3.

[83] Und drinnen im hochgewölbten Rittersaal

Feiertest Du, göttliche Himmelstochter,

Poesie, Deinen edelsten Sängerkrieg!

Damals zogen die Sänger noch ein

In die Hallen der Fürsten und Großen,

Priesen der Minne Glück, priesen das Vaterland

Waren geächtet noch nicht und verstoßen.

Die Großen fühlten höchlich sich geehrt,

Wenn der Poet bei ihnen eingekehrt.[83]

Das ist vorbei!

Wohl giebt's noch Sängerkriege,

Aber in anderem Sinne

Als einstens der Sängerkrieg ward gefochten

In deinen Hallen, uralte Wartburg.

Krieger sind jetzt die Sänger

Gottentflammte begeisterte Volkstribunen.

Aber nicht um einander zu entreißen

Ruhmespsalmen singen und kämpfen sie –

Nein, eine höhere Sendung

Ist jetzt den Dichtern geworden.

In gleicher Gesinnung

Stehen und kämpfen sie nebeneinander;

Ziehen nicht ein in die Hallen der Großen,

Sie sind daraus verstoßen –

Haben sich selbst verbannt.

Draußen aber bei allem Volk

In den Hütten der Armut,

Vor den Kerkern Unschuldiger

Singen sie ihre Weisen:

Von den Rechten der Unterdrückten,

Von der Freiheit der Gefesselten,

Von den Freveln der Reichen,

Von der Teilung der Arbeit und des Erbes

Für alle Menschgeborenen![84]

Das ist ein Sängerkrieg, ein neuer, heiliger

Und sicher ist sein Sieg.


Quelle:
Louise Otto: Mein Lebensgang. Leipzig 1893, S. 83-85.
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