102. Calpurnia an ihren Bruder Lucius.

[48] Nikomedien, im Mai 305.


Das große Schauspiel ist vorüber, auf welches die Welt seit ein paar Monaten mit der gespanntesten Aufmerksamkeit wartete. Heute Morgens waren die Einwohner von Nikomedien, viele Fremde, die die Neugier oder Privatabsichten hierher gezogen haben, der ganze Hof, die Priester, die öffentlichen Autoritäten, Alles in größtem Schmucke auf einer weiten Ebene vor der Stadt versammelt. Für die Augusta, des Cäsars Gemahlin, ihre Tochter, mich[48] und einige angesehene Matronen war ein eigner Ort bestimmt, wo wir unbelästigt von dem Gedränge zusehen konnten. Das Erste, was mir hier in die Augen fiel, war Theophania, und an ihrer Seite ein sehr schönes, aber blasses Mädchen, Diocletians neue Tochter Valeria. Wir begrüßten uns als alte Bekannte, sie war erst vor ein paar Tagen aus den Abendländern hier angekommen, und eben so wie ich mit dem, was heute geschehen sollte, angelegentlich beschäftigt. Nur nahm sie nach ihrer Weise die Sache sehr ernsthaft, und schien eine böse Zukunft zu fürchten. Uebrigens ist sie, das sieht man in jedem ihrer Blicke, in jedem Worte, noch unaussprechlich glücklich, sie hat einen Sohn von ungefähr anderthalb Jahren, und sieht der Ankunft eines zweiten Kindes entgegen. Indessen wir schwatzten, kam der Wagen des Augustus langsam von der Stadt herab gefahren, von einer Menge Männer zu Pferde begleitet. Galerius, Tiridates, Constantin und Agathokles waren unter ihnen. Ich hatte diesen seit anderthalb Jahren nicht mehr gesehen, ich bin verheirathet nach meinem Wunsche, mit einem würdigen Gemahl – warum klopfte mein Herz dennoch, als ich ihn von seinem muthigen Rosse, das sich unter ihm bäumte, abspringen, und in der schimmernden Rüstung stolz und ernst seinen angewiesenen Platz einnehmen sah? Seltsame Bewegung, wunderbarer Zug des Herzens, dessen ich nie ganz mächtig werden kann.

Jetzt war der Wagen des Augustus an der Tribüne angekommen, die für ihn bereitet war. Von zwei Personen unterstützt, stieg er mühsam die wenigen Stufen hinan, und hielt eine wohl ausgesonnene, und wie mir schien, künstlich geordnete Rede an's Volk; er erinnerte[49] es an die mancherlei Wohlthaten, die es in der langen Zeit seiner Regierung genossen hatte, an die gewonnenen Schlachten, den Triumph über die Perser u.s.w. Er hielt öfters inne, ob aus Schwäche, oder um zu sehen, welche Wirkung seine Rede machen würde, weiß ich nicht. Sie machte keine, oder wenigstens nicht die, die er vielleicht erwartet hatte. Keine Stimme erhob sich, ihm zu danken, kein Mensch schien an dem Vorgange ein anderes Interesse als das der Neugier zu haben. Endlich kam er auf seinen jetzigen Zustand, und die Unmöglichkeit, mit so geschwächten Kräften länger die große Last der Staatsverwaltung zu tragen, er kündigte seinen Entschluß an, sich dieser Bürde zu entziehen, und das Ruder des Staates jüngeren, stärkeren Händen anzuvertrauen. Er hielt von Neuem inne – es regte sich Niemand. Da rief er den Cäsar Galerius zu sich, stellte ihn dem Volke als den künftigen Augustus vor, zog den Purpur aus, mit dem er sogleich seinen Nachfolger bekleidete, und verließ die Tribüne. Nun erhob sich ein lautes Beifallrufen, von dem man nicht recht wußte, ob es der Abdankung des alten, oder der Wahl des neuen Augustus gelte. Galerius nahm auf der Stelle den Platz seines Vorfahrers ein, dieser stieg mit seiner Tochter in den Wagen, und fuhr schnell in die Stadt zurück, wo bereits Alles zu seiner schleunigen Abreise nach Salona bereitet ist.

So endigte die große Komödie, und ich muß dir bekennen, daß sie meine Achtung für das Menschengeschlecht nicht vermehrt hat. Ueberhaupt habe ich, seit der Zufall mich zur Gattin eines Königs machte, in dieser Rücksicht widerliche Erfahrungen gemacht, und meine kalte, nüchterne Ansicht der Welt ist noch viel kälter geworden.[50] Wie armselig sind die meisten Menschen! An was für elenden Faden werden sie gezogen!

Wäre ich vielleicht nicht glücklicher gewesen, wenn ich das nie erkannt hätte? Es gibt doch menschliche Verhältnisse, wo die Verächtlichkeit des Geschlechts sich nicht so unverhüllt zeigt, wie an Höfen, wo vielleicht bei wenigeren Anlockungen auch weniger Böses geschieht, und unversucht sich stille Tugenden entwickeln. Ein solches Loos hätte einst mein werden können, wenn nicht ein neidisches Schicksal mich tückisch verfolgt hätte. Ich bin nicht unglücklich, aber ich kann der Erinnerung nicht verbieten, zuweilen ihren welken Blumenkranz neben meine schimmernde Thiare zu legen, und verborgner Schmerz im Innersten meiner Seele löst sich dann in einen Seufzer auf.

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 36, Stuttgart 1828, S. 48-51.
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