Zweites Buch
1798–1813

Der Tod meines Vaters machte eine wichtige Epoche in unserm häuslichen Zusammenleben. Nicht bloß der zärtliche, treffliche Vater war uns allen entzogen, sondern mit ihm hörten auch die bedeutenden Einkünfte auf, welche mit seiner Stelle, als der eines ältern Hofrats, verbunden waren, und meine Mutter, nebst uns beiden jungen Paaren, war nun auf die aus unserm Stammvermögen entfallenden Einkünfte, und die noch sehr mäßigen Besoldungen meines Mannes und meines Bruders beschränkt.

Es wurden Einschränkungen nötig, besonders da wir jungen Paare keine bedeutenden Einkünfte hatten, und einer Vermehrung der Ausgaben entgegen sehen mußten. Es wurde also überlegt, Rat gehalten. Eine Wohnung in der Stadt, wie wir alle sie bisher gewohnt waren und nicht gern entbehrt hätten, und ein Sommeraufenthalt auf dem Lande, der uns allen seit Jahren zum Bedürfnis geworden, erforderten einen Aufwand, der unsre damaligen Kräfte überstieg. Wir beschlossen also – ein Vorsatz, der damals viel bedenklicher und schwerer zu fassen war, als es jetzt scheinen möchte – nur eine Wohnung fürs ganze Jahr, aber diese, um die Annehmlichkeit eines Gartens zu genießen, in einer schönen, nahen Vorstadt zu suchen. Unsere Bekannten und Freunde erstaunten über diesen Entschluß und die meisten mißbilligten ihn höchlich; denn damals standen die Vorstädte ungefähr in dem Verhältnis zur Stadt, in welchem sich jetzt die Dörfer befinden, wo nun auch nur wenige Familien[215] aus den angesehenen Ständen sich entschließen, Winter und Sommer zu wohnen, und eine solche Wahl immer Verwunderung und Tadel erregt.

Da wir alle wenig Ansprüche auf ein Leben in großen und glänzenden Gesellschaften machten, und unser Glück in zufriedner Häuslichkeit fanden, so ließen wir die Leute sagen, was sie wollten, suchten fleißig nach einem Hause, wie wir es in unsern damaligen Verhältnissen brauchten, und fanden endlich dasjenige, welches wir seit jener Zeit bis auf diesen Tag noch bewohnen.

Zur Ausführung dieses Planes gehörte denn auch, daß das Landhaus, das wir besaßen, und in dem wir zur Zeit des Verlustes unsers teuern Vaters und noch den ganzen Sommer von 1798 lebten, verkauft wurde. Es tat mir sehr weh, denn in diesem Landhause hatte ich die Zeit meiner Kindheit und Jugend zugebracht, und in den Schattengängen des großen, schönen Gartens waren die ersten Anregungen zur Poesie in meinem Gemüt erwacht. Wie oft hatte ich im dichtesten Gebüsche an meinem Lieblingsplätzchen gesessen, wo ein kleiner Quell über nette Steine hinabrieselte, und dem Geflüster der Blätter über mir, dem Gesang der Vögel, dem Gemurmel des Wassers horchend, mich still und selig gefühlt. Von solchen Stunden sagte ich später in einem ungedruckten Liede:


Ich war allein, doch einsam war ich nie;

Ich war bei Blumen, Büschen, Gras und Bächen,

Ich hörte sie in ihrer Sprache sprechen,

Und tief im Innersten verstand ich sie.


Dort lagen Saiten, die bei jedem Ton

In der belebten Schöpfung mit erklangen,

Sie sind's, woraus mir reine Freuden sprangen,

Sie tauscht' ich nicht um eines Fürsten Thron.
[216]

In diesem Garten waren meine Gleichnisse und viele meiner frühern Gedichte entstanden, hier waren mir sehr angenehme Stunden verflossen, und diese Bäume hatten auch oft meine Tränen gesehen. Ich schied ungern von diesen Erinnerungen meiner Kindheit und ersten Jugend, aber es mußte sein, das erkannte ich, und so faßte ich mich mit Ernst und gutem Willen, und ergab mich in das Unausweichbare.

Das Landhaus wurde verkauft. Wir bewohnten es, dem Kaufkontrakte gemäß, noch bis zum Winter, und mit wehmütigem Gefühl genoß ich die zwei oder drei letzten Monate, welche es mir daselbst zuzubringen vergönnt war. Kaum aber waren wir weggezogen, so ging auch eine gewaltige Veränderung mit dem Garten vor. Der Strahl des reinsten Quellwassers, das – durch eine, meinem seligen Vater von dem Magistrat in Wien bewilligte Seitenleitung aus der großen Wasserleitung, welche das frische Quellwasser in die Röhrbrunnen der Vorstädte und der Stadt führt – in unserm Gartenbassin lustig in die Luft sprang, unser Haus und oft die Nachbarschaft mit köstlichem Trinkwasser und den Garten mit hinreichender Feuchtigkeit versorgte, dieser Wasserstrahl wurde sogleich von dem Magistrat zurückgenommen und das Bassin in unserm ehemaligen Garten stand leer. Der Sinn der neuen Besitzer war auch ein ganz anderer, die Anlagen wurden vernachlässigt, die Gebüsche verwilderten, die kleinen Partien – eine Einsiedelei, ein Wasserfall, zierliche Brücken usw. – verfielen, und oft mahnte mich dieses Zurücksinken einer vormals lieblichen Schöpfung in einen Zustand der Verwilderung durch den Tod eines einzigen vorzüglichen Mannes an jene Episode in Wielands Oberon, wie das kleine Paradies, das Titania[217] um des greisen Alphons willen in der Wüste hervorgezaubert hatte, nach seinem Tode sich wieder in eine Wüste verwandelt.

Der Winter verging uns in seinem Beginne bis nach dem Karneval ziemlich angenehm. Meine Kleine gedieh sichtlich, und es wurde beschlossen, sie nächsten Frühling, den wir schon in unserm neuen Hause in der Alservorstadt zuzubringen gedachten, dort einimpfen zu lassen. Dies Haus, das kürzlich seinen Besitzer, einen der berühmtesten Ärzte Wiens und einen guten Bekannten von uns, durch den Tod verloren hatte, war von ihm, der damals noch in der Blüte seiner Jahre stand, aufs zierlichste eingerichtet worden. Hunczovsky (das war sein Name, der gewiß bei manchem in Wien in lebhaftem und dankbarem Andenken sein wird) war ein sehr gebildeter Mann, ein großer Kunstfreund, und, was noch mehr sagen will, und was sein Tod bewies, ein edler Menschenfreund. Die meisten und schönsten Zimmer seines Hauses hatte er seinen Sammlungen gewidmet. Da war eine ansehnliche Bibliothek, ein ganzes Zimmer voll Handzeichnungen, die an den tiefblauen Wänden desselben in prächtigen Goldrahmen prangten, ein anderes mit den schönsten Kupferstichen, in dem sich überdies eine zahlreiche Mineraliensammlung in 10–12 höchst eleganten Glasschränken befand; endlich ein eigens dazu eingerichteter Saal mit Gemälden. Hier lebte der Besitzer mit einer hübschen, jungen Frau, die er kürzlich geheiratet, umgeben von seinen Kunstschätzen und in der nahen Erwartung, bald Vater zu werden. Da entriß ihm zuerst der Wille Gottes die Frau, welche, wenn ich nicht irre, bei der Geburt eines Knaben blieb. Kaum ein oder anderthalb Jahre darauf hatte Hunczovsky einen[218] Kranken zu behandeln, der an einem sehr bösartigen Geschwüre litt. Es sollte geöffnet werden, Hunczovsky war Arzt und ein sehr berühmter Wundarzt zugleich; er schickte sich an, die Operation zu machen und vollendete sie auch glücklich; aber er verwundete sich dabei in der Hand, und zwar so, daß er blutete, und zwar in dem Augenblicke, als die Lage seines Kranken ihm nur die Wahl ließ, entweder die Wunde, die er diesem gemacht hatte, fahren zu lassen, wodurch der Kranke aufs Äußerste gefährdet worden wäre, oder zuzugeben, daß die giftige Jauche seine eigene verwundete Hand berühre und in sein Blut übergehe. Hunczovsky wählte das letzte. – Er besorgte und verband seinen Kranken, der wahrscheinlicherweise genaß. Er selbst aber fühlte bald die Folgen seiner großmütigen Aufopferung. Seine Wunde verschlimmerte sich, die Hand schwoll, endlich der Arm; – das Übel verbreitete sich mit ungeheurer Schnelligkeit im ganzen Körper, und er starb als ein Opfer seiner Menschenfreundlichkeit. Friede sei seiner Asche!

Vielleicht wird manchem, der einst diese Blätter liest, diese kleine Anekdote unbedeutend, überflüssig erscheinen. Ich habe sie mit Vorbedacht erwähnt, weil ich erstlich gern das Andenken eines braven Mannes, den ich wohl kannte, feiern mochte; zweitens aber, weil solche Beispiele von pflichtmäßiger Aufopferung in unserer selbstischen Zeit immer seltener werden, und daher nicht sorgsam genug bewahrt werden können.

Nach seinem Tode mußte, den Verordnungen Kaiser Josefs in Vormundschaftsdingen gemäß, alles, was er besessen hatte, verkauft, zu Gelde gemacht, und dies in öffentlichen Papieren für seinen Knaben hinterlegt werden, obwohl damals der Kredit jener Papiere[219] schon sehr gesunken war, und jedermann das Schädliche dieser Maßregel einsah. Das Haus, freilich seiner kostbaren Einrichtung beraubt, aber auch so noch immer sehr elegant und bequem zugerichtet, nebst dem Garten, kaufte meine Mutter, und wir gedachten es im Frühling zu beziehen und angenehm zu bewohnen, da auch die Eltern meiner Schwägerin sich eine Wohnung in demselben vorbehielten.

Aber schon nach dem Karneval fing meine Schwägerin an, zu kränkeln. Wir hielten es für Folgen irgend einer Erkühlung; denn es gestaltete sich wie ein Katarrhalfieber, und sie konnte nach wenigen Tagen das Bett wieder verlassen. Doch war eine auffallende Mattigkeit und völlige Entkräftung zurückgeblieben, die uns allen und selbst dem Arzte nach einer so unbedeutenden Krankheit beunruhigend vorkam. Er beschloß, ihr China zur Stärkung zu geben; denn er glaubte, da sie in ihrer ersten Jugend schnell in die Höhe geschossen, und mit dreizehn Jahren bereits so groß und stark war wie mit zwanzig, die Natur habe ihre Kräfte in der Bildung der äußern Form erschöpft und das Innere zu schwach gelassen. Bald aber zeigte sich die Folge oder Ursache dieser auffallenden Schwäche auf eine für meinen armen Bruder und uns alle sehr erschreckende Weise. Ich wurde eines Morgens mit der Nachricht geweckt, Marie (so hieß meine Schwägerin) habe in der Nacht stark Blut gehustet und sei außerordentlich entkräftet. Diese Nachricht oder vielmehr diese Erscheinung war gleichsam die Totenglocke von meines Bruders häuslichem und überhaupt von dem Glücke seines Lebens. Es war eine Lungensucht, und wenn auch in den ersten Monaten zwischen jedem neuen Anfall ein Zwischenraum täuschender Besserung eintrat,[220] in dem die Kranke, und alle, die sie liebten, wieder hofften, so mußte doch, wer hier klar und ungeblendet beobachten konnte, den wahren und unheilbaren Grund des Übels erkennen.

Indessen war uns das Haus in der Alservorstadt eingeräumt worden. Wir bezogen es im Frühling und versprachen uns viel von der reinen Luft, von dem Leben im Garten für unsere Kranke. Dieser Garten war aber in einem Zustande völliger Verwilderung, obgleich reich mit schönen exotischen Bäumen und Sträuchern und mitunter auch edlem Obst besetzt. Der vorige Besitzer hatte den Vorsatz gehabt, ihn auf moderne Art geschmackvoll zuzurichten. Er hatte deswegen die alten, steifen Gänge kassiert, den Boden geebnet, die schönen Pflanzen hineingesetzt, aber sein früher Tod hatte diese Schöpfung in ihrem Werden auf gehalten, und wer einen Garten hat, weiß, was zwei Jahre ohne alle Aufsicht und Pflege für eine Wildnis daraus machen können. Vorderhand mußte alles so bleiben, wie es war, der nächste Winter und Frühling war dazu bestimmt, alles dies in Ordnung zu bringen.

Sehr angenehm, heiter, luftig und anständig war die Wohnung, und wir richteten uns mit Vergnügen daselbst ein. Sobald es die Witterung erlaubte, sollte auch mein kleines Mädchen geimpft werden. Eben um diese Zeit fing die, seitdem so viel besprochene Vakzine an, bekannt zu werden. Der dadurch berühmt gewordene Doktor de Carro, der mit der Tochter eines uns freundschaftlich verbundenen Hauses vermählt war, schickte mir Jenners Werk über diesen Gegenstand. Aber unser Hausarzt, Doktor Herbek, war nicht der Meinung, von dieser, damals noch so wenig konstatierten Entdeckung Gebrauch zu machen. Mein[221] Lottchen wurde mit Menschenblattern geimpft und überstand die Krankheit leicht, indem sie, nach der damals gewöhnlichen Behandlungsart, den ganzen Tag in der freien Luft gehalten, selbst ihre Fieber in einem mit Betten ausgelegten Wägelchen im Garten überstehen mußte, wobei nur die Vorsicht gebraucht wurde, den Platz und also die umgebende Luft zu wechseln, und so ging mit Gottes Hilfe diese wichtige Periode glücklich vorüber. Weniger günstig wirkte der kühle, regnichte Sommer vom Jahre 1799, wo sogar die Trauben am Spalier in unserm neuen Besitztum nicht recht reif wurden, auf meine arme Schwägerin. Die Anfälle von Fieber mit Blutauswerfen und heftigen Brustschmerzen traten in kürzeren Zwischenräumen und mit größerer Stärke ein, und mit dem Blätterfall, wie denn das so oft geschieht, war die Verschlimmerung so groß geworden, daß sie das Bett nicht mehr verlassen, und mein armer Bruder sich mit keiner Hoffnung mehr täuschen konnte.

Welche Tage tiefer Trauer und herzzerreißender Schmerzen traten nun an dem Krankenbette der, so heiß von ihrem Manne und ihren Eltern geliebten Frau ein, die mit jeder Woche dem Grabe sichtlicher zuwelkte! Was wurde nicht versucht, um ihr Leben zu erhalten! Welche Ärzte nicht gerufen, welche Heilmittel nicht angewendet! Es war vergebens. Am 12. Dezember saß ich eines Nachmittags, wo eben der letzte Schimmer des Tages in den trüben Winternebeln erstarb, an ihrem Bette. Kurz vorher hatte sie noch gesprochen, dann lag sie still, wie fast immer. Mein Bruder brachte ihr einen Trank, der ihr einige Labung zu geben pflegte. Er hielt ihr die Schale an den Mund, sie nahm sie nicht; er redete sie an, sie antwortete[222] nicht. Ich erschrak; denn die Wahrheit trat auf einmal furchtbar vor meine Seele – ich kniete am Bette nieder, ich sah ihr in die Augen –, sie schienen mir gebrochen; die Wärterin wurde gerufen – ein Spiegel gebracht – kein Hauch färbte ihn mehr; – sie war verschieden!

Mehr als dreißig Jahre sind seit dieser Szene über mich hingegangen, das Bild dieses Augenblicks und der Schmerz meines Bruders steht noch so lebhaft vor mir, als wären erst Monate darüber verflossen. Er stürzte fort aus dem Zimmer, wie er die furchtbare Gewißheit seines Verlustes erkannt hatte, und mir trug er auf, bei der Toten zu bleiben und mit Bürsten, Wärmen und allen andern Mitteln zu versuchen, das fliehende – entflohene Leben festzuhalten. Daß es uns nicht gelang, war vorzusehen. Ein paar Stunden darauf kam er wieder, und sah aus dem Nebenzimmer auf die Leiche hin, die noch eben in der Stellung, wie er sie verlassen hatte, in warme Tücher eingeschlagen, im Bette lag. Das ist mein Weib! schrie er nun mit einem Tone, dessen zerreißender Wehlaut noch in meinen Ohren klingt, und eilte aufs neue fort, einem Anblick zu entfliehen, den er auszuhalten nicht vermochte.

Später kamen die armen Eltern. – Ich gehe über alles das, über die Abreise meines Bruders, der am folgenden Tage Wien verließ und mitten im Winter nach Linz zu einem Jugendfreunde reiste, über die Beerdigung und alle Anstalten und Vorkehrungen, die dieser Todesfall nötig machte, und die mir aufgetragen waren, schnell hinweg. Es war eine traurige Zeit, ein sehr trauriger Auftrag; aber ich schien immer bestimmt, diese peinlichen Geschäfte zu übernehmen, denen sich gern jedes andere entzog.[223]

Nach sechs Wochen kam mein Bruder wieder. Die Reise, die Neuheit, die Verschiedenheit der Gegenstände hatten günstig auf ihn gewirkt. Der Zufall wollte es, daß gerade in diesem Winter die russische Armee durch Oberösterreich zog, um sich nach der Schweiz, wenn ich nicht irre, zu begeben. Die Kreisbeamten hatten außerordentlich viel mit ihnen zu tun, und dem Freunde meines Bruders, jetzt Gubernialrat Barchetti, war es daher sehr erwünscht, in dem Ankommenden einen ebenso tätigen als geschickten und geschäftskundigen Gehilfen zu finden. Meines Bruders Tätigkeit wurde sofort in Anspruch genommen, und mit Einquartierung, Etappen machen, Marschrouten ausmitteln, Händel schlichten, Ordnung halten, ward sein Geist von der steten Beschauung seines Schmerzes, der allerverderblichsten Verfassung eines Unglücklichen, abgezogen und auf wirkliche, aber ganz heterogene Gegenstände gelenkt, deren Beschaffenheit keinen Aufschub, keine Zögerung, und daher kein Versinken in Träumereien gestattete. Wohl erwachte der heftigste Schmerz wieder beim Anblick und Eintritt in das Haus, wo er so glücklich mit ihr gelebt, wo er sie so schmerzlich und so neuerlich verloren; aber er bezwang das wunde Herz als Mann und ernster Denker, und nur in vertrauten Stunden mit mir allein ergoß sich zuweilen sein Schmerz in Klagen und wohl auch in Tränen.

Diese ganze Zeit vor und nach meiner Verheiratung, da Krankheiten, Todesfälle und überhäufte häusliche Angelegenheiten aller Art meinen Geist, mein Gefühl und meine ganze Muße streng und gebieterisch in Anspruch nahmen, dachte ich beinahe an keine Poesie, und auch die Zeitumstände waren durch die Kriegsbegebenheiten[224] und die daraus entspringenden teils ängstenden, teils drückenden Verhältnisse, der Poesie nichts weniger als günstig. Meine Phantasie schwieg ganz, und mein Geist lag im eigentlichen Sinne brach. Auch war unser Leben ziemlich einsam geworden. Wir brachten den Winter fast ohne allen Umgang zu; denn wenn jetzt noch die meisten Bewohner der innern Stadt den Weg in die Vorstädte scheuen, und das Glacis für viele ein nicht zu überschreitender Ozean ist, dessen Stürmen und Fährlichkeiten sie sich im Winter kaum auszusetzen wagen, wenn nicht eine sehr lockende Unterhaltung sie dazu reizt und für die Beschwerlichkeiten einer solchen Fahrt entschädigt, so kann man sich vorstellen, wie das vor mehr als vierzig Jahren war.

Wenn wir nicht nach der Stadt gingen, um einen Abend im Theater oder bei Freunden zuzubringen, saßen wir meistens ganz allein, und unsere Unterhaltung bestand darin, daß Pichler, wenn er abends nach Hause kam, uns vorlas, bis es Zeit zum Souper war, während meine Mutter strickte und ich spann, nachdem ich meine Kleine schlafen geschickt hatte und mein Bruder ausgegangen war. Dennoch hatte auch dies sehr stille Leben, so auffallend es gegen das gesellige Geräusch in meines Vaters Hause abstach, und vielleicht eben des Kontrastes wegen, einen großen Reiz für mich. Pichler brachte uns die neuesten Erscheinungen im Fache der schönen Literatur, und wir genossen recht tief und innig die damals höchst beliebten und bewunderten Romane von Lafontaine. Kam dann manchmal ein unvermuteter Besuch aus der Stadt, so wurde er mit großer Freude empfangen, nach Neuigkeiten befragt, wenn es ein Freund war, mit Pichler politisiert, und so verstrichen die stürmischen[225] Abende wie auf dem Lande still und behaglich, bis endlich der Winter, in jenem Jahre etwas spät, dem Frühlinge wich, und nun die Arbeiten im Garten, um ihn neu anzulegen, beginnen konnten. Unter der Leitung eines Bekannten, welcher das, von den Schwiegereltern meines Bruders im Winter nicht bewohnte Quartier gemietet hatte, und der sich trefflich auf Gartenkunst verstand, wurde die Wildnis geordnet, die schönen Bäume und Sträucher an passende Plätze gesetzt, der schon erwachsenen so viel wie möglich geschont und so nach dem Geschmacke jener Zeit ein Garten voll Gebüsche, durch welche sich viele kleine, schmale Gänge schlängelten, hergestellt. Damals fand ihn jedermann schön, seitdem hat sich auch hierin, wie in allem, die Welt und der Geschmack verändert, und er mußte späterhin eben solchen Wechsel wie alle Dinge erfahren.

Um diese Zeit ungefähr fand mein Mann, als er eines Tages in meinen Schriften herumsuchte, das Manuskript meiner Gleichnisse, welche ich viele Jahre früher bei verschiedenen Anlässen gedichtet, meiner Jugendfreundin Josefine gewidmet, in einer reinlichen Abschrift übergeben, und seitdem nicht viel mehr daran gedacht hatte, außer daß ich gelegentlich, wie ein Gegenstand solche Betrachtungen in mir erweckte, wieder ein neues Gleichnis schrieb, und zu der Sammlung legte. Sie gefielen Pichlern, und zwar so sehr, daß er mir den Vorschlag tat, sie der Welt durch den Druck zu übergeben. Vor diesem Gedanken erschrak ich im eigentlichsten Sinn; denn wenn gleich einzelne kleine Gedichte von mir gelegentlich allein oder in Almanachen erschienen waren, so hatte ich doch nie daran gedacht, als Schriftstellerin mit einem eigenen Werke[226] aufzutreten. Vielmehr hatte ich solche Öffentlichkeit immer gefürchtet, und warnend trat ein Wort eines unserer Freunde, eines sehr gelehrten Mannes, vor meine Erinnerung, der, als ich ihn einst befragte, warum er denn der Welt nichts von den gelehrten Schätzen, die er gesammelt, mitteilen wollte, mir mit vieler Heftigkeit sagte: »Mein Fräulein, das werde ich nie tun. Ein Mann, der ein Buch herausgibt, ist wie ein Narr, der die Hand zum Fenster hinausstreckt; jeder Vorübergehende kann ihn darauf schlagen.«

Jetzt, als mein Mann eine ähnliche Aufforderung an mich ergehen ließ, fiel mir der gelehrte Abbé Br. und seine, wie mir schien, sehr treffende Bemerkung ein, und ich vertraute meinem Manne meine Angst. Er mißbilligte sie nicht ganz; aber er schlug mir vor, das Manuskript, ehe wir jenen großen Schritt vor die öffentliche Meinung täten, einigen vertrauten und durch ihre Gelehrsamkeit sowohl als ihr Wohlwollen gegen uns bewährten Freunden zu zeigen und ihr Urteil zu vernehmen. So wurde es denn nacheinander Herrn Haschka, der ohnedies so vielen Teil an meiner Geistesbildung genommen, Herrn Otto Wieser, einem Freund meines Mannes und Professor am Piaristenkollegium, Herrn Hofrat von Sonnenfels, der sich von jeher als einen väterlichen Freund Pichlers erwiesen, und dem Hofrat Denis, dessen Name schon Autorität genug ist, zum Durchlesen gegeben. Das einstimmige Urteil dieser Herren fiel günstig und ermunternd aus, und so erschienen denn, obgleich von mir noch immer mit Angst und Sorge aus dem schützenden Schatten der Unbekanntheit entlassen, die Gleichnisse, und ich trat öffentlich vor der Welt als Schriftstellerin auf.[227]

Zu meiner großen Freude und noch größerem Erstaunen fand das Büchelchen eine sehr günstige Aufnahme, und wurde von dem, damals mit Kotzebue gegen die Schlegelsche Schule bewaffneten Merkel – Herrn Garlieb Merkel, der aber vielen Leuten gar nicht lieb war – vermutlich, weil er meine Gleichnisse in ihrer Einfachheit der neumodischen Verkünstelung und widernatürlichen Verdrehung der Schreibart entgegensetzen wollte, sehr gütig angezeigt; so ungefähr, wie Tacitus in seinen Sitten der Deutschen diesen damals sehr rohen Völkern und ihren einfachen Tugenden wohl nur darum so warmes Lob spendet, um seinen entarteten Mitbürgern einen strengen Spiegel vorzuhalten. Genug, die Gleichnisse wurden sehr gut aufgenommen, und dieser unverhoffte Erfolg, verbunden mit der lebhaften Freude, welche mein geliebter Mann – ganz im Gegensatze von dem Manne einer berühmten Frau in Schillers Epistel – an meinen Schöpfungen empfand und zeigte, munterte mich auf, dem innern Drang meines Gefühls, den ich stets empfand, nachzugeben, und wieder auf eine neue Dichtung zu sinnen. Ein Traum – denn zu manchen meiner Erzählungen hat ein lebhaftes Bild, eine Situation, ein Charakter, von dem mir träumte, die erste Veranlassung gegeben – erregte in mir den Gedanken, zu schildern, wie in einem edlen weiblichen Gemüte die Trefflichkeit eines Mannes, ungeachtet eines widerlichen Äußeren, einen tiefen Eindruck machen, und ihm selbst unbewußt, ja wider dessen Willen, eine Leidenschaft erregen könnte. Wohl war eben damals Krates und Hipparchia von Wieland erschienen; aber meine Idee war eine ganz andere; jenes Bild war zu ruhig, zu klassisch. – Ich sann, ich bildete, und es entstand eine[228] Erzählung – Olivier, die im ersten Entwurf romantisch, ja eigentlich ein Märchen war.

Um diese Zeit fing der politische Himmel über uns sich wieder sehr zu trüben an. Die Schlacht von Marengo hatte die Angelegenheiten unsers Vaterlandes sehr drohend verschlimmert, und zum zweitenmal in vier Jahren mußten wir mit angsterfüllten Herzen der Annäherung der französischen Armeen, entweder von Italien oder von der Seite des damals noch bestehenden deutschen Reiches entgegen sehen. Der Sommer und Herbst vergingen in bangen Erwartungen, und zwei Todesfälle in unserer Familie, welche schnell aufeinander folgten, vereinigten sich mit jenen Ereignissen, um uns alle recht trüb zu stimmen, und die Verluste, die wir vor kurzem erlitten, uns mit neuer Wehmut fühlen zu lassen. Binnen vierzehn Tagen starben in unserm Hause und fast in unsern Armen beide Eltern meiner seligen Schwägerin, bei denen wohl der Schmerz über den Verlust des trefflichen Kindes alten Übeln, an welchen beide litten, bedeutenden Vorschub geleistet, und sie der vorausgegangenen Tochter nachgeführt hatte. Auf meines Bruders Gemüt wirkte dies sehr schmerzlich ein; aber es diente auch dazu, seine Tätigkeit zum Nutzen und Frommen der, nun im Jünglingsalter stehenden und ganz verwaisten Brüder seiner verstorbenen Frau aufzufordern, die außer ihm keine oder wenigstens keine hinreichende Stütze hatten; denn eine in Mähren an einen Arzt verheiratete Schwester und ein Bruder, der als Hauptmann im Felde stand, waren nicht zu rechnen. Mein Bruder war schnell entschlossen, er nahm die beiden jungen Leute zu sich, und sie gehörten fortan zu unserer Familie. Der ältere, Franz, der seitdem als Schriftsteller[229] und Verfasser vieler wohlgelungenen Übersetzungen französischer Lustspiele sich in Deutschland einen Namen erworben, wurde bald hierauf bei den hiesigen Landrechten angestellt, den jüngern, Karl, brachte mein Bruder durch die freundschaftlichen Verhältnisse, in welchen unsere Familie seit vielen Jahren mit dem Hause des Barons von Puthon gestanden hatte, als Kommis in dies Comptoir, und beide junge Männer zeichneten sich fortan als geschickte und in jeder Beziehung würdige Menschen aus. Den ältern aber zog sein Hang zur großen Welt bald in die Stadt, der jüngere blieb in unserm Hause, und war uns durch zwanzig Jahre ein treuer Freund und lieber Hausgenosse.

Im Herbst bezog eine sehr würdige Familie, die Witwe eines ungarischen Hofrates, Frau von Wlassics mit ihren Söhnen und einer, bereits an einen Cousin, der sich ebenfalls Wlassics nannte, verheirateten Stieftochter, die Wohnung im obern Stocke unsers Hauses, und ganz in unserer Nähe mietete sich ihre Schwester ein, die an den, nachmals durch verschiedene seltsame Schicksale bekannt gewordenen Baron von Geramb verheiratet war. Jetzt bildete sich für uns ein recht angenehmes, geselliges Leben. So wie es Abend wurde, kamen die beiden Frauen, welche bei uns wohnten, mit ihrer Arbeit zu uns herab, etwas später kehrten Herr von Wlassics und mein Mann aus ihren Bureaus nach Hause, und nun lasen uns die Herren, oder vielmehr meistens Pichler, die neuesten Erscheinungen der damaligen Literatur vor, Lafontaines Romane, eine zu jener Zeit sehr geschätzte Lektüre, oder wenn etwas noch Höherstrahlendes, aus Schillers oder Goethes Feder geflossen, vor ganz[230] Deutschland neu erglänzte. Die Knaben der Witwe, ihre Neffen, die Kinder eben jenes Barons Geramb und meine kleine Lotte spielten neben uns, und so vergingen uns die Abende still und genußreich. Mein Bruder und sein Mündel Karl (denn er war nach der beiden Eltern Tode zum Vormund seiner Schwäger ernannt worden), die selbst sehr gut und gern vorlasen, fanden aber ihre Rechnung zu wenig beim bloßen Zuhören, und so brachten diese ihre Abende meist in der Stadt zu.

Recht angenehm wäre uns allen der Winter auf diese Weise verflossen, hätten nicht unglückliche Kriegsereignisse das ganze Land, und somit auch uns, mit Furcht und Angst erfüllt. Die französischen Armeen rückten nach den Siegen in Italien und am Rhein immer näher heran, und man sprach, wie vor drei Jahren, von der drohenden Gefahr einer Invasion. In unserm stillen Abendkreise teilten wir uns unsere Besorgnisse mit, und eine wahrscheinliche Trennung, die unserm zufriedenen Beisammensein ein nahes Ende machen sollte, stellte sich ganz dicht vor unsere Augen; denn Frau von Wlassics dachte sehr ernstlich daran, sich samt ihrer Schwester und ihren beiderseitigen Kindern nach Ungarn zu flüchten, was denn auch im Laufe des Winters noch geschah, und seitdem – es sind nun beinahe vierzig Jahre – habe ich diese liebenswürdige Frau nicht mehr gesehen, und nur wenig und Unbefriedigendes, ja Schmerzliches von ihr vernommen. Sie hatte ein neues Eheband in Ungarn geschlossen, das unglücklich ausfiel und ihr Leben verbitterte.

Doch ich kehre zu meiner Erzählung zurück. Während wir noch alle beisammen, und alle voll Besorgnisse vor den Dingen, die da kommen konnten, waren,[231] trat Baron Geramb zum erstenmal aus der Unbekanntschaft seines bisherigen Privatlebens mit einem Projekte hervor, das Aufsehen genug erregte, um die Blicke der Stadt auf ihn zu lenken. Er wollte nämlich ein Freikorps errichten und es dem Kaiser in dieser bedrängten Zeit zur Disposition stellen. Geramb wohnte, wie ich oben gesagt, nicht weit von uns, der Zudrang der Leute in seinem Hause, die Unruhe, welche dieses Werbgeschäft in der Nachbarschaft verbreitete, das Aus- und Einmarschieren der regellosen, meistens zerlumpten Truppe mit Musik, die durch die ganze Straße schallte, das alles schien mir bei der wenigen Zuversicht, die man in einem, auf solche Weise zusammengerafften Haufen setzen konnte, das Unheimliche unserer Lage noch zu vermehren. Indessen hatte unsere Armee sich ander Grenze von Oberösterreich aufgestellt; die unglückliche Schlacht von Hohenlinden, auf die man die letzte Hoffnung der Rettung gesetzt hatte, ging verloren, der Damm war durchstochen, welcher die verheerenden Kriegsfluten von unserm Vaterlande hätte abhalten sollen, und nun ergossen sich die feindlichen Scharen unaufgehalten über Salzburg, Passau und Österreich ob der Enns.

Vor ihnen her retirierte unsere Armee und eilte durch die, bald dem Feinde zu überlassenden Provinzen bis gegen Wien. Dieses Ereignis bereitete auch mir ein unverhofftes Wiedersehen einer Person, die mehrere Jahre vorher einen zu tiefen Eindruck auf mein Gemüt gemacht hatte, als daß die Aufregung eingeschlafener Erinnerungen selbst jetzt, wo ich glücklich verheiratet und über jene Ereignisse längst ein beruhigender Schleier gezogen war, nicht dennoch eine vorübergehende Erschütterung in meinem Innern hätte verursachen[232] sollen, und weil es so war, so stehe es hier, zur Steuer der Wahrheit.

Fernando, der junge Offizier, dessen sich die Leser wohl noch erinnern werden, war indes zum Major im Generalstab vorgerückt, und befand sich, ohne daß ich es ahnte – denn ich hatte in Jahren nichts mehr von ihm gehört und geflissentlich nicht nach ihm gefragt – bei dem retirierenden Armeekorps, dessen Rückzug er unter vielen Beschwerden mitgemacht und leiten geholfen hatte.

Eines Abends trat er plötzlich und völlig unerwartet bei uns ein. Ich leugne es nicht, daß dies Wiedersehen mich erschütterte, daß ich einige Minuten bedurfte, um meine ruhige Fassung zu erhalten; aber es ging. Das Bewußtsein meines jetzigen Standpunktes in einer glücklichen Ehe und Fernandos feines Gefühl halfen uns über diesen Moment hinweg. Ich empfing ihn als einen werten alten Freund und er gab sich auch so. – Er besuchte uns nun oft, erzählte uns, was er bei dieser Retraite ausgestanden, erinnerte uns an manches vergangene Ereignis, und wir besuchten ihn wieder im Hause seines Oheims, des Hofrates, wo er sich aufhielt und noch eine Weile an den Folgen der Winterkampagne zu leiden hatte. Kurz, das Verhältnis ordnete sich zu unserer beiderseitigen Zufriedenheit. Alles Leidenschaftliche hatte sich läuternd abgesondert und nur gegenseitige Achtung und Wohlwollen waren zurückgeblieben. Nach dem bald erfolgten Waffenstillstand trat er als Obristleutnant aus dem Generalstab in ein Husarenregiment, produzierte sich in seiner prächtigen, reich mit Gold besetzten Uniform, und schied endlich unter herzlichen Freundschaftsbezeugungen und unsern wärmsten Wünschen von uns.[233] Bald darauf verheiratete er sich mit einem sehr jungen polnischen Fräulein, und hat, so viel ich weiß, in einer glücklichen Ehe mit ihr gelebt.

So hatte sich denn durch Zeit und veränderte Verhältnisse ein Eindruck wie ein flüchtiger Schatten aus meinem Gemüte verloren, der durch viele Jahre stark genug gewesen war, um mir manche trübe und bittere Stunde zu verursachen, und dessen ehemalige Gewalt ich erst recht dadurch erkennen konnte, daß sich unter ganz veränderten Umständen doch die letzten Spuren desselben bei dem unvermuteten Wiedersehen in meiner Seele regten.

Wichtigere und tiefer gehende Gedanken und Sorgen bemächtigten sich in dieser Zeit meiner wie aller Menschen. Die französische Armee stand auf österreichischem Boden und man zitterte in Wien vor den Ereignissen, die kommen konnten. Viele dachten abermals auf Flucht wie im Jahre 1797, und die Ungewißheit und Ratlosigkeit dieser Lage, in der niemand mit Sicherheit einen Entschluß zu fassen wußte, und wobei die Einbildungskraft freies Spiel hatte, alle möglichen Gefahren und Unfälle von den noch sehr wilden republikanischen Horden zu fürchten, waren unaussprechlich peinigend.

In diesen drangvollen Umständen ertönte plötzlich wie eine Stimme vom Himmel die Nachricht, daß der Erzherzog Karl, der früher schon einmal als Retter Germaniens1 von der ganzen Welt war erkannt und verehrt worden, das Kommando wieder übernommen und sich an die Spitze der Armee gestellt habe.[234]

Alles fing an zu hoffen; nicht auf Sieg und Glück, das war nach der Lage der Dinge nicht möglich; aber auf Rettung, und diese erfolgte denn auch durch unsers teuern Helden Karl Vermittlung. Am 27. Dezember kam er unvermutet in Wien an und brachte selbst die Nachricht des abgeschlossenen Waffenstillstands. Das Verderben war für diesmal nicht ganz abgewendet, aber aufgehalten, und bei der Vorstellung der mannigfachen Übel, die uns so nahe drohen konnten, schien schon diese Waffenruhe uns ein wahres Heil.

Mit lautem Jubel empfing das Volk unsern Retter, ein freudiger Taumel bemächtigte sich aller Gemüter, und ihm folgte, wie man sich zu verständigen und zu besinnen anfing, die schöne Hoffnung auf den Frieden, der denn auch ein paar Monate später zu Lüneville geschlossen wurde.

In Wien atmete alles neu auf. Mit der Hoffnung kehrten Ruhe und Frohsinn wieder, unsere Abendunterhaltungen wurden wieder still und genußreich wie zuvor. Baron Geramb ließ sein Freikorps auseinander gehen, das ihm indessen den Titel und Rang eines kaiserlichen Obersten verschafft hatte, und beschäftigte sich jetzt wieder mit etwas neuem, nämlich ein Gedicht über die Geschichte des Habsburgischen Hauses von irgend jemand verfassen und in alle europäischen Sprachen, die türkische nicht ausgenommen, übersetzen, mit stattlichen Vignetten auszieren, und in einer Prachtausgabe in Folio erscheinen zu lassen. Auch dieses Unternehmen erregte Aufsehen, und wahrscheinlich war dies ein Hauptzweck des Unternehmers, der bald nachher durch ein Duell, dessen Kampfplatz der Ätna oder Vesuv sein sollte, in allen Zeitungen bekannt[235] wurde, und seine unruhige Lebensbahn im Kloster La Trappe endete.

Erzherzog Karl, an dem das Volk mit großer Liebe hing, war im Anfange des Jahres 1801 zum Chef der ganzen Armee und zum Hofkriegspräsidenten ernannt worden. Bald darauf ergriff ihn sein gewohntes Übel mit außerordentlicher Heftigkeit, er wurde nach Wien und ins Batthyanische Haus in der Schenkenstraße gebracht, das von nun an den ganzen Tag von Haufen Volkes umlagert war, welches Nachrichten von dem Befinden des allgeliebten Erzherzogs zu haben wünschte. Man zitterte allgemein für sein Leben, denn der Anfall war ungewöhnlich stark gewesen, und tausend Gebete und Wünsche stiegen für ihn zum Himmel. Endlich erhörte dieser unser einstimmiges Flehen, die Krankheit wich und man durfte mit Zuversicht auf Genesung hoffen.

Auch ich gehörte unter die Zahl seiner wärmsten Verehrerinnen, obgleich ich ihn nie anders als von weitem gesehen, aber schon seit seiner joyeuse entrée in Brüssel, so viel Edles, Schönes und Großes von ihm gehört und miterlebt hatte, daß in meiner Seele immer ein Altar für diesen Fürsten stand und noch steht, auf welchem eine nie verlöschende Flamme der Verehrung lodert, und mit allem, was ich Edles und Großes von ihm vernahm, genährt wird. So war es natürlich, daß mein Gefühl der Freude über die Genesung dieses Helden sich in einem Gedichte aussprach, von dem ich wünschte, daß es vor seine Augen kommen und ihm zeigen sollte, wie sehr und wie aufrichtig er von dem Volke geliebt werde, das ihm so viel zu verdanken hatte.

