11. Am 2. Sontag nach der H. drey Könige Tage

[209] Zun Röm. am 12.


Auff den 61. Psalm

Thu, Herr mein Geschrey erhören.


Es sind unterschiedene Gaben

Die wir haben,

Nach der Gnade, die Gott giebt;

Der, dem er zu Propheceyen

Will verleyhen,

Schaue, daß er es recht übt.


Wer ein Ampt hat, welcher lehret,

Dem gehöret,

Daß er sehe fleissig zu.

Wer ermahnt, gibt und regieret,

Dem gebühret,

Daß er alles hertzlich thu.


Wer Barmhertzigkeit erzeiget,

Sey geneyget,

Daß er ungezwungen sey

Liebe weiß mit falschen Sachen

Nichts zu machen:

Lebet recht, legt arges bey.


Lieb auß brüderlichem Hertzen

Kan nicht schertzen,

Ist ohn allen falschen Schein.

Schaut, daß ihr einander ehret,

Als gehöret;

Nichts an euch soll träge seyn.


Laßt den Geist euch brünstig leiten,

Kennt die Zeiten,

Hofft und duldet; betet viel.

Tragt mit heil'ger Noth Erbarmen:

Herbrigt Armen,

Segnet, der euch übel will.


Freut euch, wenn sich and're freuen,

Weint in Treuen

Wenn ihr bey Betrübten seyd,

Uebt euch, daß ihr gleiche Sinnen

Mögt gewinnen,

Hasset Pracht, liebt Nidrigkeit.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 209.
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