22. Von einem Stier / der einen Müller und sein schwangeres Weib umbgebracht.

[92] Die jenige / welche das Unglück / deme der Mensch unterworffen ist / wohl nach unserer menschlichen Gebrechligkeit erwogen haben / die befinden / daß sein Zustand ist elender als aller andern Thier. Der Anfang und das End seines Lebens sind voll Jammers / das Mittel / welches das beste seyn soll / ist vielen Anfechtungen unterworffen / so wohl umb der Kranckheiten als umb Feindschafften willen / die so wohln von Haußgenossen / als von Fremden / von wilden und zahmen Thieren herkommen. Das End aller seiner Vergnüglichkeiten ist nichts / als seine Traurigkeit / und alle Ehren dieser Welt sambt derselben Macht / und Reichthum sind nichts anders / als ein Irrgarten der Unruh und des Mißtrauens / darinn der Mensch keinen Ausgang findet / als durch den Tod.

Das Unglück / welches sich in Holland[93] zugetragen / bekräfftiget solches unter andern Unglücken / die täglich allerhand Leuten begegnen. Ein Müllner in einem Dorff / nahe bey Amsterdam nahm in acht / daß einer von seinen Stieren sich abgerissen / und auf der Wiese herum geloffen / Er lieffe auf ihn zu mit einem grossen Brügel / Vorhabens ihn zu fahen / und wieder anzubinden / daß er keinen Schaden mehr thun möchte: Aber diß grimmige Thier achtete des Schlagens nicht / sprang auf ihn zu / und stösset ihn mit seinen Hörnern so hart / daß Er zur Erde fiele / und seinen Geist aufgab. Sein armes Weib / welches ihn in solcher Noht sahe / lieffe mit schwangern Leibe zu / daß sie ihm helffen möchte; aber diß grimmige Thier verlässet den Mann / und gehet auf die Frau / die stösset er mit seinen Hörnern so starck in den Leib / daß er sie hoch in die Lufft geworffen / da dann die Mutter auf eine Seite / und das Kind auf die andere gefallen. Andere Bauern lieffen mit gewehrter Hand zu / und verfolgten dieses Vieh[94] so behend / daß sie es in das Wasser gesprenget / und todt geschlagen.

Vatter und Mutter starben von ihren Wunden / das Kind aber lebte noch drey Jahr / wurde getaufft / unn von den Herren zu Ambsterdam aus der Tauff gehoben.

Quelle:
Parivall, J[ean] N[icolas] d[e]: Sinnreiche / kurtzweilige und Traurige Geschichte [...]. Nürnberg 1671, S. 92-95.
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