Graf Chorinsky, der Gemahl meiner Freundin, befand sich damals gerade in Wien, er hatte durch[236] einen Verwandten oder durch seine eigene Persönlichkeit, die so äußerst schätzbar war, leichten Zutritt zu dem Erzherzog, ihn bat ich also, es einzuleiten, daß der königliche Held das Gedicht bekomme, und in ihm den Ausdruck nicht bloß meiner, sondern der Verehrung des ganzen Volkes lese, daß er aber ja nicht glaube, es wäre auf ein Ehrengeschenk dabei abgesehen; denn damals und später noch mehr wurde der Erzherzog mit Dedikationen von Büchern und Lobgedichten, für die alle ein barer Lohn erwartet wurde, völlig bestürmt, bis er später dies förmlich verbat und verbot.

Wie ich gewünscht hatte, so ward es mir auch. Graf Chorinsky hatte mit feinem Gefühl sich der Sache angenommen, und ich erhielt das, was mir das Liebste war, ein Handbillett des allverehrten Helden, begleitet von einem verbindlichen Briefe seines, damals viel genannten und von der ganzen Welt beachteten Hof- oder Staatsrates Faßbender.

Das Schreiben des Erzherzogs Karl ist schön an sich und zu teuer für mich, um ihm nicht einen Platz in diesen Blättern einzuräumen, die ja doch nur der Erzählung der an sich unbedeutenden Begegnisse meines Lebens für sich, und in Verbindung mit den öffentlichen Ereignissen, so wie den Fortschritten auf meiner schriftstellerischen Laufbahn gewidmet sind.

»Ich bin äußerst gerührt über die schöne und gefällige Art, womit Sie mir Ihre Teilnahme an meiner Genesung bezeugen, und freue mich, daß Wien eine Dichterin besitzt, die reine Empfindung, lebhafte Darstellung und richtige Sprache in so vollkommenem Maße verbindet. Sehr willkommen würde es mir sein, Ihnen etwas Angenehmes zu erweisen, so wie ich mit Vergnügen die gegenwärtige[237] Gelegenheit nicht unbenützt lasse, Sie meiner aufrichtigsten Ergebenheit und ganz vorzüglichen Wertschätzung zu versichern, womit ich stets verharre

Ihr aufrichtigst ergebener

E. Carl.«


23. März 1801.


Ich war ganz glücklich durch diese höchste Huld und gnädige Anerkennung, und mir schien es, als hätte ich nun eine Ursache, ja ein Recht mehr, mich der Verehrung und Bewunderung so vieler fürstlichen, kriegerischen und menschlichen Tugenden zu überlassen. Diese Empfindung strömte auch über in eine Idylle: die Geretteten, in der ich die gesicherte Ruhe der Bewohner des Landes unter der Enns, welche sie dem Helden Karl zu danken hatten, im Vergleich mit den Schrecken und Leiden schilderte, unter welchen die vom Feinde besetzten Provinzen seufzten und jene Ekloge Virgils nachzuahmen suchte, worin der Dichter den Augustus preiset, der sein (des Dichters) Vaterland vor ähnlicher Verwüstung schützte.

Die Stelle:


O Meliboee, Deus nobis haec otia fecit.

Namque erit ille mihi semper Deus;...


schien mir recht geeignet, um auf unsern Helden angewendet zu werden, und ich freute mich, ihm wieder öffentlich meine tiefe Verehrung bezeugen zu können. Diese Idylle sandte ich dem Staatsrate von Faßbender, von dem ich, wie oben gesagt worden, bereits einen Brief erhalten hatte, und er dankte mir wieder schriftlich im Namen seines Herrn.

Der Friede von Lüneville schloß indessen auf kurze Zeit die Pforten des Janustempels für uns und einen Teil von Europa, aber das Feuer glimmte unter der Asche fort, und bei der immer wachsenden Macht[238] Frankreichs und dem Weitergreifen seines kriegslustigen Oberhauptes, das zwar damals noch einen bescheideneren Titel trug, war wohl niemand, der ein bißchen weiter zu sehen vermochte, imstande, sich über die Gefahr, in der wir alle schwebten, und die prekären Bedingungen unserer damaligen Ruhe zu täuschen.

Unser Leben ging indes still fort und im ganzen ziemlich einsam; aber es knüpften sich nach und nach gesellige Verhältnisse in unserer Nähe an, welche uns viel Annehmliches versprachen. Die Familie des Hofrats von Kempelen entschloß sich, wohl durch meines Bruders Zureden vermocht, sich in der Alservorstadt gegenüber von uns anzusiedeln. Zu den früher erwähnten Gliedern derselben gehörte nun die wunderschöne und sehr interessante Frau des Sohnes. Da seit langen Jahren, wie der Leser dieser Blätter sich erinnern wird, eine genaue Freundschaft unsere beiden Familien verband, so war uns diese Nachbarschaft etwas sehr Erwünschtes, und wirklich begann auch von diesem Punkte an ein angenehmes geselliges Leben für uns, indem unser Kreis sich nach und nach erweiterte und durch bedeutende Mitglieder verschönte.

Zwar verloren wir die Familie Wlassics aus unserer Nähe, die Glieder derselben zerstreuten sich, wie das zu gehen pflegt, da- und dorthin; aber durch die Nachbarschaft des Kempelenschen Hauses ward unser Verlust mehr als ersetzt. Diesen Winter von 1801 auf 1802 wurde auch ein noch sehr junger Mann bei uns durch Herrn Haschka eingeführt, der eine, besonders in der Folge zu merkwürdige Erscheinung war, um seiner nicht hier zu erwähnen. Es war der Verfasser der Tirolergeschichte, Baron von Hormayr, ein Jüngling von vielleicht nicht mehr als zwanzig Jahren, vor[239] welchem aber schon ein bedeutender literarischer Ruf vorausging, und dessen sehr vorteilhaftes Äußeres den Eindruck angenehm verstärkte, welchen jener Ruf verbreitete. Damals kam er indessen nur selten zu uns, und erst eine spätere Epoche brachte uns in nähere Beziehungen.

Um diese Zeit ungefähr, da durch die Unfälle des Krieges, durch ungünstige Witterung, die Preise der Lebensmittel sehr gestiegen und viele Menschen in Wien sowohl als anderswo mit Mangel zu kämpfen hatten, bildete sich hier aus menschenfreundlichen Männern ein Verein, an dessen Spitze der verstorbene Fürst Josef von Schwarzenberg stand, und dessen Geschäft es ward, auf Mittel zu sinnen, um den untern Klassen, die damals am meisten litten, zu Hilfe zu kommen. Allerlei ward da erfunden und manches ausgeführt, was wenigstens eine Zeitlang seiner Bestimmung entsprach. Unter diese Hilfsmittel gehörte denn auch die Rumfordsche Suppe, und einer unserer genauesten Freunde, Herr von Perger, dessen lebhafter Geist sich leicht für alles neue interessierte und dessen kräftiges Gemüt das Ergriffene mit ungewöhnlicher Heftigkeit festhielt, war der eifrigste Beförderer dieses neuen Planes. Ja, er ließ mit großer Uneigennützigkeit seine eigene Küche zu diesem Behufe einrichten. Da wurde nun täglich nach der Vorschrift eines Herrn von Voght aus Hamburg, der auch in seiner Vaterstadt ein Beförderer, ja ein Stifter solcher Anstalten war, Rumfordsche Suppe nach den besten Rezepten gekocht, und gegen sehr mäßige Preise von zwei bis drei Kreuzern (Kupfergeld von geringer Valuta) unter die Armen verteilt. Mehrere junge Beamte von Pergers Bekanntschaft, unter ihnen auch mein Bruder,[240] nahmen wechselweise das Geschäft über sich, bei dieser Austeilung gegenwärtig zu sein und über dieselbe die Aufsicht zu führen.

Perger, der uns sonst sehr fleißig, selbst in den rauhesten Winterabenden, besuchte, ja bei stürmischem oder schlechtem Wetter fast unser sicherer Gesellschafter war, kam nun äußerst selten, und ich schrieb ihm deswegen eine komische Epistel in Knittelreimen, welche also begann:


O du, der jetzt mit kräft'ger Brühe

Wiens Leckermäuler täglich speist,

Und weder Ungemach noch Mühe,

Noch Küchenruß und Arbeit scheu'st,

– – – – – – – – – –

– – – – – – – – – –

Wenn durch das Lob von tausend Zungen

Dich noch mein Wort erreichen kann,

So neig', o hochberühmter Mann,

Dein Ohr mir wenig Augenblicke,

Und kehre dann ans große Werk zurücke.

– – – – – – – – – –

– – – – – – – – – –

Sind denn die stillen Abendstunden,

So manche finstre Regennacht,

Wo doch dein Herz den Weg zu uns gefunden,

Dir ganz aus dem Gemüt verschwunden?

usw. usw.


Kurz, ich beklagte mich über seine Vernachlässigung auf eine lustige Weise. Perger las das Gedicht in einer Sitzung des Wohltätigkeitsvereins, es erregte Lachen, und ward, vermutlich durch den Fürsten von Schwarzenberg selbst, vor die Augen des Kaisers gebracht, dem der heitere Scherz gefiel, wie denn überhaupt alles Gemütliche Anklang in seiner ebenso erhabenen als einfachen Seele fand.

Aber es schien mir, als verdiene diese Erfindung der Rumfordschen Suppe, wenigstens für Länder und[241] Orte, die mit weniger Fruchtbarkeit und Wohlleben als unser Österreich gesegnet sind, eine ernsthaftere und würdigere Anerkennung. Dies gab mir die Idee zu der Idylle: Die Rumfordsche Suppe, die aber vielleicht nicht halb so viel Aufmerksamkeit erregte als jene komische Epistel.

Indessen, trotz aller aufrichtigen und edlen Bemühungen jener Herren vom Wohltätigkeitsvereine, gedieh das Suppekochen und Spenden in unserm gesegneten Wien, wo damals und noch lange nachher der Bürgermeister selbst, sehr bedeutsam, Wohlleben hieß, nicht recht. Den ärmern Klassen, so viel sie auch sonst jammerten und schrien, behagte die Nahrung eines bloß aus Erdäpfeln, Graupen und Erbsen gekochten Breies, der nur durch etwas geräuchertes Fleisch eine Annäherung an eine Fleischspeise erhielt, nicht lange. Sie holten keine Billette auf eine oder mehrere Portionen mehr ab, die man ihnen an Almosen statt hatte austeilen lassen. Das Kochen der Suppe hörte auf, und Rumford mit allen seinen gutgemeinten Anstalten, seinen gespannten Betten, Brühen, Kochöfen usw., die gewiß für ärmere Gegenden wohltätig gewesen wären, fand keine entsprechende Aufnahme in dem Lande der Phäaken, wie uns die sehr mäßigen Norddeutschen nennen, die sich indes, wenn sie in Wien sind, unsere Schnitzel und Rostbratel trefflich schmekken lassen, auch ganze Abhandlungen darüber ihren Reisebüchern einverleiben.

Schon damals also zeigte sich, was die neuere Zeit noch viel öfter und auffallender ans Licht stellt, daß es, trotz des Jammerns der niedrigen Klassen, und trotz der menschenfreundlichen Klagen so vieler wohltätigen Seelen, welche jenen alles aufs Wort glauben[242] und von Mitgefühl für ihre Not durchdrungen sind, daß diese Not in den allermeisten Fällen nur eine relative, nicht absolute war. Wäre wirklich Not im allgemeinen vorhanden gewesen, wie in der Schweiz und in Hamburg damals, so hätte die Suppe Abnehmer und Liebhaber gefunden. Es gehe jemand an Sonntagen oder Feiertagen ins Lerchenfeld, in den Wurstelprater, nach Hietzing zum Domayer, nach Tivoli, ins Krapfenwaldel usw.; kurz, wo möglich an einem Tage an alle Erlustigungsorte der höheren und besonders der gemeinen Klassen, und er wird sie alle zum Erdrücken voll finden, er wird diese gemeinern Klassen in Anzügen sehen, die durchaus keine Not auch nur vermuten lassen. Aber in den Briefen eines Verstorbenen steht eine Stelle, welche, wie mich dünkt, ein helles Licht auch auf unsere Bevölkerung und ihre Klagen wirft. Der Verfasser nämlich redet auch von den Klagen des englischen Volkes, von seiner Unzufriedenheit mit den Maßregeln der Regierung, besonders von dem ungestümen Jammern der Fabriksarbeiter. Aber er setzt uns sogleich auseinander, daß diese Klassen durch früheren reicheren Erwerb sich an ein solches Wohlleben gewöhnt haben, daß sie über Mangel und Not schreien, wenn sie nicht täglich ein- bis zweimal Fleisch und Kuchen zum Tee haben können. So weit haben wir es noch nicht gebracht; denn es ist bei uns nicht so viel Geld in Umlauf wie in England, ich halte mich aber für überzeugt, daß die zunehmende Teuerung ebenso sehr von dem steigenden Luxus der untern Klassen als von den erhöhten Steuern, welche die Regierung auferlegt, herrührt, und daß in den allermeisten Fällen, wie oben gesagt, von keinem Mangel an eigentlichem Lebensunterhalt, sondern nur an feinern Lebensgenüssen[243] die Rede ist, an welche sich der gemeine Mann immer mehr und mehr hat gewöhnen lernen. Viel hat bei uns die Zeit der Bankozettel zu dieser Steigerung der Genüsse und somit der Bedürfnisse in den arbeitenden Klassen beigetragen, indem diese im Verhältnis viel besser daran waren als die kleinern, ja selbst die etwas höhern Staatsbeamten. Ob nun dies ein Glück für die Nation zu nennen ist, wie viele Statistiker und Nationalökonomen behaupten, oder ob es zum sittlichen Verderben führt, wage ich nicht zu entscheiden. Kluge und erfahrene Männer stehen auf beiden Seiten und ich denke, daß noch

sub judice lis est.


*


Pichler war in diesem Jahre 1802 bei der sogenannten Wohltätigkeitskommission unter der Leitung des Grafen Mittrowsky angestellt. Es sollte diese Kommission der immer steigenden Teuerung der notwendigsten Bedürfnisse steuern so wie der obenerwähnte Wohltätigkeitsverein; aber sie erreichten beide ihren Zweck nur in sehr geringem Maße, weil, wie ich glaube, in solchen Umständen, welche sich frei und organisch aus der jedesmaligen Lage der Dinge entwickeln, ebensowenig durch partielle Einwirkung abzuhelfen, als gegen den Strom zu schwimmen ist. Die Zeitverhältnisse, die langen und unglücklichen Kriege, die Finanzverwirrungen, die Devaluation des Papiergeldes aller Art, der steigende Luxus der untern Stände und einige unfruchtbare Jahre hatten jene Not herbeigeführt, und ihr zu wehren oder sie aufhören zu machen, lag außer dem Bereich menschlicher Kräfte. Teilweise wurde hier und dort nachgeholfen, so z.B.[244] dem immer fühlbareren Mangel an Brennholz für den ungeheuren Bedarf der Hauptstadt teils durch vorsichtige Vorkehrungen hier auf dem Platze selbst, teils durch Eröffnung neuer Zuflüsse aus den reichen Waldungen von Unter-, Oberösterreich und Steiermark. Zu diesen beiden Arten von Tätigkeit verwendete Graf Mittrowsky meinen Mann. Er mußte im Bureau über die Austeilung des Holzes an die Parteien wachen und von Zeit zu Zeit Reisen in die Gebirge unternehmen, um dort mit Zuziehung der Kreisbeamten, Wasserbaukundigen, herrschaftlichen Beamten usw. für Fällung des Holzes in noch unbenutzten Waldungen, Herausschaffung desselben durch Riesen, Wehren, Rechen usw. und Verführung nach der Hauptstadt zu sorgen. Diese Reisen wurden noch durch mehrere Jahre fast jeden Sommer wiederholt und boten uns später die erwünschtesten Gelegenheiten, die schönsten Gegenden dieser Provinzen zu besuchen, uns an ihren malerischen Ansichten, ihren geschichtlichen Merkwürdigkeiten zu erfreuen und gaben mir die Veranlassung und Szenerie zu manchen meiner Romane und Erzählungen.

Aber noch bedeutender und angenehmer wirkten diese Dienstverhältnisse auf Pichlers und somit auf mein Leben ein. Es war damals die Kreishauptmannsstelle in Korneuburg nach dem Abgang des Baron von Lederer erledigt. Pichler bewarb sich mit mehreren darum – er war nahe daran, sie zu erhalten, das hätte ihn und mich sehr glücklich gemacht, denn wir liebten das Land oder das stille Leben in einer kleinen Stadt, wo wir einen Garten und ein bequemes Wohnhaus gefunden hätten. Hier aber erhob sich ein peinlicher Widerstreit. Meine Mutter erklärte geradezu, sie würde nicht mit uns ziehen und ihr Haus in Wien nur[245] mit ihrem Tode verlassen. Ich aber zitterte vor dem Gedanken, die hochbejahrte und fast ihres Augenlichts beraubte Frau allein unter Dienstboten zu lassen; denn das wußte ich im voraus, daß einen ihrer Entschlüsse zu beugen oder zu ändern, ein fruchtloses Unternehmen sein würde. Da half mir Gottes Fügung durch Graf Mittrowskys Dazwischentreten. Er erklärte nämlich, daß er Pichler bei der Kommission nicht entbehren könne und verlangte daher und erhielt es auch, daß er hier in Wien bei der Landesstelle, deren Chef damals Graf Mittrowsky war, als Regierungsrat angestellt wurde. Nun hatte Gott geholfen. Pichler hatte eine sehr ehrenvolle Stufe in verhältnismäßig sehr kurzer Zeit – er war erst sechs Jahre Sekretär gewesen und erst überhaupt seit 17–18 Jahren angestellt – er stiegen; eine Schnelligkeit der Beförderung, die jetzt wohl selten einem Bürgerlichen zuteil wird. – Der Zwiespalt in unserm Hause war geschlichtet, wir blieben hier und bei meiner Mutter, und so löste sich alles in Freude und Beruhigung auf.


*


Mein Bruder hatte sein geliebtes Weib verloren, aber er war ein blühender Mann von 28–29 Jahren, der bereits einen nicht unbedeutenden Posten, als Hofkonzipist, bekleidete, und der einiges Vermögen besaß, welches durch das Gerücht wie gewöhnlich viel größer ausgeschrien wurde. Es konnte daher nicht fehlen, daß allerlei Pläne auf seine Hand gemacht wurden, welche aber meist spurlos von seinem Herzen abglitten. Nur ein Mädchen, die Tochter eines uns weitläufig verwandten Hauses, gewann ihm durch große Herzensgüte, noch mehr aber durch die sichtlichen Bemühungen[246] ihrer Familie, dieses Band zu knüpfen, und es vor der Welt als ein schon geknüpftes erscheinen zu lassen, einige Aufmerksamkeit ab. Sie liebte ihn gewiß sehr und aufrichtig. – Sei es aber, daß das Bild seiner Verlorenen, die durch ein imposantes und wirklich würdiges Äußere, bei einer kühlen und mehr verständigen als liebevollen Gemütsart ganz das Widerspiel Theresens (so hieß jenes Mädchen) gewesen war, ihm zu lebhaft vorschwebte; sei es, daß eben jene zu auffallenden Bemühungen der Familie ihm widersagten: genug, nachdem einige Monate zwischen Hoffen und Verzagen, Annähern und Entfernen hingegangen waren, entschloß sich mein Bruder, diese Verbindung, welche ihm kein Glück, wie er es forderte, zu versprechen schien, lieber mutig zu brechen, als sich in unbefriedigenden Verhältnissen eine Weile hinzuschleppen, das Mädchen immer tiefer in eine, am Ende hoffnungslose Leidenschaft sich verwickeln zu lassen, und nach einem halben oder ganzen Jahre doch endlich zu dem Resultate zu kommen, das jetzt schon vor ihm lag, nämlich, daß sie beide nicht für einander paßten.

Mir tat dieser Entschluß sehr weh. Ich war Theresen herzlich gut und hatte gehofft, an ihr eine liebevolle, teilnehmende Verwandte zu erhalten. Auch sie empfand diesen Riß schmerzlich, sie hatte meinen Bruder innig geliebt, wie er es auch in jeder Rücksicht verdiente; denn er war unstreitig einer der vorzüglichsten Männer, die ich je gekannt, aber in seiner Phantasie, die nun einmal von dem Bilde seiner Verstorbenen erfüllt und beherrscht wurde, war Anstand und hohe Würde im Äußerlichen von dem Ideal eines vollkommenen Frauenzimmers untrennbar, und diese besaß Therese, bei vielen andern guten Eigenschaften, nicht. Es[247] war ihr tröstend, daß wenigstens ich mich nicht von ihr entfernte; wir blieben einander gut, aber ich mußte es höchlich mißbilligen und widerraten, als sie ein halbes Jahr darnach, vermutlich aus Dépit amoureux, den dringenden Wünschen ihrer spekulierenden Verwandten nachgab und einen reichen, verständigen, aber unliebenswürdigen Mann heiratete, der um dreißig Jahre älter als sie war. Als ich auf die erhaltene Nachricht zu ihr eilte, um, so weit es möglich wäre, ihr von diesem Schritte abzuraten, fand ich sie mit jugendlich mädchenhaftem Vergnügen beschäftigt, an ihre Aussteuer zu denken und sich der neuen Equipage zu erfreuen, die ihr vorgeführt werden sollte. – Ich dachte:

the best repenting in a coach of six!

sagte ihr zwar redlich, was ich zu sagen nötig fand, gab aber gleich jede Hoffnung auf, eine Verbindung zu hindern, welche von der ganzen Familie heftig gewünscht wurde, und die dennoch, wie ich es vorhergesehen, das arme Wesen in eine Kette von Schmerzen, Fehltritten und Unglück verwickelte.

Aber dieser Versuch, meinen Bruder zu einer zweiten Heirat zu vermögen, so ungünstig er ausgefallen war, blieb nicht der einzige. Indessen brachten uns diese Pläne doch auch manches Angenehme, indem wir dadurch mit mehreren Familien in nähere Beziehungen kamen, und überhaupt unser geselliger Kreis auch durch andere Mitglieder, die gerade nicht in jener Absicht unsere Bekanntschaft suchten, auf recht genügende Art vermehrt wurde.

Zu diesen muß ich vor allen die Familie eines Majors Baron v. Richler rechnen, die aus seiner Frau und ihren beiden unverheirateten Schwestern bestand. Der Major hatte während des Krieges in Heidelberg[248] diese, damals noch sehr hübsche, lebhafte und gebildete Frau geheiratet. Sie war ihm später nach Österreich gefolgt, und nach dem Tode ihrer kränklichen Mutter zogen auch die beiden jüngern Schwestern der verheirateten nach. Da sie in derselben Vorstadt wie wir wohnten, lernten wir sie zu unserm großen Vergnügen im Kempelenschen Hause kennen, wo mein Bruder sie zuerst sah und uns auf sie aufmerksam machte. Auch ein Herr Unger, ein zierlicher Dichter und recht gebildeter Mann, der in unserer Nachbarschaft lebte, schloß sich unserm Kreis an. Seine Frau, eine geborne Baronesse Karvinsky, war ihrer Entbindung nahe – sie baten mich, ihr Kind zur Taufe zu halten, ich tat es gern; es war ein Mädchen, sie erhielt meinen Namen, und wurde die berühmte Sängerin Carolina Ungher.

In dem Hause dieser Heidelbergerinnen machten wir bald die Bekanntschaft noch anderer, sehr ausgezeichneter Personen vom Militärstande – und aus allen diesen ganz gewöhnlich begonnenen Verbindungen erwuchsen uns treue, lebenslängliche Freunde, die, so lange sie auf der Erde oder wenigstens in unserer Nähe weilten, verläßlich und unveränderlich an uns hingen, und mit welchen, insofern sie noch leben, noch jetzt warme Bande gegenseitiger Achtung uns verbinden. Nebst jenen drei Schwestern muß ich vor allen den damaligen Hauptmann Baron v. Rothkirch, jetzt Graf Rothkirch und Feldmarschalleutnant, und das Haus des Obersten Baron v. Engelhardt nennen. Seine Frau, eine der vorzüglichsten ihres Geschlechts, deren Schwester, und ihre beiden Brüder, alle vier höchst ausgezeichnete Menschen, trugen sehr viel zur Annehmlichkeit unsers kleinen Kreises bei, und noch jetzt verbindet Achtung und gegenseitige Wertschätzung uns[249] mit den noch lebenden, aber entfernten Gliedern dieser Familie, und macht uns ihr Wiedersehen, wenn es einmal unvermutet stattfindet, zum frohen Feste. Ich ergreife gern diese Gelegenheit, um allen diesen hochgeachteten Freunden, die einen großen Teil meines Lebensweges mir verschönerten, noch jetzt nach mehr als dreißig Jahren meinen Dank dafür abzustatten, und überhaupt jener schönen, an so manchen geistigen Genüssen reichen Periode ein kleines dankbares Denkmal zu errichten.

Unser Haus wurde bald der allgemeine Vereinigungspunkt dieses ganzen Kreises, da die andern Familien teils durch die Beschaffenheit ihrer kleinern Wohnungen, teils durch Kränklichkeiten eines oder des andern Mitgliedes, teils endlich durch eigenen Geschmack sich nicht dazu geneigt fanden, jeden Abend zu Hause zu bleiben und Gesellschaft bei sich zu empfangen. Das war aber meine Mutter, sie, welche durch lange Jahre gewohnt gewesen war, jeden Abend in ihrem großen und ganz dazu geeigneten Appartement zahlreiche Gesellschaft sich versammeln zu sehen, und die es so ganz verstand, durch geist- und sinnvolle Unterhaltung, so wie durch Benutzung kleiner gesellschaftlicher Talente in ihrer nächsten Umgebung, ihren Abendzirkeln einen lebhaften Reiz zu geben. Ein paar Jahre her war durch Umstände und hauptsächlich durch unsere Umsiedlung in die Vorstadt diese Lebensweise unterbrochen worden, jetzt bot sich die Möglichkeit wieder dar, da wir Bekanntschaften in unserer Nähe geschlossen hatten, und nun ward das Haus der Frau von Greiner wieder der Mittelpunkt eines ziemlich zahlreichen, gebildeten und freundschaftlichen Kreises. Wir jüngern Leute unterhielten uns mit gesellschaftlichen[250] Spielen, mit Musik, welche manche in dem Kreise verstanden, wie denn z.B. mein Bruder sehr hübsch sang, die junge Kempelen und ich Klavier spielten, usw. Wir arrangierten im Fasching Picknicks, wozu unsere großen, hohen Zimmer passend waren, und machten im Sommer gemeinschaftliche Spaziergänge und Landpartien.

So ging das angenehme Leben ein Jahr oder zwei hin, als mein guter Bruder plötzlich von rheumatischen Schmerzen in der Seite befallen wurde, die er anfangs wenig achtete und durch den Gebrauch der Badner Bäder zu heilen hoffte. Aber trotz der vorübergehenden Linderung, welche ihm diese Kur verschaffte, stellten sich die Schmerzen wieder ein, und Gott weiß, welche sonderbare Ansicht seines damaligen Arztes, des berühmten Doktors Closet, diesen veranlaßte, meinem Bruder zu raten, alles warme Verhalten, welches er bisher beobachtet, fahren zu lassen, sich mit kaltem Wasser zu waschen usw. Mein Bruder befolgte den Rat dieses sonst sehr erfahrenen Mannes, und nach einer scheinbaren Besserung von wenigen Tagen stellten sich die Schmerzen in der Hüfte heftiger als je ein. Sie waren so stark, daß mein Bruder das Bett hüten mußte, und wie ein Märtyrer litt. Von diesem Augenblicke an ging sein Übel mit Riesenschritten vorwärts. In der vielleicht sehr wohlgegründeten Meinung, daß Closets Ansicht unrichtig gewesen, berief er nun andere Ärzte, und endlich, da aller Kunst hier an einem unheilbar gewordenen Übel zuschanden wurde, einen damals sehr jungen, aber seines Scharfblicks und seiner seltenen Kenntnisse wegen schon sehr ausgezeichneten Arzt, den Freiherrn v. Türkheim. Er war der Arzt einer unserer Freundinnen, die ihn meinem Bruder[251] empfahl, ein Mann von seltenem Genie, von unbesiegbarer Liebe zu seiner Wissenschaft, der er sich, gegen den Willen seiner Familie, mit beispielloser Anstrengung und Aufopferung gewidmet hatte; außer seiner ärztlichen Laufbahn mit der Literatur und allen schönen Künsten vertraut und über dies alles mit einem Herzen begabt, das warmen Anteil an den Leidenden zu nehmen, und denen, welche es einmal seiner Achtung würdig gefunden, durchs ganze Leben unveränderlich treu zu bleiben fähig war. Türkheim übernahm, durch jene Freundin vermocht, meinen Bruder als seinen Patienten. Er kam an, verordnete; es besserte sich nichts; bald darauf erfuhr ich durch eine andere gemeinschaftliche Bekannte, gegen die er sich offen geäußert, daß er wenig oder gar keine Hoffnung hege, meinen Bruder wiederherzustellen. Ich erschrak aufs heftigste, indessen schien mir die Sache so unglaublich, daß eine Krankheit, die höchstens ein schmerzhaftes chronisches Übel genannt werden kann, einem jungen Mann von dreißig Jahren, in aller Blüte seiner Kraft und bei sonst ungeschwächtem Körper tödlich werden sollte, daß ich mir meine Angst selbst mit allen Vernunftgründen ausredete, und die Äußerung des Arztes, den ich damals nur wenig kannte, für jenen gewöhnlichen Kunstgriff hielt, den Fall für bedenklicher auszugeben, als er wirklich war, um die Ehre der Kur zu vergrößern.

Täglich versammelte sich nun, so lange der Gesundheitszustand meines Bruders noch leidlich war, weil er es wünschte, und er in dem Umgang mit unserm gebildeten Freundeskreise seine einzige, aber auch recht tiefgefühlte Freude fand, dieser Kreis in seinem geräumigen Zimmer. Wir schwätzten, spielten Karte, andere[252] kleine Gesellschaftsspiele, die sich sitzend und ruhig spielen ließen, lasen, kurz wir hätten diese Art von geselligem Leben sehr genußreich nennen können, wenn nicht die Leiden meines armen Bruders, welche sich mit jeder Woche vermehrten, und einen immer erschreckenderen Charakter annahmen, mir vor allen, aber auch den übrigen Freunden, welche warmen Anteil an ihm nahmen, diesen Genuß verbittert hätten. Bewundernswürdig war die Geduld, ja der Starkmut, mit dem er selbst, dieser treffliche und von so vielen Schmerzen gequälte Mann, diese Leiden ertrug. Mitten in den heftigsten Qualen, wenn seine Gesichtszüge den Schmerz, den er litt, aufs schrecklichste zeigten, blieb sein Geist ruhig, und unmittelbar nach einem solchen Sturm, dergleichen sich nur zu oft erneuerten, kehrten seine Mienen zu ihrer vorigen Ruhe, sein Geist zu derselben Fassung, ja Heiterkeit zurück, die uns in manchen Augenblicken vergessen machten, daß wir um das Lager eines gefährlich kranken Freundes versammelt waren.

Nie wird der 30. November im Jahre 1803 aus meinem Gedächtnisse schwinden. Es war der Namenstag meines Mannes, und der gute Bruder wollte ihn, so gut er es vermochte, feiern. Aber gerade einen oder zwei Tage zuvor trat eine große Verschlimmerung in seinem Zustande ein. Ein Konsilium wurde für nötig erachtet. Sein Ausspruch lautete erschreckend für uns; nur der Kranke allein, obwohl völlig bekannt mit dem Inhalte desselben, blieb ganz ruhig. Die Ärzte hatten erklärt, das Übel habe sich aufs Rückenmark geworfen. Mein Bruder sah dies als eine Krisis an, die entweder zur Genesung oder zum Tode, und somit in jedem Fall zum Ende seiner schweren Leiden führen[253] mußte, und zeigte sich gerade an diesem Tage in einer Ruhe, ja in einer Heiterkeit des Geistes, die uns allen, welche nach dem Ausspruche der Ärzte nur an einen von diesen zwei Ausgängen – nämlich an den traurigen glauben konnten, unendlich schmerzlich war, indem wir in diesem heldenmütigen Betragen des Kranken einen neuen Beweis seiner edlen Denkart und seines kräftigen Geistes erkannten. Mit frommer Erhebung wünschte er meinem Manne zu seinem Festtage Glück, ermahnte uns beide zu unseren gegenseitigen Pflichten, und sprach von der baldigen Wiedervereinigung mit seiner Marie, der er in dem Fall, daß er nicht genesen sollte, mit Freuden entgegen sah.

So verging dieser Tag in schmerzlicher und doch erhebender Stimmung; aber ihm folgten bald traurigere. Das Übel nahm zu, die Kräfte des Kranken schwanden sichtlich. Seine Geduld, seine Geistesruhe blieben dieselben, und selbst seine Heiterkeit zeigte sich manchmal, wenn an einem Tage, wo die Schmerzen nicht gar zu heftig waren, die Freunde sich um sein Bett sammelten, und lebhafte Gespräche oder ein gesellschaftliches Spiel ihn zu zerstreuen fähig war. In den einsameren Stunden war ich, so viel es meine häuslichen Verrichtungen zuließen, bei ihm, ich las ihm vieles vor, unter anderm auch Gibbons Geschichte vom Verfall des Römischen Reiches. Allmählich aber sanken seine Kräfte so sehr, daß er sich jenes Vergnügen, die Gesellschaft bei sich zu sehen, versagen mußte, und nur einzelne durften dann und wann ihn besuchen oder wir spielten an seinem Bette ein Kartenspiel, und er dirigierte das meinige, da ich ohnedies jedes solche Spiel sehr schlecht spielte. Bald war er auch dieser armen Erholung nicht mehr fähig, und die Lektüre blieb seine einzige Zerstreuung.[254] Gibbon interessierte ihn sehr, und mit einer bewundernswürdigen Aufmerksamkeit und Geistesruhe ließ er sich von mir die d'Anvilleschen Landkarten der alten Welt vor sein Bette bringen, suchte die vorkommenden Orte auf denselben, zeigte sie mir, und ich mag wohl sagen, unterrichtete mich auf seinem Todbette mit eben der Klarheit und Ruhe der Seele, mit welcher er früher bei jeder Gelegenheit gehandelt hatte.

Mich empörte indessen die Art, wie Gibbon sich über die christliche Religion in jenem, übrigens berühmten Werke äußert, aufs Tiefste, und ich sammelte schon damals die Ideen, Ansichten und Beweggründe für das Christentum im Gegensatz des Polytheismus, die ich später im Agathokles verarbeitete.

Es vergingen zwei und endlich drei Monate auf dieselbe stille und schmerzliche Art. Mit düsterer Gewißheit sahen wir, wenn wir alles recht erwogen und die Aussprüche der Ärzte bedachten, dem Augenblicke entgegen, der dies achtungswürdige Leben endigen, und einem Geiste, welcher inmitten schmerzlicher Leiden alle seine Würde und Kraft bewiesen hatte, die Freiheit geben würde, sich zu seinem Schöpfer aufzuschwingen. Mein Bruder hatte auch mit der Ruhe und Besonnenheit, als wenn es jemand andern beträfe, alle Anordnungen für diesen Fall gemacht und mir übergeben. Ich wußte seine Andenken an seine Freunde, was ich jedem zu geben, zu senden hatte, die Anordnungen über sein Vermögen waren getroffen – ich zwar zu seiner Erbin ernannt, aber er hatte die Jugendfreunde, die er in beschränkten Verhältnissen wußte, so großmütig bedacht, als es der Umfang seines Vermögens erlaubte, und gewiß auch keines von seinen[255] Dienstleuten vergessen, welches er einer Unterstützung oder auch nur eines Andenkens wert hielt. Dennoch, so nahe mir die Vorstellung seines Verlustes dadurch in manchen Augenblicken gerückt wurde, war doch die Hoffnung, diese unermüdliche Gefährtin des Sterblichen, nie ganz in meinem Herzen zu vertilgen, und wenn wieder, wie öfters geschah, ein paar bessere Tage eintraten, die Schmerzen ausblieben und sein Geist sich mit besonderer Heiterkeit erhob, ja dann erhoben sich auch die Möglichkeiten, daß das Übel von der unverdorbenen Körperkraft des jungen Mannes dennoch besiegt werden, und eine, wenn auch langsame Genesung eintreten könne, wieder in meiner Seele, sie wurden zu Wahrscheinlichkeiten, und ich glaubte an das Glück, den trefflichen Bruder zu behalten. Diese hellere Aussicht schloß sich indes nach ein paar Tagen wieder, wie die Schmerzen und übrigen bösen Symptome wieder eintraten, die Hoffnung wurde aufgegeben, und dennoch abermals nach einiger Zeit gefaßt, um neuerdings verloren zu werden, bis endlich mit dem Anfange des Märzmonates tägliche Fieber anfingen, und sogar mehr als ein Paroxismus in einem Tage eintrat. Nun ging es mit furchtbarer Schnelligkeit abwärts – sein Aussehen war auf eine Art verändert, daß, wer ihn lange Zeit nicht gesehen, ihn nur mit Mühe erkannt haben würde; mir aber schwebt dies Bild mit allen seinen Schmerzen und den Empfindungen, die es damals in mir erregt, mit allen Szenen, die dabei vorfielen, nach viel mehr als dreißig Jahren noch immer hell vor den Augen meines Geistes.

Am 17. März 1804, an einem Sonnabend, machte endlich der letzte Tod, wie der römische Schriftsteller sagt:[256] Mors non ultima venit, quae rapit ultima mors est – nach einem siebenmonatlichen Leiden und langem Todeskampfe diesem edlen, nur mit Gutem beschäftigten Leben ein Ende. Er fand die Ruhe, die er so lange schmerzlich entbehrt, und auch ich dachte nun, nach so manchen Anstrengungen, Sorgen und Kummer, doch wenigstens einiger Stille zu genießen, in der die aufgeregten Kräfte, die stürmisch bewegten Empfindungen zur Ruhe gelangen sollten. Aber der lange getragene und verhaltene Kummer meiner Mutter, der ihre Ansichten, sei es aus philosophischem Stolz oder einer andern Regung, nicht erlaubt hatten, die Erleichterung einer Klage oder einer freundschaftlichen Teilnahme zu suchen, hatte nun, nachdem der letzte Schlag gefallen war, auch sein Werk in ihr vollendet. Am Tage, nachdem mein Bruder verschieden war, befiel auch sie ein Unwohlsein, welches sogleich in seinen ersten Symptomen viel Bedenkliches zeigte. Auch brach wirklich eine Lungenentzündung aus, die ihr Leben in Gefahr setzte, und mich nach einem erst so schmerzlichen Verlust in neue Angst und Bekümmernis stürzte. Baron Türkheim wurde gerufen; denn uns allen hatte der Tod meines Bruders nicht allein das Vertrauen auf ihn nicht benommen, sondern sein zweckmäßiges und teilnehmendes Betragen während dieser langen Zeit hatte unsere Achtung für ihn noch vermehrt. Er rechtfertigte dies Zutrauen vollkommen, da er sogleich erklärte, obwohl ich es, der gewöhnlichen Erfahrung gemäß, wünschte, daß der Kranken zur Ader gelassen werde, dies sei eine Krankheit, welche durch langen Kummer und Erschöpfung der Kraft erzeugt worden, und daher durchaus nicht wie eine gewöhnliche Entzündung zu behandeln. Trotz meiner Achtung für Türkheims[257] Wissenschaft im allgemeinen, vermochte ich doch meine Angst nicht ganz zu beschwichtigen; ich wollte ganz beruhigt sein, und mit Türkheims Erlaubnis berief ich den Doktor Closet, der schon früher für wichtigere Fälle unsere Zuflucht gewesen war, und sein Ausspruch bestätigte vollkommen das Urteil, welches Türkheim mit seinem Scharfblick, der ihn vor so vielen Ärzten auszeichnete, erkannt hatte. Er nannte die Krankheit eine nervöse Lungenentzündung, und fand bei der vorliegenden Ursache derselben und den hohen Jahren der Patientin eine Aderlaß nicht nur nicht anwendbar, sondern schädlich.

Wirklich besserte sich meine Mutter zu meiner unbeschreiblichen Freude bald wieder, die Heftigkeit der Krankheit brach sich an der zweckmäßigen Behandlung und ihrer trefflichen Konstitution, und nach drei Wochen vermochte die mehr als sechzigjährige Frau bereits, von uns unterstützt, in ihren Garten zu gehen, wo denn der eben eintretende Frühling und die vereinte Bemühung aller unserer Freunde und Freundinnen, die sie fleißig besuchten, ihre Genesung, Erheiterung und Beruhigung nach und nach bewirkten.


