Fünfzehnte Szene


[726] Jojakim. Der Vorige.


JOJAKIM. Joab! mein Sohn! laß dich umarmen, mein Sohn Joab! mein tapferer Kadett! Umarmt ihn.

JOAB zu Jojakim. Tate!

JOJAKIM. Joab, in was bist du gekommen für einer abscheulichen Period! Greu'l der Verwüstung in Israel, Erdbeben in der Handelswelt, die festesten Häuser stürzen übereinander, und vom Geschäftshimmel fallen die Sterne herab.

JOAB. Sag' mir der Tate, wie stehn die babylonischen Metallique, und die mesopotamischen Livoneser?

JOJAKIM. Joab, mein Sohn, wer wird jetzt denken an a Börs'? Die assyrischen Nordbahnaktien steigen von Stund' zu Stund', unser Lebenskurs steht pari mit dem Tod, der Holofernes wird kommen als Sensal, und wird machen den Abschluß mit uns.

JOAB. Sie sagen halt, wir kriegen Teuerung und Hungernot, und da is es am besten, wenn man nimmt Staatspapier' in die Kost. – Man sollt' ihm machen dem Holofernes einen Prozeß, er is nur General, und wie geht er um mit die König'?! is das Supperdination?

JOJAKIM. Sie sind ihm alle zinsbar, die Könige der Erde.

JOAB. Was zinsbar! is er der Hausherr, logieren sie bei ihm als Partei? Unter andern Tate, sie sagen auch bei unsrer[726] tapfern Armee, daß er a Menschenfresser is, wenn er tafelt, sagen sie, verspeist er drei Jungfrau'n, zwei als Tauben in einer Pasteten, und die dritte tunkt er ein in Kaffee.

JOJAKIM. Joab, mein Sohn, es wird alles übertrieben; wer weiß, was er oft verspeist der große Holofernes, waih geschrien!

JOAB. Aber umbringen tut er s' doch stark.

JOJAKIM. Konträr! Der starke Held hat nur zwei schwache Seiten, ein guten Wein, und ein schönes Geschlecht.

JOAB. Gottes Wunder, wie schad' is das, daß is unser Judith nicht da. Die hätt' jetzt können werden die Retterin von ganz Israel.

JOJAKIM. Was sagst du von deiner Schwester Judith? die wohnt draußen in Gebirg und weint um ihren Manasses.

JOAB. Unser Judith is a Schönheit, und nicht wahr, Tate, ich seh' ihr gleich.

JOJAKIM. Du bist worden geschaffen nach ihrem Ebenbild.

JOAB. Die Mämme hat immer gesagt, wenn die Judith nicht wär' gekommen a Jahr früher auf die Welt, wir hätten sein können zwei Zwilling'. Von plötzlicher Inspiration ergriffen. Ha, Beleuchtung von oben –! prophetische Einwirkung von unten –! Begeisterung von allen Seiten –! Schmeichelei – Einschläferei – Betäuberei – Meuterei – Sablerei –!!

JOJAKIM erschrocken. Joab! du bist ja besessen, mein Sohn! Murmelt eine talmudische Formel über ihn.

JOAB. Is schon wieder vorbei, aber – wo is der Kammerschlüssel von der Judith?

JOJAKIM. Von der Judith?

JOAB. Tate, Sie werden staunen, wenn werden Sie sehn, was er wird vollbringen der Joab der schöne Kadett! Dringend. Wo is der Kammerschlüssel von der Judith?

JOJAKIM. Auf meinem Betschemel, da wirst du finden das Buch Genesis, darneben liegt der Kammerschlüssel von der Judith. Aber was du vorhast, warum soll es nicht wissen dein Tate?[727]

JOAB. Warum? Darum, wenn der Himmel will wirken a Wunder durch mich, so lassen Sie dem Himmel sein' Freud'!

JOJAKIM. Joab, schon dein Leben – In die Szene links blickend. Da kommt das Volk von Bethulien, ich darf nicht vergessen meinen großen Beruf – Im Abgehen. Weh! Weh! Geht links im Vordergrunde ab.

JOAB allein. Mein Plan is ein Wunder des Himmels, wenn er gelingt –. Ja, wann er jetzt will wirken Wunder der Himmel, so muß es schon sein was Apart's, denn was die Menschen ehmals gehalten hab'n für ein Wunder, das is jetzt was ganz Ordinäres.


