Siebentes Capitel
Das Schönbartlaufen

[142] Ursula Muffel befand sich in einem Zustande des peinlichsten Harrens, schon seit sie gehört, daß der Reichstag in Nürnberg gehalten werde und daß Hans Tucher auch seinen Sohn Stephan in der Begleitung des Kaisers mit zurückerwarte. Aber dies Harren ward zur schrecklichsten Aufregung, als sie erfuhr, daß Stephan wirklich in den Schooß seiner Familie zurückgekehrt sei, daß er wie einst unter den Söhnen der Patrizier und Kaufleute Nürnbergs für den blühendsten und durch Ansehen und Haltung hervorstechendsten geltend, jetzt auch unter den königlichen Begleitern zu den stattlichsten und zu denjenigen zählte, die sich durch Pracht und Schmuck ihrer Kleidung von Andern auszeichneten und ebenso sorgfältig ihre Körpergaben pflegten. Ursula hörte, daß Stephan's Angesicht von Frohsinn, Gesundheit und Schönheit glänze – und ein Blick in ihren[142] Spiegel warf ihr dafür nur ein angstvoll betrübtes Gesicht zurück.

Er war da und kam nicht – das paßte nicht zu seiner sonst so feurigen Natur, der gegenüber sie ihre ganze Sittsamkeit hatte zusammennehmen müssen, um nicht dem Ungestüm der männlichen Leidenschaft zu erliegen. Und nun konnte er nach einer so langen Trennung zurückkehren, ohne Alles daran zu setzen, sie wiederzusehen? – War er ihr untreu geworden? hatten andere, verführerischere Frauen ihn verlockt – oder hatte er eine würdigere Gefährtin gefunden? – Oder hatte er ihr entsagt aus Gehorsam gegen seinen Vater – oder vielleicht selbst aus Bürgerstolz, der es doch verschmähet, sich mit der Enkelin des Gerichteten zu verbinden? – Oder hielt eine feindliche Macht sie getrennt? hatte man ihm falsche Nachrichten von ihr gebracht – etwa daß sie ihm untreu sei? oder entsagen wolle und müsse, oder wie sonst sich seiner unwürdig gemacht?

Alle diese Fragen erneuerten sich in Ursula mit fieberhaftem Ungestüm – und den größten Kampf kostete ihr gerade die letzte. Gewann diese die Wahrscheinlichkeit der Bejahung, dann war es ja an ihr zu dem Geliebten zu eilen, ihn von ihrer Treue, ihren[143] unveränderten Empfindungen zu überzeugen. Aber sie hatte doch keine Bürgschaft für diese Ursache seines Zurückbleibens von ihr, und so hielt sie sich gewaltsam von einem solchen entscheidenden Schritt zurück, der ihren jungfräulichen Stolz und ihre keusche Mädchenzartheit dem Spotte und der Verachtung preisgeben konnte, wenn ihre Voraussetzung und mit ihr Stephan sie getäuscht.

Die Anwesenheit des Grafen von Würtemberg und seines Gefolges in ihrem sonst so stillen Hauswesen, dessen Aufsicht sie führte, gab ihr wohl nebenher zu thun und zu denken in Menge, um so mehr, als Herr Gabriel Muffel mit seiner Bewirthung des hohen Gastes alle Ehre einlegen wollte, damit nicht die andern Genannten Ursache fänden, sich über ihn lustig zu machen, und das Hans von Tucher seinen Hochmuth nicht an ihm üben könne. Ursula mußte es sich auch darum um so angelegener sein lassen, sich selbst die Zufriedenheit ihres Vaters zu erwerben, als sie diese in andern Dingen verscherzt hatte: erst überhaupt durch ihr Liebesverhältniß mit Stephan und dann auch, als durch dessen Entfernung dieses dem Vater gelöst erschien, durch ihre Weigerung jedem andern Bewerber ihre Hand zu reichen. Zwar war der Vater auch tief bekümmert, daß er die[144] einzige Tochter von Tag zu Tag trauriger und leidender werden sah – doch da er eben meinte, daß ihr Eigensinn dies selbst verschuldete, so ward er dadurch nicht milder gegen sie gestimmt.

