Vierter Auftritt

[555] Lips allein.


LIPS. Ich glaub', der halt't mich für ein'n Narr'n? Egal; weit g'fehlt hat er auf kein' Fall; in meiner Lag wär 's G'scheitbleib'n ein Mirakel. Ich hab' zu viel Malheur mit meinen Erben, – so red't die Kathi über mich in dem Augenblick,[555] wo ich ihr Allesvermacher bin? Tölpel, kralewatschet, Bulldogg, – die Bemerkungen hat sie auch gemacht, 's is zu arg! Meiner Seel', wenn ich nochmal stirb, so vermach' ich alles dem Taubstummen-Institut, diese Erben können mir doch nix nachreden. Ja, ja, solche Leut', wie die Kathi und meine Erben, muß's auch geben; es muß ein Unterschied geben unter d' Menschen, das laßt sich die Welt nicht streitig machen; es ist ja eine ihrer famosesten Eigenschaften, daß allerhand Leut' herumgehn auf ihr.


Lied.


1

Zwei hab'n miteinander g'habt einen Streit

Und hassen sich bitter seit dieser Zeit,

's red't keiner, 's schimpft keiner, doch lest man den Pick

Nach 20 Jahr'n noch ganz frisch in die giftigen Blick' –

Zwei andre, die schimpfen sich Spitzbub, Filou,

Betrüger und Lump! Gott weiß was noch dazu,

Jetzt zahlt ein Vermittler ein' Champagner-Boutelli,

Beim zweiten Glas lächeln die Todfeind' schon seli,

Beim dritten schluchzt jeder: »Freund, ich hab' g'fehlt«, –

So gibt es halt allerhand Leut' auf der Welt.


2

's hat einer von d' Güter 6000 Guld'n Renten,

Und extra ein Pack Metallique noch in Händen,

Er zahlt all's komptant, und doch sagt er zum Schneider:

»Hab'n S' die Güte, bis morgen machen S' mir den Rock weiter.«

Ein andrer, der grad aus'n Schuldenarrest kummt,

Macht Spektackl im Gasthaus, daß alles verstummt,

Er wirft jedem Kellner die Teller an'n Kopf,

Er beutelt den Schusterbub'n jedesmal den Schopf,

Und doch sieht der Wirt und der Schuster kein Geld,

So gibt es halt allerhand Leut' auf der Welt.[556]


3

Ein Herr der sieben Sprachen hat gründlich studiert,

Der Französisch als wie Deutsch sowohl schreibt als parliert,

Der setzt sich hinein in 's französische Theater,

Sein Lächeln ist still, und sein Beifall ein stader, –

Ein andrer, der, wenn er nit Deutsch zur Not kunnt,

Sich rein müßt' verleg'n drauf zu bell'n wie a Hund,

Der tut, wie die Leut', über einen französchen Spaß lachen,

Der für ihn spanisch is, gleich einen Mordplärrer machen,

Schreit »Très bien« und »Charmant« wie von Wohlg'fall'n beseelt!

So gibt es halt allerhand Leut' auf der Welt.


4

's geht einer um neune aus'n Wirtshaus, »schau, schau,

Der traut sich nit da z' bleib'n« – sag'n d' Freund – »wegen der Frau«,

»Der Frau zulieb' g'schieht's allerdings«, antwort' er, –

Trotzdem aber weiß man, er is z' Haus der Herr. –

Ein andrer, der haut mit der Faust auf'n Tisch,

»Wie die Meine an Muckser macht, kriegt sie glei Fisch,

Ich bin ein Tyrann!« – jetzt versagt ihm die Stimm',

Im Spiegel hat er's g'sehn, 's steht sein Weib hinter ihm,

Drauf laßt sich beim Ohrwaschl heimführ'n der Held.

So gibt es halt allerhand Leut' auf der Welt.


5

Ein Mädl is fröhlich, ohne sich viel z' genieren,

Sie lacht mit, wenn d' Herrn etwas Lustig's diskrieren,

Unterstund' sich aber wer, sie nur z' nehmen beim Kinn,

Der derf schau'n, daß er fortkommt, sonst hat er eine drin –

A andre schlagt d' Aug'n allweil nieder – O Gott;

Wenn a Mann sie nur anschaut, so wird s' feuerrot,

Sie lacht nit, sie red't nit, sie flüstert nur scheuch,[557]

Doch wie man ihr d' Hand drückt, erwidert sie's gleich,

Und sagt verschämt »Ja«, wenn man sie wohin bestellt.

So gibt es halt allerhand Leut' auf der Welt.


Verwandlung.

Die Bühne stellt denselben Getreidespeicher vor,

wie anfangs des 2. Aufzuges. Es ist Abend. Kathi kommt mit einer Laterne aus der Seitentür rechts.


Quelle:
Johann Nestroy: Werke. München 1962, S. 555-558.
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