Von Schimpff das 263.

[168] Von dem faulen Küntzen.


Es was ein Edelman, der het im fürgesetzt gen Rom zů reiten, seine Sünd zů beichten und zů biessen. Nun het er ein Knecht, der hieß Cůntz, den wolt er mit im nemen; und schlůgen an, als es in dem Sumer was, sie wolten alwegen an dem Morgen frü reiten und an dem Abent spat in der Küle, und in der grösten Hitz wolten sie stil ligen. Uff ein Abent ritten sie uß, etwa drei Meil Wegs und assen und truncken, und was der Wein fast gůt, und bliben bei dem Wein sitzen, biß das es Zehene schlůg. Der Juncker sprach zů dem Knecht: ›Wir gon gar spat schlaffen. Hab Sorg, das du die Pferd morgen frü füterst und satlest, das wir frü in der Küle reiten, wie unser Anschlag ist!‹ Der Knecht sprach: ›Ja, Juncker, haben kein Sorg! Ich wil frü gnůg uffston.‹

Der Wirt legt sie beid hinden in das Huß in ein Kamer, das sie nichtz mochten hören. Sie schlieffen, und da der Juncker den ersten Schlaff het gethon, da růft er dem Knecht und sprach: ›Cůntz, stand uff und gib den Pferden zů essen!‹ Der Knecht sprach: ›Juncker, es ist noch nit Mitternacht; wir sein erst schlaffen gangen.‹ Sie schliefen aber zwo Stund. Der Juncker růfft dem Knecht aber. Der Knecht stůnd uff und gieng zů dem Fenster und thet ein Türlin uff an einem Kensterlin und meint, es wer ein Fensterlad, und lůgt in das Kensterlin in die fier Winckel und sprach: ›Juncker, ir sein ein unrüwiger Mensch. Es ist noch als finster als in einer Kü; man stech einem ein Aug uß mit einem Finger, das er es nit sehe.‹ Sie schliefen aber ein Stund. Der Juncker rüfft dem Knecht aber, und sie lůgten beid in das finster Kensterlin; es was noch nit Tag. Und triben das also lang, biß das der Wirt kam und die Laden uffthet. Da was die Son über alle Berg uffgangen, und was etwan umb die Zehene. Der Juncker was zornig und hieß die Pferd satlen und wolt hinwegreiten. Der Knecht sprach: ›Her, lassen unß vor zů Morgen essen! So essen die Pferd auch.‹ Da sie nun zů Morgen hetten gessen, da wolt der Juncker hinreiten. Da sprach der Knecht: ›Es ist jetz zů dem allerheisten, ir verderben die Pferd. Es ist jetz in der Fogelrůg und ist die Zeit, das die Münch schlaffen.‹ Also bliben sie da biß uff den Abent, da sassen sie uff, ritten wider heim. Er sahe wol, das er mit dem fulen Cůntzen versaumpt was. Also kam er nit gen Rom.

Geistlich: der Edelman ist die Vernunfft oder dein Seel, der wüst Cůntz ist dein Leib, das Kensterlin ist ein falsche Sicherheit. Das Kensterlin hat fier Eck, die dich sichren; das ein ist die Barmhertzikeit Gotes; das ander ist:[169] ›Andere Menschen thůn es doch auch, und voruß die Gelerten, sie sein nit Narren‹; das dritt ist: ›Du bist gůter Complexion, dein Vatter ward wol hundert Jar alt‹; das fiert ist: ›Hoffen und sich wöllen bekeren an dem letsten.‹ Wie dick kumpt es, das sich dein Vernunfft laßt also verfüren, das sie hofft in der fiere eins, oder in sie alle fiere und also ir Penitentz verlengert: Morgen, morgen! (Cras, cras! Semper cras et nunquam hodie.) Cristus sprach zů dem Jüngling: (Luc. 5. Tibi dico, surge.) ›Stand uff, Jüngling!‹ Paulus sprach: (Rom. 13. Hora est iam de somno surgere.)

Quelle:
Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Teil 1. Berlin 1924, S. 168-170.
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