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Es war im Mai dieses Jahres 1804 ungefähr, als uns durch einen unserer sehr gebildeten Freunde, einen gewissen Herrn Köderl, der ein sehr geist- und kenntnisreicher Mann war, und bei dem Revisionsamte angestellt, sich in Berührung mit den meisten Literatoren Wiens befand, der nachmalige Professor und Geschichtschreiber Schneller vorgestellt wurde. Damals war Schneller ein junger Mann von einigen zwanzig Jahren, hatte wohl noch nicht die Bedeutung und den Ruf,[258] den ihm später seine Arbeiten wie seine Schicksale erwarben, aber er war auf jeden Fall eine interessante Erscheinung, und wurde bald einheimisch in unserm Kreise.

Etwa um diese Zeit oder vielleicht etwas früher trat hier in Wien ein junger Dichter mit einem Trauerspiele auf, das bei der ersten Erscheinung im Publikum die höchste Aufmerksamkeit erregte. Es war der Regulus, und der Ruf dieses Stückes sowohl als der Name seines Verfassers, des Herrn Heinrich von Collin, flog bald durch ganz Deutschland, erregte die schönsten Erwartungen, und in unserm Hause den lebhaften Wunsch, die Bekanntschaft desselben zu machen, da es ja von frühen Zeiten her bei uns zur Hausordnung gehörte, die ausgezeichneten Geister Wiens oder auch des Auslandes, wenn sie sich hier befanden, um uns zu versammeln. Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin, die Bemerkung beizufügen, daß, so merkwürdig solche Männer auch oft als Gelehrte oder Künstler in der Welt durch ihre Werke erscheinen, nur sehr wenige sich im nähern Umgange auch als Menschen achtungs- und liebenswürdig bewährten. Noch weniger liebenswürdig aber, mit sehr seltenen Ausnahmen, fand ich von jeher die weiblichen ausgezeichneten Geister, die femmes supérieures, wie Frau v. Staël sie nannte und wich ihrer Annäherung immer gern aus, da sie mir als Frauen im Umgange fast nie zusagten.

Bei unserm Collin hingegen traf zu unserer großen Freude diese Bemerkung nicht ein. Ein anspruchsloseres, einfacheres, herzlicheres Betragen läßt sich bei einem so ausgezeichneten Talente kaum denken, und mit dieser offenen Herzlichkeit verband sich ein gründlicher Verstand, eine ausgezeichnete Geschäftskenntnis[259] (er war Beamter und damals Konzipist oder Sekretär bei der Hofkammer) und hohe klassische Bildung. So warm und herzlich wir ihm entgegen kamen, ebenso warm und herzlich wurde diese Empfindung von ihm erwidert, und ich darf es mit stolzem Gefühle sagen, der edle Collin, der in so vieler Hinsicht über seine Mitbürger hervorragte, war unser aller warmer, treuer Freund geworden, der meine Mutter, meinen Mann und mich herzlich achtete, und selbst meine Tochter, damals ein Kind von 8–9 Jahren, mit gütiger Zuneigung und oft – denn er hatte nicht die Freude, Vater zu sein – mit einer Art von liebevoller Wehmut betrachtete.

Haschka lebte damals noch, und Collin, ebenso wie der früher genannte Baron von Hormayr, schlossen sich mit Achtung an den gelehrten und viel erfahrnen alten Herrn, der seinerseits gern jedes junge Talent aufmunterte und mit Rat und Tat zu unterstützen liebte. Damals bildete sich gar ein schönes geistiges Leben um uns. Collin, Hormayr, Haschka, Köderl, Schneller und noch einige andere schriftstellernde Herren besuchten fleißig unser Haus, in welchem sich jeden Abend auch jene gebildeten Frauen mit ihren Familien einfanden, deren ich früher erwähnt. Gemeinschaftliche Lektüre der besten, eben damals erscheinenden Stücke von Goethe, Schiller, Werner usw. mit ausgeteilten Rollen, Musik, gesellschaftliche Spiele, im Fasching auch wohl zuweilen ein Tänzchen, das bei uns oder einer unserer Freundinnen statthatte, füllten unsere Abende aufs angenehmste aus. Vor allem aber war uns eine Art geistiger Unterhaltung, die wir freilich nur selten genossen, vielleicht mitunter schon deswegen, ungemein wert. Es waren die eben damals in[260] Schwung kommenden Deklamationen, das gesteigerte und mit eigentlich theatralischer Betonung belebte Hersagen schöner oder bedeutender Gedichte. Collin und Hormayr waren es, die uns diesen Genuß kennen lehrten und verschafften, indem sie manchmal einen Abend bestimmten, wo sich unser ganzer kleiner Zirkel bei uns versammelte, und die beiden Herren nun abwechselnd die vorzüglichsten Produkte unserer vaterländischen Schriftsteller mit meisterhaftem Ausdrucke vortrugen.


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Es war ein wunderschöner Sommerabend im August 1804, als eines Abends Schneller einen jungen Dichter, Herrn Karl Streckfuß, auf dessen Bekanntschaft uns einige in Almanachen und Journalen erschienene, höchst liebliche Gedichte begierig gemacht hatten, bei uns einführte. Karl Streckfuß, jetzt preußischer Oberregierungsrat, Ordensritter, Lehrer und Freund des Kronprinzen, Übersetzer des Ariost und Dante, war damals ein schlanker, hochgewachsener Jüngling von 24–25 Jahren, mit blondem Ringelhaar und blauen Augen, Hofmeister in einem Bankierhause hier in Wien – eine für uns alle erwünschte, angenehme Erscheinung; aber in der Welt noch kaum durch einige Klänge seiner Leier bekannt. Unserm Kreise wurde er es bald, wurde es auf der Stelle möchte ich sagen; denn er gehörte zu den wenigen Menschen (Körner war ebenso), die uns beim ersten Blick wie befreundet ansprechen – jede Spur der Fremdheit abstreifen, und uns das Bewußtsein geben, als sprächen wir mit einem alten Bekannten. Vielleicht ist es auch so. – Wer kennt die Geheimnisse der Geisterwelt und die Bedingungen[261] einer vielleicht frühern Existenz unserer Seele, in welcher sie sich an andere Seelen anzuschließen Gelegenheit hatte? Genug, Streckfuß ward sogleich einer der Unsrigen. Unter dem Schatten unserer hohen Lindenbäume, durch die die Abendsonne schimmerte, sagte er uns auf unsere Bitten einige seiner Gedichte, namentlich die Harmonien her, und wirklich waren diese Verse Harmonien – und harmonisch fühlten alle Freundinnen und Freunde, die zugegen waren, sich dem Sänger verbunden. Was der erste Abend verheißen hatte, hielt die Folge. Streckfuß wußte durch seine anziehende Persönlichkeit wie durch einen gebildeten Verstand und ein würdiges, höchst rechtliches Betragen, aller Achtung und Zuneigung zu erwerben, und er wurde bald meiner Mutter so wert wie meinem kleinen Mädchen, das mit kindlicher Wärme an ihm hing und das er sein Bräutchen nannte.

Es ist natürlich, daß der stete Umgang mit Männern wie Collin, Hormayr, Schneller, Köderl, Streckfuß, Rothkirch und andern auf mein Gemüt erregend und erhebend wirken mußte. Ich hatte früher bereits einige Idyllen geschrieben. Haschka, dem ich so vieles verdanke, was meine literarische Ausbildung vervollkommnete, und bei dem ich mir über meine Arbeiten gern Rats holte, hatte mir, mit sehr triftigen Gründen, vorgeschlagen, den Stoff zu einigen Idyllen aus der Bibel, das heißt, aus der Zeit der Patriarchen zu nehmen, deren Lebensweise den eigentlichen Forderungen der Idylle, wie Haschka meinte, vollkommen entspräche, indem sie ein ländliches und in seiner Ausbildung einfaches Leben mit Wohlstand und Sorglosigkeit verbunden, darstelle, gleichweit von städtischer Verfeinerung und bäurischer Roheit entfernt, und[262] durch religiöse Gesinnung und innigen Verkehr mit Gott dem Gemälde einen eigenen anziehenden Charakter gebe. Mir leuchtete diese Behauptung sehr ein, denn fromme Empfindungen und Schilderungen hatten mir von jeher zugesagt. Ich hatte zufällig damals Jahns biblische Archäologie bekommen; diese studierte ich, verschaffte mir eine Luthersche Bibel, der kräftigen Diktion wegen, und wählte mir nun einige Stücke, die mir zu solcher Bearbeitung am dienlichsten schienen. Vor allem nahm ich mir vor, das Buch Ruth auf diese Weise zu behandeln; dann sollten Stücke aus Abrahams Leben kommen, und recht mit Lust überdachte und durchsann ich diese Gegenstände.

Eines Abends, als wir alle wie gewöhnlich beisammen waren, und Literatur und Poesie auch wie gewöhnlich den Gegenstand unserer Gespräche ausmachten, äußerte Streckfuß, daß er gesonnen sei, das Buch Ruth als Idylle oder kleines erzählendes Gedicht zu behandeln. Das klang mir sehr unangenehm; aber ich schwieg, und vertraute nur meinem Manne, als wir allein waren, meinen Verdruß, weil ich nun glaubte, meinen Vorsatz aufgeben zu müssen, denselben Stoff zu bearbeiten, wie ich mir früher vorgesetzt. Aber Pichler war nicht dieser Meinung, er brachte diese Ansicht eines andern Tages in unserm Kreise vor, und Haschka, Schneller, ja Streckfuß selbst munterten mich auf, meinen früher gefaßten Plan nicht aufzugeben, und die Ruth doch zu bearbeiten, wenngleich ein anderer Kämpfer sich in derselben Bahn einfinden sollte. So ward denn beschlossen, daß wir beide – Karl Streckfuß und Karoline Pichler – um dieselbe Palme laufen und unsern poetischen Wettstreit in herzlicher Freundschaft beginnen sollten. Nun gab das recht[263] köstliche Abende alle Sonntage, wenn wir jedes, was wir in dieser Woche gearbeitet hatten, vorlasen; es versteht sich, daß der, der weiter gediehen war, und das war gewöhnlich Streckfuß, nicht weiter las, als der andere, meist ich, gekommen war. Seltsam und für den kleinen Kreis, der an uns beiden lebhaften Anteil nahm, anziehend waren dann die Beobachtungen, wie derselbe Stoff unter zweierlei Bearbeitung etwas so ganz Verschiedenes wurde, so daß die Ruth von Streckfuß in Wendung der Fabel, in Kolorit, Schilderung der Charaktere, Haltung des Tons usw. sich ganz anders gestaltete als die meinige. Fast möchte ich nach der jetzigen Klassifikation der poetischen Produkte sagen, Streckfuß's Ruth war romantisch, die meinige klassisch. Auf ihn hatte die damals beginnende Zeitrichtung als auf einen noch sehr jungen Mann mehr gewirkt, so wie denn seine ganze Poesie damals mehr musikalisch als rhetorisch war, und ihm die Sonette ganz vorzüglich gelangen. Auf mich, die ältere, hatte die neue Gestalt der Dinge weniger Einfluß gehabt, und durch eigentlich klassische Literatur gebildet, mit den Werken römischer und griechischer Schriftsteller (den erstern in der Ursprache) wohl bekannt, hatte mein Gedicht mehr einen antiken Ton und einen Anklang homerischer Art angenommen. Das sah ich wohl, daß auf die Damen unseres Kreises die Streckfußsche Bearbeitung mehr Eindruck machte, wie ihnen denn überhaupt die damals moderne Poesie zusagte, und einiges mochte wohl des jungen, hübschen Dichters Persönlichkeit beitragen. Doch gönnte ich dem Freunde gern diesen Vorzug, und war – gewiß nicht mit Unrecht, überzeugt, wie es auch der Erfolg bewiesen hat, daß auch meine Bearbeitung ihren Wert habe.[264]

So verging der Winter höchst angenehm und auch Tanz, Musik und andere gesellschaftliche Freuden kamen wieder an die Reihe, es war eine liebliche Zeit!

Im Frühling verließ uns Schneller, der eine Professur in Linz erhielt; dafür aber hatte Streckfuß, der seine Hofmeisterstelle aufgegeben, meine Mutter ersucht, ihm eine hübsche, aber von uns nicht gebrauchte Stube, das Zimmer meines seligen Bruders, das wir nicht benützten und selten und ungern betraten, zur Miete zu überlassen. Meine Mutter willigte mit Freuden ein. Sie hätte es ihm am liebsten unentgeltlich überlassen; aber dies nahm Streckfuß natürlich nicht an, und so wurde er denn unser lieber Hausgenosse und jeden Abend (den Tag über ging er seinen Geschäften oder Arbeiten nach) nebst Karl Kurländer, der auch bei uns wohnte, unser Gast bei dem mäßigen Souper.

Nachträglich muß ich noch erzählen, was der Faden der Geschichte im Sommer 1804 mich überspringen machte, daß ein Zufall, ich weiß nicht welcher, mitunter aber waren es auch Streckfuß lebendige Schilderungen schöner Gebirgsgegenden, die er uns mündlich mitteilte, in Pichler und mir den Vorsatz weckte, eine Gebirgsreise, und zwar nach Maria Zell zu machen. Pichler hatte in amtlichen Geschäften schon öfters die Gebirgsgegenden in Österreich ob und unter der Enns durchstreift. Er kannte die Wege, die Gegenden, die Distanzen genau, und so wurde denn beschlossen, daß wir uns auf den Weg machen und Maria Zell besuchen sollten, das, wie Pichler sagte, in einer sehr mäßigen Entfernung von anderthalb Tagen, bei trefflichen Straßen und bequemer Unterkunft, große Schönheiten darbiete.[265]

Nachdem wir uns hierzu entschlossen, nahm sich mein Mann vor, noch einen Zweck mit dieser Reise zu vereinigen und eine ihm sehr teure Schwester, die nur eine Tagereise noch weiter als Maria Zell in Steiermark lebte, zu besuchen. Auch dieser Vorschlag ward gern angenommen; meine Mutter, obwohl damals schon hoch in Jahren, erklärte, uns gern begleiten zu wollen, und so brachen wir denn an einem sehr schönen Augusttage im Sommer 1804, nebst unserm damals sehr kleinen Lottchen, auf, und fuhren über Mödling und Heiligenkreuz die etwas unbequemere, aber nach Pichlers richtiger Ansicht viel schönere Wallfahrtsstraße bis Lilienfeld.

Nur in meiner Kindheit, beinahe dreißig Jahre früher, hatte ich mit meinen Eltern dieselbe Reise, aber über St. Pölten gemacht, und außer den Leuchtkäferchen, welche auf dem Annaberg, den wir damals abends erreichten, zu beiden Seiten der Straße in den Gebüschen schimmerten, so, daß es mich bedünkte, als sei der gestirnte Himmel hier auf die Erde gesunken, hatte ich von jener ersten Fahrt kaum eine Erinnerung behalten. Daher war mir jetzt alles neu und alles wunderschön, und auch die Leuchtwürmchen fanden sich wieder ein und stickten das Ufer der Traisen, die uns hier rauschend durch die nächtliche Dunkelheit entgegenströmte, mit hellen grünlichen Funken. Wir fuhren das Stift, das in großen dunkeln Massen in der Nacht halb sichtbar dalag, vorüber und zu dem sogenannten Steg-Wirtshause, das eine Viertelstunde aufwärts vom Stift am Ufer des Flusses lag. Freundliche Menschen, reinliche Zimmer und Betten, eine einfache aber schmackhafte Abendkost fanden wir hier, und blieben, weil es uns hier so wohl gefiel, auch noch[266] den folgenden Tag, gingen in der Gegend spazieren, weideten uns an dem saftigen Grün der Wiesen und Wälder, an den tausend Blumen, die hinter jedem Zaun hervorguckten, und tranken abends im Schimmer der sinkenden Sonne im Garten des Wirtes, an dem die Traisen hinabrauscht, einen deliziösen Kaffee – lauter Genüsse, die ich in der Stadt entbehren mußte und die ich allen Freuden des glänzendsten Balles oder der recherchiertesten Mahlzeiten in den elegantesten Zimmern vorzog. Mir war köstlich wohl zwischen diesen Bergen, an diesem hellen, wilden Waldwasser, unter diesen einfachen Menschen und den Einwirkungen der großen, freien Natur, die ich recht mit Lust in mein Innerstes dringen ließ.

Am andern Morgen fuhren wir dem Laufe der Traisen entgegen, tiefer in die immer höher steigenden Berge hinein. Ein wunderschöner Weg, der bald an den Seiten der Berge hoch über dem, unter Fichten und Tannen dahinrauschenden Wasser führte, bald sich durch enge, wilde Täler schlängelte, zwischen deren himmelanstrebenden Felsenwänden nur für diesen Weg und den Strom daneben Raum war; jetzt sich durch eine schöne, grüne Gegend zog, wo die zurückweichenden Berge einen freundlichen Talgrund, mit ländlichen Hütten besetzt, einschlossen, und dann wieder an rauchenden Essen und pochenden Hämmern und weißbeschäumten Wehren vorbeiging, wo das Eisen, welches diese Berge enthalten, zu allerlei, dem Leben unentbehrlichen Gerätschaften verarbeitet wird.

So gelangten wir nach dem freundlichen Türnitz, wo den Wallfahrtern sogleich Frauen und Männer mit großen Körben voll niedlich aus verschiedenem Holze gedrechselter Kleinigkeiten, Heiligenbilder und Rosenkränze[267] entgegenkommen. Während die Pferde getränkt werden, kauft man allerlei solcher Spielsachen, Bilder usw. und dann geht es wieder weiter durch eben solche Täler, bis dahin, wo der Annaberg mit seinem ganzen mächtigen Umfang alles Weiterkommen, ausgenommen über seinen Rücken, versperrt. – Betroffen blickten wir hinan – da zeigten sich, halb im Tannenschatten versteckt, ein Kirchlein und ein paar Häuser auf dem Gipfel des Berges, und dahin richtete sich nun unser Weg, nachdem wir den Wagen verlassen hatten, von dem man unsere Pferde ausgespannt und andere, die schon zu diesem Behuf stets hier warten, vorgelegt hatte. Nicht ohne Sorge dachte ich an die Beschwerlichkeit, jetzt in der Mittagsstunde (es war elf Uhr) den nicht unbedeutenden Berg hinanzuklimmen. Es ging viel besser, als ich gedacht. Bald nahmen uns Waldesschatten auf, bald ruhten wir an einem kühlen Quell, und jeder Blick zurück auf die besonnten Saatfelder, in denen ein frisches Lüftchen wühlte, das auch unsere erhitzten Wangen fächelte, jedes Einatmen der reinen Bergluft bei kurzem Stillestehn erquickte uns so sehr, daß wir nach einer guten Stunde zwar erhitzt, aber durchaus nicht ermüdet, gerade unter dem heimisch klingenden Mittagsgeläute auf den kleinen Platz vor der Kirche traten, wo der Brunnen mit einem quellenden Wasser plätschert und ein einfaches, aber reinliches Wirtshaus uns und unsern Tieren Erholung und Labung verhieß.

Seit jenem Male haben wir in den folgenden Jahren diesen Weg noch öfters gemacht, und einmal kam mir der Wunsch oder vielmehr meine Kleine bat darum, mir ein Pferd mit jenem bequemen Sattel, der wie ein kleines Bänkchen gestaltet, eigens für wallfahrtende[268] Frauen bestimmt ist, zu mieten, und so den Berg hinan zu reiten. Die Kleine hatte ich auf dem Schoße, und Pichler, der nicht reiten wollte, folgte zu Fuß. Da kamen einige junge, wohlgekleidete Männer in bequemem Fußwandereranzug, ihre Röcke an Stöcken über den Schultern tragend, den Berg herab, uns entgegen. Sie betrachteten uns und lachend riefen sie mir zu: »Grüß dich Gott, Maria!« und wirklich mochte der Anblick einer jungen Frau mit einem Kinde auf dem Schoß, auf einem Tier, das durch seine Haltung dem Esel vielleicht mehr als einem Pferde glich, und dem ein Mann, der Vater und Gatte, zu Fuße folgte – wohl die Vorstellung einer Flucht nach Ägypten in den Wanderern erregt haben.

Einen hohen Berg hat man erstiegen, aber so wie man zu dem Brunnen hintritt, erhebt sich vor dem erstaunten Blick ein noch viel höherer Riese, der mächtige Ötscher, der uns hier mit seiner seitwärts, wie an einer Männernachtmütze, geneigten Spitze gegenüber steht. Nun ist man recht in der Gebirgswelt darin, und immer folgen schönere Naturszenen.

Wir überstiegen nun auch den Joachims- und Josefsberg; denn alle Bergspitzen tragen hier Namen aus der heiligen Sippschaft, und der letzte ist der höchste und schönste. Auf jedem Gipfel dieser Berge stehen Kapellen, und überall knien betende Wallfahrter und werden Heiligenbilder u. dgl. zum Verkauf ausgeboten.

Auf der Spitze des Josefsberges findet man seine Kutsche und Pferde wieder, die Vorspann wird zurückgesandt, und nun geht es über noch zwei, aber minder hohe Berge nach Maria Zell.

Durch Waldesschatten, an raschen Bächen, in engen Tälern, neben Eisenwerken führt auch dieser Teil des[269] Weges hin, bis sich plötzlich das weite Tal öffnet, in welchem der Wallfahrtsort liegt.

Jetzt, nach dem großen Brande, der vor mehreren Jahren den ganzen Ort in Asche legte, soll alles ganz anders sein; aber wie mich manche Reisende versichern, zwar stattlicher und moderner, doch bei weitem nicht mehr so heimlich und ansprechend als ehemals aussehen. Ich bin seit 16, 17 Jahren ungefähr nicht mehr dort gewesen, und schildere also bloß, wie ich es damals gefunden und empfunden.

Aus engen Wegen, die durch Waldesdunkel und Felsen führen, kommt man heraus – und nun liegt ein weites freundliches Tal vor uns, ringsumher von begrünten Bergen umschirmt, mit einzelnen Wohnungen belebt, die hier und dort aus Büschen hervorschauen, und im Hintergrunde glänzt uns auf der halben Höhe des Berges die Wallfahrtskirche, das Ziel unserer Wanderung, im Abendschein, der an den Türmen spielt, entgegen. Kann das nicht recht zum Bild der ganzen Reise dienen? Mühsam windet sich der Pilger, der Abhilfe seiner geistigen oder körperlichen Schmerzen am Gnadenorte sucht, durch die engen Wege und beschwerlichen Berge wie durch die Leiden, welche ihm Gott auferlegte, hindurch. – Der letzte Teil der Reise ist der beschwerlichste, so wie fortwährende Leiden dem Ermüdeten immer drückender werden. Aber nun hat er den Gnadenort erreicht, nun weichen die einengenden Wälder und Felsen zurück, nun ebnet sich der Pfad, der vorher mühevoll über Berge führte, Heiterkeit im weit offenen Talgrund und Ruhe im Goldschimmer des Abends empfängt ihn, und der helle, Schein glänzt von der Kirche her, woher er eben seinen Trost oder seine Heilung zu hoffen hat.[270]

Das waren die Empfindungen und Betrachtungen, die sich in mir regten, während wir auf gutgebahnter Straß ein den reinlichen, freundlichen Marktflecken hineinfuhren, und an einem der vielen guten und mitunter stattlichen Wirtshäuser stille hielten. Während dessen war die Sonne längst hinab hinter die hohen Berge (es war in der ersten Hälfte des August, wo sie nach 7 Uhr unterzugehen pflegt), die Dämmerung lagerte bereits über den fernern tiefern Tälern, nur die Türme der hochgelegenen Kirche faßten noch die letzten Strahlen, und als jetzt das Abendgeläute von ihnen herab zu erklingen begann, um die ganze, nach den Lasten des Tages in Stille und Frieden daliegende Gegend zum Gebet aufzufordern, da drängte es auch uns, in die stille, einsame Kirche einzutreten, die übrigens, meinem Geschmack nach, gar nichts Schönes und Erhebendes in ihrem Äußern hat, und wo bloß der kleine mittlere Turm und ein altes Schnitzwerk über der ebenfalls alten, laubenähnlichen Pforte an jene längstverflossene Zeit erinnert, wo die beiden Fürsten Ludwig, König in Ungarn und Heinrich, Markgraf von Mähren, deren Statuen am Eingang der Kirche stehen, den Gnadenort entdeckten und begründeten. Desto überraschender und ergreifender wirkte das Innere der Kirche auf mich. Es war bereits dunkel in dem hohen geräumigen Gewölbe – nur wenige Beter knieten hier und da auf den Bänken oder lagen ausgestreckt auf der Erde. Aber tiefer darin, dort, wo mitten in der großen Kirche die kleine Felsenkapelle und in ihr das Bildnis der heiligen Jungfrau steht – dort strömte ein heller Lichtglanz aus und wir folgten dem Schimmer, der uns anzog und leitete. Er kam von diesem Bild oder eigentlich von dem hellerleuchteten Altar, dessen Lichter[271] und Lampen sich in dem Glanz des Goldes und Silbers, der ihn schmückte, noch verdoppelten, und um die Kapelle her standen Engelgestalten aus Silber geformt auf hohen Fußgestellen, deren jede eine Lampe trug und ihr Licht mit den blendenderen in der Kapelle vereinigten. So strömte also aller Glanz, alle Herrlichkeit gleichsam von der Hochgebenedeiten aus, und unwillkürlich ergriff ein erhebendes, andächtiges Gefühl jedes Herz, das sich hier dem Heiligtum nahte.

Ich habe später die Empfindungen, welche auf dieser ganzen Reise und in der Kirche selbst mein Herz beschäftigten, in der Romanze: Maria Zell, welche der Legende gemäß den Ursprung des Gotteshauses erzählt, beschrieben.

Von Zell fuhren wir dann noch weiter in die Steiermark hinein, einen reizenden Weg durchs Mürz- und Murtal bis Leoben, wo eine Schwester meines Mannes mit ihrem Gatten, dem Konsistorialkanzler des Bistums, und einer blühenden, recht liebenswürdigen Tochter von 17–18 Jahren lebte. Aufs Liebevollste empfangen, brachten wir ein paar Tage dort zu und gewannen diese Nichte so lieb, daß wir beschlossen, die Eltern zu bitten, sie uns für einige Zeit nach Wien zu geben, was denn auch im nächsten Winter geschah, und sehr zu der Annehmlichkeit unsers häuslichen und geselligen Lebens beitrug.

Der Winter von 1804 auf 1805 war auf die oben geschilderte Weise dahin gegangen. Im nächstfolgenden Sommer führten wir, ebenfalls über Maria Zell, das uns so sehr angezogen hatte, die gute Nichte, unsere liebe Charlotte (denn in unserm Hause regierte dieser Name vor allen, und nebst meiner Mutter, Nichte, Tochter, hießen ich, Streckfuß und Kurländer, folglich alle Glieder[272] des Hauses, Pichler allein ausgenommen, nach einem Namen) wieder zu ihren Eltern zurück, nachdem sie beinahe ein Jahr mit uns gelebt hatte und uns allen lieb geworden war. Nun sind nicht allein ihre beiden Eltern, sondern auch sie bereits lange tot, und nur in unsern Erinnerungen leben ihre Bilder noch.

Der Herbst von 1805 fing an, sich wieder ernst und furchtbar zu gestalten. Der Krieg war aufs Neue ausgebrochen. Große Zurüstungen wurden gemacht, aber, was man allgemein gehofft und gewünscht hatte, geschah nicht. Dem Erzherzog Karl wurde das Kommando nicht übergeben, sondern dem General Mack, der freilich in frühern Feldzügen sich als einen verdienstvollen Feldherrn bewiesen, dennoch aber in dem italienischen Kriege und bei der Annäherung der Feinde im Jahre 1797, wo er zur Verteidigung von Wien geraten hatte, der Welt Ursache zu gerechtem Mißtrauen, nicht sowohl in seine Kenntnisse oder seine Bravour, als eigentlich in die Klarheit und Unbefangenheit seines Geistes, gegeben hatte. Denn seine heftigen Nerven- und Kopfleiden erregten nicht ohne Grund die Mutmaßung, daß seiner Ansicht oder seinem Urteil nicht allemal unbedingt zu vertrauen sei, und der Erfolg hat diese ängstliche Besorgnis nur zu sehr bestätigt.

Ein abscheuliches Herbstwetter, mit Kälte, Nebel und unaufhörlichem Regen, der den ausmarschierenden Truppen unendlich beschwerlich fiel, war schon das erste ungünstige Vorzeichen kommender Unglücksfälle. Des (damaligen) Kurfürsten von Bayern Widerspruch, der unsern Truppen, dem Heere seines Kaisers, den Durchzug durch sein Land weigerte, unter dem Vorwand, daß sein Kurprinz (der jetzige[273] König) sich in der Macht der Franzosen, und folglich, wenn des Vaters Teilnahme an den Feindseligkeiten ihnen mißfiele, in Gefahr befände, war der zweite Schlag, und mit ängstlich besorgtem Gemüte blickte man einer Zukunft und der Entscheidung eines Feldzuges entgegen, welcher schon unter so ungünstigen Umständen begann.

Napoleon hatte indessen schnell das Lager bei Boulogne aufgehoben, und seine Armee marschierte mit Sturmeseile nach Deutschland. Es fand die Affäre bei Ulm statt, Mack ergab sich mit der ganzen Armee, das Kavalleriekorps ausgenommen, mit welchem sich der Erzherzog Ferdinand mitten durch die französische Armee durchschlug, und nun war das Unglück des Feldzugs und Österreichs entschieden. Die Reste unserer Armee, die noch nicht ganz hinausgelangt waren, zogen sich mit der größten Schnelligkeit zurück, verfolgt von dem siegreichen, ungestüm nachsetzenden Feind; denn was unsere Armee getan hatte, um Bayerns späterklärte Neutralität zu respektieren, taten die Preußen nicht oder Napoleon achtete nicht darauf, und so durchzog seine Armee das Anspachische Gebiet und drang bis nach Österreich, bis Krems, wo der wackere General Schmidt ihnen noch mit der letzten Kraft tapfern Widerstand leistete und seinen Heldenmut mit seinem Tode besiegelte.

Mit Angst, mit bangem Zweifel und peinlicher Erwartung sah die Bevölkerung der Hauptstadt der Annäherung der Feinde entgegen. Wieder wie 1797 wogten die Gemüter im Sturme der Empfindungen auf und ab. – Dableiben oder flüchten? nach Böhmen oder Ungarn? auf wie lange? mit welchen Mitteln? welche Vorkehrungen hier zu treffen? Vergraben der[274] Habseligkeiten? Absendung des Kostbarsten nach Ungarn? das waren die ängstlichen Fragen und Zweifel, welche sich der meisten Geister mit unwiderstehlicher Gewalt bemeistert hatten, und sie wie auf empörten Wogen herum und oft gerade zum Widersinnigsten trieben, das sie dann mit Hast ergriffen und zu ihrem Schaden durchsetzten.

Von Tag zu Tage, ja von Stunde zu Stunde liefen beunruhigende Nachrichten ein, und im steten Hin- und Herschwanken zwischen Gehen und Bleiben und allen oft widersprechenden Maßregeln, die man zu treffen dachte, vergingen einige höchst bange Tage. Wir teilten indes diese große Unruhe nicht ganz, durch Erfahrungen anderer, besonders sogenannter Reichsglieder, belehrt, und durch eigene Überlegung hatten meine Mutter und wir bald die Überzeugung gewonnen, daß, selbst bei einer wirklichen Invasion des Feindes, da zu bleiben, wo unsere Häuser, unser ganzes Hab und Gut gelegen ist, gewiß das Sicherste und Rätlichste sei. Wir hatten also unsern Entschluß gefaßt und ließen nun mit Ergebung in den Willen der Vorsicht über uns kommen, was kommen sollte, fest überzeugt, wie es denn auch der Erfolg bewies, daß jene, welche sich von Wien entfernten, ohne durch ihre Dienst- oder andere Verhältnisse dazu bestimmt zu sein, gewiß ein schlimmeres Los erwählt hatten.

Es wurden also einige Vorräte angeschafft, mit Möbeln und Zimmern die nötige Einrichtung getroffen, um die ungebetenen Gäste aufzunehmen und bewirten zu können, und so vernahmen wir nach und nach mit Bangigkeit, aber ohne eigentlichen Schrecken, wie das gefürchtete Ungetüm des feindlichen Heeres sich uns immer näher wälzte. An eine Verteidigung der Stadt[275] wurde damals nicht gedacht, und nur der Übergang über die Donau sollte durch Abbrennen der Brücken dem Feinde erschwert werden; dazu war, durch Anhäufung brennbaren Stoffes auf denselben, alle Anstalt getroffen worden, und Fürst Auersperg war mit Vollziehung dieser Maßregel beauftragt. Der Hof und die Dikasterien hatten die Stadt bereits verlassen und sich nach Ungarn begeben. Es lagen nur wenige Truppen mehr in Wien, und diese wenigen waren mit jeder Minute des Befehls zum Aufbruch gewärtig. Die Familie Richler lebte seit einiger Zeit in der Kaserne der Alservorstadt, nicht weit von uns, wo der Major das vierte Bataillon organisierte. Da aber, so wie dies den Befehl zum Ausmarsch erhalten würde, die Frauen keinen Augenblick länger in der Kaserne hätten bleiben können, welche sogleich von den feindlichen Truppen besetzt werden mußte, hatten diese sich eine Wohnung in der Nähe gemietet und nach und nach alle Möbel, bis auf die allerunentbehrlichsten, dorthin bringen lassen. Sie selbst aber wollten den Gemahl und Schwager in diesem verhängnisvollen Momente nicht verlassen, und wir übrigen wünschten denn auch die Abende in dem gewohnten Kreise zuzubringen, und in so kritischen Tagen, wo jedes sich nach Mitteilung und Freundestrost sehnt, des Umgangs der werten Freunde nicht zu entbehren. Da also Richler die Kaserne nicht verließen, so brachten wir die Abende, auf Koffern und Packkörben sitzend oder auf einigen Stühlen, die jede Familie sich von ihren Bedienten nachtragen ließ, bei ihnen zu, und gerade dies Zigeunerartige, Seltsame unseres Beisammenseins würzte die Abendunterhaltungen.

Damals auch trat Herr von Weingarten, der sich späterhin in unsern geselligen Kreisen und in der literarischen[276] Welt als ein zierlicher Dichter zeigte, mancherlei Aufmerksamkeit erregte, und vor ein paar Jahren als Major in einem traurigen Zustande starb, als ein Jüngling von 17–18 Jahren ins Militär, und zwar in dem vierten Bataillon des Baron Richler ein, und niemand von uns ahnte die Auszeichnungen, die ihm einst von geistreichen Damen werden sollten.

Indessen waren die Feinde der Stadt ganz nahe gekommen. Die Truppen erhielten Befehl, schleunig auszumarschieren – der Augenblick der Trennung war da – das Bataillon und alles, was sonst noch von Militär in Wien lag, eilte über die Brücken hinüber aufs andere Ufer; dem anrückenden Kaiser der Franzosen wurde eine Deputation des Magistrates und der Bürgerschaft entgegengeschickt (ich glaube bis Sieghartskirchen) und ihm die Schlüssel der Stadt und diese selbst seinem Schutze übergeben. Am 14. November, dem Vorabende des Schutzheiligen unsers Landes, rückten – ein bitteres Zusammentreffen! – die Feinde in die Stadt ein und eilten sogleich durch und um dieselbe an den Strom.

Hier, glaubte man allgemein, würden sie durch die Vernichtung der Brücken sich aufgehalten finden, und dieses Hindernis, indem es ihren Zorn reizte, könnte vielleicht stürmische Auftritte wenigstens in jenen Teilen der Vorstädte veranlassen, welche der Donau zunächst lagen. – Ach! es lief alles ganz und gar anders und sehr friedlich ab, denn die Brücke blieb stehen! Ein Faktum, das man schwer begreifen kann, das aber leider doch wahr war. Fürst Auersperg hatte sich unbegreiflicherweise vom General Murat (König von Neapel) täuschen lassen, als wäre das Nichtabbrennen der Brücke in den Bedingungen der Übergabe der[277] Stadt mit eingeschlossen gewesen. Der Fürst nahm das Wort des feindlichen Befehlshabers als unbezweifelbare Wahrheit an; die französische Armee eilte mit Sturmesschnelligkeit auf das andere Ufer, und alle Familien, welche teure Angehörige unter den zuletzt entfernten Truppen hatten, zitterten mit Recht für diese, deren Gefangenschaft und vielleicht üble Behandlung sie bei der damaligen Sitte oder Unsitte der noch halbrepublikanischen Armee fürchteten. Einige Tage vergingen, während welcher die Feinde in Wien einrückten, sich in der Stadt und den Vorstädten ausbreiteten, und dann erst vernahm man, daß die zuletzt ausgerückten österreichischen Truppen in Sicherheit waren.

Es war Abend, der 15. November, eine heitere, kalte Winternacht, als man uns, wie wir im kleinen Freundeskreise beisammen saßen, die erste französische Einquartierung meldete. Alles stand für ihre Ankunft vorbereitet, meine Mutter schickte mich hinab, sie an der Tür zu empfangen. Unwillkürlich schüttelte mich ein krampfhafter Schauer – es war nicht Furcht, denn was hätte ich im menschenvollen Hause, wo sich viele Männer befanden, von ihnen zu besorgen gehabt? es war die Vorstellung dieser schmerzlichen Lage, die Demütigung meines Patriotismus, das gehässige Gefühl gegen diese Übermütigen, die nun den Fuß auf unsern Nacken setzen durften! Zwei Offiziere, Männer von mittleren Jahren, deren einer Derüe, der andere Trembly hieß, jener Kapitän, dieser Major war, von ihren Bedienten begleitet, welche vor der Türe die Pferde hielten, standen vor mir. Ich begrüßte sie französisch und bemerkte sogleich, wie der heimatliche Klang günstig auf sie wirkte. Sie benahmen sich artig, der[278] Major sogar mit Feinheit, und so lief denn die erste Bewillkommnung ziemlich gut ab. Beim Nachtessen erschienen die Offiziere, ein nicht unangenehmes, recht lebhaftes Gespräch entspann sich. Sie kamen unmittelbar von Boulogne nach Deutschland in Eilmärschen und hatten kaum die nötige Wäsche und Fußbekleidung, weil alles auf dem forzierten Marsche zugrunde gegangen war. Derüe, ein Fünfziger, wahrscheinlich von gemeiner Abkunft, war mit Leib und Seele Republikaner. Der gebildetere Major schien heller zu sehen. Jener nannte, als die Rede auf Napoleon kam, ihn: notre premier magistrat. – Il a au moins de belles gages! erwiederte der Major.

So hatten wir denn das Schmerzliche erlebt! Unsere Residenzstadt, der Wohnort der Kaiser, der zweimal den Angriffen der Türken widerstanden hatte, war in die Macht eines fremden Volkes gefallen, und diese Blauen, die Kinder einer Nation, gegen welche ich von Kindheit an stets eine fast angeborene Abneigung empfunden hatte, waren nun unsere Sieger und Herren! Als ich ein paar Tage darauf in die Stadt kam – wie bitter war mir dieser Anblick! Zwar an den Stadttoren stand kein französisches Militär, die Wachtposten hier so wie überall waren dem Bürgerkorps, unserer Nationalwache, übergeben; aber diese verhaßten Blauen schwärmten überall herum, und – ich muß es bekennen, wenn man es an einer Frau auch tadelnswert finden würde, der Wunsch des Kaisers Nero, daß sie doch alle nur einen Hals haben und ich ihnen den abschlagen könnte, stieg in mir auf. Ich haßte sie aufs Bitterste. Man erzählte dann später, daß es sie sehr befremdet und ihnen zugleich imponiert habe, zu sehen, wie an dem Tage ihres Einmarsches, am 14., kein[279] Kaufladen geschlossen, die Bürgerwachen überall auf ihrem Posten waren und die Einwohnerschaft still und gemessen, höchstens von Neugier sichtlich bewegt, dem Durchmarsch des fremden Heeres wie einem Spektakel zusah.

