Sechstes Capitel
Im Kloster

[118] Seit Ulrich von Straßburg erkannt hatte, daß sein Freund Hieronymus in seinem Vorurtheil gegen die Juden verrottet und unverbesserlich sei, hielt er ihn auch in andern Stücken einer gleichen Engherzigkeit für fähig und während er ihm sonst fast seine geheimsten Gedanken mitgetheilt hatte, fühlte er sich jetzt veranlaßt, gegen ihn über sein Gespräch mit dem Propst zu schweigen, welches so viele bange Zweifel und unheimliche Fragen in ihm aufgeregt hatte.

Die Baubrüderschaften im Allgemeinen waren nicht nur in ihren speciellen Kunstleistungen, sondern auch in der Freiheit ihrer Lebensanschauungen und ihrer religiösen Ansichten ihrer Zeit voraus. Aber wie, besonders in großen Uebergangsperioden, wie der Ausgang des Mittelalters in seinem Schooße trug, sich immer Altes und Ausgelebtes mit Neuem und Weitausgreifendem oft in einem Individuum und noch öfter in gesellschaftlichen[118] Gliederungen beieinander findet, so war es auch bei den Baubrüderschaften selbst und ebenso bei ihren einzelnen Mitgliedern. Der Geist des Albertus Magnus und seiner Geheimlehre der christlichgothischen Baukunst wirkte noch mächtig fort, und wie die Säulen der erhabenen Dome in immer kühneren Schwingungen aufstiegen, wie der ganze Bau und in ihm wieder jeder einzelne Stein zu leben schien und dabei aus der Begeisterung, damit Gott und dem Christenthum zu dienen, eine Begeisterung für die Kunst an sich und ihren eigensten Cultus neben, oder auch über dem christlichen geworden war: so lebte wohl auch in den Brubrüderschaften ein höher und weiterstrebender Geist, als er sonst in ihrer Umgebung sich kund that – aber ebenso war auch etwas Versteinertes und unwandelbar Feststehendes in ihren Gesetzen und Statuten, das keine Reform derselben zuließ und Jahrhunderte lang dieselben äußern Formen und Bestimmungen bewahrte, als wären gerade sie das Wesentlichste der Sache.

Dieselben Steinmetzen, welche sich ungestraft erlauben durften Tiara und Inful zu verspotten und in ihren auf ewige Dauer berechnenden Steingebilden zur Hölle fahrende Mönche und Nonnen, Könige und Bischöfe, ja Kaiser und Päpste dem Hohne der Zeitgenossen[119] wie der Nachkommen preiszugeben – dieselben Steinmetzen mußten gewissenhaft zur Beichte gehen, und verfielen den schwersten Strafen der eigenen Hüttengesetze, wenn sie irgend eine kirchliche Handlung verabsäumten. Dieselben Freidenker, welche sich über das gesunkene Kirchenthum erhaben fühlten, waren doch die Feinde derer, welche sich nicht dazu bekannten – die allgemeine Verachtung, welche damals die Juden traf, wie der Haß gegen die Türken als den Erbfeind der Christenheit, war auch im Bekenntniß der Baubrüder eine Hauptstelle, und auch die Aufgeklärtesten unter ihnen waren ganz und gar von diesem Vorurtheil erfüllt. Wir haben gesehen, wie Hieronymus auf das Mächtigste von ihm beherrscht ward – ebenso wenig war Ulrich ganz frei davon, aber er hatte doch an die Worte des Meisters denken lernen: »Unter allerlei Volk, wer Gott fürchtet und recht thut, der ist ihm angenehm« – und hielt es nicht für unmöglich, daß Rachel zu diesen Rechtthuenden gehören könne – wenn schon sie so unglücklich war eine Jüdin zu sein!

