinnen könne. Als er aber sah, daß er keinen Erfolg hatte, begab er sich nach Saint-Martin zurück.

Dort kam er, um zu seinem Ziele zu gelangen und sich gleichzeitig an der, die so grausam gegen ihn gewesen war, zu rächen, auch aus Furcht, daß seine Angelegenheit entdeckt werden möchte auf folgenden frevelhaften Gedanken. Er ließ zur Nachtzeit die Reliquien von Gif rauben, beschuldigte dann den Beichtvater, einen alten und ehrwürdigen Geistlichen des Diebstahls und ließ ihn ins Gefängniß von Saint-Martin werfen. Während seiner Gefangenschaft verschaffte er sich zwei Zeugen, welche alles, was ihnen der Prior vorlegte, ohne den Inhalt zu kennen, unterschrieben. Es war ein Protokoll darüber, daß sie im Klostergarten den Beichtvater und die Schwester Maria in geschlechtlichem Umgang betroffen hätten, eine That, über welche er ein Geständniß des alten Beichtvaters wünschte. Dieser aber kannte alle Verbrechen des Priors und bat, vom Kapitel abgeurtheilt zu werden, dort vor den Geistlichen wolle er die Wahrheit sagen. Der Prior welcher sehr wohl[185] wußte, daß die Rechtfertigung des Beichtvaters seine eigene Verurtheilung sein würde, wollte diesem Wunsche nicht willfahren; als er ihn aber fest bei seinem Verlangen bestehen sah, behandelte er ihn im Gefängniß so schlecht, daß er nach Angabe der Einen dort umkam, nach Angabe Anderer dahin gebracht wurde, sein Ordenskleid abzulegen und ins Ausland zu gehen. Wie dem auch sein mag, jedenfalls wurde er nicht mehr gesehen. Nachdem er nun diesen Vortheil über Schwester Maria erlangt hatte, ging er nach dem Kloster, wo die Aebtissin, die ihm blind gehorchte, ihm in nichts widersprach. Dann machte er von seinem Rechte als Großvisitator Gebrauch und ließ alle Nonnen eine nach der andern in sein Zimmer kommen, um sie in Form einer Beichte zu verhören. Als die Reihe an Schwester Maria kam, der nun nicht mehr ihre gute Tante zur Seite stand, sagte er zu ihr: »Ihr wißt, welches Verbrechen Euch zur Last gelegt wird, und sehet nun, daß Eure Verstellung, als wäret Ihr eine reine Jungfrau, Euch nichts genützt hat; man weiß jetzt sehr wohl, daß Ihr es nicht seid.« Sie sagte mit siegesgewisser Miene: »Laßt mir den kommen, der mich anklagt, und Ihr werdet sehen, ob er mir gegenüber bei seiner Aussage verbleibt.« Er antwortete: »Wir haben Beweise genug, der Beichtvater selbst hat es eingestanden.« Schwester Maria sagte hierauf: »Ich halte ihn für einen zu ehrbaren Mann, als daß er eine solche Niederträchtigkeit und solche Lüge gesagt haben könnte; aber sollte er es auch gethan haben, so laßt ihn herkommen, und die Unrichtigkeit seiner Angabe wird sich herausstellen.« Der Prior sah wohl, daß er sie nicht in Furcht jagen konnte, und sagte: »Ich bin Euer geistlicher Vater und möchte gern in dieser Sache Eure Ehre retten; ich übergebe die Angelegenheit Eurem Gewissen und werde mich auf dasselbe verlassen. Ich verlange jedoch von Euch unter der Androhung ewiger Verdammniß mir über den einen Punkt die Wahrheit zu sagen, ob Ihr noch Jungfrau wart, als Ihr hier in das Kloster kamt.« Sie antwortete: »Mein Vater, mein damaliges Alter von fünf Jahren steht dafür ein.« »Nun wohl, meine Tochter, habt Ihr nicht etwa seit dieser Zeit dieses werthvolle Kleinod verloren?« Sie schwor, daß ihr niemals jemand, von ihm selbst abgesehen, zu nahe getreten sei, worauf er ihr sagte, er könne es nicht[186] glauben und er habe den Beweis des Gegentheils. »Welchen Beweis wollt Ihr antreten?« fragte sie. »Ich will es wie mit den andern machen«, antwortete er, »denn ebenso wie ich Seelenhirt bin, habe ich auch den Körper zu visitiren. Eure Aebtissinnen und Vorsteherinnen sind ebenfalls durch meine Hände gegangen, Ihr braucht auch nicht zu befürchten, daß ich etwa nach Eurer Keuschheit trachte. Legt Euch also auf das Bett und hebt Eure Kleider in die Höhe.