Von Schimpff das 112.

[77] Das Roß gieng über kein Baum.


Es kaufft einer uff einmal ein Roß von einem und sprach zů im: ›Gůter Gesel, weistu etwas Gebrestens an im, die heimlich sein, so sag sy mir, das ich nit verfar! Ich bin ein armer Knecht.‹ Der Roßtüscher sprach: ›Ich weiß kein Gebresten an im, dan das es nit über die Böm ußgat.‹ Der Gesel sprach: ›Ich wil es über keinen Baum ußreiten,‹ und kaufet im das Roß ab und bezalt es. Da er zů der Stat wil ußreiten, solt er es erstochen haben, so kunt er das Pferd nit über die Bruck zů dem Thor hinußbringen. Da was die Bruck gemacht von Bömen, als man dan thůt, und über die Böm gieng es nit. Da meint aber der, der das Roß kaufft het, es gieng nit über die Böm uß, die uffrecht stünden, und nam den Roßtüscher mit Recht für. Und ward mit Recht erkent, das es ein Betrug wer. Und der Roßtüscher solt dem sein Gelt widergeben, und solt er sein Roß nemen.

Das was ein recht Urteil. (Fraus nulli debet patrocinari.) Beschiß und Falscheit sol niemans zů Hilff kumen. Ja, sprechen die Leyen, wer da kaufft, der lůg, wie es laufft. Es ist ein jeglicher Roßtüscher oder wer ein Fich verkaufft, schuldig bei seiner Selen Selikeit, sagen die Lerer der heiligen Geschrifft, auch die Juristen, zů offenbaren die Gebresten der Thier, die heimlich sein, die man nit sehen noch greiffen kan. Aber Bresten, die man sehen kan und offenbar sein, die bedarff man nit zögen; einer lůg selbs, was er zů schaffen hab. Würt darüber einer betrogen mit heimlichen Gebresten, das ist der Verkauffer schuldig widerzůkeren; wan er hat wider brüderliche Liebe gehandelt und einem andern gethon, das er nit wolt, das man im das thet. (Cum bona ratione etc.)

Quelle:
Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Teil 1. Berlin 1924, S. 77.
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