Vierter Auftritt

[51] Vorige. Hobelmann.


HOBELMANN ist schon früher aus der Seitentüre rechts getreten. No brav, da hör' ich ja recht auferbauliche Sachen.

ZWIRN Hobelmann sein Kompliment machend. Hab' ich die Ehr', den Herrn von Hobelmann zu sprechen?

KNIERIEM. Sein Sie der, der seiner Tochter einmal's Stemmeisen nachg'worfen hat?

HOBELMANN. Der bin ich. – Ihr habt es aber weit gebracht mit eurem Geld.

ZWIRN. Grad so weit, als das Geld g'lengt hat.

HOBELMANN. Ihr habt euer Glück zum Fenster hinausg'worfen.

ZWIRN. Deswegen wird aber doch der Jahrstag zelebriert.

KNIERIEM. Geben S' nur ein Schnaps her.

ZWIRN. Vor allem andern, was macht denn der Bruder Leim?

HOBELMANN. Da müßt's mich nicht drum fragen.[51]

KNIERIEM. Ist er nicht Ihr Schwiegersohn?

HOBELMANN. Lassen wir das. Mit einem Wort, er ist nach und nach um alles kommen –

ZWIRN. Ich kann nicht begreifen, wie der Mensch so liederlich sein kann.

HOBELMANN. Und wie's Geld weg war, bis auf zweihundert Taler, da hat er hundert Taler bei mir zurückg'lassen, und mit die andern hundert ist er aufs Geratewohl fort in die weite Welt. Heut hab' ich glaubt, er wird sich wieder einfinden, aber statt seiner ist der Brief da kommen, an euch zwei adressiert.

ZWIRN. An uns zwei? Ah da bin ich neugierig. Nimmt den Brief und öffnet ihn. Du, Schuster, bist du auch neugierig?

KNIERIEM. Freilich bin ich neugierig.

ZWIRN. No da hast, lies!

KNIERIEM. Weißt – ich les' nicht gern.

ZWIRN. Ich leset wieder für mein Leben gern, aber ich kann nit lesen.

KNIERIEM. Bei mir ist das der nämliche Fall.

ZWIRN. Mir fallt was ein, ich probier's! Geht zu Hobelmann. Herr Hobelmann, Sie scheinen ein vernünftiger Mann zu sein – obwohl der Schein manchmal trügt.

HOBELMANN. Nein, nein! diesmal trügt er nicht.

ZWIRN. Sie werden wissen, ein Unterschied der Stände muß sein. – Sie sind Meister, wir zwei Gesellen – Ihm den offenen Brief reichend. lesen Sie!

HOBELMANN. Recht gern will ich euch den Gefallen tun. Liest. »Liebe Freunde und Brüder! Wie gern wär' ich heute bei Euch – aber –«

ZWIRN. Ehre dem Ehre gebührt.

HOBELMANN. No ja, ich les' ja recht gern, ich fühl' mich auch geehrt. Liest. »Wie gern wär' ich heute bei Euch –«

ZWIRN. Das werden Sie gar nie erleben, daß ich in Ihrer Gegenwart lesen werd'.

HOBELMANN. Wann Er's so fortmacht, so wird auch Er nicht erleben, daß ich in Seiner Gegenwart lesen werd'. – Also – Liest. »Wie gerne wäre ich heute bei Euch, aber –[52]

ZWIRN murmelt etwas vor sich.

HOBELMANN. Was murmelt Er denn da?

ZWIRN. Jetzt, Schuster, sei einmal still.

KNIERIEM. Ich hab' kein Wort g'redt.

HOBELMANN. Der Schuster red't ja gar nichts.

ZWIRN. Oh, Sie kennen ihn nicht so, wie ich ihn kenn'.

HOBELMANN. Aber er hat ja gar nichts g'redt.

ZWIRN. Aber er hätt' was reden können. – Das kommt grad so heraus, als wenn Sie unser Narr wären.

HOBELMANN. Jetzt sei Er einmal still, sonst leg' ich den Brief nieder, nachher kann Er lesen.

ZWIRN. Nachher kann ich lesen, wenn Sie den Brief niederlegen?

HOBELMANN. Ich mein', daß Er hernach gar nicht erfahret, was in dem Brief steht, weil Er selber nicht lesen kann. – Kann Er denn nicht zwei Minuten still sein?