Unsere Einquartierten verließen uns nach einigen Tagen um, au delà du Danube, das heißt, nach Mähren zu eilen; denn bei der wirklich unbegreiflichen Unbekanntschaft der damaligen Franzosen mit der Geographie fremder Länder hieß ihnen Korneuburg und Brünn, der Manhartsberg und das Riesengebirge bloß au delà du Danube. Es kamen nun andere Truppen, und in unsere Vorstadt ein holländisches Regiment, dessen Oberster, mit Namen Bruce, bei uns einquartiert wurde. Nichts war auffallender als der Kontrast der französischen und holländischen Gestalten, so wie das Benehmen der Franzosen und Holländer selbst. Jene leichten, schlanken, dunklen Männer, mit dunklen, lebhaften Augen und sprechenden Zügen, wenn gleich das, was diese Züge aussprachen, nicht immer etwas Gutes oder Vertrauenerweckendes war, hatten großen, starken Figuren mit blonden Haaren Platz gemacht, deren Ehrlichkeit und Phlegma, Wohlsein und Arglosigkeit aus den freundlichen Augen und den blühenden Gesichtern schaute. Wir waren wohl mit dem Tausche zufrieden, und hatten an dem Obersten einen bescheidenen, ruhigen Hausgenossen und einen höchst gebildeten und artigen Gast bei Tische und in unserm Abendkreise gewonnen. Von ihm erfuhren wir, daß seine Familie ein Zweig des ehemaligen schottischen Königshauses war, der sich – per varios casus – in Holland, zu Leyden, niedergelassen; daß aber fortwährend ein Zusammenhang zwischen ihnen und den[280] Bruces in Schottland erhalten und jede Geburt eines Knaben dort gemeldet werden müsse. Wie oft sprach der rechtliche, teilnehmende Mann über die Zeitumstände offen mit uns, und über den Druck, den er willenlos über ein fremdes Land bringen helfen müsse, indes daheim in Holland derselbe Druck auf ihm und den Seinigen laste!

Gegen drei Wochen erfreuten wir uns seiner angenehmen Gesellschaft, während seine Leute mit großer Bonhomie und Freundlichkeit unsern Dienstleuten überall hilfreich an die Hand gingen. Endlich mußte auch er uns verlassen, die Schlacht von Austerlitz wurde inzwischen geschlagen, das Schicksal des Krieges und somit das unsers Vaterlandes war entschieden – Tirol, das edle, treue Land, schnöde abgerissen und an Bayern, zum Lohne der Abtrünnigkeit, womit das: Münchner Kabinett den Fürsten Schwarzenberg, der an dasselbe gesendet worden war, hingehalten, und den Truppen unsers Kaisers, des damaligen Reichsoberhauptes, den Durchzug verwehrt hatte, hingegeben.

Wohl erinnere ich mich noch mit bitterm und wehmütigem Gefühl jener für Österreich und somit für uns alle höchst traurigen Epoche. Es war an dem Tage, als die Nachricht von jener Unglücksschlacht (bei Austerlitz) in Wien bekannt wurde, daß ich zu einer Freundin (eben jener Therese V.d.N., die einst meines Bruders Frau hätte werden sollen) gebeten war, um mit zwei merkwürdigen Männern jener Zeit, mit dem Tonsetzer Cherubini und dem lieblichen Sänger des Romeo, Crescentini, bei ihr zu speisen. Die trübe Nachricht, welche sich allmählich in der Stadt verbreitete, verbitterte uns zwar alles Vergnügen einer[281] geistreichen Unterhaltung, dennoch blieb mir die Erinnerung an die Persönlichkeit und das Betragen dieser beiden merkwürdigen Künstler lebhaft eingeprägt und sehr wert.

Cherubini war ein junger Mann von etwa dreißig Jahren. Ein feiner Wuchs von mittlerer Größe und geistreiche Züge, welche den Italiener kenntlich machten, zeichneten sein Äußeres vorteilhaft aus. Im Gespräche zeigte er Verstand und Bildung – mehr, wie gewöhnlich Kompositoren besitzen. Er erzählte uns viel von der Schreckenszeit in Frankreich, die er als sehr junger Mensch mit erlebt, und in allem, was und wie er es sagte, zeigte sich ein richtiger Verstand und feines Gefühl. Aber viel mehr und tiefer fühlte ich mich von Crescentinis Wesen angesprochen. Auch sein Äußeres war vorteilhaft; etwas größer und bedeutend stärker als Cherubini, sprach sich in allem, was und wie er es sagte, ein zartes Gefühl und ein tiefes Gemüt aus, dem ein Anstrich von Melancholie, welche über sein ganzes Wesen verbreitet war, noch mehr Reiz erteilte. Mit warmer Teilnahme äußerte er sich über das Unglück, welches Österreich bereits getroffen hatte und uns noch bevorstand, und wenn uns Cherubini nur als ein feinfühlender Mensch von der feindlichen Partei schonend und billig gegenüber stand, so schien Crescentini unsere Sache zu der seinigen gemacht zu haben, und mit uns tief und schmerzlich zu fühlen. Das gewann ihm denn ganz meine Dankbarkeit, und noch jetzt denke ich, nach dreißig langen Jahren, mit Vergnügen jener beiden interessanten Bekanntschaften.

Die Einquartierungen wechselten nun öfters in unserm Hause, in welches man, so wie überhaupt in die[282] benachbarten Häuser, gern die Rekonvaleszenten verlegte, welche in den Affären verwundet, im nahen Spital geheilt, und nun zu besserer Pflege bei den Einwohnern einquartiert wurden – ein Verfahren, welches man auch im Jahre 1809 beobachtete. Nur einer von diesen Blessierten, ein Stabsoffizier, Guy mit Namen, zeichnete sich unter den übrigen durch ein feineres Betragen aus, und wurde denn auch wie der holländische Oberst in unsern Abendzirkeln einheimisch. Er war jung, wohlgebildet, artig; seine Verwundung am Arme, die ihm fremde Gefälligkeit notwendig machte, und ein etwas düsterer Sinn, gaben ihm in den Augen unserer jungen Damen einen höheren Wert, und besonders zeichnete ihn eine unter uns, die selbst durch Schönheit und Geist vor allen strahlte, Frau von Kempelen, beifällig aus, indes zu gleicher Zeit unser Freund und Hausgenosse Streckfuß ebenfalls von ihr angezogen wurde.

Ich besaß ein seltenes, aber sehr vorzügliches Instrument, organisiertes Fortepiano genannt, das zugleich Klavier und Positiv war, und das man auf jede dieser Arten einzeln oder auch zusammen benützen konnte, was denn einen sehr angenehmen Effekt machte, wenn der melodische Hauch der Orgelpfeifen sich mit den Saitenklängen des Fortepiano verband. Frau von Kempelen, die Gemahlin des Sohns jener alten Freunde unsers Hauses, welche schon lange in unserer Nähe lebten, spielte sehr schön Klavier; Streckfuß sang angenehm, noch einige Mitglieder unseres Kreises und ich selbst waren musikalisch, es wurde also abends die Zeit sehr oft mit Musik verkürzt; denn damals waren die Forderungen an die Leistungen der Dilettanten nicht so hoch gespannt als jetzt, und man[283] konnte sich mit Beifall unter seinen Freunden hören lassen, wenn man auch nicht imstande war, eine Bravourarie zu singen oder sich im Theater auf dem Fortepiano zu produzieren. Unser Franzose liebte Musik, er forderte uns oft auf, welche zu machen, und mancher Faden mag sich damals aus den Augen der schönen Frau und aus ihren Tönen um sein Herz geschlungen haben. Doch der Friede wurde in Preßburg geschlossen – die feindlichen Truppen bekamen Befehl, aufzubrechen – und eines Morgens war auf den Theateraffichen (vielleicht nur aus Zufall) eben der Tag der Erlösung! von Ziegler angekündigt, wo denn auch die Last der feindlichen Besatzung von uns genommen ward.


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Allmählich kehrte wieder alles in sein gewohntes Geleise zurück. Im Jänner des Jahres 1806 kam der Hof aus Ungarn zurück und der Kaiser hielt einen feierlichen Einzug in die wieder gewonnene Stadt. Die Bürgerkorps, alle diejenigen, welche sich während der feindlichen Besitznahme als unsere natürlichen Beschützer erwiesen hatten, genossen auch der Ehre, den Monarchen zu empfangen. Ihre zahlreichen Scharen waren bis in die Leopoldstadt aufgestellt, und ein herzliches und lautes Jubelgeschrei verkündete und begleitete den Einzug des Monarchen, dessen erster Weg nach der St. Stephanskirche zum Tedeum war. Es war ein schöner Tag – dieser Tag der feierlichen Rückkehr! – Meinem Gefühle nach wurde er von einem ähnlichen, aber viel merkwürdigern, am 27. November 1809 weit übertroffen. Doch davon später. – Unser Leben gestaltete sich, seit die Feinde entfernt waren,[284] wieder auf seine gewohnte Weise, aber im Innern einiger Gemüter waren bedeutende Veränderungen vorgegangen. Die Neigung, welche Frau v. K. zuerst für unsern liebenswürdigen Dichter gefühlt, hatte antwortende Flammen in seiner Brust entzündet. Zu seinem und ihrem Glücke hatte diese Leidenschaft seinem klare Besonnenheit und den redlichen Ernst seiner Gesinnung nicht überwältigen können. Er empfand die Gefahr, die ihm und ihr drohte, er ehrte ihr häusliches Glück, ihren Ruf, und er beschloß, sich loszureißen, Wien zu verlassen und nach seiner Vaterstadt Zeitz zurückzukehren. Wer den jungen Mann so kannte wie ich und einige wenige in unserm Kreise, wer wußte, wie angenehm er hier in der großen Stadt in mannigfachen geselligen und literarischen Beziehungen, geliebt und geachtet von allen, die ihn kannten, so recht nach seinem Sinn gelebt hatte, der konnte die Größe des Opfers, das er dem anerkannt Rechten brachte, ermessen. Freilich, nach der damals beginnenden und jetzt allgemein gewordenen Mode war es nicht. Dann hätte er bleiben, die unüberwindliche Leidenschaft hegen und pflegen, Szenen veranlassen, die Ehe zerreißen machen, und vielleicht am Ende durch einen Selbst- oder Wechselmord das moderne Trauerspiel beschließen sollen. Davon tat nun freilich Streckfuß nichts; – aber er handelte als rechtlicher Mensch.

Uns übrigen tat sein Entschluß sehr wehe. Wir hatten uns mit Liebe an ihn gewöhnt; wir hatten gehofft, er sollte hier in Wien sich mit seinen bedeutenden Talenten eine ehrenvolle Bahn eröffnen, wie er es später in Dresden und Berlin wirklich getan, und auf diese Weise bei seinen hiesigen Freunden bleiben.[285] Aber keines von uns konnte ihm seinen Entschluß verdenken, wir mußten ihn darum nur höher achten, und so sahen wir denn mit schmerzlichem Vorgefühl der nahen Abreise des werten Freundes still gefaßt entgegen.

Es war der 11. April 1806, ein Freitag. Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen, da saßen wir alle, die Freundinnen, welche uns täglich besuchten, und ich um meine Mutter her, neben deren Kanapee Streckfuß seinen gewöhnlichen Platz einnahm, in stiller, banger Erwartung des kommenden Augenblicks, der uns, wie wir nicht mit Unrecht dachten, den Freund für immer zu entziehen bestimmt war. Es schlug 7 Uhr – da sprang Streckfuß auf – umarmte uns alle mit einzelnen Lauten von Lebewohl – und verschwand. Erst acht Jahre darauf sahen wir ihn ganz unvermutet im Kongreßwinter wieder.

In unserm Kreise war nun eine große Lücke gelassen. Sie hat sich auf diese Art, in diesem Sinne nie mehr ausgefüllt, wie denn kein Mensch, und wäre er auch nicht so ausgezeichnet wie Streckfuß, je ganz durch einen andern ersetzt wird. Dieser Remplaçant kann manche bessere, angenehmere Eigenschaften haben, der Abgegangene ist er doch nicht. Hier fehlt etwas – dort ist etwas zu viel. Das merkt man im Anfange gleich und oft schmerzlich. Nach und nach gewöhnt man sich an diese neue Persönlichkeit, und beruhigt sich über das, was nicht mehr so ist wie das früher Dagewesene. Ist aber der Entrissene ein Ausgezeichneter, sind uns seine trefflichen Eigenschaften im nähern Umgange recht klar geworden, haben wir uns mit Liebe an ihn gewöhnt, und sind wir versichert, daß auch er uns liebevoll in sein Herz geschlossen, dann[286] handelt es sich beim Verluste nicht um die oder jene einzelne Eigenschaft, die der Freund besaß und die wir fortwährend vermissen, sondern die Lücke bleibt ganz unausfüllbar, und nach dreißig Jahren lebt in dem Entfernten wie in dem Zurückgebliebenen noch dieselbe Überzeugung wie dieselbe Freundschaft fort.


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Mein Mann hatte durch die Art seiner Geschäfte öfters Veranlassung, kleine Reisen in den Gebirgen von Unter-Österreich und Steiermark zu machen, wo er die Wälder zu besehen, von Kreis- und Forstbeamten begleitet, die Lokalitäten zum Fällen, und zur Transportation des Brennholzes für den Bedarf der Hauptstadt und die nötigen Vorrichtungen und Vorkehrungen zu diesem Zwecke anzuordnen hatte. Auch in diesem Sommer von 1806 fiel eine solche, etwas längere Reise vor, und diesmal nahm Pichler auch mich, meine Mutter, die sich nicht gern von uns trennen mochte, und für ihr Alter noch sehr rüstig war, und unser kleines Töchterchen mit. Auch eine liebenswürdige Freundin, Frau v. S–l, die aus Ober-Österreich gebürtig war, seit ihrer Verheiratung in Wien gelebt hatte, und im vergangenen Winter Witwe geworden war, wollte mit uns zu gleicher Zeit einen Teil dieser Reise machen. Eine Unpäßlichkeit hinderte unsere gleichzeitige Abreise, ich traf sie erst in Linz wieder, und wir hielten uns, während Pichler seine Exkursionen machte, bei dem Lehrer meiner Jugend, jenem Bischof von Linz, den ich das erstemal 14 Jahre früher mit meinen Eltern und meinem Bruder besucht hatte, auf seinem Schlosse Gleink, unfern von Enns, auf. Ein stiller, einsamer Aufenthalt, der uns ein gewisses[287] wehmütiges Gefühl gab. Bischof Gall war wohl noch ganz derselbe treue Freund und gütig aufmerksame Wirt für uns, der er in jener Epoche gewesen; aber seine Geistesheiterkeit und seine körperliche Gesundheit hatten durch die Zufälle, Schrecken und Befürchtungen der langen Kriegsjahre, welche früher seine Familie in Schwaben, und ihn nun selbst bei zwei Invasionen in Oberösterreich getroffen hatten, so sehr gelitten, daß wir uns die traurige Überzeugung nicht verhehlen konnten, der verehrte Freund wanke dem, Grabe zu, und wir sehen ihn obwohl sein Alter noch vieles hätte können hoffen lassen (er hatte die Fünfzig kaum überschritten), diesmal zum letzten Male. Diesem Manne hatte und habe ich viel zu verdanken. Er war mein Lehrer in der Religion und der nahe damit verwandten Naturlehre; er pflanzte Keime in mein Herz, die spät noch mir segensreiche Früchte der Gottergebenheit und Zufriedenheit trugen. Dort – wo er schon lange ist und ich ihm wohl bald nachfolgen werde, wird ihn Gott dafür belohnt haben; denn er hat nicht bloß an mir, sondern an vielen Gutes geübt, und das Land segnet noch sein Andenken.

Auf jener Reise kamen wir auch nach Stift Florian, wo ich 14 Jahre früher ebenfalls gewesen war, als eben der Prälat Michael Ziegler, der uns jetzt 1806 wieder aufnahm, zu seiner Würde erhoben wurde. Hier lernte ich auch den, nachmals durch seine historischen Forschungen so sehr ausgezeichneten Chorherrn Franz Kurz kennen, wie denn überhaupt in diesem Stifte Männer von hoher Geistesbildung und mannigfacher wissenschaftlicher Richtung lebten und zum Teil noch leben, so daß es mich oft bedünkte, ich befände mich nicht in einem Kloster, sondern in einer[288] Akademie, in der mehrere Gelehrte oder sonst gebildete Männer sich in ihren Bestrebungen zu höhern literarischen Zwecken vereinigt hätten. Auch für die schönen Künste geschah manches – Dichtkunst und Musik wurde hier getrieben, und die Stiftsbibliothek hat vor andern ihresgleichen den Ruhm einer musterhaften Ordnung und eines steten Fortschreitens mit der Zeit. Mit Herrn Kurz, dessen lebhafte, geistreiche Unterhaltung mich sehr anzog, war ich indessen in ewigem Streite, da seine klaren, aber wohl etwas nüchternen Ansichten vom Mittelalter und der Poesie überhaupt, den meinigen gerade entgegengesetzt waren. Den würdigen Prälaten, einen ebenso gelehrten als höchst verehrungswerten Mann, belustigte unsere Opposition. Er veranlaßte daher fast bei jeder Mittagstafel eine solche Erörterung unter uns, und ging im Scherze so weit, zu fordern, ich sollte meinen Streit nach allen Regeln der Dialektik, nach den Schlußformeln des Barbara celarent usw. führen. Das gab denn allen vielen Spaß, und so verflossen in geistreicher Unterhaltung, in musikalischen Genüssen (jeden Abend nachdem Souper, das schon um 7 Uhr statt hatte, wurde in unsern Zimmern Musik gemacht) und den einfachen Freuden des Landlebens mir einige köstliche Tage.

Ich hatte damals eben angefangen, an meinem Agathokles zu arbeiten. In Stift Florian erzählte man mir, daß der Schutzpatron desselben, jener geharnischte Heilige mit dem Wasserkruge, den er über ein Haus in Flammen ausgießt, und sich so als ein Retter in Feuersgefahr kund gibt, und den man in Österreich besonders auf dem Lande vielfach abgebildet und vermehrt findet – daß dieser Heilige ein römischer Zenturio gewesen, und hier bei der Verfolgung unter Kaiser[289] Diokletian in den Fluten der Enns den Martertod erlitten habe. Das gefiel mir, mein Plan zum Agathokles war noch nicht ganz ausgearbeitet. Ich konnte die vaterländische Legende recht wohl in denselben verweben. Ich fragte also näher nach, und Herr Kurz hatte die Güte, mir folgendes zu erzählen: Florianus stand bei einer der römischen Legionen, die ihre Kastelle an den Ufern der Donau hatten, und war wahrscheinlich in dem alten Laureacum – Lorch –, das sich von dem heutigen Asten bis Enns erstreckt haben mag, stationiert. Seine Weigerung, den Götzen zu opfern, hatte ihm den Tod in den Fluten der Enns zugezogen. Eine fromme, christliche Witwe, Valeria mit Namen, ließ den Körper aus dem Strom ziehen und auf einen Wagen legen, der, von Ochsen gezogen, die teuren Reste bis in diese waldigen Hügel, wo jetzt das Stift liegt, zur christlichen Beerdigung bringen sollte. Aber der Weg war weit, der Tag heiß, die müden Tiere, nach Wasser lechzend, erlagen fast der Erschöpfung. Da entsprang plötzlich am Eingang der Waldschlucht eine Quelle, die Ochsen wurden getränkt, und gelangten nun ohne weiteres Hindernis bis an den bestimmten Ort. Hier wurde der christliche Held durch Valeriens fromme Sorge, und später auch sie begraben, und es erhob sich endlich ein bewohnter Ort und ein Stift daselbst, das noch jetzt keinen andern guten Brunnen, als den durch jenes Wunder entstandenen, unten im Markte besitzt; denn für das Stift bringt eine künstliche und kostspielige Wasserleitung den Bedarf aus einem eine Viertelstunde entlegenen Orte, Hohenbrunn genannt.

In den Katakomben des Klosters sind eine Menge Gebeine kunstvoll aufgeschichtet, und die Sage läßt[290] glauben, daß es Gebeine der in dieser Christenverfolgung umgekommenen Märtyrer sind. Auch eine Statue der Valeria findet sich, hier, und das Wunder des plötzlich entspringenden Wassers, welches dem Heiligen zugeschriebn wird, mag wohl die Veranlassung zu seiner Anrufung in Feuersgefahr gegeben haben; denn sonst kommt, wenigstens so viel mir bekannt wurde, nichts vom Feuerlöschen in dieser Erzählung vor.

Mit großem Vergnügen verfolgte ich nun den Vorsatz, diese Legende in den Stoff des Agathokles zu verweben, und zugleich eine kleine Neckerei gegen eben den verehrten Mann, dem ich die Erzählung dankte, auszuführen, und gleichsam ihm zum Trotze, der alle Vermischung der Poesie und Geschichte als strenger Wahrheitsfreund haßte, und der neueren Dichtkunst, Ossian ausgenommen, überhaupt abhold war, den Schutzheiligen seines Klosters und die Gegend umher als Episode in einen Roman zu verflechten.

Überhaupt war es oft, ja meistens etwas also Zufälliges, welches mir die erste Anregung zu irgend einer Ausübung meiner innern Anlagen darbot; wie denn z.B. der ganze Agathokles durch die Lesung Gibbons und meinen Unwillen über dessen Gesinnung gegen das Christentum, die Gestaltung desselben aber durch einen sehr schönen englischen Kupferstich, den Tod des heiligen Stephanus vorstellend, veranlaßt worden war. Auf diesem Bilde, das in dem, damals von unserm berühmten Schreyvogel errichteten Industriecomptoir zu sehen war, liegt der Märtyrer, ein Jüngling von der edelsten Bildung, tot im Kreise einiger trauernden Christen, die ihn umgeben, und die Schönheit dieser Gestalt, die selige Verklärung, welche seine Züge zeigten, und die ganze Idee, welche diesem Bilde zugrunde[291] lag, bestimmten mich, den Helden meines Romans einen christlichen Märtyrer sein zu lassen, der aus einem erhabenen Begriff von der Würde und Gemeinnützigkeit seiner Religion sich für dieselbe aufopfert, und alle Güter des Lebens, selbst die, welche bessern Menschen ewig teuer bleiben, für diese Idee hingibt.

Wenn mich irgend ein Gedanke auf diese Art ergriffen hatte, ging es wunderbar in meinem Innern zu. Ich war mir keines eigentlichen Nachsinnens, keines Erfindens bewußt; ja ich möchte sagen, mein Denken, mein ganzer Zustand war etwas Passives. Es war mir stets, als läge das Ganze meines Planes oder künftigen Werkes bereits fertig in meiner Seele. Da bedurfte es denn nur des Wiedererkennens, des Deutlichmachens, und ich kann das, was in meiner Seele vorging, mit nichts passender als mit der Wiederherstellung eines alten Bildes vergleichen. Dies ist auch schon ganz vorhanden, und man hat nichts anders zu tun, als es durch zweckmäßige Mittel aufzufrischen, damit es erkennbar werde. Wie zuerst die Hauptmotive anschaulich werden, dann allmählich die kleinern Formen deutlich hervortreten, nach und nach sich die Farben sichtbar zeigen, bis endlich das ganze Bild in allen seinen Umrissen, in Zeichnung, Kolorit usw. vor unsern Augen steht, so enthüllte sich, ohne ein bewußtes ferneres Nachsinnen, das Ganze wie von selbst allmählich in meiner Seele, und es kam mir stets wie etwas Gegebenes, nie wie etwas Erfundenes vor.

Dieser Prozeß, der in der Seele jedes Künstlers – seine Idee mag nun »in Wort oder Tat, in Bild oder Schall« ins Leben treten – in den Momenten der geistigen Empfängnis vorgeht, hat für mich stets etwas Geheimnisvolles, Rätselhaftes gehabt, das mir auf die[292] höhere Abkunft unserer Seele, auf ihren Zusammenhang mit der gesamten Geisterwelt zu deuten scheint. Jene Menschen, denen die Natur Anlagen anderer Art; gegeben hat, können sich keine Vorstellung von dem machen, was in der Seele eines Dichters vorgeht, und es ist dem Ähnliches, was Fenelon in einer seiner Betrachtungen über das innerliche Leben einer frommen Seele sagt, daß nämlich die Weltmenschen das, was in derselben vorgeht, für einen Traum, einen Wahn hallten werden. Es gibt viel solcher Rätsel, und eines derselben, vielleicht eines der wunderbarsten, ist die Anlage zur Musik und Komposition. In einem Aufsatze, den ich für irgend einen Almanach vor mehreren Jahren geschrieben, habe ich meine Ansichten darüber geäußert. Ich erinnere mich des genauern Details nicht, aber ich wiederhole im allgemeinen, was ich damals darüber dachte, und was nachfolgende Erfahrungen bestätigt haben. Es liegt etwas Wunderbares, Geheimnisvolles in diesem Sinn für Harmonie, und noch in der Fähigkeit, selbst Harmonien und Melodien zu schaffen. Sie findet sich oft bei Menschen, die außer dieser Himmelsgabe wenig geistige Fähigkeiten oder doch wenig Bildung besitzen. Sie selbst haben keine deutliche Vorstellung weder von ihren Anlagen noch weniger von dem Prozesse, der in ihrem Innern vorgeht, wenn sie sich bestreben, die Schöpfungen, die in ihnen gären, durch Töne deutlich zu machen oder irgend ein fremdes poetisches Produkt in diesen Tönen Auszusprechen. Mozart und Haydn, die ich wohl kannte, waren Menschen, in deren persönlichem Umgange sich durchaus keine andere hervorragende Geisteskraft und beinahe keinerlei Art von Geistesbildung, wissenschaftlicher oder höherer Richtung zeigte.[293] Alltägliche Sinnesart, platte Scherze, und bei dem ersten ein leichtsinniges Leben, war alles, wodurch sie sich im Umgange kundgaben, und welche Tiefen, welche Welten von Phantasie, Harmonie, Melodie und Gefühl lagen doch in dieser unscheinbaren Hülle verborgen! Durch welche innere Offenbarungen kam ihnen das Verständnis, wie sie es angreifen müßten, um so gewaltige Effekte hervorzubringen, und Gefühle, Gedanken, Leidenschaften in Tönen auszudrücken, daß jeder Zuhörer dasselbe mit ihnen zu fühlen gezwungen, und auch in ihm das Gemüt aufs tiefste angesprochen wird?

Auch Schubert habe ich gekannt. – Auf ihn paßte, was seine übrigen Fähigkeiten betrifft, genau dasselbe, was ich von jenen beiden großen Genien sagte. Auch er brachte das Schöne, das Ergreifende seiner Kompositionen fast unbewußt hervor, ja, ich darf mich hier auf eine Anekdote berufen, die ich aus unsers berühmten Sängers Vogl eigenem Munde habe. – Das, was er vor vor einigen Wochen aus der Tiefe seines Gefühls hervorgeströmt hatte, ein sehr schön komponiertes Lied, kannte er nicht mehr, als es ihm Vogl zeigte, und lobte den Satz, wie etwas aus einer fremden Seele Entsprungenes, ganz aufrichtig. So bewußtlos, so unwillkürlich sind diese Hervorbringungen, und man kann nicht umhin, hier an magnetische Zustände und jene geheimnisvollen Fähigkeiten der Psyche zu denken, die in ihr, wie die Schmetterlingsflügel in der Puppe verschlossen und zusammengewickelt liegen, bis sie sie einst, wenn die Puppe zerbrochen wird, entfalten darf. Hier in ihrem beengten Zustande ahnt sie nur in einzelnen Augenblicken, in Wahrnehmungen etwas davon, und diese Augenblicke sind es wohl,[294] von denen Fenelon spricht, und die der Weltmensch verlacht, weil er sie nicht kennt.

Nachdem ich dies vor einigen Tagen geschrieben, geriet ich in Eckermanns Gesprächen mit Goethe auf eine Äußerung dieses großen Mannes, daß nämlich »dem echten Dichter die Kenntnis der Welt angeboren sei«, daß er selbst seinen Götz geschrieben, ohne das, was er schilderte, erlebt oder gesehen zu haben, und daß er später über die Wahrheit dieser Darstellung erstaunt sei, er müsse also diese Anschauungen durch Antizipation besessen haben, ja er behauptete, daß, »hätte er nicht die Welt durch Antizipation in sich getragen, alle seine Erforschung und Erfahrung ein totes, vergebliches Bemühen gewesen wäre«. Sollte man, indem ein so mysteriöses Verfahren der Seele angedeutet wird, nicht lieber die Bezeichnungen aus der gewöhnlichen Welt mit denen aus einer höhern vertauschen dürfen, und, was Goethe klar und trocken – aber wie mir scheint, nicht erschöpfend Antizipation nennt, lieber mit Inspiration bezeichnen? Inspiriert sind diese Anschauungen, sie sind dem Dichter, ohne daß er weiß woher oder wozu, zugekommen, und auf ihrer Stärke, Deutlichkeit und ihrem Umfang beruht, wie ich glaube, die größere oder geringere Kraft des Dichters. Im Grunde ist es wohl gleichgültig, ob man nun, dies geheimnisvolle Wirken in der Seele des Dichters zu bezeichnen, sich des Wortes Antizipation oder Inspiration bediene; aber selbstzufrieden und vergnügt war ich durch die Entdeckung, daß dieser große Mann ähnliche Wahrnehmungen hatte und mit mir darin übereinstimmt.

Noch muß ich, bei Gelegenheit des Sinnes für Musik und Komposition eine Bemerkung anführen, die ich[295] vor langer Zeit bereits gemacht, und auch manchen gebildeten Menschen mitgeteilt habe, ohne von ihnen eine genügende Erklärung über eine, wie mir es scheint, sonderbare Erscheinung zu erhalten, diese nämlich, daß unter so vielen Frauenzimmern, die sich mit exekutiver Musik auf dem Klavier, auf andern Instrumenten oder im Gesang mit vielem Glück beschäftigten, unter so vielen geistreichen Künstlerinnen, die sich in der Malerei oder Dichtkunst auszeichneten, auch nicht eine ist, die mit bedeutendem Erfolge etwas in der musikalischen Komposition geleistet hat. Nur zwei habe ich in meinem langen Leben und bei besonders in meiner Jugend häufigen Berührungen mit der musikalischen Welt gekannt, die sich mit Komposition beschäftigten, ein Fräulein von Martinez, Schülerin des berühmten Metastasio, der bei ihren Eltern lebte und sich die Ausbildung dieses, in vieler Hinsicht ausgezeichneten Frauenzimmers zum angenehmen Geschäft machte; und meine Freundin, das blinde Fräulein von Paradis. Beide leisteten Artiges, aber es erhob sich nicht über – ja kaum an das Mittelmäßige, während doch in Malerei und Poesie Frauen, wenn auch nichts den Werken der ersten Meister in diesen Fächern zu Vergleichendes, doch vieles auch an sich und ohne Rücksicht auf das Geschlecht Schätzbare hervorgebracht haben. Sollte man aber nicht glauben, daß gerade dies Bewußtlose, bloß auf innern Regungen, auf Gefühl und Phantasie Beruhende der Musik, dem weiblichen Charakter besser zusagte als die Leistungen im Gebiete der Malerei und Dichtkunst, welche Vorkenntnisse, deutliche Begriffe, technische Fertigkeiten usw. voraussetzen? Es muß doch nicht also sein, weil wir bis jetzt wohl eine Sirani, Rosalba, Angelica Kauf mann,[296] Lebrun usw. – aber keine nur einigermaßen bedeutende Tonsetzerin erlebt haben. Doch ich nehme den Faden meiner Erzählung wieder auf.


*


Im nächsten Winter wurden unsere gewöhnlichen Abendunterhaltungen fortgesetzt, und es fiel uns ein, uns doch einmal wieder im Komödienspielen zu versuchen. Zuerst wählten wir kleinere Stücke, Kotzebuesche, ein- oder zweiaktige Lustspiele: Den Mann von 40 Jahren, die Brandschatzung usw.. Endlich schlug uns Hormayr vor, uns an ein bedeutendes Stück zu wagen. Der Mann von Wort, von Iffland wurde gewählt, und auf eine Weise besetzt und gespielt, wie man es auf Haustheatern selten finden wird. Mein Mann, der überhaupt seine Rollen stets mit vieler Kraft und Würde und einem guten Anstande gab, wobei ihm seine vorteilhafte Gestalt sehr zu statten kam, gab den Archivar Lestang, die Titelrolle, vortrefflich; der Verfasser des Regulus, Collin – den blödsinnigen Oheim; der Verfasser des österreichischen Plutarchs, Hormayr, den Hofrat Wallner; Frau von Kempelen, jene interessante und schöne Gemahlin des Jugendfreundes von meinem seligen Bruder, welche schon dem dichterischen Freunde Streckfuß so gefährlich gewesen war, und in deren Nähe auch Hormayr sich nicht gleichgültig erhalten konnte, hatte die Rolle der Julie, der Pflegetochter des Hofrats; mir ward die der Frau des Archivars zuteil, und auch die übrigen Personen machten ihre Sachen gut. Wir hatten geschlossen, das Stück zum Namenstage meiner Mutter zu geben, der auch der meinige und der meines Töchterchens war, welche einen, von unserm alten Freund[297] Haschka gedichteten Prolog sprach, und so geschah es auch. Wer das Stück kennt, wird sich erinnern, daß jener blödsinnige Oheim seiner Nichte, der Frau des Archivars, den Brillant schenken will, der aus einer, durch sieben Jahre eingesperrten Kreuzspinne entstehen soll und an dessen Existenz und Besitz er festiglich glaubt. Es ist dies eine wirklich rührende Szene, denn der gute Alte will sich seines vermeinten unermeßlichen Schatzes willig entäußern, um nur seine Nichte zu vermögen, ihrem Manne die schuldige Treue zu halten. Collin hatte, wie gesagt, die Rolle des Oheims, die er trefflich durchführte. Ich, als Frau seines Neffen, war mit ihm auf dem Theater, und er zog nun das Schächtelchen mit der kostbaren Spinne hervor, auf welches ich, wie es im Stücke angegeben ist, das Jahr und den Tag, wann sie eingefangen worden war, geschrieben hatte, um Collin das Auswendiglernen dieser Worte zu ersparen. Man stelle sich meine Verwunderung und Verlegenheit vor, als der unvergeßliche, teure Freund nun statt des in dem Stücke benannten Tages den vierten November nannte, und mit einer höchst verbindlichen Wendung einen Glückwunsch für drei Karolinen, Großmutter, Mutter und Enkelin sprach. Der Beifall war allgemein, und nie werde ich diese kleine Szene, in welcher sich die Freundschaft des teuern Mannes für uns alle und seine wahrhaft kindliche Verehrung für meine treffliche Mutter so deutlich aussprach, vergessen.

Dieser Winter und der nächstfolgende Sommer vergingen in gleich angenehmen Verhältnissen. Unter verschiedenen Fremden, welche bei uns eingeführt wurden, zeichnete sich bald, durch seinen innern Gehalt sowohl als seinen warmen Anteil an uns, ein Baron[298] von Merian-Falkach aus, der in der Staatskanzlei angestellt und ein genauer Freund Hormayrs war, welcher ihn auch bei uns einführte. Dieser Mann war ganz klassische Literatur, scharfsinnig, gelehrt, wahrhaft freundschaftlich, aber auch höchst eigen, ja bis zum Paradoxen seltsam in seinen Ansichten, denen er übrigens im praktischen Leben nicht immer treu blieb. So war es sein Lieblingsthema, daß eine Frau nichts oder nicht viel lernen soll, weil ihre Liebenswürdigkeit, ihre Kindlichkeit usw. darunter leiden würde; daß eine Frau ganz willenlos dem Geliebten anhängen und gleichsam nur durch seinen Geist denken, nur durch und für ihn leben solle. Er haßte deswegen weibliche Schriftstellerei, ging aber vorzugsweise gern mit meiner Mutter, welche eine der geistreichsten und selbständigsten Frauen war, die nur je vorgekommen und mit mir, einer Schriftstellerin, um. Er gefiel sich überhaupt sehr in unserm Kreise, ward bald einheimisch darin und blieb mir durch viele Jahre ein verläßlicher, treuer Freund, dessen Wärme eine langjährige Abwesenheit (ich sah ihn, seit er uns 1810 verließ, nie wieder, und er starb erst vor einigen Jahren) nicht erkältet hatte, und die ein eifriger Briefwechsel, durch immerwährende Streitigkeiten belebt, stets aufrecht erhielt. Ihn band seit vielen Jahren ein zärtliches Verhältnis an eine Frau, von der er stets den Ausdruck Petrarcas: Che sola a me par donna, brauchte. Ich kannte sie nicht, aber ihren Briefen nach zu urteilen, womit sie mich auf Merians Veranlassung beehrte, mußte sie wenigstens eine sehr verständige, gebildete Person sein. Im Jahre 1809 kam sie endlich nach Wien, und man denke sich unser aller Erstaunen! Diese Laura, diese sola Donna war eine – nicht sehr hübsche, nicht[299] ganz junge Frau, von kleinem Wuchse, unendlicher Beweglichkeit und Lebendigkeit, eine wirklich sehr gebildete, aber auch so positive Frau, daß unser guter Merian zu unser Aller Verwunderung und Leidwesen ganz unter ihrem Pantoffel stand, und solange sie in Wien war, es auch nicht ein mal wagen durfte, ohne sie bei uns zu erscheinen. So auffallend wie dies Beispiel sind freilich nicht viele; dennoch ist mir die Erscheinung zum öftern vorgekommen, daß gerade jene Männer, welche so viel von der Sanftmut, Unterordnung, Hingebung des Weibes sprechen, wenn sie einmal wählen, ziemlich gehorsame Liebhaber und Ehemänner werden; ja, daß sie schon von vornherein nicht leicht an einer Geschmack finden, welche nicht etwas Herrisches an sich hat. Im Gegenteile aber sind es gerade die Haus- oder Liebestyrannen und die sich einer unumschränkten Herrschaft nicht bloß über die Handlungen, sondern über die Gedanken und Ansichten ihrer Geliebten oder Frauen bemächtigen, welche vor der Ehe die schmiegsamsten, ehrerbietigsten scheinen und stets die sanfte Oberherrschaft der Frauen anzuerkennen bereit sein wollen. Ich könnte mehrere anführen, aber Exempla sunt odiosa.

Schon seit einigen Jahren kannten wir in Wien die Trauerspiele F.Z. Werners. Seine Söhne des Tales hatten ungeheures Aufsehen erregt und alles, was sich mit schöner Literatur beschäftigte, aufmerksam auf den, wie es hieß, noch jungen Dichter gemacht. Es war die Zeitepoche, in welcher auch die Schlegel, Tieck u.a. aufgetreten waren, das sogenannte Romantische sich zuerst und zwar mit großem Beifalle zeigte, die poetische Poesie im Gegensatz der bisher geübten und geschätzten aufgestellt, und viele Autoritäten,[300] die wir bisher verehrt hatten, durch: die neue Schule, wie sie genannt wurde, von ihren Altären herabgestürzt werden sollten. Gar viele glaubten auch diesem neuen Evangelium; ungleich mehrere aber ließen sich in ihrer billigen Verehrung für Schiller, Herder, Wieland, Klopstock usw. nicht irre machen. Es gab manche, die sogar behaupteten: Die Gebrüder Schlegel hätten gar zu gern eine große Rolle in der gelehrten Welt gespielt, da sie aber fühlten, und – weil sie wirklich treffliche Köpfe waren – auch deutlich einsahen, daß sie auf produktivem Wege neben den schon bestehenden Matadoren in der schönen Literatur doch nur einen untergeordneten Platz einnehmen würden, hätten sie sich auf die Kritik geworfen, und, indem sie das bisher Verehrte von seinem Standpunkt herabzuziehen bemüht waren, Raum für sich und ihre Anhänger zu gewinnen gesucht, wie das Vaudeville sagt:


Les arbustes sont des chênes,

Quand les chênes ne sont plus.


Nur einen unter den Lebenden ließen sie gelten, Goethe, und indem sie ihn zu ihrem Koryphäus wählten und ihn mit einer ungeheuern Portion Weihrauch dazu gleichsam installierten, suchten sie sich durch seinen Ruhm, sein Ansehen in Deutschland, seine Autorität zu schützen, sie flüchteten unter den Schatten seiner Flügel.

Zugleich mit diesen Bestrebungen, die neue Poesie und Ansicht auf Kosten alles Alten geltend zu machen, dämmerte auch ein gewisser hyperreligiöser Sinn in den neuen Erzeugnissen auf. Es war nicht eigentliche Frömmigkeit, Gottesfurcht, Hinblick aufs Ewige; es war ein krampfhaft wundergläubiges Unterordnen unter veraltete Ansichten, das sich mit krasser Sinnlichkeit und[301] unlautern Trieben ganz nachbarlich vertrug. Unlängst war die Lucinde, das berüchtigte Buch von Friedrich von Schlegel erschienen, ihm waren nicht so grelle, aber höchst seltsame Geburten: Lacrymas und Alarcos, gefolgt. Staunend betrachtete sie die Welt und wußte nicht recht, ob sie sie bewundern oder belachen sollte. Zum ersten bekannten sich die Anhänger der neuen Schule; denn das Neue findet jederzeit geneigte Gemüter, die es gern in sich aufnehmen, um es nächstens mit etwas noch Neuerem zu vertauschen. Die meisten, welche von diesen Werken Notiz nahmen, mißbilligten sie, und bedauerten einen reichbegabten Geist auf Irrwegen zu sehen.