Jetzt, wo er hörte, daß Stephan mit dem König zurückgekommen und in seinem Gefolge den Ritter spielte, wo die Tucher und Holzschuher dafür sorgten, zu Muffel's Ohren gelangen zu lassen: wie viele schöne Edelfräulein ihr Herz an Stephan verloren, und wie er mit einem derselben bald Hochzeit halten werde – jetzt forderte er doppelt von der Tochter, daß sie vor den Leuten in gleich stolzer Haltung erscheine, und zürnte ihr doppelt, daß er sie ihnen nicht auch als Braut vorstellen konnte. Während er sonst an ihr mehr auf bürgerliche Einfachheit gehalten, verlangte er jetzt, daß sie auch in ihrer Kleidung mit den stolzesten Nürnbergerinnen wetteifere und bei keiner öffentlichen Lustbarkeit fehle. So, da die Fastnacht kam, sollte in wenig Tagen das »Schönbartlaufen« stattfinden, und zwar in der glänzendsten Weise, da der Reichstag versammelt war. Ursula wollte sich weder bei der Schlittenfahrt noch bei dem Ball, der ihr folgen sollte, betheiligen, aber ihr Vater bestand darauf, und da beides in Maskenanzügen vorgeschrieben war, ließ er ihr selbst[145] dazu die schönsten bestellen. Es waren noch einige Tage bis dahin, und Ursula dachte darüber nach, wie sie dem entgehen könne; denn wenn Stephan sie verlassen hatte, für den allein sie gelebt, so war sie fremd im Leben und es dünkte ihr nicht mehr hinein zu gehören: wenn er sie verstoßen und verachten konnte, so meinte sie die Verachtung der ganzen Welt auf sich geladen zu sehen, und ihren Hohn nicht nur zu finden, sondern auch zu verdienen.

So saß sie an einem früh hereingebrochenen Winterabend allein in ihrem Gemach. Der Burggraf von Zollern hatte an diesem Tag eine Jagd im nahen Forst veranstaltet, welcher die meisten Fürsten und Herren beiwohnten. Auch der Graf von Würtemberg war mit den meisten seines Gefolges dabei, ebenso ein Theil der Nürnberger Rathsherren, darunter auch Herr Muffel. Unter ein paar Stunden war wohl noch Niemand zurück zu erwarten.

Ursula konnte sich einmal ihrem Schmerze überlassen. Von innerem Frost geschüttelt saß sie am Kamin, dessen nicht mehr hell lodernde Gluth einen milden Schimmer auf ihr bleiches Antlitz warf. Wehmüthig blickte sie auf das helle Grün ihres Kleides, dessen Farbe der Hoffnung sie zu höhnen schien. Ihre kleinen[146] Hände, zart und durchsichtig wie Milchglas, ruhten gefaltet in ihrem Schooß. Es war immer dasselbe Gebet, das sie betete zur Mutter Gottes und zu allen Heiligen: ihr Stephan wiederzugeben oder sie abzurufen von der verödeten Erde! Und wie sie schon hundertmal gethan, zog sie die goldene Kapsel hervor, die Stephan's von Meister Wohlgemuth in Miniatur gemaltes Conterfei verschloß, das er ihr beim Abschied geschenkt. Sie küßte das Bild und flehte, ihn nur noch einmal wiedersehen, noch einmal so küssen zu können – und dabei lächelte sie unter Thränen – –

Da klangen draußen hastige Männertritte – sie näherten sich ihrem Gemach – vielleicht Einer von des Grafen Leuten, der im Dunkeln fehl gegangen, denn diesem abgelegenen Zimmer kam Niemand nahe, der nicht ausdrücklich zu ihr gesandt war – schon ruckte die Thürklinke – oder war es ihr Vater, der früher zurückkam? – vor ihm hatte sie Stephan's Bild, das Tag und Nacht tief verborgen an ihrer Brust ruhte, immer sorgsam verhehlt – sie wollte es schnell verstecken, aber das Kettlein verwickelte sich in die steifen Zacken des Spitzenkragens, der ihren Busen umgab – die Thür sprang auf und ein Mann in einem schwarzen Mantel gehüllt stand vor ihr.[147]

Sie fuhr empor und rief: »Was dringt Ihr hier ein – Niemanden geziemt hier der Zutritt!«

Aber ungestüm faßte er sie in seine Arme und rief: »Auch mir nicht?« Der Mantel sank von seinem Haupt wie von seiner Schulter und zeigte Stephan's ritterliche Gestalt.

»Stephan!« rief Ursula mit dem Jubellaute des Entzückens mitten im Schrecken; aber jener war noch mächtiger bei der durch Gemüthskämpfe körperlich leidend gewordenen zarten Jungfrau – ohnmächtig lag sie in seinen Armen.

Er trug sie auf das Sopha und lehnte sie an sich. Er sah sein Bild offen vor sich, das Zeichen ihrer Treue – einen Augenblick sah er voll Mitleid und aufsteigender Selbstvorwürfe auf die bleiche Geliebte, die der Gram um ihn vielleicht bald ganz zu Grunde gerichtet; aber schnell schützte er sich vor jedem Gewissensskrupel mit der eitlen Meinung, daß er wieder gut machen könne, was er verbrach, und mit dem würdigen Vorsatz, es wirklich zu thun.

