Sechzehnte Szene


[574] Peter allein.


PETER. Jetzt kenn' ich also meinen Mann, ich sage, meinen Mann – er is mir verfallen, er is Eigentum meiner beleidigten Familienehre. Ja, ja, Herr Intendant, Faktotum und dirigierender Gott weiß was, wenn du noch zehn Chargen hättest und wenn du Obergroßmufti des Sultans von Babylon und Ninive wärst, für mich bist du ein Taschendieb des ehrlichen Namens, du bist versetzt im Pfandhaus meiner Rache, nur die vollste Wiederherstellung der Unbescholtenheit meiner Schwester löst dich aus! – Aber halt! Ist die Zuversicht, auf der mein blinder Glaube stolziert, nicht etwa eine dünne Eisrinde, wo mir vielleicht beim nächsten Schritt Einsturz ins kalte Wasser der Beschämung droht? – Ich glaub' fest an meine Schwester, das ist schön von mir – aber das Schöne kann auch dumm sein, wir haben an vielen Schönen den Beweis. – Wenn sie vielleicht doch – wenn vielleicht – verfluchtes Losungswort des Zweifels! – Lächerlich! Geschmacksverirrung in diesem Grade! Klara, die Luftgestalt, und dieser von Erdengenuß ang'schoppte Wohllebensack, unmöglich! – Hm – welcher Entdecker hat das schon bemessen, wie weit sich die äußersten Vorgebirge der Möglichkeit ins Meer der Unmöglichkeit hinein erstrecken? – »Glänzende[574] Partie« heißt die Fee, die oft Wunder wirkt in jungfräulichen Herzen, und selbst die ordinäre Hex' »Reichliche Versorgung« hat schon in zarten Wesen riesige Selbstverleugnung erzeugt. – Ich muß wissen, ob er ihr ganz fremd ist – ich muß sie einander gegenüberstellen. Fallt die Überzeugung nicht so günstig aus, wie ich überzeugt bin, daß sie ausfallen muß, das wär' von so einem Mädel ganz was Neu's, und es gibt ja nix Neues unter der Sonne, man sagt wenigstens, es war alles schon da. Ich aber sag' konträr, es war eine Menge noch nicht da, und dann kann man ja das, was sich in Jahrhunderten nur einmal ereignet, doch auch unter das Neue rechnen.


Lied


1.

Es tut einer prassen

Ganz über die Maßen.

Um Geld z' kriegen in d' Hände,

Verspricht er Prozente;

D' Leut' blend't d' Equipagi,

Vertraun ihm ihr Laschi.

Gach tut er verschwinden,

Is in Neu-York zu finden;

Die Gläubiger fluchen,

Dort können s' ihn suchen.

Solche Fälle, na ja, war'n schon tausendmal da.

Doch daß einer saget: »Meine Herren Kreditoren,

Noch habts nix verloren;

Doch Betrug bringt kein' Segen,

Drum nehmts mein Vermögen,

Daß ich niemand betakl',

Mit mein' G'schäft hat's a Hakl.

Auch, was auf d' Frau geschrieben,

Nehmts hin nach Belieben.

Sie geht gern mit mir betteln, wenn ich Ehr'nmann nur heiß'!« –

Ja, so eine Krida wär' ganz etwas Neu's.[575]


2.

D' Frau is jung und sauber,

Und ihr alter Tauber

Hat ein' jungen Bekannten,

Weitläufig Verwandten;

Der Alte is rheumatisch,

Der Freund is sympathisch;

Der spielt ohne Ende

Cavaliere servente

Und seufzt sehr bedeutend

Auf d' Frau, sie begleitend.

Solche Fälle, na ja, war'n schon tausendmal da.

Doch daß so ein Freund saget: »Bedenken Sie, Gnädige,

Sie sind keine Ledige,

Verfolgen mich mit Blicken,

Das tut sich nicht schicken;

Wie S' von Liebe was sagen,

Muß ich Ihnen verklagen,

Denn in jeder Hinsicht,

Ihr Mann, der verdient's nicht,

Trotz Husten und Podagra liebt 'r Ihnen heiß!«

A Hausfreund, der so red't, wär' ganz etwas Neu's.


3.

Eine Stelle is offen

Nach zwanz'gjährigem Hoffen;

D' Praktikanten, die rennen,

Wenn s' vor Hunger noch können;

Die schon z' schwach auf 'n Füßen,

Es schriftlich tun müssen.

So auch d' schwarzenfracklosen

Besitzer lichter Hosen;

Kurz, alle tun s' bitten

Mit Schrift und Visiten.

Solche Fälle, na ja, war'n schon tausendmal da.

Doch daß einer saget: »Ich soll avancieren? –

Da muß i deprezieren!

's soll'n noch Jahre verfließen,[576]

Muß mich erst recht einschießen;

Und dann wär's auch billi,

Ein' z' wähl'n mit Famili.

Sie werden vor mir und hinten

Verdienstvoll're finden;

Unter uns praktiziert manch gar würdiger Greis.« –

A Praktikant, der so red't, das wär' ganz etwas Neu's.


4.