Aber Hieronymus wollte nichts von einer solchen Anschauung wissen und fürchtete zumal auch, daß Ulrich sich und ihn in Schimpf und Schande in der Hütte bringen werde, wenn ein Zufall oder vielleicht Rachel[120] selbst verriethe, daß er mit ihr gesprochen und sie in seiner Wohnung verborgen gehabt hatte, in die sie früher schon mehr als einmal sich gedrängt. Wie den Baubrüdern jeder Verkehr, auch mit ehrbaren Frauen, als Vergehen angerechnet ward, galt der mit einer Jüdin als doppeltes Verbrechen, denn man achtete eine solche gleich der verworfensten Dirne, mochte sie auch unschuldig sein wie ein Kind.

Zu den andern Vorurtheilen sowohl der Zeit als der Baubrüderschaften, die darauf ihre Gesetze gründeten, gehörte die Nothwendigkeit ehelicher Geburt zu sein. Alle unehelichen Kinder galten als rechtlos, und der Makel, den sie so mit auf die Welt brachten, heftete sich an ihr ganzes Leben. Bei ihnen erwiesen sich allein die Klöster als eine rettende Zufluchtsstätte, in der sie vor dem Fluch gesichert waren, der sich draußen an ihr ganzes Leben knüpfte. Fast von allen Handwerken und Aemtern waren sie ausgeschlossen, und die Fürsten verfügten über sie ganz wie über Leibeigene. Das »Wildfangsrecht« z.B., ein Recht deutscher Fürsten, alle Unehelichgeborenen ohne Weiteres in ihre Kriegsdienste zu zwingen, erhielt sich viele Jahrhunderte. Dieser Fluch der bürgerlichen Unehrlichkeit mußte[121] diese Unglücklichen, die ihm verfallen waren, von Haus aus gleich selbst in die Bahn unehrlicher und verbrecherischer Gewerbe treiben und prägte sich tief als das Bewußtsein einer unschuldigen Schuld in alle empfindungsfähigen Gemüther. Darum waren auch Eltern noch außer der Angst vor der persönlichen Schande und Strafe, die ihnen selbst widerfuhr, eifrig bedacht ihren Kindern ehrliche Namen zu verschaffen, sei es auch auf die betrügerischste Weise. Oft genug entdeckte sich später der Betrug, und dann verfielen die unschuldigen Kinder doppelter Schande. Daher war es auch eine sehr gebräuchliche Drohung oder ein Mittel der Rache, an dern Personen nachzusagen, daß sie nicht von ehelichem Herkommen seien; denn oft ließ sich eines so wenig als das andere erweisen, und schon der Zweifel ward doch in manchen Augen zum Makel.

Am strengsten aber unter allen Genossenschaften hielten die Bauhütten darauf, keinen Lehrling aufzunehmen, der nicht genügende Zeugnisse über sein Herkommen hatte. Die ganze Brüderschaft ward als profanirt betrachtet, wenn sie einen solchen unter sich geduldet hätte, Ulrich selbst hatte sich schon bei Rachel's erster Warnung vor der Möglichkeit entsetzt, daß man nur versuchen könne, seinen Eltern Unwürdiges nachzusagen,[122] und jetzt entsetzte er sich doppelt vor den Bedenklichkeiten, welche durch die Worte des Propstes in ihm aufstiegen. Es gab für ihn kein größeres Unheil, als wenn wirklich ein Flecken auf sein Herkommen kam. Während er sich sonst darüber niemals Gedanken gemacht, waren sie nun plötzlich gewaltsam in ihm aufgeregt – und da er selbst kaum wußte, was er selbst glauben, fürchten oder hoffen sollte, so hütete er sich jetzt wohl Hieronymus ferner in diesem Stück zu seinem Vertrauten zu machen, ja er war zugleich fest entschlossen, seine Wohnung nicht mehr mit ihm zu theilen, damit, wenn ja der fürchterlichste Schlag über Ulrich hereinbräche, der Kamerad nicht durch ihn noch mehr sich mit beschimpft fühlen könne, als alle die andern freien Steinmetzen.