Er rief Ursula mit den zärtlichsten Namen und bedeckte sie mit seinen Küssen. Da schlug sie die Augen auf und rief:[148]

»Stephan – Du bist es wirklich – Du bist noch wie einst!«

Er antwortete ihr mit Liebkosungen und rief: »O wohl mir, wenn Du auch bist wie einst! – Ich konnte es nicht länger ertragen, ich mußte Dich sehen, geschah es auch, indem ich ein gegebenes Wort gebrochen.«

»Du hast Dein Wort gegeben, mich nicht zu sehen?« rief sie und machte sich von ihm los. »Du hast mir nicht geschrieben – Du bist schon einige Tage hier – Andere sagten es mir – ich sah Dich nicht – ich hoffte umsonst auf ein Zeichen ach! ich weiß es wohl, die Väter nähren noch den alten Groll – aber Du selbst, Du hast mich gelehrt, daß Liebe stärker sein soll als väterliche Gewalt –«

»Und darum bin ich hier!« rief er; »nur einen kurzen Augenblick. Ich benutzte die Dunkelheit und die Abwesenheit Deines Vaters wie der Andern, um zu Dir zu dringen. Niemand darf es wissen – nur Elisabeth Scheurl.«

»Ach, ich habe auch vergeblich auf sie gezählt!« rief Ursula; »seit der König hier ist, habe ich auch kein Wort von ihr gehört, und sie hatte mir doch gleich Nachricht geben wollen – über Dich.«[149]

»Erst gestern habe ich mit ihr vertraulich sprechen können,« sagte Stephan, »und sie ist wohl auch viel mit sich selbst beschäftigt – Alles erklärt sich später. Nur wenige Minuten kann ich bei Dir weilen, ich konnte es nur nicht länger ertragen Dich nicht zu sehen – ich mußte die Gewißheit Deiner Liebe von Deinen Lippen holen!«

»Hast Du je an mir zweifeln können?« fragte sie unter seinen Küssen.

»Man sagte mir, daß Du eine Braut des Himmels geworden,« antwortete Stephan; »Du hattest mir mit diesem Entschluß schon früher gedroht, ich mußte daran glauben, da ich kein Lebenszeichen von Dir empfing.«

»Aber wie war es möglich, daß Du –«

Er ließ Ursula nicht ausreden. »Wir haben jetzt keine Zeit zu Fragen und Erklärungen; lesen wir nicht Eines in den Augen des Andern, fühlen wir nicht am Schlagen unserer Herzen, daß wir einander angehören wie einst? In drei Tagen sehen wir uns beim Schönbartlausen, und dann wird sich Alles erklären und entscheiden. Du wärest doch dazu gekommen?«

»Nur wenn mich mein Vater gezwungen,« antwortete sie: »ich habe mich bis jetzt geweigert!«[150]

»Nun, so laß Dich zwingen!« antwortete er heiter, »und zu dem Maskenfest am Abend erlaube mir, daß ich Dir selbst den Maskenanzug schicke, damit ich Dich aus Tausenden sogleich erkenne. Ich erscheine in der prächtigen Tracht eines Sarazenen und werde mich Dir schon bemerklich machen. Bis dahin glaube und liebe und hoffe! Ein neues Leben wird uns seine goldenen Thore öffnen!«

»O ich fühle es schon in mir, seit Du bei mir bist!« rief sie mit seligem Lächeln.

»Aber verrathe mich nicht!« bat er wiederholt; »indem ich zu Dir mich schlich, that ich, was ich nicht lassen konnte; aber Niemand darf es erfahren – am wenigsten der König.«

»König Max?« fragte Ursula; »was geht es ihn an?«

»Frage mich nicht – ich muß scheiden!« und obwohl er so sprach und schon beide aufgestanden waren, verrann doch Minute nach Minute, ehe der letzte Kuß gegeben und das letzte zärtliche Lebewohl gesprochen war. –

Da er fort war, sank Ursula auf ihre Kniee und weinte wie ein Kind. Jetzt erst, mitten in diesem plötzlichen Glück, kamen alle verhaltenen Thränen ihres Unglücks zum Ausbruch. Jetzt erst, wo alles, was sie[151] indeß bei dem Gedanken gelitten, daß ihr Stephan könne genommen sein, genommen durch das Schrecklichste, was einem liebenden Wesen begegnen kann: durch Untreue, wie eine Last, unter der sie Tag und Nacht nur seufzend zu athmen vermochte, von ihr abgesunken – jetzt erst wagte sie einen vollen Blick auf die Größe derselben und in den Abgrund von Leid und Lebensöde, der neben ihr immer offen gegähnt hatte. Jetzt, wo die Gefahr überstanden war, wo nach einer furchtbaren Nacht eine leuchtende Sonne ihr aufgegangen, schaute sie noch einmal bebend zurück in die Nacht – und dankte inbrünstig dann dem Herrn, der sie nun in demselben Augenblick verscheucht, in dem Ursula noch unter den bängsten Zweifeln und Schmerzen gerungen hatte.

Zwar wußte sie weder, was indeß geschehen war, noch was geschehen sollte – was sie indeß zu fürchten gehabt, noch was sie zu hoffen hatte – indeß, sie fragte nicht darnach. Sie hatte Stephan wiedergesehen, er war zu ihr mit der alten Liebe und Zärtlichkeit zurückgekehrt – noch fühlte sie seine heißen Küsse im Nachhall der Empfindung, das genügte ja, ihr Herz mit Jubel zu erfüllen und ihre Seele mit[152] Freudigkeit neuer Hoffnung und dem Muth gegen alle Hemmnisse ihres Liebesglückes zu kämpfen.

Vielleicht war es gut, daß ihr bald heimkehrender Vater etwas berauscht war und sich darum sofort niederlegte, sonst wäre ihm vielleicht die Veränderung aufgefallen, die indeß mit seiner Tochter vorgegangen; denn das erneute Liebesglück hatte ihre erst gebleichten Wangen geröthet, und der Wiederschein einer Seligkeit, die sie plötzlich überkommen, strahlte aus ihren Augen und von ihrer Stirn. Am andern Tage, wo sich die hochgehenden Wogen des Entzückens ein wenig gelagert hatten, zeigte sie dem Vater ein ruhig heiteres Wesen, und er war seit langer Zeit einmal zufrieden mit ihr, als sie sich als gehorsame Tochter bereit zeigte, dem Schönbartlaufen beizuwohnen und nur sagte, er müsse ihr auch den Scherz gestatten, am Abend in einer Maske zu erscheinen, die er selbst zuvor nicht sehen dürfe – sie möge gern wissen, ob der eigene Vater sie wiedererkennen werde.

Gabriel Muffel war wohl damit zufrieden, und machte ihr nur zur Bedingung, daß die Maske recht schön und reich sein müsse, damit sie nicht einfacher, sondern wo möglich prächtiger erscheine als andere Rathsherrentöchter.[153]

Das in Nürnberg als Fastnachtsfest eingeführte »Schönbartlaufen« stammte vom Jahre 1349. Damals hatte die Fleischerzunft von Nürnberg bei einem Aufstand der andern Zechen dem Rathe ihre Treue erwiesen und dafür von Kaiser Karl IV. einen Freibrief auf einen öffentlichen Aufzug in Larven erhalten, welcher das »Schönbartlaufen« genannt ward. Als der dazu gehörige Aufwand anfing der Fleischerzunft beschwerlich zu werden, trat aus den höheren Ständen eine Gesellschaft zusammen, welche ihr zur Aufrechterhaltung und Vervollkommnung dieses Festzuges behülflich war, und am Ende denselben unter dem Namen der Fleischer ganz an sich brachte. Es waren meist junge Patrizier, und der Rath ordnete ihnen förmliche Hauptleute bei, welche zugleich die Züge anführen und auf Ordnung sehen mußten.

Wie an jenem Sommertage, an welchem König Max einzog, so war auch an dem sonnigen, aber kalten Wintertage, an welchem das Schönbartlaufen stattfand, Ursula Muffel bei Elisabeth Scheurl, um aus deren Chörlein den Zug mit anzusehen. Die Reichstagsmitglieder waren auf dem Rathhaus versammelt, vor welchem jener begann und wieder endete. Die Betheiligung der Frauen dabei war keine andere, als daß sie[154] an den offenen Fenstern standen, die Vorüberziehenden mit Backwerk warfen und dafür von ihnen mit Tannenzweiglein statt Blumen beworfen oder mit Rosenwasser bespritzt wurden. Elisabeth und Ursula erschienen in kostbare Pelze gehüllt und die Gesichter nur so weit verschleiert, daß sie selbst bequem um sich sehen konnten, an dem geöffneten Fenster des Chörlein.

Sie hatten seit der Reichstag begonnen einander heute zum ersten Male wiedergesehen, und Ursula hätte von Elisabeth gern mehr über Stephan erfahren; aber Elisabeth wich ihren Fragen aus, beschwor sie nicht zu verrathen, daß sie ihn gesehen, und nur bis zum Festabend in fröhlicher Hoffnung zu warten, an dem sich ihr ja Alles erklären werde. Und da Ursula weiter fragte: ob es Elisabeth nicht möglich gewesen, Stephan und sie dem Schutze des Königs Max zu empfehlen und an sein Versprechen zu mahnen, antwortete sie nur, daß der König jetzt nicht als ein harmloser Gast in Nürnberg sei, welcher der Stadt die Ehre seines Besuches erwiese, sondern daß er zu einem eilig berufenen Reichstag gekommen, von dem er Hülfe und Steuern verlange, ihm Ungarn zu retten und ihn an Frankreich zu rächen – und daß er, ohnehin schon übelgelaunt angekommen, hier es noch mehr geworden,[155] als die Stände sich schwierig zeigten seine Forderungen zu bewilligen – da wage man nicht ihn um eine Gnade zu bitten, die hohe Häupter wie er nur in frohen Ruhestunden gewährten, wo die Krone sie nicht drücke und ihnen nicht die Fähigkeit raube, an anders denn an die Sorgen darum zu denken. »Uebrigens aber,« schloß sie, »werden die Majestäten heut' Abend mit beim Tanz erscheinen, vielleicht fügt es sich da, wie damals auf der Veste, daß ein gutes Wort eine gute Statt findet.«

Durch die mit Menschen erfüllten Straßen machten sich jetzt Vermummte in Narrenkleidern mit Kolben und Peitschen in der Hand Platz. Die Menge wich zur Seite um noch eine Stufe oder Erhöhung zu erobern, von welcher aus der Zug gesehen werden könnte, der nun folgte. Voran kam ein Reiter mit bunten Bändern und Schellen behangen und sein Schimmel nicht minder. Er hatte vor sich einen großen Sack, aus welchem er Nüsse auf die Straße warf, welche die Jugend begierig aufzulesen war und unter Geschrei und Balgen darum rang. Dann folgten vier andere Reiter, ebenfalls phantastisch bunt gekleidet mit Körben vor sich auf dem Sattel, worin sich Eier befanden. Sie warfen damit nach den Frauen an den Fenstern wie auf den Straßen; aber die Eier waren mit Rosenwasser gefüllt[156] und richteten da, wo sie trafen, keinen Schaden an, als daß die duftende Flüssigkeit verspritzte.

Dann kamen die Schönbartleute selbst mit ihren Schutzhaltern, Hauptleuten und Spielleuten in mannigfaltigen Vermummungen, unter denen es nicht an derben Anspielungen auf die Hauptangelegenheiten des Tages und die Gebrechen der Zeit fehlte. Dann folgte auf einer von vielen Pferden gezogenen großen Schleife eine Maschine, Hölle genannt, die ein künstliches Feuerwerk in sich faßte und zuletzt am Rathhaus angezündet ward. In dieser Hölle gewahrte man außer ergötzlichen Bildern aus der Natur und dem Menschenleben auch satyrische Darstellungen, wie der Nürnberger Witz sie liebte: einen Venusberg mit schönen Frauen; einen Backofen, worin Narren gebacken wurden; eine große Büchse, welche böse Weiber schoß; einen Vogelherd, worauf man Narren und Närrinnen fing; ein Glücksrad, welches Narren und Närrinnen herumdrehte, die sich einander jagten; eine Galeere, auf welcher Mönche und Nonnen aneinander gekettet ruderten, und noch mehr dergleichen. Darauf folgten vielspännige Schlitten mit maskirten Personen in prächtigen Pelzen, dahinter saßen Spielleute auch in bunte Trachten gekleidet, die lustig aufspielten. Daran schlossen sich etwas[157] entfernter kleine Rennschlitten mit Geharnischten besetzt, die sich mit Turnierstangen einander auszustechen und herunterzuwerfen versuchten – ein Spiel, welches das Gallenstechen hieß und das auch zu andern Zeiten in Nürnberg angestellt ward.

Unter diesen Geharnischten befand sich Stephan Tucher. Ursula's Augen hatten ihn erkannt, auch wenn er nicht zu den Frauen hinaufgeschielt hätte; aber er wollte ihnen auch eine Probe seiner Geschicklichkeit geben, und mit seiner Turnierstange gewandt ausholend, gelang es ihm, einen andern Geharnischten von seinem Schlitten zu werfen, daß er unter dem Gelächter des Volkes im Schnee sich wälzte. Diesem wollte sich der Herabgeworfene am schnellsten entziehen indem er aufstehend sich in Scheurl's Hausthür drängen wollte.

»Dort gehört Ihr nicht hin! Lauft nur Eurem Schlitten nach!« rief Stephan eifersüchtig und drohte ihm mit seiner Lanze.

Jener aber warf seinen Helm ab, und Stephan er kannte mit Mißbehagen Georg Behaim in ihm. Den Bruder Elisabeth's hatte er nicht dem allgemeinen Spotte preisgeben wollen; indeß blieb ihm nichts anderes übrig als weiter zu fahren und sein Turnierheil[158] auch an Andern zu versuchen, damit Behaim nicht in dem, was er ihm gethan, eine besondere Absichtlichkeit suche. Es gelang ihm auch noch Manchem herabzuwerfen, indeß er selbst vor jedem Angriff fest saß – so aber errang er sich den Preis des Gallenstechens.

Als es vollständig dunkel geworden, ward auf dem Markt das Feuerwerk abgebrannt, und das war zugleich das Zeichen zur Versammlung der Masken im Tanzsaal des Rathhauses.

Da wimmelte es von allerlei schönen und wunderlichen Masken. Männer und Frauen wetteiferten miteinander an Pracht und Absonderlichkeit der Kleidung, und manche Freiheit herrschte dabei, die zu anderen Zeiten die bedenklichen und sittenstrengen Nürnberger nicht dulden mochten.