Lied


1

In Babylon hab'n s' woll'n ein Stephansturm bau'n,

Der hat soll'n unsern Herrgott in d' Fenster einischau'n,

Kaum warn s' ober der Uhr warn s' schon alle verwirtt,

Eins hat spanisch und 's andre chinesisch diskriert.

Das hab'n d' Leut', unerhört

Für a Wunder erklärt.

Jetzt hab'n auch wollen viele bau'n bis in d' Wolken hinauf,

Aber 's tut's nicht, d' G'schicht' löst in sich selber sich auf,

Denn beim Grundsteinleg'n hab'n s' schon ang'stimmt ein'n Diskurs,

Geg'n den alles Babylonisch's verstecken sich muaß.

So was nennt man kein Wunder jetzt mehr heutzutag',

Man find't 's ganz natürli und kein Hahn kraht darnach!


2

Unsre Vorfahr'n war'n Dalk'n, hab'n sich g'worfen zur Erd',

Und ein goldenes Kalb hab'n sie göttlich verehrt;

Für den Frevel an g'sunder Vernunft hab'n sie büßen,

Und ich weiß nicht wie viel Jahr' in Elend leb'n müssen;

Das hab'n d' Leut', unerhört

Für a Wunder erklärt.[728]

Wie viele gibt's jetzt unter unsern Herrn,

Die a Gans mit viel Geld als a Göttin verehr'n;

Das Schicksal tut ihnen d' verdiente Straf' geb'n,

In Siemandlketten führen s' a elendig's Leb'n.

So was nennt man kein Wunder jetzt mehr heutzutag',

Man find, 's ganz natürlich und kein Hahn kraht darnach!


3

Wie der Jonas ins Meer hineinplumpft is, was geschieht?

Kommt ein Walfisch und schlickt ihn vor laut'r Appetit;

Doch er muß ihm nicht g'schmeckt hab'n, 's war a heikliches Viech,

Nach drei Täg'n gibt er'n ganzen Propheten von sich;

Das hab'n d' Leut', unerhört

Für a Wunder erklärt.

Wir hab'n Politiker jetzt voll prophetische Gab'n,

Denn bei all'n, was g'schieht, sag'n s' daß sie's voraus g'wußt hab'n;

Ohne daß sie wer schlickt lieg'n s' all'n Leuten in Mag'n,

Was kein Walfisch verdaut müss'n oft Menschen vertrag'n.

Und man nennt das kein Wunder jetzt mehr heutzutag',

Man find't 's ganz natürli und kein Hahn kraht darnach!


4

Der ägyptische Joseph hat g'schmacht't im Gefängnis,

Da wendet ein Pharaotraum sein Verhängnis,

Sie hab'n ihn hervorzog'n aus kerk'rischer Nacht

Und gleich zum Minister des Innern gemacht;

Das hab'n d' Leut', unerhört

Für ein Wunder erklärt.

Solche Sprünge g'schehn häufig in neuester Zeit,

Nur machen sie's umgekehrt meistens die Leut';

Gleich in Anfang sehn sie sich als Minister ganz hoch,

Man hilft ihnen aus'n Traum, und 's Finale is 's Loch.

So was nennt man kein Wunder jetzt mehr heutzutag',

Man find't 's ganz natürli und kein Hahn kraht darnach![729]


5

D' Salomonischen Sprüche, die sind weltbekannt,

Vorzugsweise hat man ihn den Weisen genannt;

Später hat er mit Götzendienst sich wohl blamiert,

's heißt sein' Massa von Weibern hat ihn dazu verführt,

Trotzdem wurd 'r unerhört

Für ein Wunder erklärt.

Wieviel Männ'r hab'n wir jetzt, wo in Reden und Schrift,

Gar mancher den Salomo weit übertrifft,

Sie leb'n auch in Ansehn als ruhmvolle Herr'n,

Nur wenn s' alt wer'n, wer'n s' dumm, und tun Weiberknecht' wer'n.

So was nennt man kein Wunder jetzt mehr heutzutag',

Man find't 's ganz natürli und kein Hahn kraht darnach!


Im Hintergrund links ab.


Quelle:
Johann Nestroy: Werke. München 1962, S. 726-730.
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