25.


Beschreibung einer Pariser Consultation der Aerzte.

[109] In einem Französischen Roman findet man folgende naive Erzählung von einer Pariser medicinischen Consultation.

»Ich fand meine Mutter wirklich in den letzten Zügen. Alle Aerzte von Paris standen um sie herum, über den Vorwand, den sie ihrem Tobe geben wollten, eine Berathschlagung zu halten. Ein Arzt ist im Stande, hundert Kranke zu tödten, wie wollte denn ein einziger Kranker hundert Aerzten widerstehen? Ich blieb im Zimmer, die Berathschlagung mit anzuhören.«

»Alle diese Herren befühlten, einer nach dem andern, der Patientin den Puls, und zwar mit der Ernsthaftigkeit, die man allemal gegen diejenigen zeigt, an welchen man keinen sonderlichen Antheil nimmt. Einer von ihnen that im Namen des ganzen Collegiums einige Fragen an sie, und sagte ihr, was sie empfinden müßte. Sie leugnete alles: er kehrte sich aber wenig daran, und that den Ausspruch, daß sie sich betröge. Ohne sie zu fragen, was für Schmerzen sie außer denjenigen empfände, die er hergenannt hatte, gab er seinen Collegen ein Zeichen, und alle erhoben sich in den Nebensaal. Als sie sich aus dem Krankenzimmer begaben, nahmen sie sorgfältig die Ordnung in Acht, und giengen alle in der Folge, wie sie in die Fakultät[110] gekommen waren. Als sie sich insgesammt ganz bequem niedergelassen hatten, machte meines Vaters Hausarzt eine ziemlich lahme Geschichte von der Krankheit überhaupt, wie sie entsprungen sey, und wie sie bis zu der gegenwärtigen Zeit stufenweise zugenommen habe. Unter dem Namen Bemerkungen ließ er viele kindische Dinge mit unterlaufen. Sie hatten ihm, wie er sagte, viele Mühe gekostet, und sie waren die Frucht einer sehr scharfen Untersuchung, und ihm sehr sauer geworden. (Dieses war die Wahrheit, denn er mußte zu Fuße herumlaufen, weil er keine Kutsche hatte.) Er erzählte hierauf alle seine Verordnungen auf das genaueste her, strich seine Fähigkeiten und seine Kunst heraus, und schwatzte von allem mit mehr Geschick, als Richtigkeit. Ich ärgerte mich fast zu Tode über sein langes Plaudern. Das war aber noch nichts. Alle Aerzte sprachen nach einander in der Ordnung, wie sie in den Saal gegangen waren. Der jüngste fieng allemal an, und der älteste gab den Ausschlag. Mein Vater war reich und wohl bekannt, und sie glaubten deswegen, daß er ein Consilium reichlich bezahlen würde, und darum machte man es so lange. Ein jeder von ihnen wiederholte die Geschichte des ersteren in schöneren oder schlechteren Ausdrücken, so wie er viel oder wenig Witz hatte. Alle waren endlich darinn einstimmig, daß die Patientin von dem ordentlichen Herrn Hausmedico wohl versehen worden, und daß gar nichts für sie zu befürchten[111] sey. Um aber allen Zufällen zuvor zu kommen, müsse man ihr diese oder jene Arzney verschreiben. Der ordentliche Herr Hausmedicus hatte nichts zu thun, als daß er bey jedem Lobspruch, den ihm seine Collegen gaben, Reverenze machte, und dieses geschah sehr oft. Kurz, man sprach meinem Vater und mir allen Trost zu, und stand uns für ein Leben, welches uns so kostbar war. Man verordnete noch ein einziges Universalpulver, das, wie man sagte, gewiß helfen würde, und gieng davon. Im Hinausgehen wurde die Ordnung verändert: die Alten giengen voran, und die Jungen hinter ihnen drein. Keiner von ihnen machte uns ein Compliment. Sie huben alle ihre Höflichkeit für einen an der Thüre stehenden Bedienten auf, der jeden Reverenz von ihnen mit einem Louisd'or bezahlte.«

»Meine Mutter starb eine Stunde nach der Einnahme des Universalpulvers, das die ehrwürdige Zunft ihr verordnet hatte.«

Quelle:
[Nebel, Ernst Ludwig Wilhelm:] Medicinisches Vademecum für lustige Aerzte und lustige Kranken [...] Theil 1–4, Frankfurt, Leipzig 1795 (Bd. 1), 1796 (Bd. 2); Berlin, Leipzig 1797 (Bd. 3); Berlin, Leipzig 1798 (Bd. 4), S. 109-112.
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