Neunte Szene

[105] 1.2.3.4.

(Bühne frei)Fad, Irene, Herr Marie,

(schläft ruhigvon Glück,Isabella,

fort)dann Brigitte,Herr von

Lisette,Schmerz

Margareth


Sanguinisch.


SCHMERZ traurig aus der Seite. Warum flieht mich meine Braut?


Melancholisch.


GLÜCK sehr lustig, aus der Seite. Wo steckt denn meine Angebetete? Und warum denn so niedergeschlagen?


Sanguinisch.


MARIE. Wenn ich auch fort bin, wie können Sie denn wissen, ob nicht meine Gedanken bei Ihnen zurückgeblieben sind?


Melancholisch.


GLÜCK beiseite. Das ist ein lieber Schatz! Wir werden sie schon aufheitern, nur Geduld, die muß noch so lustig werden als ich!


Sanguinisch.


SCHMERZ. So wie das Nordlicht flimmert am mitternächtlichen Pole, so taucht Ihre Liebe auf am Horizonte meines Lebens, um einen matten Strahl in meines Herzens Finsternis zu senken.

ISABELLA für sich. Das sind die neuen Galanterien, die wir erst kriegt haben.


Melancholisch.


GLÜCK. Mir fallt da was ein, meine Holdeste. Wo sind denn die Dienstleute? Zur Mitteltüre hinausrufend. Heda! Herein, was Händ' und Füße hat! Zu Irenen.[106]

Wir werden einen kleinen Ball arrangieren für heute Abend.

IRENE. Einen Ball? Was fällt Ihnen ein? Der Vater liebt Einsamkeit und Stille!

GLÜCK. O, ich werd' einen ganz andern Ton einführen im Haus!


Sanguinisch.


MARIE zu Schmerz. Sie müssen schon verzeihen, wenn ich Ihren lieblichen Redensarten nicht länger zuhören kann, die Anordnungen zum heutigen Ball –

SCHMERZ. Ball? Ball? Unausstehliches Wort! Wo soll Ball sein?

MARIE. Hier! Der Vater hat ihn für heute zur Feier unserer Verlobung angeordnet.

SCHMERZ. Muß abgesagt werden!


Melancholisch.


BRIGITTE, LISETTE UND MARGARETH treten durch die Mitte ein.

BRIGITTE. Was befehlen der gnädige Herr?

GLÜCK. Treibt auf, was nur in Eile aufzutreiben ist, bestellt Musikanten, kauft Eßwaren, was gut und teuer ist! Wein, viel Wein! Und unzählige Wachskerzen! Da ist Geld! Gibt Margarethen eine Börse. Nur fort, schnell, lüftig, behende! Lisette und Margareth zur Mitte ab.


Sanguinisch.


SCHMERZ. Ein Ball, das wär' mein Tod! Zu Isabella. Schicke Sie schnell überall herum, kein Ball, durchaus nicht, wird alles abgesagt!


Melancholisch.


BRIGITTE. Aber –

GLÜCK. Die Alte muß mit mir, die wird G'schäfte bekommen, daß sie nicht weiß, wo ihr der Kopf steht!


[107] Sanguinisch.


ISABELLA. Ja, aber –

SCHMERZ. Ich nehme jede Verantwortung auf mich!

MARIE. Wie es mein Bräutigam wünscht, so soll's geschehen!

ISABELLA. Gut! Zur Mitte ab.


Melancholisch.


GLÜCK zu Irenen. Ich habe in meinem Wagen einen Freund mitgenommen von Straßburg mit zwei Töchtern, liebe, lustige Leute; die hol' ich, sie haben hier viele Bekannte, ich habe auch einige Bekannte aus früherer Zeit, die müssen alle kommen, diese Bekannten, das soll ein Ball werden aus dem Stegreif, comme il faut! Eilt zur Mitte ab und zieht die langsame Brigitte mit sich fort.


Sanguinisch.


SCHMERZ. Ich habe meine Tante mitgebracht und deren Schwager, zwei mir seelenverwandte, stille, düstere Wesen, außer diesen will ich nichts von Gästen bei unserer Verlobung sehen.

MARIE. O, ich freu' mich schon auf diese Bekanntschaft, ich bin sogleich wieder da. Zur Mitte ab.


Quelle:
Johann Nestroy: Gesammelte Werke. Ausgabe in sechs Bänden, Band 3, Wien 1962, S. 105-108.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Jenny

Jenny

1843 gelingt Fanny Lewald mit einem der ersten Frauenromane in deutscher Sprache der literarische Durchbruch. Die autobiografisch inspirierte Titelfigur Jenny Meier entscheidet sich im Spannungsfeld zwischen Liebe und religiöser Orthodoxie zunächst gegen die Liebe, um später tragisch eines besseren belehrt zu werden.

220 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon