19. Von einem Polnischen Edelmann / der sich aus Verzweifflung umbgebracht.

[78] Ich weiß nicht / welchen unter beeden ich den grausamsten und unnatürlichsten nennen solle / den jenigen der die vorbeygehende umb ihres Geldes willen todt schläget / oder der sich selbst umbbringet. Alles wohl gerechnet / finde ich / daß dieser viel schlimmer ist / als jener: dann er thut es umb etwas guten Willen / den Raub zuhaben / der andere aber / weil er seine Verdrüßlichkeiten nicht durch etwan eine dapffere Resolution überwinden können / da er doch viel lieber sich im Krieg begeben / und einen ehrlichen Tod darinn suchen solte. Die Heiden hielten es für ein Anzeigen der Großmütigkeit / wann ihme einer den Tod eher selbst angethan / als daß er in die Hände seiner Feinde gefallen / und wann einer sich [78] resolviret / eher aus dieser Welt zu gehen / als lange Zeit in dem Elend herum zu wallen. Wir / die wir in einer bessern Schul unterrichtet worden / halten dafür / daß zu Erhaltung der Ehre / großmütig zu seyn / wir alles Ungemach ausstehen müssen / das wir nicht abwenden können. Es ist war / daß wir den Tod nicht solten fürchten /aber wohl demselben beschmipffen / und nicht uns denselben selbst anthun / wann wir nicht die Lehre unsers Heylands und Lehrmeisters verwerffen / und die Gnade verachten wollen / die wir durch sein kostbares Blut erlanget haben / das ist die ewige Seeligkeit. Haben wir nun so grosse Trangsall / welche kein Mittel noch Trost annehmen wollen / die uns auch unser Leben verdrüßlich machen / lasset uns an ihme hangen / Er beut uns die Hände / und ruffet uns: Kommet her / sagt Er / zu mir alle / die ihr müheselig und beladen seyd / ich will euch erquicken. Wollen wir für seine Jünger gehalten werden / so lasset uns unser Creutz auf uns nehmen / nicht aber einen[79] gewaltsamen Tod / sonst sind wir seiner nicht wehrt. Keine Pillen sind so bitter / die wir nicht hinab schlingen könten / noch ist auch keine Trübsal / die wir nicht leichtlich ausstehen können / wann wir unser Vertrauen auf ihn setzen. Das Exempel des frommen Job dienet den Angefochtenen zu einem Spiegel / wie auch allen denen / die sich unglückselig nennen: Sie haben nichts verlohren / als das jenige /was sie nicht gehabt / da sie in die Welt kommen. Warumb / O Mensch / beklagstu dich? Lästerest du wider den Allmächtigen? Verfluchest du dein Leben wegen Verlust dessen / was du nicht hast können behalten / und was dir ist geschencket worden? Wann du dich dieses schönen Spruchs erinnertest: Gott hat es gegeben / Gott hat es genommen; Der Name des HErrn sey gebenedeyet: So würdest du die Ruckstreich des Glücks verlachen. Wann der jenige / dessen jämmerliches End wir beschreiben wollen / sich mehr auf den ewigen HErrn / als auf einen Sterblichen verlassen[80] hätte / so wäre ihm sein Creutz leicht worden zu tragen / und würde Er seinen Lauf viel Christlicher vollendet haben.

Es waren nacher Leiden zween junge Fürsten kommen / aus einem von den ältesten und vornehmsten Häusern aus Sarmatien / die waren nicht lang hier /als der Aelteste darunter in ein hefftig Fieber gefallen / welches ihn innerhalb drey Tagen vom Leben zum Tod gebracht. Der Hofmeister / entweder weil er nicht Befehl hatte / sich daselbst aufzuhalten / oder daß er sich eingebildet / seine Wolfahrt wäre hin; ertruge diesen traurigen Fall so ungedultig / daß er offtmals die Waffen ergriffen sich umbzubringen: darüber man grosse Mühe hatte / ihn davon abzuhalten: und ihn nicht wieder in vorigem Zustand bringen kunte. Man sahe / wie Er bißweilen ungebührende Sachen verübet / in seiner Bestürtzung gab Er die Schwachheit seines Geistes auch den jenigen zu erkennen / die ihn gar nicht kenneten; Seine Stimme war[81] verändert / sein Reden weibisch / und sein Gang ungleich / darüber etliche des Fürsten Diener warneten / sie solten auf ihn Achtung geben / umb ein grösseres Unglück zu verhüten. Nachdem er ihm einsten früh Morgens fürgenommen zu sterben / befahl Er seinem Diener / er solte einen Geistlichen holen / der ihn trösten solte. So bald der Diener fort war / stunde er von seinem Bett auf / nahme einen Carabiner / den er mit einer Kugel geladen / setzete ihn an den Magen / und schiesset ihn loß. Die Kugel gienge unterhalb der Rippen hinein / und verursachte / daß er schröcklich geschriehen / und von den Nachbarn gehöret wurde /welches das gantze Hauß aufgebracht. Ich lieffe selbst hinzu / als naher Nachbar / und fande zwey Edelleute bey diesen elenden Menschen / der hatte sein unglückseliges Leben schon geendet. Sie zeigten mir die Kugel / und erzehlten mir / was Er für ein Leben in der Jugend geführet / daß er ungefehr ihrer vier und zwantzig umgebracht / und daß er immer ein weites[82] Gewissen gehabt. Sein Leib wurde zu Nachts begraben / die Seele suchte ihren Richter / und sein Ruhm verschwande augenblücklich. Daß er seinen Herrn verlohren / und so viel umbgebracht (wie es glaublich ist) die haben ihn den Lust vertrieben / das jenige zu erhalten / was man für das kostbarste auf dieser Welt hält / nemlich das Leben. Der Wurm / der an dem Gewissen naget / muß bissig seyn / weil er einen Menschen bezwungen hat / der aus seinem Land geflohen / weil er einen Mord begangen / daß er sich an dem Liecht verbrannt. Dann weil er in sieben Jahren keine Ruhe gefunden / da er in fremden Landen war / kam er wieder / den Tod selbst zu begehren / und die Straf eines Mörders auszustehen / in der Stadt Hamburg: weil ich einen Menschen umbgebracht / sprach Er / so muß ich von des Henckers Hand sterben.

Quelle:
Parivall, J[ean] N[icolas] d[e]: Sinnreiche / kurtzweilige und Traurige Geschichte [...]. Nürnberg 1671, S. 78-83.
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