Der achte Auftritt

[265] Die Vorigen. Amalie.


AMALIE. Wie? Sir Karl, Sie sind hier und haben die traurigste, aber auch die heiligste Pflicht Ihres Lebens vergessen? – Ach, Lucie, erlauben Sie mir, daß ich alle Wehmut der Zärtlichkeit in Ihnen erneuere. Selbst diese Wehmut hat für eine gefühlvolle Seele wie die Ihrige mitten in der Betrübnis ihre Annehmlichkeiten. Wie zärtlich suchete Sie nicht seine schon sterbende Blicke in der Minute, da er Sie vermißte! Wie eifrig bemühete er sich, noch einmal Ihren Namen auszusprechen! Sein schon geschlossenes Auge öffnete sich noch einmal. Es sammlete von der stärksten väterlichen Liebe und Empfindung neue Kräfte. Es warf noch den beredtesten, den beweglichsten Blick auf die Gemälde seines Sohnes und seiner Lucie, die ihm gegenüber hingen, und sodann schloß es sich auf ewig. Ich tadle die sprachlosen Schrecken nicht, in denen ich Sie erblicke. Wie rühmlich ist es für Sie und für mich! Er zeigt, daß Sie würdig waren, von dem tugendhaftesten Manne, den die Welt verloren hat, geliebet zu werden.

LUCIE. So ist er denn tot? und Lucie lebt noch? Doch was ist ihr Leben? Ist es nicht elender als der Tod selbst? Rufen Sie mir Ihren Vater, Amalie. Mein Herz soll nicht länger unter dieser Ungewißheit schmachten.

KARL. Rufen Sie ihn nicht, wenn Sie ihn noch einige Augenblicke vor der Rache verbergen wollen, der er gewiß nicht entfliehen soll. Lucie, wollen Sie die Bosheit gänzlich über Ihren Verstand triumphieren lassen?

AMALIE. Unglückliche Dunkelheit! Was wollen Sie von meinem Vater, Lucie? Womit kann Sie der Freund des Ihrigen beleidiget haben, Sir Karl. Er wird gleich hier sein, sobald er die ersten Tränen über seinen Freund wird abgetrocknet haben. Er weiß Ihre Ankunft, und er hat mir gesaget, daß er mit Ihnen sprechen muß. Aber diese stumme Raserei, die ich[265] erblicke, zwingt mich zu zittern. Erklären Sie mir doch diesen fürchterlichen Traum, meine liebe Freundin. – Himmel! mein Vater! Erinnern Sie sich, Sir, es ist der Freund des Sir Willhelms.


Quelle:
Die Anfänge des bürgerlichen Trauerspiels in den fünfziger Jahren. Leipzig 1934, S. 265-266.
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