Obwohl er sich im Aeußern mit Hieronymus ausgesöhnt, so vermied er doch mit ihm ferner über den Gegenstand ihres Zwistes zu sprechen, sowohl wie über das tiefverworrene Bangen, mit dem er dem Kloster und dem Bruder Amadeus entgegenging. Da er aber doch mit Hieronymus früher von diesem Mönch gesprochen, als er den Verlust des Kreuzes wieder erwähnt, so sagte er ihm nur, auf Befragen nach demselben darauf[123] aufmerksam gemacht, daß dieser Mönch, welcher Amadeus heißt, an zeitweiligen Geistesstörungen litte.

So hatten sie an einem hellen Wintertag ziemlich die Hälfte des Weges nach dem Kloster zurückgelegt, als sie es in der Ferne von Rüstungen und Schwertern im Sonnenschein funkeln sahen und Rosseshufe den frischgefallenen Schnee emporwirbeln. Als der reisige Zug näher kam, gewahrten sie an seiner Spitze einen geistlichen Herrn zu Pferde, und erkannten an seiner Tracht, an seinen Insignien und Farben den Bischof von Eichstädt, umgeben von vielen Rittern und einem ganzen Troß von Knappen und Dienern. Hinter ihm ritt ein nach Studentenart gekleideter Jüngling, der einige Worte an den Bischof richtend, dann seitab zu den Baubrüdern sprengte, die ehrfurchtsvoll grüßend am Wege standen.

»Mit Vergunst,« sagte er zu den Beiden, die durch ihre Kleidung Allen als Baubrüder kenntlich waren; »wackere Brüder der freien Steinmetzzunft, mich dünkt, wir sind uns schon vor Jahr und Tag im lieben Nürnberg begegnet, und da ich nach langer Entfernung mich der theuren Vaterstadt wieder nähere, und Ihr die ersten Nürnberger Gesichter seid, die mir in den Weg kommen, so möcht ich Euch fragen, ob Ihr mir[124] vielleicht eine Kunde geben könnt, wie es in meinem Elternhause ergeht – es ist das der Pirkheimer?«

»Ihr seid es, Junker Willibald!« antwortete Ulrich; »bald hätte ich Euch nicht erkannt, denn Ihr seid größer und stärker geworden im bischöflichen Kriegsdienst, als bei den heimischen Studien. Ich denke, Ihr werdet die Euren im erwünschten Wohlsein treffen. Eurem Herrn Vater bin ich erst gestern begegnet, und Eure edlen Jungfrauen Schwestern flicken fleißig mit an einem Teppich für dieselbe Lorenzkirche, an der wir bauen.«

»Ei, das ist eine gute Kunde,« antwortete Willibald, »sogar von meinen Schwestern wißt Ihr! Ja, sie sind gern bei einem frommen Werke – daran erkenne ich, daß sie noch unverändert sind! Der kunstliebende Propst, Herr Anton Kreß, hat das wohl angeordnet.«

»O nein,« versetzte Hieronymus; »nicht nur die Ehre der Ausführung, auch die des ganzen Plans gebührt den Frauen.«

Und Ulrich fügte hinzu: »Die edle Frau Scheurl war kaum von ihrer langwierigen Krankheit genesen, da sie es beginnen ließ.« Er sprach diesen Namen absichtlich laut und faßte dabei einen Ritter in dunkler Tracht und von bleichem Ansehen scharf in's Auge, der[125] eben jetzt sein Visir niederschlug, das er vorhin offen getragen.

»Gott sei Dank,« sagte Willibald Pirkheimer, »der die edle Frau erhalten –«

»Und sie auch ferner beschützen wird,« rief Ulrich ungewöhnlich laut; »König Max hat seine Wohnung in Scheurl's Haus genommen – das wird ihr auch wohl Schutz gewähren.«

Jener Ritter war den Andern, die während dem schon einen ziemlichen Vorsprung erreicht, nur langsam und zögernd nachgeritten, und nachdem Ulrich Willibald noch auf seine Frage Antwort gegeben, wohin und in welcher Absicht sie auf dem Wege seien, sagte der erstere auf jenen Ritter deutend: »Kennt Ihr diesen da?«

»Das eben nicht; ich weiß nur, daß er Eberhard von Streitberg heißt und dort mit dem Ritter von Weyspriach erst unterwegs mit seiner Begleitung zu uns gestoßen.«

Ulrich sann eine Weile nach. Dann sagte er leise: »Ich kenne jenen Herrn als einen gefährlichen Wegelagerer, der auf den Landstraßen den harmlosen Kaufleuten auflauert und ehrbare Frauen überall verfolgt; warnt die Nürnbergerinnen vor ihm, wenn Ihr den Nürnberger Rath nicht warnen wollt!«[126]

»Das ist eine starke Anklage!« sagte Willibald.