« Schwester Maria erwiderte: »Ihr habt mir schon so viel von Eurer leidenschaftlichen Liebe vorgeredet, daß ich eher annehme, Ihr wollt mir meine Jungfernschaft nehmen als sie visitieren. Deshalb haltet Euch nur überzeugt, das ich Euch nicht den Willen thun werde.« Darauf sagte er ihr, daß er sie wegen Ungehorsam excommuniciren, und wenn sie nicht einwilligte, vor versammeltem Kapitel für ehrlos erklären werde, indem er ihren verbotenen Umgang mit dem Beichtvater mittheilen werde. Sie antwortete aber furchtlos: »Der, der die Herzen seiner Diener sieht, wird mir so viel Ehren vor seinem Thron geben, als Ihr mir Schande vor den Menschen bereitet. Da also Eure Schlechtigkeit einmal so weit gegangen ist, will ich lieber, daß Ihr auch bis zum äußersten grausam seid, als daß Euer sündhaftes Verlangen Euch gewährt wird, denn ich weiß wohl, daß Gott ein gerechter Richter ist.« Sofort versammelte er das ganze Kapitel und ließ die Schwester Maria auf den Knien vor sich erscheinen und sagte ihr mit unwilligem Tone: »Schwester Maria, es mißfällt mir sehr, daß meine guten Ermahnungen bei Euch nichts verschlagen haben und Euer Thun ein so ungeziemliches ist, daß ich mich genöthigt sehe, Euch eine wider meine Gewohnheit harte Buße zu dictiren. Wegen einiger ihm zur Last gelegter Vergehen inquirirt, hat Euer Beichtvater eingestanden, daß er mit Euch in einem verbrecherischen Umgang gestanden hat; auch haben Zeugen dies bestätigt. Wie ich Euch also früher geehrt und zur Vorsteherin der Novizen gemacht habe, so degradire ich Euch heut nicht nur zur letzten, sondern befehle auch noch, daß Ihr, vor allen Schwestern auf der Erde liegend, Euer Wasser und Brod genießen sollt, bis Eure Reue genügend erscheint, um eine mildere Strafe eintreten zu lassen.« Schwester Maria war von einer ihrer Genossinnen, welche das Verfahren kannte,[187] darauf aufmerksam gemacht wor den, daß, wenn sie etwas dem Prior Mißfallendes antwortete, er sie in pace d.h. zu lebenslänglichem Gefängniß verurtheilen würde, und sie nahm deshalb den Urtheilsspruch ohne Murren an, indem sie denjenigen, der ihr Kraft zum Widerstand gegen die Sünde gegeben hatte, bat, sie mit Geduld dieses harte Geschick tragen zu lassen. Ferner gebot noch der achtungswerthe Prior, daß sie drei Jahre lang nicht mit ihrer Mutter noch mit ihren Verwandten sprechen, auch ihnen keine anderen Briefe schicken dürfe, als die durchgelesen worden seien. Darauf ging der edle Kirchenfürst nach Haus und kam lange nicht nach dem Kloster. Lange Zeit litt das junge Mädchen unter der Schwere des Geschickes. Als aber ihre Mutter, die sie mehr als alle ihre anderen Kinder liebte, gar keine Nachricht mehr von ihr erhielt, wunderte sie sich sehr und sagte zu ihrem Sohn, einem verständigen und angesehenen Edelmann, daß sie gestorben sein müsse, und daß die Nonnen nur deshalb nichts davon schrieben, um die jährliche Pension weiter zu beziehen. Sie bat ihn deshalb, auf irgend eine Weise Erkundigungen einzuziehen. Er ging sofort nach dem Kloster, wo man ihm die gewohnten Entschuldigungen machte, daß nämlich seine Schwester seit drei Jahren das Bett nicht verlassen habe. Er gab sich damit aber nicht zufrieden und verschwor sich, wenn man sie ihn nicht sehen lasse, über die Klostermauer zu klettern und den Eingang zu erzwingen. Nun fürchteten sie sich und brachten ihm seine Schwester an das Gitter; die Aebtissin hielt sich aber ganz in der Nähe, so daß sie ihrem Bruder nichts sagen konnte, was diese nicht gehört hätte. Sie hatte aber alles, was geschehen war und wie ich es eben erzählt habe, schriftlich aufgesetzt, mit noch vielen anderen Versuchen, die der Prior gemacht hatte, um sie zu verführen, und die ich fortlassen will, weil es zu weit führen würde. Nur eines möchte ich noch erwähnen; als ihre Tante noch Aebtissin war, dachte er, sie wiese ihn vielleicht wegen seiner Häßlichkeit zurück, und ließ ihr durch einen jungen und schönen Mönch Anträge machen, um sich, wenn sie diesem aus Liebe nachgegeben hatte, sie dann aus Furcht sich geneigt zu machen. Aber das junge Mädchen war aus dem Garten, wo ihr der Mönch mit so ungeziemlichen Gesten seine Anträge machte, daß ich mich schämen würde, sie wieder zu erzählen,[188] zur Aebtissin geeilt, welche gerade mit dem Prior sprach, und hatte ausgerufen »Meine Mutter, das sind Teufel und nicht Geistliche, die uns besuchen kommen.