»Heiraten S' mein Mädl,

's Herz is gut und edel;

Die Welt hat nichts zweites

So Braves und G'scheites;

Sie is sanft und geduldig

Und gar so unschuldig;

Und trotz ihrer Schönheit

Tragt s' nur a Delaine-Kleid;

Sie machen ein' Terno!

Was Terno? Weit mehr no!«

Solche Mütter, na ja, war'n schon tausendmal da.

Doch daß d' Mutter saget: »So erwünscht Sie mir wären,

Müssen S' doch d' Wahrheit hören.

's Madel is voller Fehler,

Wirft um mit die Teller;

Jeder Putz is ihr z' weni,

Steht auf erst um zehni;

Und damit S' alles wissen,

Bevor S' den Bund schließen,

Sie hat auch schon zwei Liebhaber g'habt, die ich weiß.« –

A Mama, die so red't, das wär' ganz etwas Neu's.


5.

Z' Georgi, z' Michäli,

Wann der Zins is kaum fälli,

Kummt er glei mit 'n Wachter;

Wann d' Parteien warten, lacht er;

Und tät's d' Partei wagen,

Beim Zinszahl'n zu sagen:[577]

»Rep'ratur wär' sehr nötig!« –

Das nimmt er ungnädig;

So a Begehr'n wird verweigert,

Zur Straf' d' Partei g'steigert.

Solche Hausherrn, na ja, war'n schon tausendmal da.

Doch daß der Hausherr saget: »Sie tun viel spendier'n,

Hab'n alls lass'n reparier'n, –

Die prächtig'n Tapeten,

D' neuen Öfen, die netten,

Parketten von Ahorn,

Aus an Zimmer sein zwa wor'n –

Meiner Seel', es wär' schändli,

Wir' i da nit erkenntli.

Hundert Gulden vom Zins lass' i Ihnen nach zum Beweis.« –

A Hausherr, der so red't, wär' ganz etwas Neu's.


6.

D' Köchin rechnet alls teuer,

Fleisch, Butter und Eier,

Auch bei d' Hendeln und Anten

Profitiert s' für 'n Amanten;

Er muß s' einkaufen führ'n

Und beim Einbrenneinrühr'n

Halt't er zärtlich ihr 's Pfandl,

Nennt sie »Laura« statt »Sandl«,

Und so oft s' mit ihm g'spannt is,

Kocht s' gar, daß 's a Schand' is.

Solches Dienstvolk, na ja, war schon tausendmal da.

Doch daß eine saget, tut s' ihr Liebhaber b'suchen:

»Kuchel g'hörte zum Kuchen,

Ale nit, daß scharmier' ich,

Traktament ganz ruinier' ich;

Drum scher' dich Weg' deinige,

Leid't 's nit Frau meinige;

Hab' ich Dienst prächtiges,

Zahl'n s' Lohn grußmächtiges,

Daß ich betrag' mich mit sittsame Fleiß.« –

A Köchin, die so red't, wär' ganz etwas Neu's.[578]


7.

Daß Entrepreneure

Sag'n: »Alls für die Ehre!

Ich bin glücklich hienieden,

Wann's Publikum z'frieden;

Will gar nix gewinnen

Als Beifall von Ihnen;

Mit freudigem Herzklopfer

Bring' ich jedes Opfer;

's glimmt dankbar der Funke,

Auch wenn ich zugrund geh' –«

Solche Floskeln, na ja, war'n schon tausendmal da.

Doch daß einer nix sagt und alles anwendet,

Um herz'stell'n vollendet

Mit tüchtige Kampel

Ein rundes Ensemble,

Auch von nahe und ferne

Z'samm'trommelt die Sterne,

Die hell strahl'n am Himmel

Im Künstlergewimmel –

Und alles das um die gewöhnlichen Preis'!

So ein Unternehmer, das wär' ganz etwas Neu's.


8.

's tut oft Mißjahre geben

Fürs Korn und für d' Reben;

Kein Getreid' fechst der Bauer,

Die Weinbeer' bleib'n sauer,

Ka Zuspeis kann wachsen,

's Wetter macht solche Faxen,

Daß sogar – wer sollt's denken?

Sich d' Erdäpfel kränken.

Natürlich heißt's dann: Heuer

Wird's unsinnig teuer.

Solche Fälle, na ja, war'n schon tausendmal da.

's gibt aber auch Jahre, wo alles g'rat prächti,

's Korn dick und hochmächti;

's gedeiht Kelch und Weizen,[579]

Die Obstbäum' tun s' spreizen

Antivi und Zeller –

Zu klein werden d' Keller;

Stoff zu zahllosen Affen

Tut im Mostquantum schlafen;

Daß in so ein' Segen-Gottes-Jahr' d' Lebensmittelpreis'

Dann wohlfeil'r auch wurden, wär' ganz etwas Neu's.


Links ab.


Verwandlung


Puffmanns Bureau wie im Anfang des zweiten Aktes.


Quelle:
Johann Nestroy: Gesammelte Werke. Ausgabe in sechs Bänden, Band 4, Wien 1962, S. 574-580.
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