»Ich kann sie aufrecht erhalten, wenn es sein muß!« sagte Ulrich; »aber Ihr wißt, wir freien Steinmetzen mengen uns nicht gern in profane Händel, und jetzt gebietet mir mein Beruf wohl eine Woche fern zu sein von Nürnberg. Kommt Ihr aber mit Frau Elisabeth Scheurl zu reden, so nennt Ihr nur im leichten Erzählerton die Namen der Ritter, die mit Euch kamen – dies thut als Gegendienst für die guten Nachrichten, die Ihr von mir empfinget. Und nun Glück auf den Weg und zur Heimkehr! Ich denke, wir sehen uns in Nürnberg wieder!«

Als auch Willibald sich verabschiedet hatte und der ganze Zug verschwunden war, sagte Hieronymus: »Ich erkannte den Ritter auch, mit dem Du auf Tod und Leben gerungen, aber ich hatte wenig Lust mich noch einmal in einen solchen Händel zu mengen und verdenke Dir, daß Du es gethan. Frau Elisabeth mag sich von ihrem königlichen Anbeter vor einem zudringlichen Entführer beschützen lassen – das wird ihr lieber sein, als von den armen Baubrüdern, denen sie es doch keinen Dank weiß. Du aber hast einen kecken und hinterlistigen Feind, dem kein Mittel zu schlecht ist, zu seinem Ziele zu kommen, auf's Neue herausgefordert[127] – denn er erkannte uns so gut, wie wir ihn erkannten.«

Ulrich versetzte: »Hoffentlich erkannte er nur mich, und Du hast nichts für Dich zu befürchten.«

»Das bliebe sich gleich,« antwortete Hieronymus; »man kennt uns als unzertrennliche Gefährten.«

»Wir müssen aufhören es zu sein,« antwortete Ulrich, »wenn Dir meine Handlungen Sorgen oder Verdrießlichkeiten bereiten.«

»Zu diesem Vorschlag ist es zu spät!« antwortete Hieronymus doppelsinnig.

Beide gingen eine Weile schweigend nebeneinander. Da hob sich auf einem Hügel am Waldessaum das einsamstehende Kloster der Benediktiner vor ihnen empor. Das goldene Kreuz darauf flimmerte hell im Sonnenlicht, das auf den beschneiten Dächern spielte und mit seiner erwärmenden Kraft ihm einzelne Tropfen erpreßte, die sich zu funkelnden Eiszapfen gestalteten.

Sie hatten nicht gar weit mehr zu gehen, da standen sie vor den Oeconomiegebäuden des Klosters, welche sich auch den Laien erschlossen – ja, als sie durch den Hof schreitend in ein hallenartiges Zimmer des Erdgeschosses kamen, saßen mehrere Wanderer darin, die hier nur eingekehrt waren, um auszuruhen und sich[128] durch einen Trunk Meth oder Wein zu stärken. Es gehörte damals mit zu den Mißbräuchen, die am häufigsten eingerissen waren, daß, wenn auch nicht in den Klöstern selbst, doch in den ihnen zugehörigen Oeconomien Wein geschenkt ward – aus dem, was früher eine freie Gabe mildthätiger Gastfreundschaft, war eine gute Einnahmsquelle für die Klosterkasse geworden.

Hier waren die Baubrüder nur eingetreten, als ein junger Novize, als solcher an seiner braunen Kleidung und dem kurz geschnittenen, aber doch nicht geschorenen Haar kenntlich, auf sie zukam und beiden nach einander die Hand drückte; an der Art, wie es geschah, erkannten sie in ihm einen Bruder, einen freien Steinmetzen.