Diese frömmelnde Tendenz griff immer mehr um sich. Das zweite Stück Werners: Die Templer auf Cypern, trug schon in seiner ersten Form etwas Mystisches, Rätselhaftes in sich, und jene Erzählung oder Mythe von Phosphor ließ die Leser in Ungewißheit, ob hier ein tiefgeheimer, wirklicher Sinn verborgen liege oder der Verfasser der Welt nur ein schwer zu lösendes Rätsel habe aufgeben wollen. Das dritte Stück: Das Kreuz an der Ostsee, in dem der heilige Adalbert, der bereits den Martertod erlitten hat, als Spielmann auftritt, auf dessen Haupt sich von Zeit zu Zeit eine Feuerflamme sehen läßt, und die Brautnacht zwischen Warmio und Malgona sprechen noch deutlicher den mystisch-asketischen und dabei lüsternen Sinn aus, der in so vielen Werken jener Zeit auftauchte. Endlich erschien seine Weihe der Kraft. Daß der Protestantismus in seiner nüchternen Kälte den Künsten verderblich sei, ging wohl deutlich daraus hervor, und Werners Lieblingsthema, daß die Liebe ein Blitzstrahl sein müsse, der zugleich in zwei Herzen[302] einschlägt und sie verzehrend reinigt, wurde sichtbar durch Katharinas freudiges Erschrecken, als ein dicker Augustiner vom Wagen steigt, und sie ihn als ihr Urbild erkennt. Ich gestehe, daß mir ein dicker Augustiner nicht eben sehr idealisch scheint, aber Fräulein von Bora war von anderm Geschmacke. Auch dieses Werk machte große Sensation und erregte viele widersprechende Urteile. Nicht lange darnach verbreitete sich die Nachricht, daß der Verfasser aller dieser genialischen Stücke nach Wien kommen solle, und wir hoffen dürfen, seine Bekanntschaft zu machen.

Der Tag, wo er kam und die Weise, wie er sich bei uns einführte, war gewiß merkwürdig und mir daher sehr lebhaft im Gedächtnisse geblieben. Es war ein schöner Abend im Anfange des Sommers von 1807, wenn ich nicht irre, und ich hatte einen kleinen Kreis gebildeter Freundinnen und literarischer Freunde gebeten. Der Erwartete kam, von unserm Freunde Collin eingeführt – ein ziemlich junger, wohlgebildeter Mann, damals Kammersekretär in Warschau oder Posen und im ganzen eine nicht unangenehme Erscheinung. Auch er schien sich nicht übel in der Gesellschaft zu gefallen, die ihn umgab, und in welcher sich einige hübsche, junge Frauen befanden. Bald gingen wir zum Gouter, bei welchem denn nebst Tee und Backwerk nach der Jahreszeit auch Obst herumgeboten wurde. Werner protestierte höchlich gegen dies letztere und versicherte uns laut – »die schönste Frau dürfte ihm, wenn sie zuvor einen Apfel oder anderes Obst gegessen hätte, keinen Kuß anbieten« – eine Äußerung, die uns allen etwas sonderbar und befremdend klang; denn obgleich Werner nicht eben häßlich war, hätte doch nur allenfalls sein Dichterruhm, wie in der alten Gellertschen[303] Erzählung, eine Frau, und zumal eine schöne Frau, bewegen können, ihm einen Kuß zu bieten.

Übrigens benahm er sich in den gewöhnlichen Formen und außerdem, daß er ungeheuer viel und oft Tabak schnupfte und mit einer eigentümlichen Bewegung des Daumens den Tabak stets zuletzt auf die rechte Wange hinüberstrich, so, daß es bald wie ein Schnurrbart aussah, war nichts Außergewöhnliches an ihm zu bemerken. Als sich die Gesellschaft hierauf im Garten zerstreute, fand ich ihn mit einer unserer Bekannten in ein eifriges Gespräch über die Liebe vertieft. Ich trat hinzu, und bald wußte Werner mich so hineinzuziehen, daß jene mich verließ und er nun mit mir, auf und ab gehend, sein voriges Thema fortsetzte und sich erklärte, daß er eigentlich den Beruf habe, über Liebe zu sprechen, sie zu suchen, zu verbreiten usw., Reden, deren eigentlichen Sinn ich nicht ganz verstand. Von der Liebe gerieten wir auf den Glauben, auf Religion, auf sein letztes Werk: Die Weihe der Kraft. Auch hier übersprach er viel, was ich nicht recht fassen konnte, doch schien mir der Hauptsinn dahin zu zielen, daß der Protestantismus die Künste totgemacht habe, was er denn auch durch den Tod jener Therese oder wie sie heißt, habe andeuten wollen. Zuletzt fragte er mich geradezu: was ich von der Transsubstantiation halte? Diese Frage kam mir höchst unerwartet. Ich wußte wirklich nicht, was ich sagen sollte; denn es schien mir hier gar nicht der Ort, noch die Gelegenheit, um solche Dinge zu erörtern. Ich antwortete also bloß: Ich sei Katholikin, und folglich könnte er denken, daß ich über diesen Punkt mich nicht von dem Dafürhalten meiner Kirche entfernen würde. Übrigens scheine mir der Gegenstand nicht[304] geeignet, um in geselligen Kreisen abgehandelt zu werden. Er ließ darauf das Gespräch fahren, aber er kam oft zu uns, las uns manche seiner Arbeiten vor, unter andern die sehr veränderte zweite Auflage seiner Söhne des Tales, in welchen ein Mädchen – Astralis – eine mystische Person, vorkommt, und der verstorbene Marschall Eudo, der in der ersten Auflage so unübertrefflich schön als Pilger eingeführt wurde – vielleicht die schönste und wirksamste Geistererscheinung, die mir in der neuen Literatur vorgekommen – nun als ein ziemlich materieller Geist auftritt, Brot bricht, Astralis unterrichtet usw. Noch recht lebhaft erinnere ich mich, daß meine Mutter ihn fragte: Lebt denn der Marschall Eudo? weil dieser Geist sich gar so körperlich benimmt, und Werner ihr antwortete: Er lebt und er lebt nicht, wie man es nimmt. Dann frägt Eudo die Astralis, ob sie gebetet habe? und sie antwortet: Ja! geglüht für Robert (ihren Geliebten). Diese wenigen Züge bezeichnen, wie mich dünkt, die ganze mystische, exaltierte, seltsame Richtung, welche Werners Geist damals schon genommen, und welche später solche Schöpfungen wie Kunigunde, Wanda, Attila ins Leben rief, von denen meine Freundin Therese Artner später sagte: »Es ist zu bedauern, daß ein solcher Geist sich also verirren konnte; aber er wird zusehends mit jedem Stücke toller.« Dennoch waren selbst in diesen Geburten einer verirrten Einbildungskraft große Schönheiten und offenbare Beweise von Genialität.

Diese Geistesrichtung erstreckte sich auch in sein Leben, er glaubte das, was er schrieb, selbst, und war ganz mit diesen Ideen erfüllt. Daher nahm auch meist das Gespräch, wenn er an unserem Abendkreise teilnahm,[305] wieder dieselbe sonderbare Richtung nach seinen Lieblingsideen.

Späterhin zog sich Werner von unserm Kreise zurück; er hielt sich viel zu Stoll, dem jungen und ebenfalls exaltierten Dichter, und zu andern ähnlichen Geistern. Endlich bekam ich einen Brief von ihm, in welchem er mit sehr herzlichen Worten von mir, von meiner Familie und von seinem lieben, lieben, lieben Wien Abschied nimmt. Er ging nach Italien, nach Rom und kam erst nach mehreren Jahren als Katholik und Priester von dorther zurück. Sein zweites Auftreten unter uns, in den letztgenannten Eigenschaften, erregte beinahe mehr Sensation als das erste; aber wir sahen ihn sehr selten unter uns. Er lebte bald in diesem, bald in jenem Kloster; bei den Serviten, Liguorianern, Franziskanern und zuletzt bei den Augustinern, wo er bis an seinen Tod verblieb. Sein Wirken als Prediger werden wir später zu schildern Gelegenheit haben.

Die Gestaltung der damaligen Zeit, in welcher das Deutsche Reich zusammengestürzt war, Napoleon durch den Rheinbund ins Herz aller deutschen Staaten, ins Herz der ganzen Nation mit eisernen Händen griff, das Schwankende, Unsichere aller politischen und somit auch aller sozialen Verhältnisse, das stets kühnere und gewaltsamere Ausbreiten der französischen Macht: dies alles drängte die Geister aus der freudenlosen, zerrütteten Gegenwart in die feststehende Vergangenheit zurück, an der wenigstens ein Eroberer und Unterdrücker aller politischer wie aller literarischen Freiheit nichts mehr ändern konnte, so gern er auch in den römischen Klassikern die Stellen, welche die Sache der Freiheit gegen Anmaßungen der Gewalt verteidigen,[306] weggewünscht hätte. Das Studium der Geschichte fing an, bei der damaligen Generation ein lebhaftes Interesse zu erregen. Viele Gelehrte verlegten sich darauf, und man suchte Halt und Trost in der Betrachtung der Vergangenheit. Diese allgemeine Stimmung und der häufige Umgang mit Hormayr, Ridler, Vierthaler regten auch in mir eine lebhafte Teilnahme für die Geschichte im allgemeinen und besonders für die meines Vaterlandes auf. Österreichs Plutarch erschien damals und erregte lebhafte Teilnahme. Mit Grund und überzeugenden Nachweisungen ward von Sachverständigen vieles an dem Werke getadelt, indes erreichte es den einen Zweck, den sich der Verfasser vielleicht vorgesetzt hatte, es weckte bei vielen wie bei mir den Sinn für vaterländische Geschichte und sprach Phantasie und Gefühl an, weil es mit Wärme und dichterischer Auffassung geschrieben war. Auch sonst noch suchte Hormayr auf seine Freunde und durch sie aufs Publikum nach dieser Richtung zu wirken. Er wußte die beiden Collin für seine Absicht, Dichtung und Künste mit vaterländischen Gegenständen zu beschäftigen, zu gewinnen, er regte noch mehrere andere Geister an, die sich um ihn willig sammelten; er suchte Künstlern denselben Sinn einzuflößen, und vieles geschah damals und auch später für die österreichische Geschichte, was den ersten Impuls durch Hormayr erhielt. Dies Verdienst muß man ihm zugestehen, obgleich er zwanzig Jahre später dieser Gesinnung in der Hauptsache ungetreu wurde.

Im Herbste des Jahres 1807, in der Nacht des Michaelistages, erhob sich jener denkwürdige Orkan, der in Wien Häuser abdeckte, den Turm der Augustinerkirche[307] herabwarf – glücklicherweise ohne jemand zu beschädigen – Fenster eindrückte und im Augarten und in der Brigittenau die größten Bäume entwurzelte und niederwarf, so daß der Garten und die Au am folgenden Tage einem großen Verhaue glichen, durch den man kaum durchkommen konnte.

Mein Name fing damals an, durch die Gleichnisse, Olivier, Leonore usw. in Deutschland bekannt zu wer den. Ich erhielt Aufforderungen von Buchhändlern, ihnen Beiträge zu Almanachen, Journalen usw. zu liefern. Die beachtenswertesten Aufforderungen der Art waren die von Fleischer in Leipzig für die Minerva, eines der besten damals erscheinenden Taschenbücher, und von Cotta in Stuttgart für den Damenkalender mitzuarbeiten. Der erste wies sich durch seine Briefe an mich, durch sehr hübsche Geschenke an Büchern, die er teils meiner Tochter, teils mir selbst noch über das sehr bedeutende Honorar verehrte, als ein wohlwollender Freund, und zeigte sich auch im Umgang so, als er 1810 eine Weile in Wien war und uns oft besuchte. Später scheinen häusliche Mißverhältnisse und eine, wie mich dünkte, etwas zu jugendliche Neigung zu einem Schweizer-Landmädchen, das er heiratete, ihn bewogen zu haben, Leipzig und seine Geschäfte zu verlassen und sich in die Schweiz zu begeben. Seitdem habe ich nichts mehr gehört und dies aufrichtig bedauert; denn Fleischer war mir sehr würdig und wohlwollend zugleich erschienen.

Cottas Aufforderungen brachten mich in ein noch werteres Verhältnis; Madame Huber, Heynes Tochter und Witwe von zwei ausgezeichneten Gelehrten: G. Forster und Huber, redigierte damals das[308] Morgenblatt. Sie schrieb mir bei Gelegenheit einer Sendung für den Damenkalender. Von da entspann sich zwischen uns ein fleißiger und nach und nach so herzlicher, zusagender Briefwechsel, daß wir zwei Matronen, die sich nie gesehen hatten und auch nie sahen, uns unsere häuslichen und innersten Angelegenheiten mitteilten, und dies währte bis an Therese Hubers Tod im Jahre 1829. So hat mir meine literarische Bekanntschaft manches sehr angenehme Verhältnis, manches Wohlwollen und herzliche Teilnahme von unbekannten Menschen, und nur äußerst selten etwas Unangenehmes gebracht. Wohl aber hütete ich mich stets aufs sorgfältigste, mich ja nie zu Redaktionen, Rezensionen usw. gebrauchen zu lassen, und mit den gelehrten Herren in eine nähere Beziehung zu kommen. Therese Huber, der ihre finanziellen Verhältnisse vermutlich jene Redaktion aufgedrungen haben mochten, hat dadurch, und namentlich mit dem Verfasser der Schuld, Müllner, Verdruß genug gehabt.

Mit dem Herbste dieses Jahres begann eine lebhafte, interessante Zeit. Unser geliebter Kaiser wollte sich das drittemal mit Marie Luise von Este, seiner Cousine, vermählen, und die Vorbereitungen, sowie die Vermählungsfeierlichkeiten dieser höchst anmutigen Prinzessin gaben Veranlassung zu allerlei Festen und rührigem Leben. Auch traf die Ankunft der berühmten Frau von Staël, welche mit A.W. v. Schlegel aus Weimar nach Wien kam, gerade auf diesen Herbst. Die Statue des Kaisers Josef, von Zauner in Erz gegossen, war auch eben fertig und aufgestellt worden. Die Enthüllung derselben wurde eine Art von Feier und Festlichkeit, welche das kindlich dankbare[309] Gemüt des Neffen seinem großen Oheim zu Ehren veranstaltet hatte.

Es war ein milder Herbsttag zu Ende Oktobers oder Anfang Novembers. Auf dem Josefsplatze, wo die kolossale Bildsäule unter ihren Umhüllungen wie ein kleiner Berg dastand, waren in freier Luft Tribünen errichtet, auf welchen man mittelst Billetten Platz erhielt. Frau von Staël war ebenfalls zugegen, ich sah oder kannte sie wenigstens damals nicht, und nebst ihr eine große Menge elegant geputzter Damen und Herren, die dem Schauspiel entgegen harrten. Um die angesetzte Stunde (wenn ich nicht irre 12 Uhr mittags) donnerte das erste Geschütz auf dem Walle der Stadt, ihm folgten bald die andern ringsherum auf den Basteien, denn – so wollte es des Monarchen liebevolle Dankbarkeit – seines väterlichen Oheims Bild sollte auf dieselbe feierliche Weise wie die persönliche Ankunft eines regierenden Herrn bei seinen Untertanen empfangen und begrüßt werden. Durch eine geschickte Vorrichtung fielen plötzlich die Decken, welche die Statue verhüllt hatten, das majestätische Bild ward sichtbar, und fast in demselben Augenblick zerriß auch, wahrscheinlich durch die Kanonenschüsse zerteilt, die Nebeldecke, welche den Himmel umhüllt hatte. Rein und blau lächelte er hernieder auf das Bild des großen Josefs, der mitten im Kreise der Seinen erschien, und die mildesten Sonnenstrahlen spielten auf dem glänzenden Metall und auf den edlen Zügen. Es war ein schöner, erhebender Augenblick, in welchem der Himmel selbst an dem Dankbarkeitsgefühle unsers Monarchen und an unser aller Freude segnend Anteil nahm.


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[310]

Die Anwesenheit der Frau von Staël, was sie tat, sagte, wie sie aussah, sich kleidete usw. war von nun an das allgemeine Gespräch in den Salons. Man hatte sich eine Menge von ihr zu erzählen, wovon vieles, ja das meiste, ungünstig war. Wenn ihr einige nicht verzeihen konnten, daß sie eine Femme supérieure war (und das war sie denn doch gewiß!), so beleidigte andere ihr Umgang mit dem höchsten Adel, zu dem eigentlich ihre Geburt sie nicht berechtigte; andere fanden zu viel Anmaßung in ihrem Betragen, und wieder andere hielten sich an die übelgewählte Toilette, welche denn auch wirklich bei ihren vorgerückten Jahren (sie war damals schon jenseits der Vierzig) und einer unvorteilhaften Gestalt oft zu anspruchsvoll war, und eine Meinung von ihrer Schönheit voraussetzte, welche doch jeder Spiegel hätte Lügen strafen sollen. Ich hatte sie damals noch nicht gesehen, aber ich hatte kurz vorher einen kleinen Aufsatz ins Morgenblatt einrücken lassen, in welchem ich, ohne der großen Achtung Abbruch zu tun, die ihr außerordentliches Talent mir wie jedem ihrer Leser einflößte, meine Verwunderung darüber äußerte, daß sie sowohl in der Corinne als in der Delphine ihre Helden so schwach, inkonsequent und leicht beweglich geschildert habe, indes ihr doch selbst ein wahrhaft weibliches Gefühl an mehreren Stellen das Geständnis entlockt hat, daß ein Weib sich nur in einer gewissen Unterordnung unter den kräftigen Mann recht wohl und glücklich fühlen könne. Ich wußte nicht, ob sie diesen Aufsatz kannte, aber ich scheute mich nicht, das, was ich schriftlich geäußert, auch in ihrer Gegenwart zu behaupten. Ich hätte sie gern kennen gelernt, aber ich glaubte es nicht schicklich, daß ich, die Einheimische,[311] zuerst zu ihr ginge und mich gleichsam bei ihr einführen ließe. Unsere gelehrten Freunde hatten dies zwar getan – aber Collin, Steigentesch, Hormayr waren Männer, und daher konnten sie, ohne sich etwas zu vergeben, der fremden Dame ihre Aufwartung machen. A.W. von Schlegel, der die berühmte Frau auf ihrer Reise begleitete, hatte sich bei uns vorstellen lassen. Er kam öfter zu uns und schien ein sehr eleganter Gelehrter, der im Gegensatz zu den meisten seinesgleichen sich höchst fashionable kleidete, aber auch im Gegensatze zu jenen mit seiner Toilette selbst in Gesellschaft beschäftigt war, und wenn ihm, wie es bei uns ein paarmal der Fall gewesen, andere etwas von ihren Werken vorlasen (ich nicht, wie ich denn überhaupt dies nur höchst selten und unter sehr guten Freunden tat), während der ganzen Lesung am Busenstreif, am coup de vent und den Schleifen seiner Unterkleider zu zupfen und zu richten hatte. Man hat mir, zwanzig Jahre nach jener Zeit, erzählt, daß er diese Zierlichkeit und Sorgfalt für sein Äußeres auch jetzt noch als Greis beibehalten habe. Damals war er ein Mann von mittleren Jahren und wirklich angenehmer Gestalt, dennoch hätte ich um seiner selbst und seines verdienten literarischen Ruhmes willen gewünscht, daß er diese Schwäche nicht an sich gehabt hätte. Im Umgange war er sehr artig, sehr geistreich, aber nicht ohne eine merkliche Beimischung von Selbstgefühl, die sich oft geltend machte, und mit allen diesen Eigenschaften und einem angenehmen Äußern, das durch einen vorteilhaften Anzug gehoben war, der Liebling vieler geistvollen, gebildeten Frauen, sowohl einheimischer als fremder, mit denen ich damals umging. Man erzählte, und ich selbst hatte später[312] Gelegenheit, es zu bemerken, daß er von Frau von Staël nicht mit der Achtung und Auszeichnung behandelt wurde, die sie wohl einem Manne seines Talentes schuldig gewesen wäre. Es erschien öfters ein befehlender Ton wie gegen einen Untergeordneten in ihrem Betragen ihm gegenüber, und das erregte nun bei jenen Damen seiner Verehrung das tiefste Mitleid. Man war aufgebracht über Frau von Staël, man wollte in Schlegels ganzem Wesen einen Schatten von Gedrücktheit, von Melancholie bemerken, den man auf die Rechnung jener Behandlung schrieb, und der den interessanten Unglücklichen nur noch teurer machte. Mir erschien die Sache anders, und ich erklärte mich dahin, daß Herrn v. Schlegel die Existenz im glänzenden Hause der reichen und berühmten Frau doch angenehm sein müsse, weil es einem Manne von seinem Rufe, von seinen ausgezeichneten Gaben nicht fehlen könne, auf jeder deutschen Universität durch eine Professorstelle, durch Privatvorlesungen, literarische Arbeiten usw. sich eine zwar nicht so bequeme, aber unabhängige Existenz zu verschaffen, und daß also, weil er dies nicht tue, jenes Verhältnis ihm nicht so gar drückend erscheinen könne. Damit fand ich nun freilich vielen Widerspruch, es war aber schon einmal meine Weise, die Poesie von der Wirklichkeit stets scharf zu scheiden, jene in Büchern und Kunstwerken hoch zu verehren, im gewöhnlichen Leben aber die Dinge so klar als möglich zu betrachten und so einfach als möglich zu behandeln.

Ich hatte gegen A.W. von Schlegel mehrmals den Wunsch geäußert, Frau von Staël persönlich kennen zu lernen. Er forderte mich auf, zu ihr zu gehen. Das wollte ich nicht, und so ging einige Zeit hin. – Endlich[313] übernahm es eine gemeinschaftliche Bekannte, die Sache vermittelnd einzuleiten. Frau von Nuys, eine geistreiche, artige Frau aus Bremen, welche unter uns nur die schöne Großmama hieß, weil sie bereits einen Enkel von ihrer Tochter hatte, und noch immer nicht bloß beaux restes, sondern wirkliche Schönheit besaß, übernahm es, Frau von Staël mit mir, mich mit der hochberühmten Frau bekannt zu machen. Wir wurden beide zu einem Tee bei ihr gebeten, und ich konnte, da es gerade der Wochentag war, an welchem meine Mutter selbst Gesellschaft zu empfangen pflegte, erst spät abkommen. Als ich eintrat, war der Kreis schon eine Weile versammelt, und ich sah neben einer meiner Freundinnen, die eine große Künstlerin auf dem Klavier war, am Fortepiano eine Frau sitzen, welche ich nach allem, was ich bereits gehört – für die berühmte Dichterin erkennen mußte. Ich werde den Eindruck nicht vergessen, den mir ihre Gestalt machte. Sie war eine ziemlich große, starke Frau, über alle Jugend hinaus, mit bedeutenden, aber nicht angenehmen Zügen, deren Ausdruck – in dem vortretenden Mund und Kinne, in der ganzen etwas mohrischen Bildung mir eine überwiegende Sinnlichkeit zu verkünden schien, und deren auffallender, ich möchte sagen gewagter Anzug Ansprüche anzeigte, welchen sowohl die Jahre als die ganze unanmutige Erscheinung nicht entsprachen.

Ich grüßte allseitig, aber flüchtig, wurde der Frau von Staël ebenso flüchtig genannt, und ging ins Nebenzimmer, weil kein Vorzimmer vorhanden war, wo man die Überkleider ablegen konnte, um Schal und Überrock auszuziehen. Gleich darauf kam Frau von Staël mir nach, trat vor einen Spiegel, der sich hier befand, fing an, ihren Kopfputz zu ordnen und richtete aus[314] dem Spiegel die Rede über jenen Aufsatz im Morgenblatt an mich. Ich antwortete freimütig, aber bescheiden; das Gespräch dauerte nicht lange, andere traten dazwischen, die Unterhaltung wurde allgemein, und Frau von Staël verließ die Gesellschaft bald in Begleitung ihres Cavaliere servente, des Herrn von Schlegel. Die Art, wie sie ihn fragte, ob ihre Leute da wären? und ihm mit einer bloßen Kopfneigung andeutete, sich darnach umzusehen, mißfiel mir um sein- und ihretwillen gleich sehr. Sie erregte bei den Verehrerinnen des anziehenden Unglücklichen aufs neue inniges Bedauern, worein ich nun freilich nicht einstimmen konnte; aber sie diente nicht dazu, den Eindruck zu mildern, den die ganze Persönlichkeit seiner Prinzipalin auf mich gemacht hatte.

Bald darauf wurde ich von ihr zu Tische gebeten. Der Kreis war klein und bestand nur aus unserm würdigen Freund Heinrich von Collin, dem Baron Steigentesch, der Frau vom Hause, ihrem jüngeren Sohn, einem bildschönen Knaben von etwa 12 Jahren, ihrer noch etwas jüngeren und ebenfalls sehr hübschen Tochter Albertine (der verstorbenen Duchesse de Broglie), aus Schlegel und mir. Hier aber, gleichsam im häuslichen Kreise, wo keine Prätension, keine Absicht zu glänzen, keine Koketterie sie zu einem Betragen verleitete, das sie nicht wohl kleidete, kam sie mir ganz anders und viel liebenswürdiger vor. Vor allem bestach mich der ungemein schöne, weiche Ton ihrer Stimme, und diese Stimme trug so geistreiche Dinge mit so gewähltem Ausdruck vor, daß ich wenigstens ihr mit dem größten Vergnügen zuhörte, und nur einen Stenographen ins Nebenzimmer wünschte, um schnell zu Papier zu bringen und so der Vergessenheit[315] zu entreißen, was sie so bedeutend als schön sagte. Nach Tische mußte Collin ihr etwas von seiner Arbeit deklamieren – sie überlas es vorher, denn sie las und verstand das Deutsche wohl, nur sprach sie es nicht geläufig. Sie hörte dem Dichter mit sichtbarem Anteil zu, und faßte lebendig jede Schönheit auf. Dann holte sie ein französisches Gedicht, das eine schweizerische Dame gedichtet und das wirklich voll tiefer Empfindung war, und las es uns mit innigem und lebendigem Ausdruck vor, indem sie mit liebenswürdiger Wärme uns jede schöne Stelle bemerklich machte. So wußte sie fremdes Verdienst freundlich geltend zu machen, und erschien mir in diesem Verfahren und in ihrer einfacheren Natürlichkeit weit angenehmer als in der anmaßenden Rolle einer hochberühmten Frau, der alles huldigen soll, in welcher ich sie bei Frau von Nuys gesehen hatte.

Nun kam der Fasching und mit ihm eine glänzende Reihe von Festen und Unterhaltungen, denn unser Kaiser feierte seine Vermählung mit der anmutigen Marie Luise von Este. Diese Prinzessin war von ihrer Mutter früher, wie man sagte, zum Kloster bestimmt (welche Bestimmung ihre bald nachher sich äußernde Kränklichkeit wohl zu rechtfertigen schien); aber sie hatte eine so sorgfältige Erziehung genossen, und fand in ihrem Geiste so viel Gewandtheit und Kraft, daß sie sogleich bei ihrem ersten Auftreten am Hofe sich mit ebensoviel Majestät als Anmut in die neue Herrlichkeit und die Rolle einer hochgestellten Monarchin zu finden wußte. Der Kaiser hatte sie aus wirklicher Liebe gewählt, er hatte gesagt: Seine erste Frau, Elisabeth von Württemberg, habe ihm sein Oheim gegeben; die zweite, Therese von Neapel,[316] sein Vater; diese dritte nehme er sich selbst, und er schien auch, wenigstens im Anfange, sehr vergnügt. Späterhin soll sie ihm zuviel Eleganz und zu sehr den Ton der großen Welt angenommen und ihn daher nicht so glücklich gemacht haben, als er es wünschte und hoffte. Denn er liebte ein hausväterlich bürgerliches Leben und wußte, wie es sich im Kongreßwinter zeigte, sehr wohl den Patriarchen seiner zahlreichen Familie mit der Majestät und Würde eines der ersten europäischen Monarchen zu vereinigen.

In jenem Fasching 1808 dauerten indessen noch die Flitterwochen dieser Ehe, und alles bestrebte sich, der jungen, reizenden und liebenswürdigen Monarchin zu huldigen. Auf einer glänzenden Freiredoute, in welcher alles in möglichster Pracht erschien, zeigte sich auch ein überaus herrlicher Maskenzug, die Huldigung oder ich weiß nicht, welche Feierlichkeit eines indostanischen Sultans vorstellend. Personen des höchsten Adels bildeten den Zug, und alles strahlte von Gold und Edelsteinen. Die verstorbene Fürstin Colloredo-Mansfeld, eine sehr edle Gestalt, welche die Rolle der Sultaninmutter hatte, war ganz mit Diamanten bedeckt, ja, es schien, als wäre ihr das Stützen auf eine ihrer Begleiterinnen nicht bloß des Anstandes, sondern der Last von Diamanten wegen notwendig, unter welcher sie kaum das Haupt gerade tragen konnte. Der Sultan selbst war, ich weiß nicht warum, noch ein Kind und wurde von dem, damals bildschönen und kaum zehn- oder zwölfjährigen Grafen Arthur Woyna vorgestellt, der auf einem Palankin getragen, vor welchem die Mutter herging, in seiner kindlichen Schönheit und asiatischen Herrscherpracht den interessantesten Teil des Zuges bildete.[317]

Dieser Maskenzug (aber ohne Larven) schritt langsam, zum großen Vergnügen der versammelten Menge, durch die Säle bis an den Platz, wo der Hof sich befand, und hier überreichte der Sultan oder seine Mutter der neuvermählten Kaiserin einen Strauß aus Blumen, nach den Anfangsbuchstaben ihres Namens gewunden und ein Gedicht unsers Heinrich Collin dazu, das die Blumen auf eine ebenso sinnreiche als schmeichelhafte Weise erklärte.

Diesem öffentlichen Feste folgten noch mehrere; es war, wie gesagt, eine glänzende Zeit, und als sie zu Ende war, dachte Frau von Staël, der man sich alle Ehre zu erweisen und sie an allem Sehenswürdigen Anteil nehmen zu lassen bemühte, auch daran, mir einen Gegenbesuch – den ersten und letzten – am Aschermittwoch zu machen, und die Weise, wie sie mich im Zirkel meiner gewöhnlichen Abendbesuche fand, sowie die Zeit und ganze Art ihrer Erscheinung war darnach, um ihr und mir deutlich zu zeigen, wie wenig Zusammenstimmendes sich zwischen uns fand. Als die zahlreichen Damen, welche die gewöhnliche Abendgesellschaft meiner Mutter ausmachten, vernahmen, daß Frau von Staël an jenem Mittwoch abends kommen würde, wollte jede sie sehen, wie man etwa ein fremdes Tier ansieht; denn nur wenige unter ihnen waren gebildet genug, um sich in eine Konversation mit dieser Frau einzulassen, und unter diesen, welchen es wohl nicht an Geisteskultur und Artigkeit mangelte, war doch keine der französischen Sprache so mächtig, um ein Gespräch mit Frau von Staël hinlänglich gewandt zu führen.

Auch ich fühlte mich in diesem Punkte geniert, obgleich ich mich ziemlich geläufig auszudrücken geübt[318] war; aber es ist ganz etwas anderes, eine Sprache zu reden, in der man zu denken gewohnt ist, und sich eines Idioms bedienen zu müssen, dessen Ausdrücke sich nicht freiwillig und sogleich unserm Geiste darbieten. Am schwersten ist es dann, sich über Gedanken, Meinungen, literarische Gegenstände usw. auszusprechen, besonders einem so brillanten Geiste wie Frau von Staël gegenüber, welche, wie sie sich in ihren später erschienenen Lettres sur l'Allemagne äußert, unsere Konversation stets unbeholfen und zu langsam fand, und die Ursache sogar in dem Genius unserer Sprache sieht, weil wir stets das Zeitwort zuletzt setzen, und es daher unmöglich sei, jemand nach den ersten Worten zu unterbrechen. In dieser Hinsicht hat ihr Frau von Fouqué sehr richtig in einer kleinen Schrift, die bald nach jenem Buche sur l'Allemagne erschien, geantwortet: daß Frau von Staël nie vergessen sollte, wenn sie über den Mangel an lebhafter Konversation in Deutschland klagt, daß die Deutschen so artig waren, als sie sich unter uns befand, ihre Sprache mit ihr zu sprechen, in welcher wir freilich ihr an Leichtigkeit und Reichtum des Ausdrucks nicht gleichkommen konnten; daß sie aber bei einem nochmaligen Besuche die Gefälligkeit haben möchte, sich im Gespräch mit uns unserer Sprache zu bedienen; dann würde man erkennen, auf wessen Seite der Vorteil sei.

Doch wieder auf jenen Aschermittwoch zu kommen, an den ich nach fast 30 Jahren nicht ohne Verlegenheit denken kann, so saßen denn unsere Damen, – unter welchen sich leider viele befanden, von denen ich noch nicht begreife, wie meine so geistvolle, hochgebildete Mutter sie fast täglich um sich dulden konnte – in dichtgedrängter Reihe um den Teetisch, jede mit[319] einem Strickstrumpf bewaffnet, jede fest entschlossen, und viele wohl auch, wie ich oben sagte, bemüssigt, eine stumme Rolle zu spielen. Es wurde sieben (die damals gewöhnliche Versammlungsstunde), es wurde halb 8 Uhr, die Erwartete erschien nicht. – Von Männern, welche man Frau von Staël mit Ehren vorstellen konnte, hatte ich nur Herrn von Hammer und unsern Collin für diesen Abend bekommen, und dies waren, nebst meiner Mutter, die vortrefflich französisch sprach, die einzigen Personen, auf die ich zählen konnte, um Frau von Staël zu unterhalten, wenn sie käme. Dies geschah denn endlich um 8 oder nach 8 Uhr, wo sie von der Gräfin Wrbna, ganz nahe bei uns, auf eine kurze Zeit zu mir herüber kam. Sie trat ein, und aller Blicke wendeten sich nach ihr. Ein Kleid von silbergrauem Atlas und ein Schal oder Tuch von schwarzen Spitzen darüber, war ein recht passender Anzug für eine Frau von ihren Jahren, aber ein, auf orientalische Art gewundener Wulst von schwarzem Samt, mit hochroten Grains d'Inde vielfach umschlungen, gab ihr etwas Höchstauffallendes, Kühnes, und kleidete sie, meiner Meinung nach, bei ihren starken, männlichen Zügen und braunem Teint durchaus nicht.

Sie saß neben meiner Mutter auf dem Kanapee, ich nahm meinen Platz an ihrer Seite, Schlegel, Hammer und Collin näherten sich ebenfalls, die Frauen rings um den Tisch hatten ehrerbietig gegrüßt und sich jetzt wieder niedergesetzt, um – zu stricken, wie das altenglische Lied sagt:


Phillis, ohne Sprach und Wort,

Saß und strickte ruhig fort.


Mich überfiel eine Art von Bangigkeit, so oft ich auf diese schweigsame Gesellschaft sah, die die hochberühmte[320] Frau lautlos umgab, sie nur dann und wann mit neugierigen Blicken musternd, und mir dachte, welche Vorstellung sich Frau von Staël wohl nach diesem Abend von dem Kreis machen möchte, in dem ich lebte. Daß es nicht eigentlich meine, sondern meiner Mutter Bekannte waren, konnte ich nicht sagen und sie nicht erfahren, da ich, solange meine Mutter lebte, in diesen wie in so manchen andern Stücken mich gänzlich nach ihr richten mußte.

Indes unterhielten eben meine Mutter und die Herren, welche zugegen waren, das Gespräch mit Frau von Staël sehr lebhaft und angenehm; sie schien wenigstens sich nicht zu ennuyieren, sie sprach äußerst geistreich und sagte unter andern von Chateaubriand: il est croyant par imagination – eine, wie mich dünkt, sehr passende Bezeichnung. Dann forderte sie mich auf, sie mein organisiertes Fortepiano hören zu lassen. Ich spielte ihr etwas vor, das Instrument gefiel ihr wohl, wie es denn auch wirklich, manche kleine Gebrechen abgerechnet, vielen Genuß gewährte. Sie Berührte es hierauf selbst, aber ich kann nicht sagen, daß sie eigentlich gespielt hätte, und bald darauf ging sie weg. Ich fühlte mich völlig erleichtert, als sie fort und diese so heterogene Erscheinung aus dem Gesellschaftskreise, für den sie und der nicht für sie paßte, verschwunden war. Nun war das Siegel von dem Mund der Damen gelöst, und sie ahnten wohl nicht, wie sie so nach ihrer Art diese Frau beurteilten, daß sie, zwei Häuser weit von un, bei der Gräfin von Wrbna, zu der sie wieder von uns ging, sie die Tricoteuses de la tribune genannt hatte.

Die Visite war denn also abgetan und ich froh, daß sie nicht wiederholt wurde. Indes blieb Frau von[321] Staël sehr artig gegen mich, und lud mich durch ein freundschaftliches Billett bald darauf zu einer theatralischen Vorstellung ein, welche bei der Gräfin Zamoyska statthaben, und wo Frau von Staël in einem, von ihr selbst gedichteten kleinen Schauspiel Hagar, und dann in einer kleinen Komödie: Le legs auftreten sollte. Die Versammlung war sehr glänzend, es war die Crême de la Société, obwohl sie damals noch nicht so genannt wurde; das Appartement, nach dem damaligen Geschmack auf griechische Art drapiert, von den ebenfalls unlängst modegewordenen argantischen Lampen erhellt, und eine Menge kleinerer oder größerer Etablissements mitten im Salon, so daß die Gesellschaft ohne allen eigentlichen Mittelpunkt nach allen Richtungen, wie es gerade jedem beliebte, saß, stand, ging, lehnte usw. Mir war dies damals etwas Neues, denn in den Gesellschaften des Mittelstandes herrschte noch die ältere Sitte; aber ich fand das Neue wo nicht hübsch, doch bequem, und jetzt ist es wohl schon überall verbreitet, wo man auf Eleganz Anspruch macht.

Endlich begann die Vorstellung. Wir wurden in einen andern Salon geführt, wo ein kleines Theater aufgeschlagen war. Das erste Stück, Hagar, war von Frau von Staël selbst. Die Szene stellte die Wüste vor. Frau von Staël, in sehr einfachem orientalisierenden Anzug, trat, ihre Tochter (die Herzogin von Broglie, damals ein zehnjähriges Kind) als Ismael an der Hand, auf, und gab wirklich mit vieler Wahrheit und Lebhaftigkeit die Rolle dieser leidenschaftlichen, unglücklichen Mutter, wobei ihr ihre ausdrucksvolle Physiognomie und ihre schöne Stimme sehr zu statten kam. Mich und vermutlich alle meine gegenwärtigen[322] Landsleute befremdete wohl das sehr heftige, tragierende Spiel der französischen Schule, aber nie werde ich des Tones vergessen, der ihren bebenden Lippen entfloh, als sie in ihrer ungestümen Heftigkeit den Wasserkrug, in dem sich ihr letzter Vorrat und das letzte Mittel, des verschmachtenden Kindes Leben zu fristen, befand – umgestoßen hatte, und sie nun den Inhalt desselben gleichsam mit dem Leben des Kindes verrinnen sah. Es war kein Schrei, kein Ruf, aber es war ein unartikulierter Naturlaut, der, tief aus der Seele kommend, wieder in die Seele drang, und den ich gern mit jenem, ebenfalls halblauten Schmerzenston Crescentinis vergleichen möchte, wenn der Sargdeckel abgehoben wurde, und er nun Juliens Gestalt als Leiche vor sich erblickte.

Doch nun erschien der Engel – der jüngere Sohn der Frau von Staël – ein Knabe von zwölf bis vierzehn Jahren, weiß gekleidet und mit himmelblauem Krepp drapiert, wirklich einem Engel an Schönheit gleich, obwohl sein Spiel, wie das bei Knaben in solchen Jahren gewöhnlich ist, ziemlich steif und unbedeutend war, und das Stück endete froh und trostvoll unter lebhaften Beifallsbezeugungen der Menge.

Hierauf folgte das französische Lustspiel Le legs. Ein Testament verbindet einen jungen Kavalier, seine Hand der Erbin eines großen Vermögens zu geben, wenn er dessen teilhaftig werden will. Aber er liebt einde andere und zieht diese der reichen Erbin vor. Ein fataler Zufall wollte, daß das Frauenzimmer, eine nicht ganz junge Person, wie man sagte, welche die verschmähte Erbin hätte machen sollen, denselben Tag krank wurde, und nun die Frau vom Hause, Gräfin[323] Zamoyska selbst, eine junge und sehr hübsche Dame, aus Gefälligkeit und um die Darstellung möglich zu machen, die Rolle der Verschmähten übernahm. Freilich las sie selbe nur aus der Schrift herab, aber sie stand doch leibhaft in ihrer Jugend und Schönheit vor uns, während Fürst Clary, der den jungen Mann mit ebensoviel Anstand als Lebhaftigkeit gab, ihr die Frau von Staël, die jetzt in modernem Kostüm, weiß angezogen und das Überkleid mit einem ungeheuern Bukett am Knie trussiert, nichts weniger als schön aussah, vorziehen sollte. Es lag etwas gar zu Widersprechendes und daher Störendes in dieser Rollenbesetzung, die denn auch zu manchem Witzworte über die, ohnedies nicht beliebte Schriftstellerin Anlaß gab, sowie man ihre Hagar, la justification d'Abraham nannte.

