112. Valeria an Theophanien.

[73] Byzanz, im Mai 305.


Unglücksgefährtin! Empfange den einzigen Trost, den ich dir geben kann, diesen Brief meines Vaters an den Galerius! Mein unendliches Mitleid, meine Thränen hattest du seit dem Augenblick, als Constantin auf seiner Flucht durch diese Gegenden heimlich und unerkannt zu meinem Vater kam. O gütiger Gott! Was ist das für eine Welt, was sind das für Menschen! Ist es denn der Mühe werth zu leben, um unter Larven zu wandeln, die die hohlen Gesichter nach Gefallen auf diese oder jene Seite wenden, wie es die Rolle fordert? Ich war so glücklich, ehe ich diese Welt kannte, die mich nun auf ein Mal mit ihren kalten feindlichen Armen ergreift und drückt, und peinigt.

Constantin sprach mit aller Macht der Beredtsamkeit für seinen unglücklichen Freund bei meinem Vater. Er hat, er beschwor ihn, sein Ansehen dahin zu verwenden, daß ihm Galerius Freiheit und Leben schenke. Er stirbt für mich! rief er ein Paar Mal in einem Ton, der mir durch die Seele drang. Sein Schmerz war unverstellt, und der Schmerz eines Mannes, eines Feldherrn wie Constantin, erschüttert tiefer, als das Leiden gewöhnlicher schwächerer Menschen. Aber ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren: Warum hast du ihn sterben lassen, warum hast du es zugegeben? Für dich hatte der Thron höhern Werth als die Liebe![73]

Das ist das Unglück der Welt, daß ihr die Liebe so wenig gilt. O liebten die Menschen, wie sie sollten, wie Jesus Christus geliebt hat, wie er uns zu lieben befahl! Mit dieser Liebe, die Alles trägt, Alles duldet, nie das Ihrige sucht, und nie zu ermüden ist, was könnte die Erde seyn! Aber Constantin sucht auch das Seinige, und über dem Suchen verliert der edelste Freund das Leben, und das beste Weib auf Erden ihr ganzes Glück. So dachte ich mit Bitterkeit, und wandte mich von Constantin ab.

Mein Vater – du glaubst nicht Theophania! wie viel schöne Gelassenheit in diesem Charakter liegt, den vielleicht nur der hohe Platz, auf dem er stand, der Menge unkenntlich machte – schien wirklich gerührt von Constantins Bitten. Aber o mein Gott! was ist das für eine Welt? muß ich wieder ausrufen. Er erklärte ihm gerade zu, er könne wenig oder nichts thun. Ich bin nicht mehr Kaiser, sagte er, und der bloße Name ohne Gewalt vermag nichts über die Menschen, in deren Herzen die Dankbarkeit keine Stimme hat. Constantin reiste ab, wie er gekommen war, tief gebeugt, verkleidet, und in größter Eile. Nun übernahm ich sein Geschäft, aber mein Vater hieß mich schweigen mit jenem Ernst, den ich nur zu wohl kenne, und ich sah, daß nichts zu hoffen war. Indessen kam ein Brief des Königs von Armenien an ihn, und deiner an mich. Nicht Rettung, das erkanntet ihr unglücklichen Freunde des edlen Gefangenen wohl selbst für unmöglich, aber Aufschub, und die Erlaubniß, daß Agathokles dich und sein Kind noch ein Mal sehen dürfte, verlangtet ihr mit tiefer Wehmuth. Dies Mal war Diocletian tief gerührt, besonders durch[74] deinen Brief, den ich ihm gab. Er schrieb an Galerius, und ich schließe den Brief bei, den er mir freundlich und mit dem Wunsche gab, daß er etwas bewirken möchte. Nun eile ich, ihn dir zu senden. Der Eilbote wartet, und zu unsrer Abreise nach Salona sind alle Anstalten getroffen. Ich setze nichts hinzu, um theils jenen nicht aufzuhalten, theils weil ich nichts zu sagen weiß, was deinen tiefen Schmerz nicht noch tiefer machen müßte. Leb' wohl.

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 36, Stuttgart 1828, S. 73-75.
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