»Gott grüße Euch und Gott leite Euch!« rief er; »Ich hoffte, daß Ihr diesen Morgen kommen würdet, und begab mich darum hierher Euch zu erwarten. Nun darf ich auch Euer Führer sein. Kommt mit hinüber in's Kloster und stärkt Euch dort erst mit Speise und Trank von der Wanderschaft – unter diesen Profanen und Laien hier ist nicht gut sein.«

Eben so herzlich erwiederten die Ankömmlinge den Gruß und Ulrich sagte: »Das hätten wir nicht gedacht,[129] hier plötzlich einen Bruder zu finden; aber wie ist denn Dein Name?«

Und Hieronymus fragte: »Und was hat Dich vermocht, Dich aus der thätigen Mitte freier Steinmetzen hierher zurückzuziehen? Willst Du wirklich unser lebensvolles Wirken mit der todten Ruhe hier vertauschen?«

»Mein Name ist Konrad,« antwortete der Novize, »Eure andern Fragen beantworte ich einmal später in einer ruhigen Stunde. Es ist eine traurige Geschichte – und mir blieb keine Wahl! Einstweilen denkt daran, daß ich nicht Verachtung, sondern nur Mitleid verdiene.«

Ulrich seufzte leise und betrachtete voll innigster Theilnahme den jungen Mann. Er sah blaß und abgehärmt aus. Seine dunklen Augen waren mit bläulichen Ringen umgeben, die ihren Glanz noch erhöhten. Seine ganze Haltung und sein fahles Ansehen, so wie seine heisere Stimme weckten die Befürchtung, daß er an einer verzehrenden Krankheit litt. Ulrich fühlte sich voll innigsten Mitgefühls zu ihm gezogen, indeß Hieronymus den Bruder mit einigem Mißtrauen betrachtete, der, sei es freiwillig oder gezwungen aus der Brüderschaft geschieden war, um aus einem fleißigen freien Steinmetzen ein fauler, eingesperrter Mönch zu[130] werden – wie es Hieronymus nannte. Denn obwohl diese ganzen Brüderschaften einst aus den Klöstern und zumal aus denen der Benediktiner hervorgegangen waren, so sahen sie jetzt doch mit derselben Geringschätzung auf sie herab, wie auf weltliche Profane.

Drinnen im innern Kloster, als der Pförtner sie eingelassen und Konrad sie durch einen schön gewölbten düstern Kreuzgang geführt, empfing sie ein anderer Mönch in einem kleinen wohl durchheizten Seitengemach und bewirthete sie auf's Beste. Ein anderer Bruder ging, den Abt von ihrer Ankunft zu benachrichtigen.

Nach einer Ruhestunde wurden sie zu diesem beschieden, dem Ulrich das Schreiben des Propstes Kreß überreichte.

Der Abt empfing sie mit Wohlwollen, und besonders nachdem er das Ueberbrachte gelesen, drückte er ihnen warm die Hand, und nachdem er sich mit ihnen von dem Propst, von dem zu erwartenden Reichstag und andern weltlichen Dingen unterhalten, forderte er sie auf, ihn in die Kirche zu begleiten, um daselbst das Werk, das ihrer harrte, in Augenschein zu nehmen. Der Novize Konrad und noch ein paar andere Mönche und Novizen schlossen sich ihnen an.[131]

So traten sie in die alte, im romantischen Styl erbaute Klosterkirche, die später noch manchen An- und Ausbau erfahren hatte, da die Baukunst schon dem gothischen Styl sich zugewendet und, nebenbei mit italienischer Pracht geschmückt, jenen ruhigen und erhabenen Eindruck vermissen ließ, welchen nur die tadellose Reinheit eines bestimmten Styls hervorzubringen vermag. Es war ein Mißklang zwischen dieser weiten romantisch gewölbten Eingangspforte, den leichten Spitzbogen, welche die bunt gemalten Fenster umschlossen, und den schlanken Säulen kühner Gothik, aus denen der hohe Chor sich bildete. Es war Ulrich gleich bei seinem Eintritt, als ob ein Geist der Unruhe und Zerfahrenheit ihn in dieser Kirche packe, die an den Seitenaltären besonders mit Reliquienschreinen, in denen die heiligen Gebeine in Gold und Juwelen gefaßt von Reichthum strotzten und von frommen Spenden und Prachtgeräthen hierin Ueberladung zeigte, indeß das reine Künstlerauge vergeblich nach schön gemeißelten Ornamenten und nach dem Ausdruck genialer Schöpfungen suchte, wie sein eigener Kunsteifer sie versuchte: das Geistige zur Erscheinung zu bringen im Stein, das Ewige darzustellen im Endlichen.