Nicht lange darnach wurde bei Fürst Liechtenstein auf seinem Haustheater im Palast in der Herrengasse ein zweites Stück von Frau von Staël: Geneviève de Brabant gegeben. Sie war Genovefa; Fürst Clary Sigefroi, ihr Gemahl; Schlegel ein Eremit des Ardennerwaldes; Albertine (ihre Tochter) hatte die Rolle des Schmerzenreich (l'enfant de la douleur), und ihr Sohn gab einen, von ihr hinzugedichteten älteren Sohn Genovefens und Siegfrieds, der seinen Vater auf die Jagd begleitet. Von Golo und allen Begebenheiten, die ihrer Verstoßung vorausgehen, wurde nur gesprochen, und das Stück begann in ihrer Höhle, in der sie schon sieben Jahre mit ihrem Knaben lebt. Auch in diesem Stücke zeigte sie sich als eine sehr geschickte Schauspielerin; aber ihre Gestalt nahm sich durchaus unvorteilhaft in der Kleidung von Tierfellen, mit herabhängenden Haaren, ohne allen Putz, aus,[324] ihr Spiel war zu heftig, und die Dichtung selbst nicht sehr bedeutend.

In der nächstfolgenden Fastenzeit hielt uns A.W. Schlegel im Janischen Saale Vorlesungen über Dramaturgie. Diese Kollegien, in den Vormittagsstunden gehalten und von allen besucht, welche mit Recht oder Unrecht Anspruch auf Geistesbildung oder Eleganz machten, boten eine recht angenehme Versammlung interessanter Personen dar. Frau von Staël erschien fleißig, man war sicher, viele Bekannte und ausgezeichnete Menschen zu treffen oder kennen zu lernen; was Schlegel sagte oder las, hatte natürlicherweise viel Gehalt, wenn es gleich zuweilen Paradoxen enthielt und sein Vortrag nicht gerade hinreißend war. So bildeten diese Vorlesungen eine sehr angenehme Unterhaltung und einen Vereinigungspunkt für die schöne Welt auch nach dem Karneval.

Eine Freundin meiner Eltern, Frau von Flies, Schwester des Barons von Eskeles, war nach einer langen Abwesenheit im Jahre 1802 oder 1803 wieder nach Wien zurückgekommen. Sie war Witwe und bejahrt, aber ein reger Geist, eine Liebe zu höheren geistigen Genüssen und eine unendliche Gutmütigkeit und Freundlichkeit machten ihr Haus, so klein es war, zu einem angenehmen Sammelplatz für einen beschränkten, aber gewählten Kreis gebildeter Menschen. Man versammelte sich an einem bestimmten Wochentage und manche, die schon zu den Auserwählten gehörten, blieben nach der Soirée bei einem mäßigen, aber niedlichen Souper. Mich hatte Frau von Flies liebgewonnen, ich war die Tochter langbewährter Freunde, sie hatte mich als halbgewachsenes Mädchen verlassen und fand mich als Frau von[325] mittleren Jahren, als Schriftstellerin, die schon einigen Namen erworben hatte, wieder; so war ich ihr wert, und ich achtete sie als eine mütterliche Freundin. Viele angenehme Stunden habe ich in ihrem Hause verlebt, viele anziehende Bekanntschaften dortge macht; durch sie ward unsere Familie dem Arnsteinschen Hause, mit dem schon meine Eltern wohlbekannt waren, dem mich aber wie vielen andern die Entfernung meiner Wohnung entfremdet hatte, wieder genähert, und ich kam nun sehr oft in diese glänzenden Häuser von Arnstein, Pereira und Eskeles. Doch am meisten fühlte ich mich verpflichtet, Frau von Flies für ihr Wohlwollen und ihren herzlichen Anteil an mir zu danken.

Bei ihr sah ich denn auch A.W. von Schlegel, die schöne Großmutter und viele bedeutende Fremde. Schlegel las uns Übersetzungen aus Calderon und andere Gedichte, teils von ihm selbst, teils von seinem Bruder Friedrich vor, dessen Ankunft in Wien man fürs nächste Jahr erwartete, und auf welchen, sowie auf den schon anwesenden Bruder, ihre Fehden mit Kotzebue und Merkel, sowie ihre Vergötterung Goethes und die neuen Theorien von Poesie höchst aufmerksam gemacht hatten. Jene Abende bei Frau von Flies waren mir sehr angenehm, und in solchen lebhaften geselligen Verbindungen ging der Winter von 1807 auf 1808 genußreich hin.

Im Frühjahr dieses Jahres erschien mein Agathokles, an dem ich fast drei Jahre gearbeitet hatte, und erregte im Anfange wenig Teilnahme. Auf mich stürmte in derselben Periode manches häusliche Leiden ein und wurde mir zum Prüfstein meiner innerlichen Kraft. Ich ertrug und ich kann sagen, ich überwand[326] es. Waren doch meine Lieben, mein Mann, mein Kind, meine Mutter mir geblieben. Ich war an manchem Schönen, mancher jugendlichen Täuschung ärmer, aber an Mut, Erfahrung und Geduld reicher geworden.

Im nächsten Herbste traf also Friedrich von Schlegel mit seiner Frau, einer gebornen Mendelssohn, in Wien ein. Alles war sehr gespannt auf dieses Paar; denn nächst dem wohlverdienten literarischen Ruhm, der Friedrich von Schlegel voranging und ihm schon längst die Achtung der Gelehrtenwelt erworben hatte, gesellte sich noch ein pikanterer Reiz dazu. Man freute sich, den streitfertigen Gegner Merkels und Kotzebues, den Mann, der als Gründer einer neuen poetischen Schule so viele langverehrte Autoritäten von ihren Altären stürzen wollte und in Vieler leicht beweglicher Meinung auch gestürzt hatte – endlich auch den Verfasser der vielberüchtigten Lucinde von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen. Dieses Buch, sowie das meiste, was ungefähr 5–6 Jahre früher aus der Feder dieser beiden Brüder geflossen war, hatte Deutschland in Erstaunen gesetzt; war aber doch von den meisten zwar mit Anerkennung der großen Gelehrsamkeit, im ganzen aber mit Mißbilligung aufgenommen worden. Überdies erwartete man in Frau von Schlegel das Urbild der Lucinde zu erblicken, und so sah man ihrer beiderseitigen Erscheinung begierig entgegen.

Hatte aber schon A.W. Schlegel durch sein zierliches, fashionables und fast übertrieben sorgfältiges Äußeres die allgemeine Erwartung getäuscht, welche auf einen tüchtigen Renommisten und rauhen, scharfen Kritiker, dessen Sitten der Umgang mit den schönen[327] Künsten nicht gemildert hatte, vorbereitet war, so fand sich bei seinem Bruder noch weniger von diesem, durch die Phantasie entworfenen Bilde. Friedrich Schlegel war ein Mann gegen Vierzig – mit einer ziemlich angenehmen Bildung, der aber in Wuchs, Gesicht und Benehmen viel eher einem einfachen, redlichen Bürgersmann als einem schlag- und streitsüchtigen Gelehrten glich. Noch auffallender war der Kontrast zwischen dem Bilde, das wir uns hier von seiner Frau entworfen, in der jedermann das Urbild der schönen, lüsternen, freien Lucinde zu finden dachte, und dem Eindrucke, den die wirkliche Erscheinung dieser Frau machte. Es war eine, längst über alle Jugend und alle Schönheit – wenn je eine dagewesen war – hinausgerückte Gestalt, von mittlerem, etwas starkem Wuchse mit geistreichen, aber beinahe männlichen Zügen, wie denn manche, die ihren berühmten Vater gekannt, behaupteten, sie sähe ihm ganz ähnlich. Dennoch war in diesen nicht reizenden Formen ein solcher Ausdruck von Geist und höherer Natur, in diesen wirklich schönen schwarzen Augen so viel Leben, Feuer und Güte, in dieser ganzen Persönlichkeit so viel echt weibliche Würde, sittsamer und feiner Anstand, daß es unmöglich war, auch nur einen Augenblick länger an jenes schlüpfrige, unsaubere Bild zu denken, und daß man sich mit mächtigen Banden der Achtung und des Wohlwollens zu dieser merkwürdigen, geistvollen und doch so anspruchslosen, zu dieser vielbesprochenen, vielgeprüften und doch so einfachen Frau hingezogen fühlte. Wenigstens ging es mir so, und die allgemeine Achtung, deren sie während eines vieljährigen Aufenthaltes in Wien sowie später in Frankfurt genoß, die warme Freundschaft, mit welcher alle,[328] die sie näher kennen gelernt, an ihr hingen, beweist, daß diese meine Empfindung, welche mich nun auch schon seit beinahe dreißig Jahren für diese Frau belebt, keine individuelle Ansicht oder wohl gar Täuschung gewesen sei.

Genug, die Schlegel waren nun in Wien. Bald erhielt Friedrich eine diplomatische Anstellung, die ihn an Österreich band, und ihr Haus ward ein Vereinigungspunkt für höhergebildete Menschen, interessante Fremde und Künstler. Sehr angenehm verflossen dann die Abende in diesem Kreise, und gerade die Beschränkung der Glücksumstände, welche der Familie keinen Aufwand, keine oft lästige Eleganz und prätenziöse Fashionablität erlaubte, gab diesen Zusammenkünften einen eigentümlichen Reiz von hausväterlichem Ton und herzlichem Wohlwollen. Man fühlte, daß man wirklich willkommen war, und daß das einfache, aber schmackhafte Gouter uns mit aufrichtiger Wohlmeinung geboten wurde. Ich war ungemein gern da, und zähle jene Stunden, bei Frau von Schlegel zugebracht, zu den angenehmsten meines Lebens.

So verging das Jahr 1808 unter wechselnden, aber bedeutenden Ereignissen, und das ungleich wichtigere 1809 brach an.

Schlegel hatte eine Zeitung begonnen. Es war der Österreichische Beobachter, der damals zuerst erschien, und so wie jetzt unter der Ägide und mithin unter der Aufsicht der Staatskanzlei oder eigentlich des Fürsten (damals Grafen) Metternich stand. Große Bewegungen schienen sich vorzubereiten und auf noch größere Ereignisse hinzudeuten. Napoleon dehnte in Krieg und Frieden seine Macht immer weiter aus. Er eroberte durch seine Armeen und seine überraschende[329] Taktik, die damals noch immer das Erstaunen und eben deswegen auch den Ruin der feindlichen Armeen verursachte, große Länderstrecken. Was er erobert, behielt er beim Friedensschlusse und wußte nach dem Frieden oder eigentlich während des Friedens unter allerlei der nichtigsten Vorwände, womit er der Welt gleichsam spottete, mehr Länder zu besetzen, zu behalten und als direkte und indirekte Staaten seinem, bereits nach der Universalmonarchie strebenden Reiche einzuverleiben, als ihm das Glück der Waffen verschafft hatte. Die Freiheit der Presse war durch ihn vernichtet, ein ungeheures Lügensystem in den Zeitungen eingeführt und in der Absicht, den englischen Handel zu zerstören, ganz Europa mit der Kontinentalsperre unter dem unerträglichsten Drucke gehalten. Alles seufzte unter diesem Joche, die alten Throne wankten, und mit Bangigkeit sahen Völker und einzelne dem Los ihrer künftigen Tage entgegen, dessen Bestimmung einzig und allein von dem Willen eines Mannes, dieses Napoleon, abhängig war, den jetzt so viele mit unbegreiflicher Vergessenheit alles einst Geschehenen als einen Verfechter der Völkerfreiheit und liberaler Ideen betrachten.

In ganz Deutschland, besonders nach dem Unglücke Preußens, gärte und kochte Haß gegen diesen – jetzt so gerühmten Freiheitshelden, und geheime Verbindungen knüpften sich an, um wo möglich eine Reaktion hervorzubringen. Es mag nun wohl sein, daß englisches Gold unter der Hand zu diesem Zwecke tätig gewesen war, so viel aber ist gewiß, und jeder Zeitgenosse, der jene Epoche mit erlebt, wird es zugeben müssen, daß ganz Deutschland sowie Österreich die Last jener Verhältnisse mit Schmerzen fühlte und[330] einer Möglichkeit, sie abzuschütteln, mit banger Sehnsucht entgegensah.

Ein schönerer Geist fing an, sich zu regen. Durch Bücher, durch Dichtungen, durch die Richtung, welche Kunst und Literatur auf vaterländische Gegenstände nahmen, bekamen diese höheren Wert für jeden, als sie vormals gehabt hatten. Die Idee des Vaterlandes, die Nationalehre erwachte in den, durch lange Gewohnheit und bequemes Hinleben im behaglichen Friedensstande der letzten Dezennien erschlafften Geistern, und es ist nicht zu leugnen, daß auch die romantische Poesie, indem sie eine bis dahin unbeachtete Vergangenheit aus ihren Gräbern aufrief, und die alten Schätze deutscher Dichtkunst uns vor Augen führte, diesen Geist erhöhte und verstärkte. Man fing an, das alte Deutschland zu lieben, man studierte seine Sitten, man erwärmte sich an dem ritterlichen, frommen Sinne des Mittelalters und gewann das Land und die Landsleute lieber, denen man früher gern alles Ausländische vorgezogen hatte.

So war die allgemeine Stimmung, als Österreich den Krieg an Frankreich erklärte. Unser Freund Collin dichtete für diesen Zweck seine Landwehrlieder, welche mit Musik von Weigl am Ostersonntag vor einer gedrängten Versammlung von mehreren tausend Menschen im Redoutensaale gesungen wurden und in welche das Publikum, wo es anging, mit voller Seele und unter allgemeinem Jubel einstimmte. Welch ein Tag war das! Welche Stimmung unter meinen Mitbürgern, und wie – – doch ich will mir nicht selbst vorgreifen.

Die Regimenter fingen an, sich zu rühren. Die sechs Landwehrbataillone von Wien wurden organisiert. Viele angesehenere junge Leute nahmen[331] Dienste, darunter B. Steigentesch, und andere ausgezeichnete Offiziere schätzten es sich zur Ehre, sich an die Spitze eines der Bataillone zu stellen; Graf Hoyos (der Oberstjägermeister) bewaffnete seine Bergbewohner, die Untertanen seiner Güter, und zog selbst als ihr Oberst mit ihnen aus, jedes Ungemach, jede Entbehrung, jede Gefahr mit ihnen teilend. Sie begleitete als Feldkaplan ein ausgezeichneter Geistlicher, Baron Somerau-Beeckh, ein Jugendbekannter von mir, mit dem ich mehr als zwanzig Jahre früher manchen Walzer getanzt hatte. Damals dachte wohl niemand an eine solche Umstaltung seiner Laufbahn; denn aus jenem fröhlichen Studentenleben trat Somerau ins Militär, und es vergingen mehrere Jahre, während welcher niemand – kaum seine Mutter und Schwester – etwas von ihm wußten. Plötzlich, kurz vor meiner Verheiratung, verbreitete sich das Gerücht, Baron Somerau habe sich dem geistlichen Stande gewidmet, und bald darauf kam er nach Wien, besuchte uns freundlich, zeichnete sich sofort in seiner neugewählten Laufbahn als Seelsorger und Prediger aus, war Kaplan in mehreren Pfarren nacheinander, zog dann mit der Landwehr aus, der er als ehemaliger Militär von großem Nutzen war; erwarb sich auch in dieser Laufbahn Ehre und Achtung, wurde dann Domherr in Olmütz, und ist jetzt (ich schreibe dies im Dezember 1836) erwählter Fürst-Erzbischof von Olmütz! Per tot discrimina rerum! Nicht ohne stilles Vergnügen weilt mein Geist bei den Erinnerungen an diesen Mann, dessen Laufbahn so sonderbar, dessen Geist und Gemüt stets ausgezeichnet waren, dessen endliche Erhebung auf den Fürstenstuhl für seinen gediegenen Wert beweist, und ich denke gern an die[332] längstvergangene Zeit, zwischen die und jetzt sich ein halbes Jahrhundert drängt, wo ich mit ihm jugendliche Freuden teilte oder zehn Jahre später, als er schon Priester war, mich an seinem geistreichen Umgang ergötzte oder an seinen Predigten erbaute, die wirklich sehr gut waren und ein zahlreiches Publikum hatten.

Das berühmte Kürassierregiment Hohenzollern (vor 200 Jahren Dampierre, später Großfürst Konstantin, oder wie es jetzt heißen mag) marschierte durch Wien, und wie es sich dies Vorrecht durch die Befreiung Kaiser Ferdinands II. im Jahre 1619 verdient, zog es durch die Stadt, durch die kaiserliche Burg, und schlug sein Werbgezelt auf dem Burgplatze auf, wo sich sogleich zwei Fürsten Liechtenstein anwerben ließen. Mich regte das alles ungemein auf, und ich dichtete eine Romanze, deren Inhalt diese Rettung des Kaisers und das von diesem Regimente erworbene Vorrecht waren. Die Romanze erschien, wenn ich nicht irre, an dem Tage selbst, wo der Einmarsch statthatte, und ich sah die ganze Zeremonie mit wahrhaft klopfendem Herzen und unter frommen, aber zitternden Wünschen für den glücklichen Ausgang aller dieser Bestrebungen aus den Fenstern des k.k. Archivs an Hormayrs Seite an, der voll stolzer Hoffnungen war und sich anschickte, als Generalintendant nach Tirol zu gehen und dort den Landsturm gegen die Bayern und Franzosen zu organisieren. Es war wohl nur Zufall, aber doch ein böses Omen, daß er gerade am Karfreitag zu dieser Mission von hier abging.

Die Würfel waren geworfen, die Regimenter marschierten gegen den Feind. In unserm Kreise befanden sich mehrere Familien von Offizieren; die Frauen, die[333] Verwandten sahen mit noch bangerem Gefühl als wir übrigen dem Schicksale der kommenden Tage entgegen; denn manche traurige Erfahrung von 1797, 1800, 1805, Preußens Schicksal in den Jahren 1806 bis 1807 hatten uns die frohe Zuversicht in das Glück der österreichischen Waffen im Konflikt mit jenen bis dahin unüberwindlichen Armeen sehr geschwächt. Jedoch lebte noch manche freundliche Hoffnung in uns, gestützt auf die Größe und Wirksamkeit der Anstalten, auf den Ruhm des Erzherzogs Karl, der zum Generalissimus ernannt war, und den neuen patriotischen Geist, der die ganze Nation beseelte.

So vergingen einige Tage. Es waren, um den Schutz des Himmels für unsere wirklich gerechte Sache anzuflehen, Bittgänge angeordnet, an denen der Hof und die ganze Stadt teilnahmen. Ehe der Tag zu diesen Prozessionen erschien, ereilten uns schon trübe, unglückverkündende Botschaften. Der Unfall bei Regensburg war eingetreten. Von einem Vorrücken oder Angreifen keine Rede mehr. Die Armee des Erzherzogs zog sich nach Böhmen. Mit welchen Gefühlen der Angst und inbrünstiger Andacht um Abwendung der abermals drohenden Gefahr wurde diese Prozession begangen! Mit welchen schmerzlichen Gefühlen betrachtete ich den Dom von St. Stephan, während die Prozessionen der Vorstädte laut betend und den Herrn der Könige, der »ihre Herzen wie Wasserbäche lenkt«, um Schutz und Segen für den Monarchen, für das Vaterland, für jeden einzelnen anrufend, in denselben einzogen! Ach, dieser Dom! welche Schicksale hatte er nicht schon gesehen, was hatte er nicht mit Österreich mitgemacht! Ruhm und Glanz, Not und Gefahr, Elementarstürme und Belagerungen![334] Es kam mir in dem Augenblick das ehrwürdige Gebäude mit seinen kolossalen Dimensionen, mit seiner altertümlichen Pracht, mit seinen, durch fünf Jahrhunderte dauernden Mauern wie ein Symbol, wie ein Repräsentant von Österreich und von seinem Kaiserhause vor. Waren es denn nicht einige der ersten Herzoge aus diesem Hause, welche den, von den Babenbergern gegründeten kleinen Bau nach einem größern Plan erweitert und in der Pracht hergestellt hatten, in der wir ihn noch sehen? Gerade wie auch das Haus Habsburg die anfangs kleine Macht der Ostmark endlich zu der Größe von Bedeutenheit und Gewalt gebracht hat, deren sich Österreich jetzt erfreuen durfte.

Durch unsern werten Freund, Baron, jetzt Graf Rothkirch, der als Major vom Generalstabe mit der Armee fortgezogen war, bekam ich die erste ausführlichere Nachricht von jenen Unglücksfällen. Sein Brief, in sehr düsterm Ton geschrieben, war aus einem kleinen Flecken an der böhmischen Grenze datiert. Er schickte mir durch einen vertrauten Menschen einen Teil seiner Barschaft, seine Karten und eine Kassette mit Papieren, um es zu verwahren. Während aber jene Truppe sich nach Böhmen gezogen hatte, war die feindliche Armee uns schon ganz nahe gekommen. Der Hof, die Kanzleien gingen fort, die kaiserlichen Schätze, Galerien usw. wurden eingepackt und entweder fortgesandt oder an verläßlichen Orten verborgen. Zum vierten Male hatten wir eine Invasion des Feindes mit allen ihren Schrecken zu befürchten, zum zweiten Male sollte sie wirklich über uns kommen, und um so furchtbarer, da man nicht bloß wie anno 1797 daran dachte, die Stadt zu verteidigen, sondern wirklich alles Ernstes[335] die Anstalten dazu getroffen, die Basteien mit Kanonen besetzt, die Zugbrücken an den Stadttoren in Gang gesetzt wurden, und die Vorstädte folglich dem Feinde oder dem Pöbel preisgegeben werden sollten.

Das war keine freundliche Aussicht, zumal für uns, die die Lerchenfelder Bevölkerung von der ersten Hand zu erwarten hatten. Meine Mutter, damals schon hochbetagt, überlegte, was zu tun sei. Viele rieten uns, von hier wegzugehen und taten es selbst; andere zogen, der persönlichen Sicherheit wegen vor, sich lieber in die zu belagernde Stadt einschließen zu lassen. Unter diesen war eine Familie, welche aus einer hochbetagten Mutter, zwei verheirateten, aber von ihren Männern getrennten Töchtern und deren Kindern bestand. Diese trieb die Angst vor Volksaufständen in die Stadt hinein, und es war auch wirklich zu verwundern, wie man, da eine Belagerung bevorstand, so viel unnützes Volk in den Umkreis der Stadt aufnehmen mochte. Doch die eine der Töchter, eben jene schöne und geistreiche Frau von Kempelen, welche mit unserm Freunde Streckfuß und dann noch mit mehr andern zärtliche Verhältnisse gehabt hatte, und die nun in unserm Hause einen neuen Magnet an einem sehr braven und interessanten Manne gefunden hatte, Frau von K. entschied sich, in der Vorstadt zu bleiben, und wenn wir sie aufnehmen wollten, die Tage der Gefahr mit uns und unsern Hausgenossen zu teilen. Meine Mutter hatte schon früher, teils aus eigener Ansicht, teils auf den Rat eines sehr würdigen Freundes, des Waisenhausdirektors Vierthaler, sich entschlossen, in ihrem Hause zu bleiben. Vierthaler hatte ihr nämlich gesagt: wo Gott sie hingestellt habe, wo ihr liegendes Eigentum sei, das sie[336] ohne großen Schaden nicht verlassen könne, dort sei ihr Platz bei Gefahren; und so blieb sie denn, und wir fingen an, für die ersten Tage der Unruhe und Verwirrung einige Vorräte an Mehl, Hülsenfrüchten, geräuchertem Fleisch, Schmalz usw. einzuschaffen und einstweilen auf dem Hausboden zu verwahren. Komisch war es, bei aller Angst und Besorgnis, die uns drückten, das Benehmen mancher von den alten Frauen, den Gesellschafterinnen meiner Mutter, zu beobachten, und ich habe einige Züge aus jener Zeit in dem Charakter der Frau v. Volkersdorf in meinem Roman: Die Belagerung Wiens, aufbewahrt, wie sie von jeder Höckerin, jeder Magd sich Nachrichten holten, an die sie fest wie an offizielle Berichte glaubten; wie jedes ungewöhnliche Getöse sie in Angst versetzte, weil sie es für Schüsse hielten, und als die Feinde noch bei Linz standen, das Holzabladen in einer nahen Straße für fernen Kanonendonner gehalten wurde.

Zum Glück für mich waren aber auch klügere Frauen in unserem Kreise, welche doch selbst, als Offiziersfrauen, eher ein Recht gehabt hätten, ängstlich zu sein. Die Baronin Richler mit ihren beiden Schwestern, deren Mann an der Spitze eines Landwehrbataillons ausgezogen war, und die Baronin von Engelhardt samt einer Schwester, die für den Mann, den Sohn und den Bruder zu zittern hatten, welche beim Regiment Deutschmeister standen. Und gerade diese waren die Ruhigsten, die Vernünftigsten, an deren Haltung und Fassung ich mich oft aufrichtete. Es war eine schöne Frühlingszeit im Anfange des Mais, und unser stiller Garten in der Alservorstadt jeden Abend und oft auch während des Tages der Sammelplatz[337] des kleinen Kreises der Freundinnen und einiger hiergebliebener Freunde, welche die Nachrichten, die jedes vernommen, ihre Mutmaßungen, düstern Besorgnisse oder geringen Hoffnungen einander mitteilten.

Indessen rückten die Feinde immer näher heran, und drangen endlich bis in die Vorstädte. Jetzt hörte man wirklich ihre Schüsse ziemlich nahe; die Tore der Stadt wurden gesperrt, unsere Bürgerregimenter marschierten auf die Wälle und bedienten das Geschütz. Wie in der letzten türkischen Belagerung geschah der Angriff von Seite der ungarischen Garde und der k.k. Stallungen gegen die Burgbastei und den kaiserlichen Palast. Hier stand einer unserer Freunde, der Hauptmann beim zweiten Bürgerregiment, Barchetti, ein schöner, junger Mann mit seiner Kompagnie. Eine französische Kugel riß ihm den Schenkel weg, er wurde in die Stadt hinabtransportiert, sein Bruder (der jetzige Gubernialrat) geholt; er starb aber noch diese Nacht – vielleicht nebst wenigen Unbekannten das einzige Opfer von Bedeutung, welches diese Beschießung gekostet hatte; denn er war ein hoffnungsvoller Mann in der Blüte seiner Jahre und Vater von mehreren Kindern.

Am Abend wurde das Schießen von beiden Seiten stärker. Lange bewahrten die Mauern der k.k. Stallungen die Spuren mancher Kugeln, welche von der befreundeten Stadt hinaus auf die Vorstädte flogen. Mit dem Einbruch der Nacht schien die Beschießung der Stadt ernstlich zu werden, und in dem Maße, wie die Schüsse näher, dichter fielen, wuchsen natürlicherweise unsere Besorgnisse. Man berichtete uns, daß wir vom Garten aus die Richtung und den Weg der Kugeln[338] sehen könnten. – Wir eilten in das Zimmer, welches in den Garten sieht, und das uns, freilich hinter Bäumen und von andern nähern Gebäuden versteckt, dennoch ziemlich richtig die Lage der Vorstädte, in denen die Franzosen mit ihrem Geschütze standen, und die Gegend der Stadt beurteilen ließ, wohin sie ihre Schüsse richteten, und woher die der unserigen kamen. Mit bangem Mute standen wir, Frau von K**, der jüngere Kurländer, ich und mein Mann, am Gartenfenster da, und sahen von der rechten Seite herein (von der Gegend des Spittelberges) die Haubitzen der Franzosen als weißglänzende zitternde Schlangen in fast horizontaler Bewegung gegen die Stadt hinfliegen – furchtbare Vögel, die Graus und Flammen dahintrugen, wo sie hintrafen, während aus der Stadt linksherüber in majestätischem Bogen rotlodernde Bomben sich erhoben und sich auf die, vom Feinde besetzte Gegend herabsenkten. Das Krachen, der Donner des eifrig spielenden Geschützes, das in solcher Nähe auch bald uns selbst zu erreichen drohte, hatte schon an und für sich etwas sehr Beängstigendes; noch beängstigender aber war es für uns, als wir rechts hinüber, also in der befreundeten Stadt, eine Lohe um die andere auflodern sahen und unsere Phantasie freien Spielraum hatte, sich jeden oder jede unserer liebsten Freunde jetzt in Feuers- oder Lebensgefahr zu denken! Es war eine furchtbare Nacht – durch die Menschen dazu gemacht! während der Garten mit seinen Blumen und Bäumen, vom hellen Monde beglänzt, im tiefsten Frieden der Natur vor uns lag!

Pichler ging mit einer Seelenruhe, die ich mir wohl wünschen, aber nicht erlangen konnte, gegen zwölf Uhr von uns weg, legte sich zu Bette und schlief richtig[339] während des Kanonendonners, der bis gegen drei Uhr morgens währte, ruhig ein. Wir übrigen brachten diese Stunden wach und in großer Unruhe zu, und ich stieg mehr als einmal zu meiner verehrten Nachbarin, der Baronin von Engelhardt hinauf, um bei ihr, die als sehr gescheite Frau, als Gemahlin eines Militärs, und welche die Belagerung von Mainz mitgemacht hatte, mir gänzlich Unerfahrenen zu Rat und Trost sein konnte. Aber Trost gaben mir ihre Reden nicht, vielmehr gingen aus denselben größere Besorgnisse hervor; denn es wurde mir klar, daß die heutige Nacht nur erst der Anfang bedrängterer Tage sein könne. Endlich hörte der Kanonendonner auf, ich legte mich zu Bette und schlief ein paar Stunden. Als ich nach sechs Uhr in den Garten hinabging, und unserm alten Gärtner, der in seiner Jugend Kanonier gewesen war, von den Schrecken dieser Nacht sprechen wollte, sagte der alte Soldat ganz ruhig: Gnädige Frau! Das wird und muß noch ganz anders kommen. Jetzt werden die Franzosen die Dächer der nächsten Häuser am Glacis abdecken und die Kanonen dort hinaufpflanzen, dann wird das Schießen erst recht angehen. Des Mannes Meinung traf zu genau mit dem zusammen, was meine Freundin mir in der Nacht gesagt hatte, um mir nicht die lebhafteste Angst einzuflößen.

Indessen – kein Schuß ließ sich mehr weder aus der Stadt noch aus der Vorstadt vernehmen, und wie wir uns auf der Gasse umsahen, bemerkten wir zu unserer Beruhigung, daß auf den Dächern des Universalspitales, Findelhauses usw. schwarze Sicherheitsfahnen aufgesteckt waren, um diese frommen Anstalten vor den feindlichen sowohl als freundlichen Kugeln zu schirmen; denn das durften wir unsern Siegern wohl[340] zutrauen, daß sie solche Häuser, welche der leidenden oder der hilflosen Menschheit gewidmet waren, respektieren würden. Und sie taten es auch bei jeder Gelegenheit, sowie sie sich, als sie später die Stadt schon besetzt hatten, bei Unordnungen willig und gehorsam von unserer Bürgergarde arretieren ließen, und so manchen »Staberl« als das Organ der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ehrten. Das sind eben die zwar seltenen, aber erfreulichen Züge, an denen der unparteiische Beobachter das langsame, aber sichere Vorrücken der echten Sittigung wahrnehmen kann.

Gegen 8 Uhr überraschte uns, und wahrlich nicht ganz angenehm, die unerwartete Nachricht, daß die Stadt übergeben sei und die Franzosen sogleich Besitz davon nehmen würden. So waren denn alle die Anstrengungen, so manches Leben, welches für die Idee der Stadtverteidigung gefallen war, so viele Vorbereitungen und Entschlüsse vergeblich – und das ganze eigentlich eine leere Ostentation gewesen! Da hätte man nicht bedurft, die Einwohner zu schrecken, sie so manchen Plackereien zu unterwerfen, so manches Haus den Flammen zu überliefern, so vieler Menschen Gesundheit und Leben, die in der Nacht des Bombardements gelitten, aufs Spiel zu setzen, wenn der Widerstand nicht länger als 24 Stunden dauern sollte. Wohl hatte die Vorstellung einer längern Belagerung und dessen, was die Vorstädte hätte betreffen können, viel Furchtbares für uns; aber vieles, was nur im ersten Augenblick schreckte, war schon überwunden, vieles hätte die Notwendigkeit ertragen gelehrt, zu vielem war ja jeder Österreicher freudig entschlossen, wenn es das Wohl des Vaterlandes galt, um den Feind aufzuhalten und dem geliebten Erzherzog Karl die Möglichkeit[341] zu verschaffen, sich mit seiner Armee von der Nordseite her der Donau zu nähern und vielleicht der bedrängten Stadt glorreichen Entsatz zu bringen. Was hätte man nicht gern dafür ausgestanden?

Das war nun alles vorbei! Von dem Bombardement, von dem Abdecken unserer Häuser und dem Aufführen des Geschützes – waren wir befreit. Kein Bürgerblut brauchte mehr vergossen zu werden; aber das Ganze, so wohltätig und schonend es aussah, mißfiel doch den meisten.

Die Verbindung mit der innern Stadt war nun eröffnet, die feindlichen Truppen zeigten sich hier und dort und wurden nicht aufs beste empfangen, wie denn einer ihrer Offiziere, und was die Sache schlimmer machte, ein Parlamentär oder sonst Beauftragter auf der Laimgrube vom Pöbel mißhandelt und schwer verwundet wurde; denn der Haß gegen die Franzosen war ungemein groß unter dem Volke und früher geflissentlich genährt worden.

Nun rückten die feindlichen Scharen förmlich ein, und die Einquartierungen nahmen ihren Anfang. Der erste Besuch derselben im Jahre 1805 hatte uns mit der Idee, dergleichen Gäste aufnehmen zu müssen, vertrauter, und ihr anständiges Betragen sie erträglicher gemacht. Aber nun trat eine andere Bedrängnis ein. Der Hof hatte sich samt allen Kanzleien, Schätzen, Kassen usw. nach Ungarn begeben, und mit Österreich, als einem vom Feinde besetzten Lande, sollte aller Verkehr aufhören. Wir wurden also von Ungarn, woher die Hauptstadt den größten Teil ihres Lebensunterhaltes bezogen hatte und noch bezieht, abgesperrt. – Nun brach der Mangel an Brot, Fleisch usw. sogleich aus. An den Bäckerladen standen die[342] Kunden oft halbe Nächte lang, um am Morgen, so wie geöffnet wurde, wenn auch selten ihren ganzen Bedarf, doch wenigstens einen Teil davon zu erhalten, und bei diesen drückenden Umständen hatte jede Haushaltung beinahe noch einige fremde und oft sehr fordernde Gäste an ihren Einquartierten zu bewirten. Noch schmerzlicher indes als diese leiblichen Entbehrungen drückte uns alle der Mangel an zuverlässigen Nachrichten von dem öffentlichen Stande der Dinge, von dem, was unsere Armeen machten, wo sie standen, wie es den beiden Erzherzogen Karl und Johann erging, was wir für unser Geschick in diesen so wichtigen Verhältnissen zu hoffen oder zu fürchten hatten? Mit eifersüchtiger Strenge wußten die Feinde, die uns unter ihren eisernen Krallen hielten, jede Nachricht abzuhalten, und was unter der Hand einer dem andern mitteilte, hatte keine Autorität und erwies sich auch früher oder später als unwahr. Das wußte man, daß der Erzherzog Karl am jenseitigen Donauufer lagerte, und Erzherzog Johann in Eilmärschen nach der Schlacht von Caldiero über die steierschen Gebirge heranzog, um dem Feinde von hier entweder in den Rücken zu fallen, oder den Umweg durch Ungarn nehmend, sich mit seinem Bruder auf dem jenseitigen Lande zu vereinigen.

So dauerte unsere bängliche Lage einige Tage fort, während welchen unser einquartierter Offizier, ein artiger, selbst ein schöner, übrigens aber unbedeutender Mann, uns benachrichtigte, daß wir ihren Kaiser in Schönbrunn bei einer Revue, die auf der Schmelz (den weiten Feldern zwischen Schönbrunn und der Lerchenfelder Linie) gehalten würde, sehr gut sehen könnten.[343]

Ich fuhr also mit meinem Schwager Kurländer und Frau von K** nach Schönbrunn. Hier, sowie wir uns durch die Allee dem Schlosse näherten, war alles voll Menschen, Wagen und Pferden, herbeigezogen wie wir durch die Neugier, den ausgezeichnetsten Mann von ganz Europa zu sehen. Mir war schmerzlich zumute, ich kann es nicht leugnen, denn mein Gemüt ertrug nur mit Widerstreben das Gefühl des Fremdlingsjoches, und meine Erinnerungen führten mich in die Zeiten meiner schönen Kindheit und Jugend zurück, wo ich oft mit meinen Eltern hieher gekommen war und die edlen Gestalten der Glieder unsers Herrscherhauses in diesem Schlosse, in diesen Gärten gesehen hatte. Jetzt wimmelte es im Schloßhof und vor demselben von den kaiserlich französischen Garden in den geschmackvollsten, reichsten Kostümen – obwohl etwas von den gewöhnlichen Formen unsers Militärs abweichend – Husaren z.B. in Pantalons; nie aber hatte ich auf einem verhältnismäßig kleinen Raum so viele schöne Männergestalten gesehen, als sich hier bei jedem Blicke zeigten, und es hatte das Ansehen, als wäre die Wahl bei der Aufnahme in diese Korps nach den Vorschriften eines Winckelmann oder solcher Meister bestimmt worden.

Eine gute Weile mußten wir mit unserm Wagen in der Allee halten und warten. – Endlich kam Bewegung in die überall verstreute Menge der Zuseher sowohl als des französischen Militärs, und nun erschien eine große Schar prächtig gekleideter Offiziere zu Pferde, die aus dem Schloßhofe über die Brücke sich der Allee näherten. Sie kamen uns nahe – Gold- und Silberstickereien bedeckten die dunkeln Uniformen, Federbüsche von allen Farben schwankten auf den[344] reichgallonierten Hüten, Mützen, Tschakkos usw. Es war die französische Generalität, und in der Mitte der glänzenden Schar – der kleine Mann in schlichter grüner Uniform, mit dem dreieckigen kleinen Hütchen auf dem Kopfe!! Er war es – ich sah ihn ziemlich nahe, und kann mir seine Gestalt, seine Züge noch jetzt vergegenwärtigen. Da ritt er, der fremde Eroberer – der Usurpator, der Feind unserer Nation – aus demselben Schlosse, über dieselbe Brücke, wo so oft die verklärte Theresia, der Kaiser Josef, unser Kaiser Franz herausgefahren oder geritten waren! Mein Herz wandte sich mir in der Brust um bei diesem Anblicke, mit diesen Erinnerungen vergesellschaftet, und ich konnte mich in jener tief empörten Stimmung des Wunsches nicht erwehren, daß doch auf irgendeinem Baume dieser Allee ein Tiroler Scharfschütze verborgen sitzen und einen Tellsschuß auf diesen mehr als Geßler tun möchte.

Wieder vergingen einige schwergefühlte Tage auf die vorige Weise, und ein trübes Ereignis in unserm Hause diente nur dazu, den Eindruck, den unsere ganze Lage auf die Gemüter übte, zu verstärken. Ich habe schon öfters meiner verehrten Freundin und Hausgenossin, der Baronin Engelhardt, erwähnt. Ihr Gemahl war Oberst vom Regiment Deutschmeister. Bei Ebelsberg an der Traun, wo ein heftiges Gefecht vorgefallen war, wurde er, wie es schien, nicht gefährlich unter dem Knie verwundet. Er ließ sich nach Wien zu seiner Frau bringen, obwohl er hierdurch, da die Feinde sogleich einrückten, ihr Kriegsgefangener wurde. Niemand glaubte hier an Gefahr für den Verwundeten, er war vielmehr sehr heiter, und seine Frau nährte schöne Hoffnungen einer frohen Zukunft. Da trat[345] plötzlich der Starrkrampf ein, und keine Rettung war möglich! Seine Frau hatte ihn unendlich geliebt, ihr Schmerz war grenzenlos, dennoch wußte sie ihn mit einer Kraft zu beherrschen, die uns alle in Erstaunen setzte und meine hohe Achtung für die Unglückliche sehr vermehrte. Die Anwesenheit der Feinde, die bänglichen äußern Verhältnisse machten es uns unmöglich, dem Verstorbenen die Ehre eines, seinem Range angemessenen Leichenzuges zu verschaffen, und er mußte in der Stille begraben werden, was uns alle, besonders in jenen betrübten Tagen, noch eine Vermehrung unserer Leiden schien.

