Fünfzehnte Szene

[127] 1.2.3.4.

Schlaf (allein,(Bühne frei)Schlankel(Bühne frei)

schläft ruhig fort)(allein)


Melancholisch.


SCHLANKEL allein. Jetzt hat nur ein Haar g'fehlt, so wär' ich in allem Ernst melancholisch worden, und das is das Temperament, was ich am allerwenigsten leiden kann, es hat mich aber doch auch schon a paarmal g'habt! – Überhaupt, wer kann bei einem Temperament bleiben, die Umstände bringen's ja mit sich, daß der Mensch in alle vier Temperamente herumkugeln muß.


1.


Wenn man auch festen Charakter hat im Ehestand,

Kriegt man leicht alle vier Temp'rament' nacheinand'.

's gibt die Kaswochen-Seligkeit, die ei'm da blüht,

Ein' sanguinischen Frohsinn dem ganzen Gemüt;

Doch's dauert nicht lang, man erwacht aus dem Rausch,

Da halt't d' Überzeugung mit 'm Herzen ein' Plausch,[127]

Zeigt auf d' Wirklichkeit, wie s' absticht geg'n d' Phantasie,

Da kriegt man ein' Anfall von Melancholie;

Die Gattin is schön, 's steig'n ihr d' Anbeter nach,

Viele hab'n ja nix anders zu tun den ganzen Tag,

Die keckesten drängen sich gar bis ins Haus,

Da wird man cholerisch und wirft a paar h'naus;

's Weib begehrt viel auf Putz, so daß d' Kassa wird hin,

Man sagt ihr: Mein Engel, das schlagst dir aus 'm Sinn,

Da kriegt s' Ohnmächten und Krämpf', 's Tags dreimal auf ein' Sitz,

Da wird man phlegmatisch, nimmt gar kein' Notiz.


2.


So oft ich auf ein' Saal geh', ich bin's schon gewöhnt,

Krieg' i in einer Nacht alle vier Temp'rament'.

Wenn ich d' Madeln siech in Klüfteln von Bettiné,

Da werd' ich sanguinisch, die Wahl tut mir weh;

Ich verlieb' mich in eine, auf die hab' ich ein' Zahnd,

Ab'r ihr Tänzer, der Lackel, gibt s' nicht aus der Hand,

Da verdrießt mich die Musi, ich geh' ins Speiszimmer h'nein

Und sag' melancholisch: He, Kellner, ein' Wein!

Ich trink' a neun Seitein, ganz richtig gezählt,

Sagt der Kellner: »'s waren elfe« – so wird man geprellt,

Da muß ich acht geben, daß ich nicht z' aufbrausend wir,

Denn cholerische Schopfbeutler zucken in mir,

Ich schau' wieder in Saal, fast zu End' is der Ball,

Da hupft noch mit z'raftem Haar mein Ideal,

Ganz schachmatt und verwoiselt, wie schaut die jetzt aus?

Da geh' ich als reiner Phlegmatiker z' Haus.


3.


Die Frauenzimmer hab'n, wenn man s' recht genau kennt,

Über hundert verschiedene Temperament',

Doch heiter sanguinisch gescherzt und gelacht

Wird nur, solang d' Schönheit Eroberung macht.[128]

Die Jahreln vergehn, und es kommt keine Partie,

Auch d' Lorgnetten werden nicht mehr gerichtet auf sie,

Jetzt g'spannen s' schon was wegen Stephansturm reib'n,

Da werd'n s' melancholisch, 's ist gar nicht zum b'schreib'n,

Von jeher hab'n d' Frauenzimmer das nit vertrag'n,

Wenn man a andere g'lobt hat, o, das hab'n s' im Mag'n,

Sag'n: »A andere ist schön«, ist die Gnad' schon verlor'n,

Da werd'n s' cholerisch, da fippern s' vor Zorn;

's Frappanteste ist, wenn s' glaub'n, man hat viel Geld,

Und hör'n dann, daß 's nicht wahr ist, o je, da ist's g'fehlt,

Da sag'n s' nicht mehr feurig: Mein Herz, du mein Leb'n!

Da tun s' ganz phlegmatisch den Laufpaß ei'm geb'n.


4.


Auch a Dichter kriegt allerhand Temperament',

Nur eins nimm ich aus, was er durchaus nicht kennt.

Wenn man a Stück gibt und manch's drin auf schwächerm Grund steht,

Mit sanguinischem Leichtsinn erwart't man, wie's geht,

Jetzt wenn man aber dann g'wisse Töne vernimmt,

Sind's Schlüssel oder Pfeifen, man weiß 's nicht bestimmt,

Da steig'n ei'm die Grausbirn' auf über die G'schicht',

Da macht man ein ganz melancholisch Gesicht.

Den andern Tag sag'n nachher d' Freund: Mir is leid,

Daß d' Malör hast g'habt! Aber die heimliche Freud',

Die ihnen dabei aus die Augen 'rausschaut,

Die macht ein' cholerisch, man fahrt aus der Haut.

Doch wenn's gelingt, und 's fallt alles gut aus,

So daß gütiger Beifall erschallt in dem Haus,

Da erglüht ei'm das Innre von Dankgefühl nur,

Und da sollt' man phlegmatisch bleib'n? Gar keine Spur!


Ab.


Quelle:
Johann Nestroy: Gesammelte Werke. Ausgabe in sechs Bänden, Band 3, Wien 1962, S. 127-129.
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