Ein einziges reines Kunstwerk dieser Art hatte die[132] Kirche besessen, und das war eben jetzt zerstört. Es war das Weihbrodgehäuse neben dem Hochaltar, darin das Allerheiligste aufbewahrt war. Es war dies ein kleines gothisches Kunstwerk von kundiger Hand nach dem Albertinischen System des Achtortes säulenartig aufgeführt. An der einen Seite stand eine Statue der Madonna, an der andern Seite die des Johannes. Gothische, mit zierlichem Laubwerk umrankte Spitzbogen stiegen darüber empor, auf dessen höchster Spitze ein Engel schwebte. Dieses durchbrochene Thürmlein, das sich über dem Hostienschrein selbst befunden hatte, war herabgefallen und lag sammt dem Engel halbzerschmettert daneben. Es sollte die Aufgabe der herzugerufenen Baubrüder sein, diese Stücke wieder zusammenzufügen, wo es thunlich, oder durch neue zu ergänzen. Der feine Sandstein, dessen man dazu bedurfte, lag bereit.

Als sie in die Kirche eingetreten waren, lagen einzelne Mönche vor den verschiedenen Altären betend auf den Knieen. Sie ließen sich durch die Kommenden nicht in ihren frommen Uebungen stören und sahen sich nicht nach ihnen um. Ulrich warf auf jeden von ihnen einen Blick, so gut es im Vorüberbergehen und von Weitem gehen wollte, ob er vielleicht Amadeus unter ihnen gewahre.[133] Doch sah er ihn nicht. Nur über Einen blieb er im Zweifel, der in einer Seitennische nicht weit vom Hochaltar in einer dunklen Ecke knieete und den Kopf so tief geneigt hatte und in die gefaltenen Hände gedrückt, daß keine Spur von seinem Gesicht zu sehen war. Die große Gestalt und der Kranz von grauschwarzem Haar um sein Haupt gemahnte an ihn – aber unter den mehr als hundert Mönchen, welche das Kloster einschloß, konnten viele dergleichen haben.

Hieronymus und Ulrich bewunderten und prüften das Kunstwerk, seine Zerstörung bedauernd, und letzterer sagte nach genauer Untersuchung desselben sowohl als der Wölbung der Kirche und allen, das Tabernakel nah' und fern umgebenden Gegenständen zornig aufflammend und mit großer Bestimmtheit:

»Herr Abt! hier ist ein unerhörter Frevel geschehen. Dies Thürmlein ist nicht von selbst herabgefallen, das hat die vandalische Hand eines Niederträchtigen herabgeworfen. Hier ist noch schlimmeres und Schändlicheres geschehen denn Kirchenraub – hier ist bloßer Muthwillen geübt worden am Allerheiligsten – am Allerheiligsten, das die Kirche bewahrt und besitzt, am Allerheiligsten auch der Kunst. Das ist das Werk einer gewaltsamen, absichtlichen Zerstörung von menschlicher[134] Hand. Habt Ihr keine Untersuchung angestellt, den Schuldigen zu finden? Ich denke, ich darf mich rühmen, beseelt zu sein vom Geiste christlicher Milde und Vergebung – aber gegen solch' ungeheuren Frevel, den nur ein Mensch verübt haben kann, der allen Sinnes für das Heilige baar zu einer Bestie herabgesunken, die aus Bosheit sich an einem Tabernakel vergreifen kann, dem jeder fromme Christ nur mit einer Kniebeugung sich nähert, und die so ihre Rohheit und Scheußlichkeit an einem erhabenen Meisterwerk der Kunst auslassen kann, das ein Heiligthum an sich ist, auch wenn es an einer andern Stelle stünde und eine profane Bestimmung hätte – für eine solche Bestie kenne ich kein Erbarmen!«

