Die 4. Scena.

[130] ABRA.

Da ist das Wilde Haupt, das alle Welt zue fressen

Vorhin gemeinet war; jetzt wird sein baldt vergessen.

Da ist des Wütrichs Haupt, das jhm (O Wunderthat!)

Ein Weib herab gerissen hat.

JUDITH.

Wer seinen Kräfften trawt vnd nicht den Feind wil achten,

Der kan mich Schwaches Weib vnd diesen hier betrachten:

Der alle Welt gedruckt, der dich, du Heyl'ges Landt

Zue fangen hat vermeint, dem mangelt jetzundt Sandt,

In dem er faulen mag; sein Aaß liegt vnbegraben,

Gestümmelt vnd Zerhackt; sie wollen alle haben:

Egypten sagt, ein Arm der müsse seine sein,

Der Bürger am Eufrat ergreifft das Rechte Bein,

Das Lincke der von Tyr: ein jeglicher begehret;

Doch würde gleich sein Leib in Sonnen Staub verkehret,

So wer' er nicht genung. Nun diß hat der gethan,

Der auch ein Weibeßbildt zum Manne machen kan.

Wie sol ichs doch, O HERR, verdancken deiner Güte?

Du hast mit Himmelßkrafft verpantzert mein Gemüte:

Durch dich erhielt ich mir das Leben ohne Noth,

Die Jugendt ohne Fall, die Keuschheit ohne Spoth.

ABRA.

Kompt, jhr Jungfrawen, kompt herbey

Vnd lobt mit Süsser Melodey

Die Werthe Fraw, das Heyl der Stadt,

Die euch vnd sie erhalten hat.

Herbey vnd lobet ewre Zier!

JUDITH.

Nein; nicht mich, GOTT vielmehr für mir.

ABRA.

Seidt frölich Wiesen, Wald vnd Feldt,

Erhebt euch jhr Gefilde.

Der euch vnd vns hat nachgestellt,[130]

Ist selbst erlegt vnd vmbgebracht

Von einem Weibeßbilde.

JUDITH.

Von mir nicht, von des Höchsten Macht.


Judith sampt dem Chore der Jungfrawen.


Laßt vns ein Getichte singen,

Das biß durch die Wolcken thönt,

Vnd dem HERRN ein Opffer bringen,

Der der Fürsten Pracht entthrönt,

Vnd dem Armen, der Ihn liebet,

Thron vnd Cron vnd Zepter giebet.


Hett' es jemand glauben können?

Dennoch ist das Haupt gefellt,

Das in seinen Stoltzen Sinnen

Herr war dieser gantzen Welt,

Also weit der Sonnen Stralen

Mohren Land vnd Calpe mahlen.


Holofern ist eine Leiche

Vnd noch minder dieser Zeit,

Der so manchem Königreiche

Auffdrang schwere Dienstbarkeit.

Der viel Länder vberwunden,

Hat nur keinen Sarch gefunden.


Wüterich, laß dich begraben

In Porphir vnd Marmorstein.

Nein; dein Ebenbildt, die Raben,

Sollen dein Begräbnüß sein.

Es muß dir, du Last der Erden,

Erde nicht zu theyle werden.


Vnser GOTT hat Obgesieget,

Hat diß grosse Werck gethan:

Er ists der nicht vnten lieget

Vnd durch Wincken schlagen kan.

Wem Er seine Gunt wil senden,

Der bezwingt mit Weiber-Händen.

JUDITH.

Schawt, kommen doch die Könige gegangen,

Die Holofern so schändlich hielt Gefangen.

Sie sind hinfort erlöst von Menschen-Dienstbarkeit;

Ach weren sie deß diensts der Götter auch befreyt!


Quelle:
Judith-Dramen des 16./17. Jahrhunderts. Berlin 1933, S. 130-131.
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