« Scherzend unterbrach sie der Prior, aus Furcht, entlarvt zu werden, mit den Worten: »Wirklich, Aebtissin, Schwester Maria hat ganz Recht.« Dann nahm er sie bei der Hand und sagte zu ihr vor der Aebtissin: »Ich hatte gehört, daß Schwester Maria sehr redegewandt und so geistreich wie eine Weltdame sei, ich habe mir des halb gegen meine Natur den Zwang angethan, zu ihr zu sprechen, wie die Männer der Welt zu den Frauen sprechen, soweit ich das aus Büchern weiß; denn was meine eigene Erfahrung anlangt, so bin ich so unbewandert darin, wie ein neugeborenes Kind. Und da ich dachte, es liege nur an meinem Alter und meiner Häßlichkeit, daß sie mir so tugendsam antwortete, befahl ich meinem jungen Begleiter, ihr ebenfalls Anträge zu machen. Wie Ihr gesehen habt, hat sie aber in allen Ehren widerstanden.« Ich halte sie deshalb für ein vernünftiges und tugendsames Mädchen, »daß ich sie zur Ersten nach Euch und zur Vorsteherin der Novizen ernenne, damit ihre Liebe zur Tugend noch wachse und sich mehre.«

Dieses und noch manches andere that der Prior während der drei Jahre, die er in die Nonne verliebt war. Diese reichte also, wie ich schon gesagt habe, durch das Gitter ihrem Bruder die Aufzeichnung ihrer Leidensgeschichte hinaus. Der Bruder brachte sie seiner Mutter, welche sofort ganz verzweifelt nach Paris zur Königin von Navarra, der einzigen Schwester des Königs, reiste, der sie das Schriftstück übergab, indem sie ihr sagte: »Edle Frau, traut einem solchen Heuchler nicht ein zweites Mal. Ich dachte, meine Tochter an eine Stätte gebracht zu haben, von wo der Weg zum Paradies führt; statt dessen ist sie in die Hände von Teufeln gefallen, die viel schlimmer sind, als die der heiligen Schrift; denn diese konnen uns nicht versuchen, wenn wir ihnen nicht entgegenkommen, jene aber wollen uns mit Gewalt in ihren Besitz bringen, selbst wenn von Entgegenkommen keine Rede ist.« Die Königin von Navarra war in großer Verlegenheit, denn sie hatte sich ganz auf den Prior von Saint-Martin verlassen und hatte ihm die Aebtissinnen von Montvilliers und von Caen, welche ihre Schwägerinnen waren[189] verstellt. Andererseits flößte ihr dieses ungeheuerliche Verbrechen einen solchen Abscheu ein und gab ihr ein so großes Verlangen, die Unschuld dieses jungen Mädchens zu rächen, daß sie die Angelegenheit dem Kanzler des Königs, der damals päpstlicher Legat in Frankreich war, übergab und den Prior vor sich berief. Der fand keine andere Entschuldigung, als daß er nun 70 Jahre alt sei, und suchte die Königin zu besänftigen, indem er sie bat, an Stelle aller Gnaden, die sie vielleicht gewillt gewesen wäre, ihm noch zu erweisen, und zur Belohnung für seine Dienste, diesen Proceß niederzuschlagen, er wolle auch Schwester Maria Herouët für eine Perle an Ehrenhaftigkeit und Jungfräulichkeit erklären. Die Königin war über diese Sprache so erstaunt, daß sie nichts zu antworten wußte; sie ließ ihn also stehen. Der Arme zog sich ganz verwirrt in sein Kloster zurück, wo er von niemand mehr gesehen werden wollte, und starb ein Jahr darauf. Schwester Maria Herouët wurde nach Verdienst wegen ihrer gottgefälligen Tugenden geehrt, von der Abtei Gif, wo ihr solches Uebel widerfahren war, fortgenommen und durch die Gnade des Königs zur Aebtissin von Giën bei Montargis gemacht, welches sie reformirte. Sie lebte weiter erfüllt mit Gottes Geiste, den sie ihr Leben lang lobte, daß er ihr Ehre und Ruhe gegeben hatte.