Er hatte laut und vom heiligen Feuer entflammt gesprochen; der tiefgebückte Mönch war noch tiefer zusammengesunken und hatte einen jammernden Ton von sich gegeben; der Abt und die Mönche sahen einander erstaunt an und Konrad sagte:

»Ich habe dasselbe gleich gesagt, aber Niemand hat mir glauben wollen – so mußte ich schweigen.«

»Das ist wahr,« sagte der Abt; »aber es ist doch auch ganz unmöglich, daß hier ein solcher schauderhafter Frevel geschehen konnte.«[135]

»Aber immerhin möglicher, als daß dies wohlgefügte Werk von allein herabstürzen konnte!« sagte Hieronymus kaltblütig, der nun auch seinerseits dasselbe untersucht; »ohnehin hat der Frevler seine Sache nicht einmal täuschend und geschickt gemacht, sondern nur mit einiger Scheu vor dem Allerheiligsten, die doch noch in seiner verworfenen Seele gewesen sein muß; er hat dies selbst verschont, und diese Statuen, die nothwendig mit hätten zertrümmert werden müssen, wenn etwa dies Werk, morsch und schwankend geworden, wie es aber durchaus nicht gewesen sein kann, bei einer geringen Veranlassung zusammengestürzt wäre. Der Frevler hat sich mit dieser gothischen Spitzsäule begnügt, oder er ist verscheucht worden und hat sein Zerstörungswerk in einem Zustand zurücklassen müssen, der jedem scharfblickenden Auge die willkürliche Menschenhand verrathen mußte.«

»Aber es kann ja Niemand in diese Mauern,« rief der Abt, »denn wer herein gehört; Fenster und Thüren zeigten keine Verletzung, durch die ein Bösewicht hätte eindringen können.«

Hieronymus zuckte die Achseln und sagte: »Wenn er nicht von außen kam, ist er von innen gekommen.«[136]

»Das ist eine Beschimpfung unser Aller!« rief ein Mönch und blickte zornig um sich.

Ulrich sagte gelassener: »Und wie meinet Ihr denn, daß die Sache zugegangen? Von einem Erdbeben hat man nichts gehört, und Gewitter giebt es im Winter ebenso wenig, oder sie sind doch so selten, daß Ihr es Euch gemerkt haben würdet – war ein solches und meintet Ihr, ein Blitz oder Donnerschlag habe das Werk getroffen?«

Alle verneinten.

»Wann geschah es denn? und war Niemand in der Kirche? Ich denke, sie wird auch Nachts nicht leer?« sagte Hieronymus.

»Es scheint, Ihr geberdet Euch, als wäret Ihr als Inquisitoren in unser Kloster gekommen!« sagte der Abt übel gelaunt, daß man es für möglich halte, in seinem Kloster, das sich immer eines guten Rufs erfreut, an solche Rohheiten zu glauben, wie sie kaum außerhalb desselben vorfielen; denn selbst der gemeine sittenlose Haufe hatte Achtung vor der Kunst, besonders an den heiligen Stätten und auch vor diesen selbst; das Verbrechen des Kirchenraubes gehörte mit zu den seltensten und darum auch mit der Kirchenschändung zu[137] denen, welche am härtesten und fast immer mit dem Tode bestraft wurden.

»Ihr seid es, der Ehre des Klosters und unser aller Ehre schuldig, daß die Sache auf's Strengste untersucht werde, und dann auch zur Kenntniß dieser Steinmetzen gebracht, die außerdem in ihre Hütte ein schlechtes Vorurtheil gegen uns mit hinausnehmen möchten!« sagte einer der Mönche.