Verschiedenartige Aufzüge fanden dabei statt und possenhafte Darstellungen ergaben sich aus ihnen von selbst. Sie wurden von der Tribune aufgeführt, die für den Kaiser und den König wie die anderen zum Reichstag gekommenen Fürsten erbaut war und auf welcher diese Platz genommen. Denn sie waren nur als Zuschauer und ohne Masken erschienen, und auch König Max beobachtete diesmal eine strengere Zurückhaltung und Etiquette als bei seinem ersten Aufenthalt in[159] Nürnberg. Vielleicht war er überhaupt nicht wohl gelaunt durch die geringe Willfährigkeit, welche der Reichstag zeigte, auf seine Forderungen einzugehen; vielleicht wollte er auch sich den stolzen Nürnbergern, damit sie nicht etwa übermüthig würden, mehr in der Würde seiner Majestät zeigen, als sie ihn früher gesehen, damit sie nicht vergessen, daß sie doch seine Unterthanen wären, wenn sie auch sonst sich ihrer reichsbürgerlichen Freiheit rühmen mochten. Er sah ernst, fast finster in das Maskenspiel, und nur der unverwüstliche Kunz von der Rosen vermochte durch irgend eine ihm in's Ohr gezischelte Bemerkung zuweilen ein Lächeln um seinen Mund zu zaubern.

Mit den bängsten Empfindungen warf Ursula Muffel zuweilen einen scheuen Blick auf den König Max. Seit dem Wiedersehen mit Stephan Tucher plötzlich in ihren Hoffnungen so kühn gemacht, als sie noch vorher verzagt und verzweifelnd gewesen war, hatte sie, von Stephan und Elisabeth auf diesen Abend vertröstet, an die Möglichkeit gedacht, daß es ihm oder ihr selbst gelingen werde sich heute dem König zu nähern und um seine Fürsprache bei den erbitterten Vätern nachzusuchen. Und wie in dieser schien sie sich in jeder Hoffnung getäuscht zu haben, denn auch Stephan hatte sich[160] noch nicht zu ihr gefunden, und so oft sie auch eine Sarazenenmaske sah oder zu sehen glaubte – wenn sie selbst sich ihr näherte, erkannte sie immer, daß es nicht Stephen war.

Da trug sie nun selbst den prachtvollen Anzug einer Sultanin, den er ihr gesendet, und je mehr der Glanz desselben die Blicke Anderer auf sich zog, und je länger Stephan säumte sich ihr bemerkbar zu machen, die er doch auf den ersten Blick hätte kennen müssen, je bänger ward ihr in dem sie umdrängenden Gewühl. Aber noch größer ward ihre Bestürzung, als sie einen riesengroßen Bären, der bald auf allen Vieren lief, bald auf den Hinterpfoten ging und allerlei Purzelbäume machte, immer hinter sich herkommen sah. Sie mochte sich wenden, wie sie wollte, sie konnte dem Ungethüm nicht entgehen – es drängte sie immer näher an die Schranken der fürstlichen Zuschauer. Wußte Ursula auch recht gut, daß im Bären auch nur ein Mensch steckte, so ward ihr diese Zudringlichkeit dadurch beinah' um so lästiger – in diesem Augenblick hätte sie nichts dagegen gehabt, wenn ein wirkliches Ungeheuer sie zerrissen hätte, so entmuthigt und trostlos fühlte sie sich; daß sie aber ein Mensch so absichtlich, wie es schien, zur Zielscheibe seiner widerwärtigen Grimassen und damit[161] des allgemeinen Gelächters machen konnte – das empörte sie noch vielmehr. Und nun kam auch von der andern Seite ein Löwe und bedrängte sie nicht min der. Da stand sie jetzt gerade mitten zwischen den beiden Bestien, ganz nahe vor der kaiserlichen Tribune. Außer der Maske verhüllte noch ein mit Silber durchwebter Schleier, der an einen Turban von weißer Seide und silbernen Verzierungen befestigt war, ihr Gesicht und Hals. Sie trug ein weißes mit Silber gesticktes Seidenkleid, das weite weiße Atlasbeinkleider und gelbe Stiefelchen sehen ließ, darüber eine Tunika von rosa Sammet mit silbernen Fransen und Tressen, ringsum mit Perlen gestickt, die auch in dichten Schnüren um Arme, Hals und Taille sich wandten. So stand sie zwischen den Ungeheuern, die den Raum um sie fast freigemacht und so auch längst von Elisabeth verdrängt hatten, an deren Seite sie vorher immer versucht hatte zu bleiben.

Aber obwohl nicht inmitten des Saales wie Ursula und minder beobachtet, war doch Elisabeth in keiner besseren Situation.

Durch Konrad Celtes und ihre eigenen Studien mit der Liebhaberei für das Klassische und Antike erfüllt, dem eben damals die Humanisten die Bahn brachen[162] und das sich auch bereits in die deutsche Kunst einzuschleichen begann, hatte sie ein griechisches Kostüm gewählt. Ein in der Taille durch einen goldenen Gürtel und an den Achseln auch von Juwelen und Gold blitzende Agraffen zusammengehaltenes weißes Atlasgewand umfloß sie bis auf die in purpurne Sandalen gekleideten Füße in malerisch nach ihren schönen Körperformen sich schmiegenden Falten. Darüber ein zweites Purpurgewand mit Gold besetzt, das über die rechte Schulter getragen die linke frei ließ und dafür unter dem Arm um die Hüfte sich breitete. Ein goldenes Diadem wand sich durch ihre Locken und im Arm hielt sie eine mit Blumen umwundene Lyra. Eine als Sterndeuter in einen schwarzen Talar mit in Silber darauf gestickten Sternen und Himmelszeichen gekleidete männliche Maske hatte sie zum Tanz aufgefordert und eine Zeitlang stumm im Reigen geführt, dann aber sie einmal so heftig an sich gedrückt, daß sie nur mit Mühe einen Aufschrei zurückhielt.