»Das ist eine Geschichte, meine Damen, welche zeigt, wie richtig das Evangelium und Paulus in seinem Briefe an die Corinther sagt, daß Gott mit den Schwachen die Starken und mit den in den Augen der Menschen Niedrigen den Hochmuth derjenigen schlägt, welche sich einbilden, etwas zu sein, und nichts sind. Ferner beherzigt, meine Damen, daß ohne die Gnade Gottes man in keinem Menschen Gutes annehmen sollte, und daß es keine so starken Gefühle giebt, deren man nicht mit seiner Hülfe Herr werden könnte, wie die Beichte desjenigen, den man für gerecht hielt, und die Erhebung derjenigen, welche er als Uebelthäterin und Sünderin hinstellen wollte, zeigen. Hierin zeigt sich wieder die Wahrheit des Ausspruchs unseres Herrn Jesus Christus. Wer sich überhebt, wird gedemüthigt werden, und wer sich demüthigt, wird erhoben werden.« »Es ist ein großes Unglück«, sagte Oisille, »daß dieser Prior so viele ehrbare Leute täuschen konnte, denn ich sehe,[190] man setzte größeres Vertrauen in ihn, als in Gott.« »Ich nicht«, wandte Nomerfide ein, »ich gebe mich mit solchen Leuten überhaupt nicht ab.« »Es giebt auch gute«, begütigte Oisille, »und man muß nicht alle nach den schlechten beurtheilen; aber die besten sind schon die, die weniger weltliche Zerstreuungen und die Frauen aufsuchen.« »Das wäre ganz das Verkehrte«, sagte Nomerfide, »denn je weniger man sie sieht, um so weniger kennt man und um so mehr überschätzt man sie, wogegen der Verkehr sie uns in ihrer wahren Gestalt zeigt.« »Nun, lassen wir es dabei bewenden«, erwiderte Nomerfide, »und sehen wir zu, wem Guebron das Wort giebt.« »Ich gebe es Frau Oisille«, antwortete dieser, »damit sie uns etwas zu Ehren der Geistlichen erzähle.« Diese nahm das Wort und sprach: »Wir haben uns geschworen, die Wahrheit zu sagen, und ich werde nicht davon abweichen. Auch ist mir bei Eurer Erzählung eine andere traurige Geschichte eingefallen, die es mich drängt, Euch mitzutheilen. Einmal, weil ich in der Nähe der Gegend wohnte, wo sie sich zu meiner Zeit ereignete, und dann, meine Damen, damit die Heuchelei derer, die sich für frömmer ausgeben, als andere Sterbliche, Euch nicht blind macht, so daß Euer Glaube vom rechten Weg abweicht und sein Heil in irgend einer anderen Kreatur als allein in dem zu finden glaubt, der in unserer Erhaltung und Beschützung keinen neben sich und einzig die Macht hat, uns das ewige Leben zu geben und uns in diesem zeitlichen zu trösten und von unseren Leiden zu befreien. Und da ich weiß, wie oft Satan sich in einen Engel des Lichts verwandelt, damit unser Auge, von dem Schein der Heiligkeit und Frömmigkeit getäuscht, von seinem wirklichen Vorhaben abgelenkt werde, halte ich es für ganz passend, eine Begebenheit solchen Inhalts zu erzählen.«

Quelle:
Der Heptameron. Erzählungen der Königin von Navarra. Leipzig [o.J.], S. 180-191.
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