»Es wird geschehen!« antwortete der Abt. »Amadeus soll uns im Conclave noch einmal darüber berichten.« Zu Konrad gewendet sagte er: »Führe die Steinmetzen in die Seitenhalle, in der sie das Material zu ihrer Arbeit finden werden, und versammle die andern Bauleute um sie, damit sie nach ihrer Vorschrift arbeiten.«

Es geschah, wie er gesagt hatte. Ungefähr acht Mönche und Novizen, die nicht ganz unkundig der Kunst waren das Winkelmaß zu führen und mit dem Meißel zu arbeiten, waren zur Verfügung der Baubrüder und halfen diesen vorerst das Material ordnen u.s.w. Nach den Vorschriften der freien Maurer sowohl als der Klosterbrüder durfte bei der Arbeit weiter nichts gesprochen werden, als was unmittelbar zu ihr gehörte, und daran banden sich denn auch Alle.[138]

Nicht lange Zeit war vergangen, als Ulrich noch einmal in die nebenan liegende Kirche ging, um ein Maßbrett an die darin befindlichen Trümmer des Tabernakels zu halten. Ein Mönch knieete dabei – es war derselbe, der vorhin an dem dunklen Seitenaltar geknieet. Jetzt fuhr er empor. Ulrich erkannte in ihm den Bruder Amadeus. Der Augenblick war günstig; es war Niemand weiter in der Kirche, als am Eingang ein Novize, welcher denselben kehrte.

»Wir sind uns schon einmal begegnet,« sagte Ulrich leise, da der Mönch zusammenfuhr; »mein Ungeschick riß das Kreuz von Eurem Rosenkranz – hier habe ich es Euch mitgebracht.«

»Ihr erkennt mich wieder?« sagte Amadeus.

»Ja – und ich weiß auch Euren Namen: Amadeus.«

»Nun wohl,« sagte dieser mit sonderbaren Blicken auf Ulrich schauend, »so behaltet das Kreuz als Andenken – an einen Mönch, der schon lange zu sterben wünschte und nun Euch sein Todesurtheil dankt.«

Ulrich dachte: der Propst hat Recht – Amadeus scheint wahnsinnig zu sein. Amadeus mochte diesen Gedanken des Schweigenden errathen und fuhr fort:

»Ich rede Wahrheit, wie Ihr sie geredet, Ulrich! Du warst der Einzige, der kein Recht hatte mein Urtheil[139] zu sprechen. Aus Liebe zu Dir beging ich den Frevel – ich wollte meine Hand segnend auf Deinen Scheitel legen – es ist meine Sühne, daß ich durch meinen Sohn sterbe! Gott vergebe Dir, wenn es ein Vatermord ist, den Du auf Deine Seele ludest!«

Ein Mönch an einer Seitenpforte näherte sich und rief: »Bruder Amadeus!«

»Sie holen mich in's Gericht!« flüsterte er noch Ulrich zu; »lebe wohl und schweige. Lebt Deine Mutter noch und siehst Du sie wieder, so sage Ihr, daß Du sie an mir gerächt hast – und daß ich mit dem Namen Ulrike auf den Lippen sterben werde!«

Heftig eilte er davon.

Ulrich sah ihm nach und fühlte sich von eigenthümlichem Grauen erfaßt. Was war das? was hatte er gehört? waren das die Worte eines Wahnsinnigen? Fast schien es so. Und doch! wenn sie mehr waren als Wahnsinn? oder dieser Wahnsinn doch nur der Nachhall einer Wahrheit? Wenn ein Zusammenhang war zwischen ihnen und denen, welche die Trunkenheit des Propstes schwatzte?

Ulrich hielt den zertrümmerten Engel in der Hand, der von dem Tabernakel herabgefallen – er hatte keine[140] Flügel mehr. So erschien er sich selbst in diesem Augenblicke – so herabgestürzt und aller Schwingen der Kunstbegeisterung beraubt – er mußte sich gewaltsam zusammenraffen, um wieder zur Arbeit zurück zu seinen Genossen zu kehren.[141]

Quelle:
Louise Otto: Nürnberg. Band 1–3, Band 2, Bremen 21875, S. 118-142.
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