ZWIRN. Oh, auch noch länger.

HOBELMANN. Also schweig' Er. Liest. »Wie gern wär' ich heute bei Euch, aber –

ZWIRN. Herr von Hobelmann, ich werd' Ihnen einen Vorschlag machen. Damit Sie im Lesen nicht mehr können unterbrochen werden, so lesen Sie uns den Brief g'schwind vor, und wir zwei gehen derweil hinaus.


Geht gegen die Türe.


HOBELMANN. Aber wie dalket! Wie kann Er denn hör'n, was ich da herin les', wenn Er draußt ist?

KNIERIEM. Dableib'n müssen wir.

ZWIRN. Richtig – das hab' ich nicht überlegt.

HOBELMANN. Jetzt sei Er einmal ruhig. Liest. »Wie gern wär' ich heute bei Euch, aber meine traurige Lage macht es unmöglich. Ich bin krank –«

ZWIRN. Da sollten S' doch mit ein Doktor reden.

HOBELMANN. Warum denn?

ZWIRN. Sie sagen ja, Sie sein krank.

HOBELMANN. Das schreibt ja der Leim, der ist krank.

ZWIRN. Ja, von wem ist denn der Brief?

HOBELMANN. Von Leim.[53]

KNIERIEM. Von Leim.

ZWIRN. Ah so – von Leim.

HOBELMANN liest weiter. »Ich bin krank und liege in Nürnberg im Spital –«

ZWIRN. Herr Hobelmann, foppen müssen S' mich nicht! ich kann auch grob sein. Wie können S' denn sagen, Sie liegen in Nürnberg im Spital, und stehen da neben meiner.

HOBELMANN. Aber den Brief schreibt ja der Leim.

KNIERIEM. Der Leim.

ZWIRN. Ah so – der Leim.

HOBELMANN liest. »Ich habe vor vier Monaten, wie ich von Wien fort bin, Herrn Hobelmann hundert Taler zurücklassen –«

ZWIRN. Wer?

HOBELMANN. No, der Leim.

KNIERIEM. Der Leim.

ZWIRN. Aha, der Leim.

HOBELMANN liest. »Herrn Hobelmann hundert Taler zurücklassen –«

ZWIRN. Also zweihundert Taler.

HOBELMANN. Nein, nur einhundert Taler.

ZWIRN. Verzeihen Sie, Sie haben vorhin gelesen: ich habe Herrn Hobelmann hundert Taler zurücklassen – dann haben Sie wieder gelesen: ich habe Herrn Hobelmann hundert Taler zurücklassen – sein also zweihundert.

HOBELMANN. Wie ich das erste Hundert gelesen hab', hat Er mich unterbrochen, dann hab' ich's repetiert, und so ist das zweite Hundert herauskommen.

ZWIRN. Das müssen Sie sich abgewöhnen.

HOBELMANN. So muß Er mich nicht immer unterbrechen Liest. »Herrn Hobelmann hundert Taler zurückgelassen –«

ZWIRN. Jetzt sein's drei.

HOBELMANN böse. Es gilt nur einhundert Taler, ich halte mich an das, was in dem Brief steht.

KNIERIEM. Nein, nein, es gilt nur hundert Taler.[54]

ZWIRN. So müssen Sie also nicht mehr herauslesen, als drin steht, Sie stürzen sich sonst in eine Schuldenlast.

HOBELMANN. Jetzt laß Er mich einmal zum Schluß kommen. Liest. »zurücklassen, für den Fall, daß Ihr ebenfalls nichts mehr haben solltet, und ein Reisegeld braucht. Ich hoff' Euch daher vor meinem Ende noch zu sehen – Euer Bruder

Johann Leim.«

ZWIRN. Herr Hobelmann, jetzt geben S' nur g'schwind die hundert Taler her.

HOBELMANN. Da könnt's euch einen frohen Tag drum antun.

ZWIRN. Ja, das wollen wir auch.

KNIERIEM. Aber auf eine andere Art, als der Herr Hobelmann glaubt. Wir bringen ihm das Geld ins Spital, und nichts wird davon versoffen.

ZWIRN. Wir wollen unterwegs Erdäpfel essen, daß uns der Staub bei die Ohren herausfahrt.


Quelle:
Johann Nestroy: Werke. München 1962, S. 51-55.
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