Indessen war Pfingsten herangekommen (die Franzosen waren am Christi Himmelfahrtstage eingerückt). Es war ein wunderschöner Frühlingssonntag (21. Mai), als plötzlich ferner und doch lauter Kanonendonner an unsre Ohren schlug – das Kanonieren dauerte fort, wurde immer stärker, häufiger – es war eine Schlacht – es war die unvergeßliche Schlacht von Aspern, in der unser Erzherzog Karl zuerst den bisher Unbesiegten zum Weichen zwang. Zwar wußten wir von nichts mit Zuverlässigkeit und alles, was man sich von Nachrichten zu verschaffen vermochte, bestand in der Bespähung jener Donaugegend, woher die Schüsse ertönten, nämlich bei der Insel Lobau, deren Namen man bei dieser Gelegenheit erst kennen lernte, von den Türmen der Stadt. Was uns aber noch mehr als der ununterbrochene Donner der Kanonen von der Wichtigkeit des Gefechtes, welches in unserer Nähe vorging, und dessen Entscheidung so viel Einfluß auf unser Schicksal haben konnte, überzeugte, waren die ungeheure Anzahl blessierter Franzosen, welche in den beiden Schlachttagen 21. und 22. Mai und noch mehrere[346] Tage nachher zu Fuß oder auf Wagen durch die St.-Marxer-Linie und bei der Leopoldstadt herein kamen.

Sie alle aber verrieten wenig oder gar nichts von dem, was jenseits der Brücken vorgegangen. Sei es, daß strenge Gebote ihrer Vorgesetzten, sei es, daß eigene Nationaleitelkeit sie an Bekanntmachung ihrer mißlichen Lage hinderte.

Den zweiten Tag dauerte die Schlacht fort bis gegen Abend, wo endlich das Geschütz verstummte; aber erst spät oder vielleicht (ich erinnere mich dessen nicht mehr) am andern Tage verbreitete sich heimlich und flüsternd das Gerücht von der Niederlage der Feinde, von der gesprengten Brücke, von dem zahlreichen Korps der Franzosen, das auf der Lobau abgeschnitten stand, von der heimlichen und einsamen Rückfahrt des mächtigen Heerführers in demselben Kahne mit einem unserer kriegsgefangenen Generale (Weber) und nun erst wagte man, sich zu Hause und unbelauscht von seiner Einquartierung, angenehmen Hoffnungen und tröstlichen Erwartungen hinzugeben. Es ward uns mehr als wahrscheinlich, daß der Erzherzog einen mehr als glänzenden Sieg über unsere Unterdrücker erfochten hatte, und was im seinsollenden Spotte vom General Danube in den französischen Blättern stand, bestätigte eben, statt sie zu entkräften, unsere Vermutungen. Nun fingen wir an, auf nahe gänzliche Befreiung zu hoffen, und das Betragen der Feinde selbst half diese Hoffnungen vermehren. Ja man hat später erzählt, daß General Andréossy, der Kommandant der Stadt (vorher hier Gesandter), schon Befehl hatte, mit aller Mannschaft, die hier lag, die Stadt zu räumen und den Rückweg nach Oberösterreich anzutreten.[347]

Aber es verging ein Tag nach dem andern, und es geschah nichts. Noch immer liegt ein undurchdringliches Dunkel über den wahren, aber geheimen Beweggründen, welche damals den Erzherzog abhielten, seinen Sieg zu verfolgen, über die Donau zu setzen und unsere Peiniger aus Wien zu verjagen. Ebenso unaufgehellt sind auch die eigentlichen Ursachen des spätern Unglückes bei Wagram, und was die Veranlassung der nicht erfolgten Ankunft des Erzherzogs Johann mit seiner Armee aus Steiermark war. Doch hiervon an seinem Orte.

Wir hatten indes unaufhörlich französische Einquartierung, die denn, wie das erstemal im Jahre 1805, mit uns wenigstens zu Mittag an einem Tische aß. Im ganzen durften wir uns nicht beschweren. Es ware meist artige, bescheidene Leute und manche darunter, wie z.B. ein sogenannter aide-major und Chirurg, Mercier geheißen, sehr gebildete Leute, mit denen man ganz angenehm hätte umgehen können, wenn der Gedanke, in welchen Verhältnissen sie zu uns standen, mich wenigstens nicht immer gewaltig von dem Franzosen, dem Feinde abgestoßen hätte. Zu unserer großen Erleichterung wurde endlich die Sperre zwischen Ungarn und Österreich aufgehoben. Es kamen wieder ungehindert Lebensmittel nach Wien, die Not und das Gedränge an den Bäckerladen hörte auf, und unsere Lage war dadurch merklich gebessert. Übrigens glich unsere Alservorstadt einem großen Spital. Sowohl in der Kaserne als im eigentlichen Zivil- und Militärspitale lag alles voll Blessierter, und wenn sie so weit genesen waren, daß sie auf sein konnten, schlichen oder humpelten sie auf den Straßen umher und wurden bis zu ihrer völligen Heilung in die Privathäuser verlegt.[348] So bekamen wir einen Halbkranken nach dem andern, konnten uns aber mit Grund über keinen beschweren, und die stark vermehrten Ausgaben, die Beschränkung in wenige Zimmer ausgenommen, da wir z.B. einmal 17 Personen im Hause hatten, hatten wir im einzelnen wenig Verdruß; nur litt wohl jeder, der Gefühl für das allgemeine Wohl hatte, durch die Vorstellung von dem, was uns alle als Österreicher noch bedrohte.

So kam der Monat Juli und mit ihm die Schlacht von Wagram heran. Kanonendonner, obwohl ferner als bei der ersten Schlacht, verkündete uns abermals einen wichtigen Tag der Entscheidung. Aber diesmal war es unsern Mitbürgern nicht mehr gegönnt, von Kirchtürmen oder andern hohen Plätzen ferne Zeugen des Kampfes zu sein. Die Franzosen hielten alle diese Orte mit Wachen besetzt, die niemand hinaufzusteigen erlaubten und nur, wenn sich hier und da in einem Privathause zufälligerweise ein solcher hochgelegener Raum, ein Turm, ein Belvedere usw. befand, war es einigen Personen möglich, etwas zu beobachten. Aber schon das Gehör belehrte uns, wie oben gesagt, daß diesmal der Schauplatz des Gefechtes viel weiter entlegen sei. – Dennoch horchten wir mit banger Erwartung, ob der Schall des Geschützes sich nähere oder entferne. Das erste wäre uns ein günstiges Zeichen vom Zurückweichen der Feinde und dem Vordringen des Erzherzogs gewesen. Wirklich hörten wir mit unaussprechlicher Freude den Kanonendonner sich nähern. Man fing an zu hoffen – da sandte Napoleon den bayerischen Truppen, die denn wie alle abtrünnigen Rheinbündler ihre Schwerter gegen ihre Landsleute gezogen hatten und in der Gegend herumlagen, Befehl, über die Donau hinüber, der französischen Armee,[349] die der Erzherzog zum Weichen gebracht hatte, zu Hilfe zu eilen. Gegen 11 Uhr marschierten die Bayern unter demselben Fürst Wrede, der nun eine so schöne Besitzung in unserm guten Österreich inne hat, über die Brücken hinaus, und nicht lange darnach entfernte sich der Schall des Geschützes wieder. Mit trüber Ahnung sahen wir, was geschehen würde – die gehoffte Vereinigung des Erzherzogs Johann mit dem Heere seines Bruders erfolgte nicht. – Auch über diesem Faktum ruht jetzt noch, nach beinahe 30 Jahren, ein undurchdringliches Dunkel, aus welchem verschiedene, je nachdem sie zur einen oder andern Partei gehören, eine Schuld auf der Seite eines der beiden hohen Brüder herausdeuteln wollen, das aber vielleicht erst die Folgezeit, wenn ira et studium aufgehört haben, richtig enträtseln wird. Genug, die Schlacht ging, trotz ungeheuren Anstrengungen von Seite unserer Armeen, verloren. Unzählige Blessierte wurden wieder nach Wien und in die umliegenden Ortschaften verlegt, von wannen sie, wenn sie ein bißchen hergestellt waren, wieder in die Privathäuser einquartiert wurden. Auch wir verloren in dieser Schlacht einen Verwandten. Der Hauptmann Kurländer, Schwager meines verstorbenen Bruders, blieb in dieser Schlacht, und es war uns bei diesem Verlust eine Art von Trost, daß eine Kanonenkugel seinem Leben und seinen Leiden ein schnelles Ende gemacht hatte.

Nun gab es wieder halbgenesene Offiziere bei uns, und überhaupt war die Stadt angefüllter als je. Alles wimmelte von kranken und gesunden Franzosen, und jetzt kam auch der unangenehme Nachtrab einer Armee – eine zahllose Menge sogenannter Employés, welche weit schlimmere Gäste waren als die[350] eigentlichen Combattants. Unter diesen aber erwiesen sich im ganzen – Ausnahmen gibt es überall – meiner Erfahrung nach die Unteroffiziere, Sergents majors u. dgl. großenteils als bescheidene, ordentliche Leute, bei denen man noch den Vorteil hatte, daß man ihnen das Essen auf ihre Zimmer schicken, und sie nicht gerade an dem Familientisch haben durfte. Sie waren meistens Bürgerskinder, Söhne stiller, achtbarer Familien, und nicht selten diejenigen, welche ihre wilderen Offiziere zu beschwichtigen und Ruhe und Ordnung im Hause zu erhalten verstanden. Mit freundlicher Empfindung erinnere ich mich eines Reiterunteroffiziers – Brigadier du logis war sein Titel – eines hochgewachsenen Mannes von gesetzten Jahren und würdigem Aussehen, der, als meine Mutter ihn nebst seinen drei Gefährten nicht aufnehmen wollte, weil das Haus schon überlegt war, sagte: Gardez nous toujours Madame, nous sommes des bons enfants. Und wirklich erwiesen sie sich als solche. Sie führten z.B. morgens ihre Pferde, wenn sie zur Revue sollten, am Zügel über den Hof und saßen erst vor dem Tore auf, um uns durch das Getrappel auf dem Hofpflaster nicht im Schlaf zu stören, und verhielten sich überhaupt sehr anständig. Wer weiß, auf welchen Schlachtfeldern sie nun begraben liegen? Ob sie von denen sind:


Und die im kalten Norden

Wohl unter Schnee und Eis,

Und die in Welschland liegen,

Wo ihnen die Erde so heiß.

(Nächtliche Heerschau.)


Noch eines Einquartierten muß ich gedenken, der uns merkwürdig war. Ein sehr junger Leutnant, Raymond mit Namen, ein Zögling der polytechnischen Schule, ein wahres Kind der Revolution. Mit einem[351] erstaunenswürdigen Wissen in den meisten Fächern und einer umfassenden Belesenheit in den alten Klassikern und in denen der neueren Zeit, verband er eine Gleichgültigkeit gegen alle äußern Formen und eine stoische Kälte gegen alles, was ihn umgab. So bin ich überzeugt, daß er beinahe nie wußte, was er aß, weil er stets und über lauter interessante Dinge mit uns stritt und den Disput, wenn wir ihm nur ausgehalten hätten, bis zum Nachtessen fortgeführt haben würde. Als meine damals zwölfjährige Tochter, mit der er sonst jeden Mittag gegessen hatte, freilich ohne an sie einmal ein Wort zu adressieren, an der Ruhr erkrankte, welche damals der vielen Soldaten wegen epidemisch war, fragte er nie nach dem Kinde, ja, ich glaube, er hatte gar nicht bemerkt, daß sie durch viele Tage nicht am Tisch erschienen war. Auch dieser Mensch lebt wahrscheinlich nicht mehr; denn ihm standen noch die Tage an der Beresina, bei Leipzig und Hanau bevor. Friede seiner Asche! Vielleicht hätte er ihn mit seiner Gemütsart auf Erden ohnedies nicht gefunden.

Eines Tages muß ich an dieser Stelle erwähnen, der in seiner Art merkwürdig ominös und höchst unangenehm war: Napoleons Geburtsfestes am 15. August, an welchem allen Bewohnern Wiens geboten wurde, in der Stadt und in den Vorstädten abends ihre Fenster zu illuminieren. Eine befohlene Freudenbezeugung, die sonst gewiß unterblieben wäre, und uns ahnen ließ, daß gar manchmal die Zeitungen uns ein ähnliches Fest als Ausdruck der allgemeinen Volksfreude berichtet haben mochten, das ähnlichen gebotenen Ursprunges war. Schon am Tage zuvor ereignete sich ein schreckender Zufall, herbeigeführt durch die Präparativen[352] zu dem sehr brillanten Feuerwerk, das den folgenden Abend in den Donauinseln statthaben sollte, und zwar durch den Leichtsinn der Franzosen. Auf der Schottenbastei, nicht weit von dem kaiserlichen Zeughause, hatten sie eine Hütte errichtet, in welcher sie die Zubehör zu dem Feuerwerk bereiteten, und, sowie uns unsere einquartierten Offiziere selbst erzählten, mit dem Pulver höchst unvorsichtig umgingen. Da geschah nun am Vormittag des Vorabends eine heftige Explosion, die Hütte sprang in die Luft, mehrere Arbeiter wurden getötet, und nicht ohne Grund fürchtete man Gefahr für das Zeughaus, in dem viele gefüllte Bomben lagen, und somit für die ganze Stadt.

Ominös schien uns Wienern diese Vorbereitung zur Feier des Geburtstages unsers Drängers, aber es war uns befohlen, uns zu freuen, und so stellte denn jedermann einige Kerzen vor die Fenster. In der Stadt waren selbst einige Transparente mit – ich erinnere mich nicht mehr – welchen Vorstellungen oder Sinnbildern zu schauen. Nur eines schien mir sehr merkwürdig, das sich, wenn ich nicht irre, in einer von den, in die Kärntner- oder Bischofsstraße ausmündenden Gassen bei einem kleinen Krämer fand. Es war ein mäßig großes Transparent mit folgenden Zeilen:


Zur

Weihe

An

Napoleons

GeburtS

FEST.


und hieß eigentlich, wenn man die großen, mit anderer Farbe gezeichneten Buchstaben zusammen las: ZWANGSFEST. – Ein köstlicher Einfall! Er enthielt keine Schmähung über den Dränger, und drückte[353] doch die Stimmung dieses Mannes, welche wohl die allermeisten Bewohner Wiens mit ihm teilten, auf sehr sinnreiche Weise aus.

Eine Marter eigener Art begann nun für uns Österreicher, die mit warmen Herzen an unserm Kaiserhaus und Vaterland hingen, und das waren die sukzessiven Nachrichten und Erzählungen von den Friedensartikeln, welche jetzt, da nach der unglücklichen Schlacht bei Wagram, Waffenstillstand geschlossen worden, zwischen Champagny und dem damaligen Grafen Metternich abgehandelt wurden. Da uns alle verläßlichen Nachrichten unmittelbar von unsern Leuten fehlten, so mußten oder sollten wir alles glauben, was die Franzosen aus eigener Ansicht oder Rodomontade uns aufheften wollten. Dazu kam noch, daß gar viele hier lebten, die es im Herzen mit den Feinden hielten, und alles, was uns nachteilig klang, als das Wahrscheinlichste begierig auffaßten und eifrig verbreiteten. Daß Tirol, das edle, treue Land, nachdem es durch unsägliche eigene Anstrengungen sich selbst vom Joche der Feinde befreit hatte, doch wieder an Bayern, das sich so undeutsch in jeder Rücksicht gegen Österreich bewiesen hatte, verloren werden sollte, war schon ausgemacht und erregte den tiefsten, unwilligsten Schmerz bei allen echt österreichischen Herzen; aber die Grenzlinie der abzutretenden Länder wurde im Anfange, wenigstens durch das Gerücht, so nahe gezogen, daß man hätte darüber verzweifeln können. Allmählich erweiterte sich aber diese Schranke, ging über die Steiermark hinaus und über Ungarn, und schloß sich zuletzt an dem illyrischen Königreiche. Ich will auch glauben, daß dies nicht bloß Gerücht, sondern wirklich der Gang der Unterhandlungen war,[354] und daß der Sieger im Beginne seine Forderungen nicht hoch genug spannen zu können glaubte. Haben es seine Leute doch mit allen ihren Forderungen also gemacht, und wenn sie schrieben: Je vous invite (das war der Ausdruck) de nous fournir 10,000 rations de pain oder de foin usw., so waren sie zuletzt mit 4000 oder 3000 auch zufrieden.

So kam endlich der Herbst heran, und mit ihm ein Anfang des geselligen Lebens. Bei meiner treuen mütterlichen Freundin Flies lernte ich zwei sehr ausgezeichnete Männer kennen, welche dem französischen Kaiser nach Wien gefolgt waren, den berühmten Reisenden Denon und den Grafen Alexandre De la Borde. Der erste war wahrscheinlich jetzt während der Unterhandlungen berufen worden, um sich hier in Bibliotheken und Kunstsammlungen umzusehen und zu nehmen, was ihm und seinem Kaiser gefiel; der zweite, De la Borde, war mit der Direktion der kaiserlichen Domänen beauftragt, und der Tiergarten wurde damals ziemlich von Bäumen entblößt, welche die Franzosen fällen und verkaufen ließen.

Denon, ein ansehnlicher Mann von sechzig Jahren ungefähr, dessen bedeutende Züge und halbkahler Scheitel an die Darstellungen des Apostels Petrus erinnerten, war im Umgange höchst angenehm und ganz so, wie ein echter Gelehrter, der zugleich Welt hat, sein sollte. Sein vieles Wissen, seine zahlreichen Kenntnisse traten in der Gesellschaft nie ungerufen hervor. Nur ihr Resultat, eine geistreiche Unterhaltung, und ein gebildetes, gründliches Urteil über jeden vorkommenden Gegenstand gab sich im Gespräche kund. Brachte man ihn aber geflissentlich auf irgendeine Sache, eine Begebenheit, die in sein Fach einschlug,[355] fragte man ihn geradezu um irgend etwas der Art, dann gab er auch mit Redseligkeit Bescheid, und wußte die Gesellschaft mit Anekdoten und einzelnen Zügen seiner Erlebnisse geistreich und belehrend zu unterhalten. Er ließ sich auch bei uns vorstellen, zeichnete meine Mutter sehr aus und lieferte mir durch seine Erzählungen Stoff zu ein paar Novellen, um deren Bearbeitung er sich höchlich interessierte. Meine Tochter, damals noch fast ein Kind, spielte schon ziemlich artig Fortepiano, in welcher Kunst ich sie selbst unterrichtet hatte. Es kam die Rede darauf; Denon hätte gern das organisierte Piano, das ich damals noch besaß, gehört; Lottchen wurde aufgefordert, zu spielen und machte es recht artig, wofür ihr denn der galante Denon die Hand küßte. – Das war dem Mädchen noch nie widerfahren, und es war komisch anzusehen, wie Freude und Verwirrung, Respekt vor dem übergelehrten Herrn, den sie als etwas Außergewöhnliches betrachten gelernt hatte, und Gefühl der eigenen Wichtigkeit, die ihr dieser Handkuß zu geben schien, sich in dem lieblichen Gesichtchen malten.

Wenn nun Denon durch Geist und Kenntnisse sowie durch sein von aller Pedanterie entferntes Betragen einen vorteilhaften Eindruck auf die Gesellschaft machte, so flößte De la Borde ein Interesse ganz verschiedener Art ein. Ohne Anspruch auf Schönheit zu machen, waren Figur und Züge dieses Mannes, der kaum sein vierzigstes Jahr erreicht haben mochte, sehr angenehm. Vor allem hatte der ernste, beinahe düstere Ausdruck seiner blauen Augen etwas Anziehendes, sowie überhaupt sein ganzes Wesen durch diesen Ernst und eine gewisse ruhige Würde mehr etwas Deutsches als[356] Französisches verkündigte. Auch hatte er früher, wie ich erfuhr, während der Revolution, in der sein Vater und seine Brüder unter der Guillotine starben, eine Weile in österreichischen Kriegsdiensten als Rittmeister unter Kinsky Chevauxlegers gestanden, und während seines damaligen Aufenthaltes in Wien sich viel auf der kaiserlichen Bibliothek aufgehalten, wo er sich wissenschaftlich beschäftigte und Deutsch erlernte, was er denn auch ziemlich geläufig sprach. Ich habe De la Borde viel seltener gesehen als Denon, und eben deswegen, sowie auch seines ernsten, weniger mitteilenden Sinnes wegen nicht soviel mit ihm als mit jenem gesprochen, aber die Erinnerung an ihn wird mir stets werter bleiben, weil in dem, was und wie er sprach, z.B. in seinen Äußerungen über Chateaubriand, den er seinen Freund nannte und mit schöner Wärme von ihm redete, sich mir ein viel tieferes Gemüt und ein ernsterer Geist zeigte, als bei dem zwar liebenswürdigen, aber durchaus französischen Denon. Später las ich den Roman der Frau von Fouqué: »Das Mädchen aus der Vendée«, und in diesem ist ein Franzose Sombreuil (wenn ich nicht irre) geschildert, von dem ich immer dachte, er müsse ausgesehen und sich gezeigt haben wie Graf De la Borde.

Allmählich kam es nun zum Friedensschluß, und wie ungünstig dieser für Österreich ausfiel, wie das teure Tirol, die Lombardie, Venedig, Dalmatien, Kärnten mit Krain, Salzburg usw. verloren gingen, weiß die Welt ohnedies. – Es war eine schmerzliche Zeit für jeden, dem sein Vaterland teuer war.

Der französische Kaiser hielt sich nun meistens in Schönbrunn auf, wohin er abwechselnd das deutsche Schauspiel und die Oper kommen ließ, um dort auf[357] dem kleinen Theater des Palastes zu spielen. Denon hatte versprochen, uns einmal Billetten zu verschaffen, und er hielt Wort. Mit Frau von Flies fuhr ich in einem Postzug, mit vier Maultieren bespannt, nach Schönbrunn. Die Equipage gehörte einem ihrer Bekannten, einem französischen General, und ich fand zu meinem Erstaunen, daß diese vier sehr wohlgebildeten braunen Tiere mit uns so schnell davon liefen, als wären es englische Hengste gewesen, und also durch nichts als die längeren Ohren an ihre Zwitterabkunft erinnerten.

Im Theater, das sehr niedlich und wohlgebaut ist, angekommen, fanden wir die Galerien mit lauter französischer Generalität in strahlenden Uniformen besetzt, und Frau von Flies nannte mir einige ihrer Bekannten. Der Vorhang war noch zugezogen, man wartete auf den Kaiser. Nachdem dies eine feine Weile gedauert und mir Zeit gelassen hatte, einen vergleichenden Rückblick auf unsern väterlichen Monarchen zu werfen, der stets die Ordnung selbst war, pünktlich die Stunden einhielt und nie das Publikum oder die Behörden warten ließ, erschallte plötzlich gegen 8 Uhr ein gäher und lauter Trommelwirbel, der die Ankunft des Kaisers verkündete, und ich konnte abermals nicht umhin, dies unfreundliche Getöse mit dem unheimlichen Gerolle zu vergleichen, womit bei uns eine Feuersbrunst, folglich ein Unglück, angekündigt zu werden pflegt. Ach, ein Unglück, und ein großes für uns war ja die Anwesenheit dieses Mannes im Lustschloß unserer Monarchen!

Er kam und setzte sich, ein Komödienbuch in der Hand, in der Loge nieder; hinter ihm standen seine Adjutanten oder wer die Herren waren, einen darunter,[358] General Duroc, nannte mir meine Freundin. Da war er nun, der Erderschütterer, der Mensch, der an allen Thronen Europas gerüttelt, manchen schon umgestürzt, manchen seiner besten Grundfesten beraubt hatte! Was konnte er noch tun wollen, er, dem, wie es schien, nichts unmöglich war, und in dessen absoluten Willen unser aller Geschick gegeben schien?

Das waren meine Gedanken, während ein Akt des Sargines, und dann ein kleines Divertissement vor uns aufgeführt wurde, auf welches meine Seele viel weniger achtete, als auf den Furchtbaren da oben in der Loge – den ein Schuß von geschickter Hand, so wie er sorglos da saß, herabstürzen und somit allen seinen welterobernden Plänen und dem Elend, das er über die Menschheit gebracht hatte und noch bringen konnte, ein Ende hätte machen können. Jener Erfurter, der bald darauf bei einer Revue in Schönbrunn ergriffen wurde, mochte Ähnliches gedacht haben. – Viele – viele Menschen in Deutschland dachten damals ebenso, und jetzt – wo dies unheilbringende Meteor schon lange vor seinem wirklichen Tode einsam erloschen ist, jetzt sehen so viele einen Verfechter der Freiheit, einen Helden der Humanität in ihm, und scheinen alles vergessen zu haben, was sie selbst oder ihre Eltern durch ihn gelitten. Wohl mag sein tragisches Geschick viel zu dieser versöhnenden, mildern Ansicht beigetragen haben. Auch bin ich weit entfernt, das Mitgefühl zu tadeln, das jeden wohlgesinnten Menschen ergreifen muß, wenn er sich diesen Mann, dem einst ganz Europa gehorchte, der


nutu tremefecit olympum,


dessen Willen durch 12–15 Jahre das Gesetz der Welt war, als Gefangenen und als hartgehaltenen,[359] despotisch behandelten Gefangenen seiner erbittertsten Feinde dort auf dem einsamen Eiland, von Weib und Kind getrennt, denkt. – Niemand hat wohl dies sein Geschick und sein Ende mit echterm christlich philosophischem Blick erschaut und geschildert, als Manzoni in seinem Cinque maggio. – Ebensowenig konnte oder kann ich in das Urteil derjenigen einstimmen, welche in Napoleon einen grausamen Tyrannen, einen fühllosen Krieger sahen. Jene Befehle de balayer le pont (nämlich von den Donaubrücken die Verwundeten mit den Toten ins Wasser zu werfen), jene Vergiftung der Pestkranken in St. Jean d'Acre usw. müssen – wenn sie je wahr waren – ihm gewiß nur durch eine zwingende Notwendigkeit, die sein militärisches Genie als solche erkannte, aufgedrungen worden sein. Aber große, unbeschränkte Macht ist eine der gefährlichsten Gaben für den Menschen, und die Klippe, an der meist sein sittliches Gefühl scheitert. Wer tun kann, was er will, tut selten, was er soll – pflegte meine sehr verständige Mutter zu sagen. Das war Napoleons Sünde, und er machte sich ihrer im vollen Maße schuldig; obwohl manche mit dem geistreichen Franzosen Villers glauben, daß er noch mehr wegen des Guten, was er hätte tun können und sollen, und aus selbstsüchtigen Rücksichten zu tun unterließ, anzuklagen sei.

Wie immer diese Beschuldigungen gestellt werden mögen – so viel ist sicher, daß sein Übermut ihn leitete und endlich verleitete, Rußland in seinem furchtbaren Klima aufzusuchen und bezwingen zu wollen. Damals, wie ich ihn so im Theater in der Loge unserer Kaiser sitzen sah, faßte wohl weder ich noch sonst jemand die Möglichkeit, daß es dahin kommen sollte,[360] und ich betrachtete ihn, solange ich dort war, immer mit dem Gefühl innerlichen Hasses. Im ganzen war auch seine Erscheinung nicht ansprechend. Zu klein und zu stämmig, um für gutgewachsen zu gelten, hatte seine Gestalt auch nichts Edles oder Imposantes. Seine Züge – das was eigentlich die Physiognomie bildet, Augen, Stirn, Nase und Mund – waren regelmäßig, das Kinn besonders schön, ganz antik aufgebogen wie an einem Antinouskopfe. Aber diese edlen Lineamente verloren durch die breite Fleischmasse des allzuvollen Gesichts, die sie umgab, und nicht einmal durch einen Backen- oder andern Bart begrenzt wurde, den größten Teil ihres Adels und ihrer Bedeutung. So bekam das Ganze – Gesicht und Figur zusammen – nach meinem Gefühle etwas Gemeines, und ich bedauerte, daß ich die Idee der tiefen und düstern Züge auf dem Kupferstiche, wie er in der Schlacht von Arcole die Fahne ergreift, gegen dieses wohlgenährte Prälatenantlitz vertauschen mußte.

Der Friede war abgeschlossen, die Feinde sollten nun bald abziehen, und schon begann ein, obgleich noch seltener Verkehr zwischen der Stadt und der noch fernen Armee.

Eines Abends trat ich bei Frau von Flies ein. – Welche Freude! Eine österreichische Offiziersschärpe hing über die Lehne des Sofa, und ein kaiserlicher Degen mit dem goldenen und schwarzen Portepee lehnte daneben. Mir ging das Herz in wehmütiger Freude auf. Wie lange hatte mein Auge diese, eben durch die Entfernung so wertgewordenen Abzeichen nicht gesehen! Ohne zu wissen, wem sie gehörte, drückte ich, da ich mich allein im Zimmer befand, die vaterländische Schärpe an meine Lippen, und begrüßte so[361] im Geist das befreundete tapfere Heer in dem unbekannten Einzelwesen.

Ins Kabinett der Frau vom Hause getreten, erblickte ich dieses bald in voller Uniform und erfuhr, daß es ein als Schriftsteller sowie überhaupt als geistreicher Mann ausgezeichneter Preuße, Herr Varnhagen war, der, wie so manche seiner Landsleute, österreichische Dienste genommen und den gegenwärtigen Feldzug mitgemacht hatte, wie denn auch ein Aufsatz von ihm über die Vorfälle desselben erst neuerlich in einem historischen Taschenbuche erschienen ist. Damals war er ein junger Mann, und noch nicht durch seine eigenen und seiner nicht minder berühmten Frau geistsprühende Schriften merkwürdig geworden; aber schon damals war seine Unterhaltung sehr lebhaft und geistvoll, und schon damals sprach sich sein eminentes Talent, Charaktere zu schildern, freilich nur erst in höchst charakteristisch aus Papier ausgeschnittenen Figürchen aus. Denselben Abend waren auch De la Borde und Denon zugegen, und die Stunden verflossen angenehm im Kreise so hochgebildeter Personen.

Endlich verließen die fremden Truppen die Stadt und das Land, und nur wenige blieben in Wien, welche durch irgendein noch zu berichtigendes Geschäft hier aufgehalten wurden. Nun durften wir endlich der Ankunft unsers Kaisers, des Hofes und der langabwesenden Freunde entgegensehen. Welches Wiedersehen nach so vielen Leiden, nach so viel Unglück und Verlust im Vaterlande! Und wie geschah es so ganz anders, als wohl jedermann geglaubt hatte!

Es war am 27. November 1809 an einem trüben Herbstabend, wie sie in dieser Jahreszeit zu sein pflegen, als unser geliebter Kaiser, vermutlich um auf keine[362] Weise Aufsehen zu erregen, in der Husarenuniform seines Regimentes, wie man ihn hier nicht gewöhnlich zu sehen pflegte, nur vom einzigen Grafen Wrbna begleitet, in einer unscheinbaren und, wie man erzählte, sogar bepackten Chaise zum Stubentor, etwa um vier Uhr nachmittags, in die Stadt hereinfuhr. Aber sein Volk erkannte auf der Stelle den geliebten Vater. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht durch die Straßen. – Alles lief zusammen, bald ward der Wagen umringt, und unter lautem Vivatrufen und dem Freudenjubel des Volkes in die Burg begleitet. Ein Franzose von den wenigen Zurückgebliebenen, der am Stephansplatze auf einem Eckstein stehend, dieses Schauspiel mit ansah, soll sich nicht haben enthalten können auszurufen, indem er einem Bürger auf die Achsel klopfte: Braves Volk!

In der Burg angelangt, wo sich schon eine zahllose Menschenmenge zusammengefunden hatte, war das Gedränge an und auf der Treppe so groß, daß sie ihren geliebten Monarchen, wenn er es nur gestattet hätte, auf den Schultern bis in seine Gemächer getragen hätten. Binnen einer Stunde wußte man im ganzen Umkreis der weiten Vorstädte die frohe Kunde, und so wie es ganz dunkel ward, entbrannte – wie in allen Herzen – so auch in allen Fenstern der Stadt und Vorstädte eine – nicht gebotene, nicht vorbereitete, eine wahrhaft aus Liebe und Treue improvisierte Illumination. – Die Leute waren ganz freudetrunken – der Kaiser war wieder da! die Feinde abgezogen – das alte Österreich konnte wieder ins Leben treten! Schwärmer und Raketen, Pöller und Freudenschüsse knallten den ganzen Abend und die Nacht durch die dunkle Luft! Es war ein großer, ein herrlicher Tag – um so größer,[363] um so herrlicher, weil er nicht auf Sieg und Triumph folgte, sondern im Unglück, nach Verlust und Schmerzen die alte Liebe und Treue nur desto glänzender sich erwies.


*


Das unglückliche und doch für Österreich in so vielem Sinne ehrenvolle Jahr 1809 war nun vorüber. Unsers geliebten Kaisers heldenmütiger Bruder hatte den bisher Unbesiegten in einer großen Schlacht überwunden, und unser Österreich hatte, wie Körner in der Schlacht von Aspern bald darauf sang:


Einen Tag und einen Mann!


Es hatte sich starkmütig und kräftig gegen den Feind, in rührender Treue gegen sein Herrscherhaus, und mitten in Bedrängnissen mildtätig und menschenfreundlich auch gegen leidende Feinde gezeigt; es hatte endlich den unerschöpflichen Reichtum seines von Gott gesegneten Bodens durch die Menge von Lebensmitteln bewiesen, welche trotz allem, den Sommer über notwendig gewordenem Verbrauche, bei so zahlreichen Heeren, die in Österreich lagen, und bei der nicht zu vermeidenden Verschwendung, welche dabei statt hatte, jetzt, da die Feinde abgezogen waren, auf unsern Märkten erschienen, gleich als wären gar keine ungebetenen Gäste dagewesen. Aber aller dieser tröstlichen Betrachtungen ungeachtet, blutete es aus zu vielen Wunden, als daß seine Bewohner sich nicht gebeugt, entmutigt und von gerechter Furcht und Sorge für die nächste Zukunft in Rücksicht des Allgemeinen, und somit auch des einzelnen hätten erfüllt sein sollen. Was war nicht schon geschehen! Tirol – das nie zu verschmerzende Tirol – die Lombardie und Venedig, Triest, das Littorale[364] und sogar auch Innerösterreich waren vom Staatskörper abgerissen, und der übriggebliebene Teil mußte bei jedem eroberungslustigen Einfall, der den Übermächtigen und Übermütigen anwandelte, um seine direkten und indirekten Staaten zu vermehren, gewärtig sein, früher oder später in diesen Abgrund einer Universalmonarchie verschlungen und Gott weiß welchem rheinbündischen Fürsten oder welchem Napoleoniden als leichte Beute zugeworfen zu werden! Das waren unsere Aussichten, das waren wenigstens die Möglichkeiten, die – was wohl niemand mit Grund bestreiten konnte – nächstens zu Wahrscheinlichkeiten und dann auch zu Gewißheiten werden konnten. Das war das Schicksal, welches der alten, durch 500 Jahre langsam aus kleinem Anfange aufgekeimten und durch lauter rechtlichen Erwerb, nicht durch blutige Eroberungen zu solcher Größe und Macht emporgewachsenen Monarchie, wie sie unter Maria Theresia und Kaiser Josef und bis ans Ende des achtzehnten Jahrhunderts gewesen, bevorstand.

Wie das alles in mein Herz eingriff, wie es mir alle menschliche Größe und Hoheit, alles menschliche Glück überhaupt als unstet, nichtig und durchaus ungenügend darstellte, kann ich nicht mit Worten ganz erklären. Es war ein tiefes, elegisches Gefühl, das sich nach und nach meiner bemeisterte, mich die Welt mit allen ihren Hoffnungen, Freuden und Bestrebungen wie ein Schattenspiel betrachten machte und an gar kein bleibendes Glück mehr glauben ließ.

Dazu kam noch eine andere Bemerkung, welche jenen Betrachtungen einen Tropfen Bitterkeit mehr beimischte. Obgleich selbst nicht von altadeliger Geburt, hatte doch diese Institution – die Idee des Adels,[365] für mich immer etwas sehr Poetisches und Würdiges gehabt. Gerade weil eine altadelige Geburt etwas war, was keine Industrie, kein merkantilisches Bestreben, keine noch so hochsteigende Eitelkeit den Ringenden geben konnte; weil sie – wie man gewöhnlich zu sagen pflegt – vom Zufall, eigentlich aber von der Hand der Vorsicht jenen geschenkt und diesen auf ewig verweigert wurde, erschien sie mir wie die Gunst der Musen, von der Tasso sagt:


– das, was die Natur allein verleiht,

Was jeglicher Bemühung, jedem Streben

Stets unerreichbar bleibt, was weder Gold,

Noch Schwert, noch Klugheit, noch Beharrlichkeit

Erringen kann.


Auch fand ich für die Nachkommen etwas Erhebendes, Anregendes in der Betrachtung der Verdienste ihrer Ahnen. Es schien mir begeisternd zum Guten, so in einem Saale, in dem die Familiengemälde dem Enkel von den Wänden herab entgegenblickten, und er gleichsam vor den Augen seiner Väter wandelte, sich die Beispiele würdiger Menschen, deren Blut auch in des Enkels Adern wallt, zur Nacheiferung vorzustellen.


Und wenn von unsrer Marmorsäle Wänden

Die Ahnenbilder auf uns niederschaun,

Wie könnten wir ihr Angedenken schänden? – – –


Daß es dennoch oft geschieht, daß so viele Nachkommen großer oder wenigstens würdiger Väter unwürdig und klein handeln, weiß ich wohl, auch daß nicht alle die Herren in Harnischen und Allongeperücken, welche hier und dort in solchen Galerien abgemalt sind, ehrenwerte Männer und nachahmungswürdige Beispiele gewesen; aber das ändert nichts an der allgemeinen Idee des Adels, und benimmt ihm nach meinem Gefühl nichts von dem Poetischen, was er von jeher[366] für mich hatte. Es ging mir in der römischen Geschichte ebenso, und sei es nun die Darstellungsart des Livius, oder eine angeborne Weise zu empfinden – bei mir hatten die Patrizier immer recht gegen die Plebejer. Ich konnte jener Schwester einer Konsulsfrau ihren bürgerlichen Hochmut nicht verzeihen, der im Grunde kein besserer war als der Adelstolz ihrer Schwester, und welcher die Veranlassung gab, daß künftig der eine Konsul stets aus den Plebejern gewählt werden mußte. Auch sah und sehe ich noch nicht ein, daß das stets mehr aufkommende demokratische Prinzip, welches allmählich in Rom immer mächtiger wurde, dem Staate oder der Stadt par excellence (Urbi) zu großem Nutzen gewesen wäre. Es war eben der Gang der Vorsicht mit dem Menschengeschlechte, es mußte so kommen, weil der Zeitgeist sich allmählich mehr entfaltete; aber besser, schöner wenigstens ist es, glaube ich, nicht dadurch geworden.

Es war eben auch dieser Zeitgeist, der bei uns in Österreich durch die langen Kriege, durch die ungeheure Menge des Papiergeldes, durch die Verluste, welche viele höhergestellte Familien an Gütern und Einkünften erlitten, diese bewog, ja zwang, das Übrigbleibende zu veräußern, das dann in die Hände der Industrie, des Handelsstandes, des Gewerbefleißes kam. Besonders fiel mir dies in Oberösterreich, das ich vor nicht langer Zeit besucht hatte, unangenehm auf. Jenes stattliche Haus, das zur Zeit meiner ersten Reise dahin mit meinen Eltern, irgendeiner hochangesehenen Familie gehört hatte, war jetzt das Eigentum eines Gewerbsmannes geworden. Der Herr Fleischer oder Tischlermeister bewohnte nun die prächtigen Gemächer, in welchen früher Freiherrn oder Grafen gehaust hatten,[367] und etablierte einen gewiß nicht geringern Stolz als diese. Jenes gräfliche Schloß gehörte nun einem reichen Kaufmanne, ein anderes war zu einer Fabrik eingerichtet. Aus den Treibhäusern waren die freilich nutzlosen, aber lieblichen Orangenbäume und seltenen Pflanzen verschwunden, und ihre Räume hatten Zuckersiedereien oder Spinnmaschinen aufgenommen. In den Gärten, wo keine mannigfaltigen Blumen mehr das Auge müßig ergötzten, lagen allenfalls die bedruckten Kattunstücke zum Ausbleichen der Krappfarbe am Boden hingebreitet usw. Alles hatte seinen Zweck, seinen Nutzen, alles trug etwas ein. Aber – das Schöne war hinweg aus diesem Leben!