Anfangs sprach der Unbekannte nicht; jetzt flüsterte er ihr leise zu: »Elisabeth, erkennt Ihr mich wirklich nicht? Ich muß es schließen, weil Ihr nicht gleich wieder um Hülfe riefet und mich überfallen und wegweisen ließet, weil es Euch jetzt besser gefällt, statt die[163] Huldigungen eines tapfern Ritters anzunehmen, Euer Herz zwischen einen König, einen fahrenden Poeten und einen rohen Steinmetzgesellen zu theilen und das eheliche Treue gegen Euren ehrsamen Herrn Gemahl zu nennen.«

Elisabeth erkannte Eberhard von Streitberg – sie strebte sich von ihm loszumachen, und sah sich nach allen Seiten um, wie ihr das gelingen könne, ohne Aufsehen zu erregen, und ob sie nicht eine bekannte Maske sehe. Wohl gewahrte sie nicht gar weit von sich Konrad Celtes, der auch ein griechisches Kostüm trug und mit dem sie vorhin schon getanzt, aber nur wenig Worte gewechselt hatte, da sie seit seiner Rückkehr eine ernste Zurückhaltung gegen ihn beobachtet! aber ihn wollte sie am wenigsten zu ihrem Schutz herbeirufen – er sollte am wenigsten die Beschimpfung erfahren, die Streitberg einst der vertrauenden stolzen Jungfrau angethan, noch wollte sie diesem dadurch eine Bestätigung seiner eben ausgesprochenen Anklage geben, die ihr Blut fast erstarren machte. Sie wußte bereits, daß Streitberg wieder in Nürnberg war – Willibald Pirkheimer hatte Ulrich's Auftrag erfüllt und mit welch' feiner Gewandtheit er es auch that, die schon den künftigen Staatsmann zeigte – er hatte dabei[164] doch auch erzählt, daß er die Baubrüder auf dem Weg zum Kloster gesprochen, und die sinnige Elisabeth hatte den Zusammenhang geahnt. Sie war auf ihrer Hut, und darum auch heute zum ersten Mal zu einer öffentlichen Lustbarkeit gegangen, und zwar mit dem festen Entschluß, sich durch nichts dem Maskengewühl entlocken zu lassen, um jede ihr Gefahr bringende Annäherung Streitberg's zu verhindern. Auch wechselte sie ihren Anzug mehrmals, um nicht von ihm erkannt zu werden – und nun war es doch geschehen.

Als sie um sich sah, fielen ihre Augen auf die giftigen Blicke der Hallerin, die sie in ihrer Nähe in einer aufgeputzten, aber geschmacklosen Maske einer jüdischen Königin erkannte – und Elisabeth ahnete richtig, daß diese es war, welche Streitberg dazu verholfen sie zu erkennen.

Elisabeth fühlte sich unfähig ein Wort zu erwiedern – doppelt, da sie von ihrer Feindin sich beobachtet und belauscht sah; wenn sie nicht antwortete, konnte Streitberg doch vielleicht nachdenken, er habe sich getäuscht – sie ergriff den Arm eines Spielmannes, der eine Harfe im Arm eben an ihr vorüberkam, und sagte ihre Stimme verändernd:[165]

»Die Spielleute gehören zusammen!« und zog ihn mit sich in den Kreis der Tanzenden.

Streitberg aber gab seinen Arm einem zierlichen Blumenmädchen und rief Elisabeth nach: »Seid ohne Furcht – mich gelüstet nicht mehr nach Eurer Schönheit, die vor zehn Jahren sich mir bot; aus den Sternen kann ich's Euch weissagen, daß Ihr von der Liebe nichts mehr zu fürchten habt, sondern nur noch von dem Haß.«

In diesem Augenblick erklang lärmende Janitscharenmusik und ein großer Aufzug kam in den Saal. An seiner Spitze ein prächtig gekleideter Pascha, ihm nach eine ganze Schaar von Sarazenen. Einige, die den Zug als türkische Leibwache geleiteten, machten ihm durch das Maskengewühl Platz, so daß er gerade der Tribüne zuschritt, vor welcher eben Ursula zwischen dem Bären und Löwen stand. Der Pascha schlug den beiden Ungeheuern die Köpfe ab – und da es geschehen, sprangen ein paar Narren aus den Thierhüllen und suchten die Zuschauer durch allerlei Purzelbäume zu belustigen. Die Türken mit den musicirenden Janitscharen schlossen einen Halbkreis um ihren Pascha, der vor Ursula knieete und in sprechenden Pantomimen[166] zur Belohnung für seine Heldenthat um ihre Hand flehte.

Ursula erkannte Stephan in dem vor ihr Knieenden, und war dadurch nur um so mehr bestürzt über diese ganze Scene, in der sie so öffentlich und ahnungslos zur Heldin einer halb ernsten, halb komischen Aufführung gemacht worden war, wie sie dem Geschmack der damaligen Zeit entsprach. Diese öffentliche Schaustellung verletzte nicht nur die schüchterne Jungfrau, sondern erschreckte und quälte sie auch: denn was würden die Väter – was würde ganz Nürnberg dazu sagen? Nun war gewiß für sie und Stephan Alles verloren! –

In diesem Augenblick schlug es Mitternacht, und der Ceremonienmeister verkündete nach einem Tusch der Spielleute, daß alle Masken, Vermummungen und Bärte verschwinden müßten. Alle leisteten Folge – auch Ursula – aber ohne den Schleier zu heben; Stephan hielt die Zitternde an seiner Hand, und indem auch er die Maske abnahm, führte er sie vor den König Max, der sich von seinem thronartigen Sitz erhoben hatte und das Paar zu sich winkte.

»Der Maskenscherz ist vorbei!« begann der König; »weil mir aber die letzte Vorstellung gar absonderliches Vergnügen gewährt, so möchte ich, daß ihr Verfasser[167] und Hauptdarsteller, unser getreuer Kriegshauptmann Ritter Stephan von Tucher sich eine Gunst erbäte, die wir ihm gewähren könnten, und richten dasselbe Verlangen an die Heldin des Stückes, Jungfrau Ursula Muffel.«

Das Paar knieete vor den König nieder und Stephan sprach:

»So flehe ich die königliche Majestät mein Brautwerber zu sein bei dieser edlen Jungfrau und bei ihrem Vater!«

»Und was meint Ihr dazu?« fragte der König die erglühende Braut.

Sie wagte kein Auge aufzuschlagen und lispelte: »So möge Euer Majestät die Väter uns und einander versöhnen.«

Von gleichem Ingrimm ergriffen waren Hans Tucher und Gabriel Muffel herbeigeeilt, da sie die Namen ihrer Kinder nennen hörten, und beide ihren Ohren nicht trauten – sich zu verkleiden hatten die Rathsherren unter ihrer Würde gefunden, sie waren in ihrer besten Amtstracht und hatten nur vorher Larven getragen.

Der König winkte sie zu sich und sagte: »Wie diese Beiden den deutschen König nicht vergebens gebeten[168] haben, so werdet auch Ihr, gestrenge Rathsherren, uns und sie nicht vergebens bitten lassen, und nicht im Eigensinn gegen Euer eigen Fleisch und Blut wüthen, sondern das liebende Paar einander verloben, wie ich es selbst verlobe.«

Wie widerstrebend auch und mit welchen mürrischen Blicken, die Nürnberger Rathsherren hatten doch so viel Respect vor König Max und noch mehr vor dem öffentlichen Auftritt, daß sie gute Miene zum bösen Spiele machten.

Muffel sagte: »Ich habe nichts dagegen, wenn nicht Herr Tucher widerstrebt.«

Und dieser erwiederte: »Wenn seine Majestät die Wahl meines Sohnes billigen kann, so hebt das mein Bedenken auf« – und er warf doch dabei einen vielsagenden und verächtlichen Blick auf Muffel.

Stephan umarmte den künftigen Schwiegervater, und als der alte Tucher Ursula's weiße Stirn küßte und ihr so nahe in die thränennassen Augen sah, dachte er: Ich glaube wirklich, ich könnte keine sanftere Schwiegertochter bekommen – und das ist auch etwas werth, da er sie mir mit in das Haus bringt.

Alle Anwesenden brachten dem neuen Paar ein donnerndes Hoch – der König erklärte, daß die Hochzeit[169] noch stattfinden müsse, so lange er hier sei, und Kurfürst Friedrich von Sachsen erbot sich den Bräutigam in die Kirche zu führen, indeß Graf Ulrich von Würtemberg der Braut das gleiche Anerbieten machte.

Elisabeth und ihr Gemahl waren auch herzugekommen. Ursula lehnte sich an die Freundin und flüsterte: »Das ist Dein Werk!«

Elisabeth lächelte und warf einen Blick auf König Max, der ihn mit einem Anflug von Wehmuth erwiederte. Es war, als sagten sich diese Beiden: Ein Glück, das uns selbst versagt ist, haben wir Andern bereitet. Max hatte es doch einst besessen an der Seite Maria's von Burgund – aber Elisabeth sah es sich seit aller Zeit und für alle Zeit versagt.

Gleich darauf brachen die Fürsten auf, auch Elisabeth mochte nicht länger bleiben, indeß das Fest selbst bis zum Morgen währte.[170]

Quelle:
Louise Otto: Nürnberg. Band 1–3, Band 2, Bremen 21875, S. 142-171.
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Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

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