Zu diesen trüben Betrachtungen, welche die am Schönen und Edeln verarmte Gegenwart mir aufdrang, gesellte sich auch noch manches andere Trübe. Werte Freunde, welche sehr oft unser Haus besuchten, wie Herr v. Kirchstättern, Vater vieler Kinder, die er in dieser bedrängten Zeit nur kummervoll ernährte, übrigens ein gebildeter, rechtlicher Mann, den eine lange gegenseitige Achtung mit uns verband, starb um diese Zeit, wohl mitunter aus Sorge und Gram. Bald darauf erfuhren wir aus Ungarn, wohin er mit dem Kriegsarchiv dem Hofe gefolgt war, den Tod des General Gomez, eines sehr würdigen und gelehrten Mannes, der in Wien unser naher Nachbar gewesen war, dessen Haus wir oft besuchten. Noch tiefer aber kränkte uns alle der Verlust eines gar werten, vielseitig gebildeten und unserm ganzen Kreise mit Liebe und Achtung zugewendeten Mannes, eines gewissen Herrn Köderl, der in dem Bücherrevisionsamte angestellt, durch seine rechtliche Gesinnung, durch seinen vielfach gebildeten Geist, durch seine heitere Unbefangenheit, und selbst[368] durch seine offizielle Stellung, die ihn au courant der neuesten Literatur erhielt, uns ungemein wert geworden war, und dessen frühzeitiger Tod, er hatte kaum das dreißigste Jahr überschritten, in unserm ganzen Kreise schmerzlich gefühlt wurde. Endlich noch erhielt Baron Merian, dessen ich schon öfters erwähnt, eine diplomatische Anstellung am Dresdner Hofe und kam daher nicht mehr nach Wien zurück. Ich vermißte seinen so angenehmen als lehrreichen Umgang schwer, und kurz – dies alles trug bei, meine trübe Stimmung zu vermehren.

Dieser Abstand zwischen dem Einst und Jetzt, dies Umsichgreifen und der Übermut der niedrigern Stände, die wachsende Macht ihres eigentlichen Hebels, des Geldes, fing in jener Zeit zuerst an, recht bemerklich zu werden, und hat sich seit diesen fünfundzwanzig Jahren noch unendlich vermehrt. Für meine Art zu denken und zu empfinden, hatte dies alles etwas sehr Niederschlagendes, und diese Stimmung gab sich in meinen damals entstehenden Schriften kund. In dieser Stimmung entwarf ich den Plan zu den »Grafen von Hohenberg«, wozu ich die Szenerie auf vielfältigen Reisen in Ober- und Unterösterreich gesammelt hatte. Pichler hatte nämlich in dieser Epoche fast jährlich eine größere oder kleinere Geschäftsreise in die Gebirge und Wälder unseres Vaterlandes zu machen, er nahm uns alle, meine Mutter, mich und unser Töchterchen mit, und wir genossen so sehr oft das heitere Landleben in den schönsten Gegenden. So sah ich St. Florian, Kremsmünster, den Albensee, Scharnstein, Spital am Pyhrn, Mariazell, Lilienfeld, Hohenberg, Guttenstein usw., und die Bilder dieser Gegenden hatten sich meiner Seele tief eingedrückt. Sie wurden nun der Schauplatz,[369] auf welchem sich die, von mir teils selbstgeschaffenen, teils der vaterländischen Geschichte entnommenen Gestalten sowohl in den Grafen von Hohenberg als in andern meiner Novellen bewegten, und wozu eben diese Geschichte den Hintergrund bildete. Eine unglücksvolle Epoche hatte ich mit Fleiß gewählt, die Zeit, wo die Kinder K. Albrecht des Ersten, vor allen die ungarische Königin Agnes Blutrache wegen der Ermordung ihres Vaters an vielen edlen Familien nahmen, und diese düstere Färbung, sowie sie über jener Epoche und jetzt auch in meiner Seele waltete, verbreitete sich über das ganze Gedicht. Keine Neigung blieb verschont, kein noch so zufriedenes Verhältnis ungestört. Es hatte sich mir aus den Erfahrungen jener traurigen Zeit der Glauben aufgedrungen, daß es hiernieden kein wahres Glück gebe; daß unsere edelsten Freuden nur Täuschungen seien und alles uns auf Jenseits hinweise. Dieses Glaubensbekenntnis sprach sich am vollständigsten in dem Liede aus, welches Agnes singt:


Was weinst du Pilger dieser Erden,

Drückt dich des heißen Tages Last?

– – O blick' auf dich, auf deine Brüder,

Wer ist denn glücklich? frag ich dich. – –

– – Und dennoch schwebt im Sonnenscheine

Ein reizend Bild vor unserm Blick. – –


In der Gestalt der schönsten Triebe

Schwebt es der heitern Jugend vor,

Es zeigt als Freundschaft sich, als Liebe,

Es lockt uns noch durch heiße Triebe,

Und zieht uns von der Erd' empor.


Wie mutig folgen wir den Winken,

Wie reich an innrer Seligkeit!

Wir sehn im Tau die Blume blinken,

Wir pflücken sie – die Blätter sinken

Zerstört vom Hauch der Wirklichkeit.
[370]

Verblichen ist die Glut der Farben,

Entflohn des Duftes zarter Geist –


O murre nicht – nicht zum Genießen

Sind wir in diese Welt gesandt. –


Dorthin, dorthin geht das Verlangen,

Dort wird uns unser Wünschen klar,

Dort sehn wir unsre Blumen prangen,

Dort wird kein Hoffen hintergangen,

Wo alles ewig ist und wahr.


In diesem Liede sprach sich mein damaliges innerstes Gefühl aus, und es ist der rechte Schlüssel zu dem ganzen Roman.

Ähnliche Ansichten, nur in einer etwas veränderten Richtung, gaben mir die Idee zur Erzählung: Alt und neuer Sinn. Es war der grelle Kontrast zwischen der treuherzigen, frommen, einfachen Vorzeit und der rastlos strebenden, ungläubigen, nie gesättigten Gegenwart. Die wirklichen Ereignisse, daß so manche unserer Güterbesitzer bei dem Aufrufe der Landwehr ihre Untertanen bewaffnet und sich an ihre Spitze gestellt hatten, boten mir willkommene Verflechtungen. So entstand jene Erzählung, in welcher Cäcilie die neue Sinnesart gegenüber der alten Blankenwerths darstellte und beide in dem Konflikt zugrunde gehen, wo denn zuletzt Gewerbefleiß und Fabrikswesen sich das Besitztum ritterlicher Vorgänger aneignen. Ohne es zu ahnen, hatte ich mit dieser Novelle das Wohlwollen und höhere Interesse einer verdienstvollen Dame, der Gräfin C**y, gewonnen. Ihr Gemahl, ein schöner, jugendlicher und zufälligerweise wie Blankenwerth blonder Mann, dessen Besitzungen tief im Gebirge lagen, war ebenfalls in jenem verhängnisvollen Jahre 1809 zur Landwehr gegangen, hatte sich sehr wacker gehalten, und war bei Raab geblieben. Als ich ein paar Jahre[371] darauf nach Lilienfeld und Mariazell reiste, lernte ich diese Frau kennen, welche in jener Erzählung eine Art Verklärung ihres tapfern Gemahls gefunden hatte und mir darum recht gut geworden war.

Auf diese und ähnliche Weise hatten mir meine Schriften manches wohlgeneigte Herz in der Nähe und Ferne gewonnen, und was mich stets am meisten freute, es war sehr oft nicht sowohl die Schriftstellerin als das weibliche Gemüt, die Frau selbst, was man in meinen Schriften achtete und mit Wohlwollen auffaßte. Das war und ist ein schöner Gewinn, der mir durch Gottes Gnade, nebst dem unsäglichen Vergnügen, welches mir die Ausübung meines Talentes gewährte, noch darüber zuteil ward.

Während ich noch, zwischen Wehmut über die Vergangenheit und Sorge für die Zukunft befangen, an den Grafen von Hohenberg arbeitete, und eine schwermütige Freude darin fand, mich in die Leiden und Schmerzen, Entsagungen und Enttäuschungen dieser Geschöpfe meiner Einbildungskraft zu versenken, zugleich die Bilder jener himmlisch schönen Gegenden von Guttenstein, Scharnstein, Lilienfeld, dem Albensee usw. wieder lebhaft zurückzurufen und den Eindruck zu schildern, mit dem ihre halbwilden, halbdüstern Reize mich selbst berührt hatten, als ich sie das erstemal sah, erschütterte plötzlich eine ebenso folgenreiche als unerwartete Neuigkeit ganz Wien, ganz Österreich, ja wohl ganz Europa. Napoleon ließ um die Tochter unsers Kaisers werben. Maréchal Berthier war auf dem Wege nach Wien, und mit Erstaunen, mit ängstlicher Freude und furchtsamer Hoffnung sah jedermann diesem Ereignisse und seinen möglichen Folgen entgegen.[372]

General Berthier kam an – die Werbung geschah in aller Form. Feste folgten bei Hofe auf Feste. Die damalige Kaiserin Maria Ludovica wußte durch ihren Geist, ihre Anmut und durch die sorgfältigsten Toiletten den Maréchal so zu bezaubern und zu stimmen, daß er bei seiner Abreise soll gesagt haben: Es sei Zeit, daß er von Wien wegkomme. In der Augustinerkirche geschah die feierliche Trauung, wobei unser hochverehrter Erzherzog Karl statt des entfernten Bräutigams, die Hand der Braut, seiner Nichte, empfing. – Er, der Sieger von Aspern, der zuerst den Nieüberwundenen zum Weichen gezwungen hatte, sollte nun das Band besiegeln helfen, was jenen Gewaltigen an das Erzhaus binden, und diesem entweder Frieden und Glück oder noch ärgere Sklaverei bereiten konnte!!

Vergeblich würde ich es versuchen, die gemischten, streitenden, ja peinlichen Empfindungen zu schildern, welche mich ergriffen, als ich bei dem freien Ballfeste, das bei dieser Gelegenheit in den k.k. Redoutensälen mit großer Pracht gegeben wurde, zuerst wieder in diesen Saal trat, wo vor zehn, elf Monaten, vor dem Ausbruch des unseligen Krieges, die Landwehrlieder unsers Freundes Collin bei gedrängt vollem Hause waren gesungen und in jeder österreichischen, jeder deutschen Brust Haß und mutiger Widerstand gegen Frankreichs Übermacht und Übermut war entflammt worden. Jetzt war eben dieser Saal auf einer Seite mit Fahnen und Drapperien in Österreichs Farben, auf der andern Seite mit Trikolor verziert. Dieses Zeichen, das Erfahrung, Nachdenken und jeder Blick um uns her uns Jahren als das unglückbringendste für uns und die ganze Welt hatte ansehen gelehrt! Nun schwebten diese Farben über unsern Häuptern, dicht neben den verehrten[373] vaterländischen, und wie lange? – wie lange? – wird uns, so konnte man wohl, ohne eben allzu große Furchtsamkeit, mit Recht denken, wie lange wird uns der Allgewaltige wohl noch gestatten, diese Farben zu verehren und als das Palladium des Volksglücks unter dem Szepter unserer angestammten Fürsten zu behalten? Daß solche Betrachtungen nicht sehr geeignet waren, um jene fröhliche Stimmung zu erzeugen, die sich für einen Ball schickte, ist wohl natürlich. Indessen, sowie ich bereits über die Jahre hinaus war, in denen man zu tanzen pflegt, so war auch überhaupt das Tanzen auf der Redoute nicht mehr Sitte, und man betrachtete ein solches Fest nur als eine große Reunion, wo man in zierlich geschmückten und erleuchteten Sälen während einer Tanzmusik, auf die übrigens niemand oder nur wenige achteten, herumspazierte, seine Bekannten sah, Anzüge betrachtete und musterte, Glossen machte, und sich gut oder nicht gut unterhielt, je nachdem es sich traf. Eine der besten Unterhaltungen bot bei solchen Gelegenheiten die Erscheinung des kaiserlichen Hofes mit seinem Gefolge von Kavalieren und Damen. Diesmal führte unser geliebter Kaiser den Zug an, an seinem Arme die jugendliche Braut des Helden der Zeit; ihnen folgte an Erzherzog Karls Arme die Kaiserin Maria Ludovica; hinter diesen die übrigen Prinzen des Hauses, den Patriarchen desselben, Herzog Albrecht von Sachsen-Teschen, mitten unter ihnen. Auch diesmal war, wie ich es schon bei der ersten Vermählung unsers Kaisers mit der Prinzessin Elisabeth von Württemberg bemerkt hatte, die Braut, welche doch an diesem Tage die größte Aufmerksamkeit erregen mußte, durchaus nicht die anziehendste Gestalt. Damals verdunkelte die zwar nicht mehr jugendliche,[374] aber durch ihre edlen Formen und den geistvollen Ausdruck derselben, sowie durch einen sehr wohlgewählten Anzug, noch immer sehr schöne Erzherzogin Christina die blasse und viel unscheinbarere Braut. Bei dem gegenwärtigen Fest übertraf die Kaiserin, obwohl nicht regelmäßig schön und älter, kränklicher als die blühende Braut, diese doch durch Anmut der Bewegungen, vorteilhaften Anzug und eine Majestät der Haltung, welche bei dieser nicht großen Gestalt doppelt überraschend war. Daß der mindere Glanz der Braut großenteils von einer unvorteilhaften Art sich zu kleiden und ihrer Schüchternheit herrührte, erwies sich später. Man erzählte allgemein, daß, wie sie in Braunau, wo das ihr entgegengesandte französische Gefolge sie erwartet hatte und sie von den französischen Zofen in einem Nebengemach umgekleidet worden war, in dem von Paris mitgebrachten Anzug und Schmuck wieder heraustrat, sie als eine ganz andere Person erschien. Wohl mochte die innere Sicherheit, der Gedanke: nun die erste und höchste Monarchin in Europa zu sein, viel beitragen, die jugendliche Gestalt zu erheben und den blühenden Kopf aufzurichten; daß aber an der Wahl und Umsicht beim Anzug gar viel gelegen ist, wird keine Frau bestreiten. Später – nach dem Zusammensturz ihres so blendenden Glückes – sah ich diese Prinzessin in Lilienfeld wieder und mußte gestehen, daß sie in Haltung und Anstand ungemein gewonnen hatte.

Doch ich kehre zu dem Faden der Erzählung zurück. Unser Vaterland war also mit Frankreich verbündet – die Tochter unsers Kaisers saß an des mächtigsten Monarchen, an Napoleons Seite, auf dem Thron dieses Reiches, und nach den gewöhnlichen Berechnungen[375] hätten wir uns nun Ruhe und ungestörten Genuß im Besitz dessen, was dem österreichischen Kaisertume nach so vielen Losreißungen geblieben, und allerdings eine bedeutende Macht zu nennen war, versprechen können. Aber war sich bei Napoleons rastlosstrebendem Eroberungsgeist, bei dem militärischen Genie, das er besaß und welches ihm das Kriegführen und Überwinden zu einer Lieblingsbeschäftigung machen mußte, und bei den ungeheuern Mitteln, die ihm zu Gebote standen, wohl Ruhe und bleibende Sicherheit zu versprechen!

Unglückverkündend und im Rückblick auf das traurige Geschick der Königin Antoinette höchst ominös war der Brand des Tanzsaales bei dem Fest, das unser Gesandter Fürst Karl von Schwarzenberg dem kaiserlichen Paare mit großer Pracht und ausgesuchtem Geschmack gab. Schon bei Gelegenheit jener Hochzeitsfeierlichkeiten unter Ludwig XVI. war ein ähnliches Unglück entstanden, und diese Wiederholung desselben Zufalls bei gleicher Veranlassung warf ahnungsvolle Besorgnisse in manche Herzen. Sehr lebendig und schön geschildert hat eben jener Herr Varnhagen, dessen weiter oben Meldung geschehen, dieses Fest mit allen seinen Schrecken und einzelnen erhebenden Momenten im Raumerschen Taschenbuch. Varnhagen war damals Adjutant des Fürsten, daher ein glaubwürdiger Augenzeuge all dieser Auftritte. Nicht ohne erhebendes Gefühl liest man in dieser Schilderung neben allen den entsetzlichen Ereignissen die einzelnen Beweise von Mut, Aufopferung, Pflichtgefühl – das Schicksal der Fürstin von Schwarzenberg, die ein Opfer ihrer Mutterliebe ward, und das Betragen des Kaisers Napoleon selbst, das sich ebenso besonnen und würdig, als voll[376] Rücksicht auf seine eben angetraute Gemahlin aussprach.

Der folgende Sommer verging wie mancher frühere für mich in stillem Genuß häuslicher Zufriedenheit, im Umgang mit werten Freunden und kleinen Reisen in die schönen Gebirgsgegenden. So waren wir noch im Anfange des Oktobers zum zweitenmal in Guttenstein, und ich sah mit Vergnügen die Plätze wieder, die ich schon ein paar Jahre früher besucht und wo ich einen großen Schrecken bei dem Muckendorfer Wasserfall erlebt hatte. Dieser Auftritt, bei welchem nur Gottes sichtbar einwirkende Gnade mich vor dem furchtbaren Jammer, Gemahl und Kind in einem Augenblicke zu verlieren, bewahrt hatte, ist mir von jeher zu entsetzlich, zu ergreifend gewesen, als daß ich auch jetzt noch, nach mehr als dreißig Jahren imstande wäre, ihn in diesen Blättern zu schildern. Erzählen konnte ich ihn nur mit der größten Erschütterung des Gemütes, tat es daher fast nie, und nur meine innige Freundin, die mir nun auch schon lange ins bessere Leben vorangegangen ist, Fräulein Therese von Artner, hat in einer schönen Romanze, welche ihr die Liebe für mich eingegeben, diesen entsetzlichen Vorfall geschildert.

Man hat – wenn es erlaubt ist, so Kleines, wie meine Erlebnisse, mit den Ereignissen in dem Leben eines der glänzendsten Monarchen in Vergleich zu stellen – man hat öfters schon die Rettungsgeschichte unsers Kaisers Max I. auf der Martinswand für ein Märchen, eine poetische Sage usw. erklären wollen, weil sie sich unter den Abenteuern des Kaisers, welche er selbst im Teuerdank erzählt, und in welchem seine bösen Gesellen, der Neidthart Fürwittig und Unfalo[377] ihn in allerlei Gefahren bringen, nicht vorfindet. Dies ist wahr; aber ist es wohl erlaubt, aus der Nichtberührung dieses Abenteuers auf das Nichtvorhandensein desselben notwendig zu schließen? Kann nicht ein Schauer, der den höchst gemütsreichen letzten Ritter bei der Erinnerung an jene Gefahr ergriff, die Ursache dieses Verschweigens sein? Kann nicht – ich glaube, Baron Hormayr hat Ähnliches irgendwo geäußert – eine Art heiliger Scheu ihn abgehalten haben, dies geheimnisvolle Begegnis profanen, vielleicht ungläubigen Ohren mitzuteilen; es möge nun jenes rettende Wesen ein wirklicher, von Gott gesendeter Engel – denn die Erhaltung dieses Fürsten war allerdings dignus vindice nodus – oder ein auf wunderbare Weise auftretender Bergknappe gewesen sein. Wie gesagt, ich glaube in meiner Scheu vor dem Er zählen jenes Vorfalls am Muckendorfer Wasserfall eine natürliche Erklärung von Kaiser Maxens Schweigen über den so ungleich wichtigern und verhängnisvollern Vorfall an der Martinswand zu erkennen.

Aber unsere Zeit ist so über alle Maßen skeptisch und nüchtern, hat so ausschließend nur für das Reelle, Handgreifliche, Nutzbare Sinn, daß alles, was sich nicht in diese Kategorien bringen läßt, für sie nicht allein keinen Wert hat, ja, daß es von ihr gar nicht mehr erfaßt werden kann. In dieser Tendenz zum Realen übt sich nun auch die historische Kritik mit schonungsloser Schärfe, verdächtigt Überlieferungen, an deren erhebendem, menschlich schönem Inhalt seit Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden die Welt mit Liebe und Glauben hing, z.B. in den ersten Büchern der römischen Geschichte, oder zieht den trojanischen Krieg – wie ich aus einer Rezension in den »Blättern[378] für Literar. Unterhaltung, Dezember 1836« gesehen – von seiner glanzvollen Höhe, auf der er der Welt geleuchtet, herunter, und sucht ihn zu einer unbedeutenden, halb wahren, halb erlogenen Expedition einer oder einiger kleinen griechischen Völkerschaften zu machen. Ebenso, nur weit verderblicher und darum verabscheuungswürdiger mag auch das, jetzt in vielen kritischen Blättern besprochene Leben Jesu von Strauß sein. Ich habe es so wenig als Uscholds trojanischen Krieg oder Herrn von Niebuhrs römische Geschichte gelesen. Aber ich habe in meiner Jugend das Buch des berühmten oder berüchtigten Dr. Bahrdt: Die Bibel im Volkston, wohl gekannt, welches sich mit vielem Scharfsinn und großer Anstrengung Mühe gibt, alles Wunderbare, Göttliche aus der Person und den Taten Jesu Christi hinweg zu deuteln und alles ganz natürlich zu erklären. Zu welchen abenteuerlichen, teils lächerlichen, teils ganz unstatthaften Voraussetzungen und Erfindungen Bahrdt deshalb seine Zuflucht nehmen mußte, leuchtet wohl jedem unbefangenen und christlich gesinnten Menschen ein; aber das Buch machte gewaltig viel Aufsehen. Mir schien es aber schon damals, daß jene sogenannten Erklärungen und Vernatürlichungen der Wunder etwas noch viel Wunderbareres als die wirklichen Mirakel, nämlich ein ganz unwahrscheinliches Zusammentreffen der seltsamsten Umstände, eine unbegreifliche Betörung und Befangenheit der Zuseher, und endlich einen Grad von Geistesgewandtheit, Schlauheit und Bildung voraussetzen, der sich bei einfachen Fischern und Leuten aus den niedrigsten Ständen gar nicht denken läßt. Es ist – so dünkt es mich – mit diesem Wegerklären des Wunderbaren wie mit der Beobachtung der drei dramatischen Einheiten[379] auf der Bühne, wo denn auch, um ja dem Zuseher keine Versetzung seiner Gedanken an einen andern Ort, oder keinen Glauben an eine längere vergangene Zeit zuzumuten, man ihm aufbürdet, zu glauben, daß z.B. eine Verschwörung auf öffentlicher Straße entsponnen werde, der Vater sich über die innersten Angelegenheiten seiner Familie in einem Vorsaale aussprechen oder die totale Sinnesänderung eines verkehrten Menschen binnen 24 Stunden stattfinden könne.


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So ging denn das Jahr 1810 zu Ende, und das, in so vieler Hinsicht merkwürdige von 1811 brach an.

Schon im März ward es durch zwei folgenschwere, obgleich unter sich sehr verschiedne Ereignisse bezeichnet, die Geburt des damaligen Königs von Rom, bei uns später der Herzog von Reichstadt genannt, und die unselige Skala, die zwar mit einem Gewaltstreich vielen Verlegenheiten der Staaten abhalf, auch das Los der Beamten und aller vom Staate Salerierten bedeutend verbesserte, aber auch manche rechtliche Familie zum Teil oder gänzlich um ihr Vermögen brachte. Auch das unsrige litt bedeutenden Verlust, sowohl damals als späterhin, da selbst Kapitalien, die lange vor jeder Entwertung der Bankozettel in den Jahren 1797 oder 1798 angelegt worden waren, uns zwanzig Jahre später in Einlösscheinen zurückgezahlt wurden, wogegen dann keine Protestation geholfen hätte, weil das Patent ausgesprochen hatte: Einlösscheine sind Konventionsmünze.

Doch über das alles ist damals genug geklagt, räsonniert, gebeten, versucht worden, die Ansprüche blieben[380] stehen – das Geld war verloren und nun haben einige zwanzig Jahre jene Wunden vernarbt oder die verletzten Herzen ruhen längst im kühlen Grab.

Bei Hofe und überall war bedeutende Freude über die Geburt jenes Prinzen, und Baron Tettenborn, der im forcierten Kurierritt diese frohe Nachrichten in 8 oder 9 Tagen von Paris nach Wien brachte, war mit seiner Neuigkeit und dem Erstaunen über seine kühne Reise durch mehrere Tage der Gegenstand aller Gespräche.

Der heiße Sommer kam nun und brachte mir allerlei Angenehmes und Unangenehmes, ja Schmerzliches. Die innig von mir verehrte Frau von Schlegel hatte sich für den Sommer eine Gartenwohnung in unserer Nachbarschaft genommen; wir sahen uns oft, und unsere Kinder, Philipp Veit, damals ein hübscher Junge von etwa 16–17 Jahren, und meine Tochter, ungefähr 13 oder 14 Jahre alt, trieben sich im Garten spielend und scherzend umher. Welche Veränderung bis jetzt! Veit ist ein berühmter Maler geworden und ist Vater von sechs Kindern – meine Tochter ist Witwe und Mutter von fünf Kindern, von denen ihr Gott drei ließ, welche unser Alter verschönern. –

Unsere Freundinnen, Baronin Richler und ihre Schwestern, brachten den Sommer in Döbling zu. Die jüngste, Nanette, hatte schon lange gekränkelt – als Folge einer schwächlichen Konstitution und mancher geheimen Kränkung, welche ihr die Untreue eines Mannes verursacht, der um mehrere Jahre jünger als sie, sie im Anfang mit jugendlicher Leidenschaft umfaßt, und endlich um einer jüngeren und sehr schönen, genauen Freundin Nanettens willen verlassen hatte. – Es war eben auch eine Sapphogeschichte, wie sie nur zu gewöhnlich vorfallen; wo die Verirrung einer[381] jugendlichen Phantasie mit der Zeit der natürlichen Wirkung der Jugend und Wohlgestalt weichen muß. Noch während Nanette mit ziemlich schnellen Schritten dem Grabe zueilte, entriß ganz unvermutet eine heftige plötzliche Krankheit uns einen andern bewährten und unvergeßlichen Freund, Heinrich von Collin, der seit seinem ersten Auftreten in der literarischen Welt in dieser sowohl als in seinen amtlichen Beziehungen eine glänzende Karriere gemacht hatte, Hofrat und Leopoldordensritter geworden war. Der amtliche Fleiß, die Geistesanstrengung, welche durch doppelte Richtung – als Dichter und Geschäftsmann – seine Kräfte in zu großen Anspruch nahm, hatten seine Natur erschüttert, und einer gefährlichen Krankheit, einem Nervenfieber, das ihn im Juli dieses Jahres befiel, nur zu leichtes Spiel gemacht. Es war ein heißer Sommernachmittag, als er von Schlegel – die damals unweit von uns in einem Garten wohnten – zu uns herüber kam und sich Wasser in einem gewissen gläsernen Kruge, den er wohl kannte und öfters bei uns daraus zu trinken pflegte, ausbat. Ich goß es ihm mit Himbeersaft ab, er ruhte eine Weile bei uns, erfrischte sich mit dem Tranke, klagte aber sehr über Unbehaglichkeit und Mattigkeit. Es war das letzte Mal, daß wir ihn sahen. In einigen Tagen ergriff ihn die Krankheit mit voller Macht, und am 29., wenn ich nicht irre, trat die gute Schlegel mit sehr ernster Miene Nachmittag in mein Zimmer, und bereitete mich schonend und vorsichtig auf die schmerzliche Nachricht seines Todes vor. So hatte ich, wie alle, das Vaterland den trefflichen Mann, den ausgezeichneten Dichter, den tüchtigen Staatsbeamten, den teilnehmenden, treuen, rechtlichen Freund verloren! Er wurde allgemein bedauert;[382] die Lücke, welche er in unserm Kreise gelassen, ist nicht mehr ausgefüllt worden, wie denn überhaupt nie ein Mensch durch einen andern, der an seine Stelle tritt, im rechten Sinne ersetzt werden kann.

Bald nach Collins Tode endete denn auch Nanette Porta, und hinterließ ihre beiden ältern Schwestern in tiefer Trauer und uns alle in Wehmut um sie. Es war ein ausgezeichnetes Mädchen, voll Geist und Lebhaftigkeit, und ihr Verlust in unserm geselligen Kreise sehr empfunden.

Indessen ging die Welt draußen um uns her ihren vielbewegten, stürmischen Gang fort; denn an ihrer Spitze stand der gewaltigste und unruhigste Geist dieses Jahrhunderts, Napoleon, der alles mit der Macht seines Genies und Ehrgeizes aufregte und durcheinander trieb. Mit Recht sah man täglich neuen Gewittern und Stürmen entgegen, die zwar noch nicht an unserm Horizonte aufgestiegen waren, auf die aber jeder, der die Zeit kannte und nur etwas Voraussicht hatte, sich mit der größten Wahrscheinlichkeit vorbereiten durfte, und vor welchen – so glaubten auch die Vernünftigsten – uns selbst weder die Vermählung mit der Tochter der Cäsaren noch die Geburt des Enkels unsers Monarchen schützen würde, wenn es dem gewaltigen Geiste gefiele, Österreich zu einem seiner direkten oder indirekten Staaten zu machen. In einem Sinne hatten diese Propheten richtig geraten; daß es gerade der entgegengesetzte war, ließ damals in Österreich, ja in Europa sich kein Mensch träumen, vielleicht selbst Talleyrand nicht, der den Marsch nach Rußland im folgenden Jahre: Le commencement de la fin genannt haben soll.


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[383]

In diesem Sommer, der uns so manchen Verlust gebracht und in Rücksicht der unausstehlichen Hitze so manche Freude verdorben hatte, fehlte es doch an kleinen Unterhaltungen nicht. Ich hatte Gelegenheit, interessante Fremde kennen zu lernen – Wilhelm v. Humboldt mit seiner Frau, einer höchst geistreichen Dame, die ich bei Schlegel kennen lernte, die sich aber, weiß Gott warum? gegen mich äußerst schroff benahm, und, so wie auch ihr Mann, in dem übrigens sehr kleinen Kreise desselben Abends, unter höchstens 8–10 Personen, mich auf eine auffallende Art ignorieren zu wollen das Ansehen hatte. Nie habe ich erfahren, woher diese übersehende, ja ganz unfreundliche Behandlung kam, da ich sonst (ich darf das sagen, ohne daß man es mir als Ruhmredigkeit auslege) gewohnt war, wenigstens, wenn man mich nicht kannte, mit der gegen Unbekannte gewöhnlichen Höflichkeit, und wenn ich genannt wurde, mit Auszeichnung behandelt zu werden. Diesmal war es anders, und vergebens habe ich nachgesonnen, was wohl die Ursache davon habe sein können, da ich Herrn und Frau von Humboldt jenen Abend zum erstenmal in meinem Leben gesehen hatte.

Zur selben Zeit wohnte auch eine Freundin der Frau von Schlegel, eine Madame Herz aus Berlin, auf einige Zeit bei ihr, eine sehr majestätische, und hätte man sie durch ein Verkleinerungsglas betrachten können, wirklich schöne, dabei geistvolle, freundliche, gebildete Frau, mit der ich manche vergnügte Stunde zugebracht. Durch sie erfuhren wir eine sehr komische Anekdote von dem berühmten Romandichter Lafontaine, der auch dazumal im Sommer 1811 nach Wien gekommen war, den wir aber, Schlegel und ich, nicht[384] kennen lernten, weil er sich bei keinem von uns aufführen ließ. Seine Lieblingsbeschäftigung war es, sich im sogenannten Wurstelprater bei den Schenken, Schaukeln, Pulcinellen usw. herumzutreiben, das Volk in seiner Fröhlichkeit dort zu betrachten, und vielleicht manche psychologische Bemerkung zu machen. In die feinen Gesellschaften ging er nicht, in keinem von allen mir bekannten Häusern hatte er Zutritt gesucht. Aber ein paar Damen, welche seine Romane mit großer Erhebung und Rührung (wie mehr oder minder wohl wir alle vor 30–40 Jahren) gelesen hatten, und nach ihrem Ton und ihrer Tendenz in dem Autor einen zarten, feinen, vielleicht zierlichen, gewiß aber sehr anziehenden Gesellschafter zu finden glaubten, ließen ihn zum Tee bitten, und freuten sich schon sehr auf den genußreichen Abend mit dem Verfasser so rührender, zärtlicher Dichtungen. Es war ein heißer Tag in Mitte des heißen Sommers – es wurde 7, halb 8, 8 Uhr – eine für jene Zeit viel zu späte Stunde, um zum Tee zu erscheinen. – Lafontaine ließ sich noch immer erwarten. Endlich um halb 9 Uhr trat ein mittelgroßer, sehr korpulenter, sehr abgeschwitzter Herr ein, es war der erwartete Dichter, der sich in einemfort den Schweiß abtrocknete, über die Hitze klagte, sich statt des Tees und der Konfitüren – ein Glas Bier ausbat, und mit großer Lust statt von zarten und erhabenen Dingen, wie wohl erwartet worden war, von dem Vergnügen sprach, das ihm der obengenannte Wurstelprater geboten. Wie waren die Damen von ihrer ätherischen Höhe herabgestürzt!

Bald darauf erschien, nicht hier auf Erden, aber am nordwestlichen Himmel, ein schimmernder und merkwürdiger Fremdling, der große Komet von 1811 –[385] und eine übermäßige Hitze ging seiner Erscheinung bevor, begleitete sie und dauerte mit verhältnismäßiger Abstufung bis gegen den November. Viele Brunnen versiegten, die Ernte war mittelmäßig, der Wein aber trefflich. Mir war die Hitze peinlich, übrigens aber der Anblick des fremdartigen und schönen Gestirns, das seinen lichthellen Schweif über einen bedeutenden Teil des Abendhimmels erstreckte, und das ich aus meinem Fenster oft mit Vergnügen betrachtete, anziehend und angenehm zugleich. Nicht alle Menschen teilten dies Vergnügen mit mir. Es gab ihrer, und sehr geistreiche, welchen der Anblick des Sternes Unglück weissagend erschien, und die sich daher vor ihm fürchteten. Zu streiten ist über solche Ansichten nicht, denn Gründe finden hier keinen Eingang. – Hätte aber jener Himmelskörper wirklich ein allgemeines Unglück bedeuten sollen, so waren wenigstens wir Deutsche es nicht; denn die Schrecken des bald darauf unternommenen Feldzugs von 1812 trafen uns nur in wenigen einzelnen, welche sich eben unter der französischen Armee befanden, und vielmehr wurde das Unglück jener Campagne der Grund und die Wurzel, aus welchen sich die Befreiung unseres Vaterlandes im Jahre 1813 entwickelte.


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Im Anfang dieses Winters erhielt ich von unserm Freunde Merian in Dresden, mit dem ich fleißig korrespondierte, einen Brief, welcher mir die baldige Ankunft eines jungen und sehr bedeutenden, sehr hoffnungsvollen Dichters, Herrn Theodor Körners, verhieß, und mich mit vielem Lobe auf diese neue Erscheinung aufmerksam machte. Körner sollte sich[386] mittelst eines andern Briefes von ihm bei mir einführen; aber er kam nicht. – Ich hörte von andern Leuten, daß er hier und sehr viel mit Schauspielern sei, wie denn auch einige kleine Stücke von ihm: Die Braut, der grüne Domino usw. aufgeführt wurden. Ich hatte ihn noch nicht gesehen, so sehr ich es wünschte, und nur in einer der Vorlesungen über die neuere Geschichte, welche Friedrich Schlegel damals im Saale beim »römischen Kaiser« hielt, zeigte mir ihn Frau von Weissenthurn von weitem. Es war eine hohe, schlanke, kräftige Jünglingsgestalt, nicht eben mit schönen, aber sehr bedeutenden Zügen, lebhaften blauen Augen bei ganz dunklem Haar und in einem etwas vernachlässigten Anzug. Nicht lange darauf erzählte man sich, daß er ein zärtliches Verhältnis mit einer unserer damaligen ersten Schauspielerinnen, Mlle. Adamberger habe, welche mit einer schönen Gestalt, einem liebenswürdigen heitern Umgang und einem großen theatralischen Talent, eine so strenge Sittlichkeit, eine so höchst vorsichtige Aufführung verband, daß man sie allgemein eben so sehr bewunderte als hochachtete, ja, die jungen Herren, welche sich ihr, als einer Schauspielerin, ohne große Umsicht nähern zu dürfen glaubten, wurden auf eine Art von ihrer Tante, bei der sie mit ihren Geschwistern lebte, empfangen, daß man ihr den Titel: le dragon de vertu gab.

Dieses Mädchen nun, das in so vieler Rücksicht glänzend vor den Bewohnern Wiens dastand, liebte der junge Mann, der ebenfalls eine leuchtende Erscheinung in seiner Art, nun zum erstenmal so bedeutend im Publikum auftrat. Hedwig wurde gegeben – Toni (Fräulein Adamberger) gab diese Hauptrolle, und man konnte wohl erkennen, daß die Liebe des Dichters diesen[387] Charakter mit einer Verklärung von Kraft, weiblicher Würde, Geist und Edelmut umgeben hatte, die eigentlich das Werk seiner Leidenschaft und Phantasie war; dennoch aber mit dem Charakter Antoniens – wie er damals vor der Welt erschien – viele ähnliche Grundzüge hatte.

Das Stück, etwas grell und ans Schauderhafte streifend – welcher Geschmack schon zu jener Zeit sich hier und dort in Dichterwerken wie die Schuld, der vierundzwanzigste Februar usw. zu zeigen anfing – fand sehr viel Beifall, und Antonie erntete für ihr Spiel wohl eben so viel Lob, als ihr Dichter für sein Werk.

Alles dies hatte mich denn ebenso gespannt auf die persönliche Bekanntschaft des jungen Mannes, als wirklich ungehalten auf seine Vernachlässigung meiner gemacht. So ließ ich ihm denn einmal durch Kurländer, der als Theaterdichter in mannigfachen Berührungen mit Körner stand, sagen: Wenn er mich nicht besuchen wolle – so müßte ich es mir gefallen lassen; aber ich bäte ihn nur, mir durch Kurländer den Brief meines Freundes Merian zu schicken, den ich nicht missen wollte. Das wirkte endlich – und an einem regnerischen Frühlingsnachmittag, wo ich mit meiner Tochter und noch einem jungen Mädchen, das ich damals als ein Mittelding zwischen Gesellschafterin und Kammerjungfer ins Haus genommen hatte, beisammen saß, meldete man mir Herrn Körner. Die Mädchen, welche einem Gelehrten nicht gern begegneten, flohen ins andere Zimmer, und ließen mich allein den Besuch eines Mannes annehmen, von dessen Dichtergeist ich wohl eine günstige Vorstellung, dafür aber eine geringere von seiner Lebensart überhaupt oder wenigstens von seiner Achtung für mich hatte. Dennoch kam es ganz anders,[388] und nur selten in meinem langen Leben hatte die erste Stunde des Beisammenseins mit einem vorher ganz Unbekannten so schnell alles Fremde von beiden Seiten abgestreift, eine sehr gemütliche Annäherung bewirkt wie zwischen Körner und mir, ungeachtet des großen Unterschiedes im Alter. Er blieb lange, er erzählte mir eine Menge aus seinem Leben, seinen häuslichen Verhältnissen; er brachte komische Anekdoten vor, ich mußte herzlich lachen, Körner lachte mit, und die Mädchen im Nebenzimmer verwunderten sich über den seltsamen Besuch, bei dem es so viel zu lachen gab.

Von nun an war er heimisch bei uns geworden. Er kam oft, er blieb lange bei den kleinen Mädchen in der Alservorstadt, wie er Lotte und Theresen nannte, und sagte später einmal zu einer gemeinschaftlichen Bekannten, daß auch er bei seinem ersten Besuche gleich so viel Wohlwollen und Vertrauen zu mir empfunden habe, daß er mir alle seine Geheimnisse gesagt haben würde, wenn ich darnach gefragt hätte. Ja, es war eine verwandte Seele, die diesen jungen Mann belebte, und die auch später mich seiner Familie, die im nächsten Sommer nach Wien kam, und sie mir schnell und bleibend befreundete.

Körner las nun jedesmal seine neuen Schöpfungen vor, und mit großem Erstaunen konnte ich die Leichtigkeit und Sicherheit seiner Arbeiten an dem, von Korrekturen reinen Konzepte bemerken, wo oft auf einer ganzen Folioseite kaum ein Gedanke zurückgenommen oder ein paar Verse gestrichen waren. So floß es ihm aus der reichen Seele, und so strömte es aufs Papier, obwohl ich nicht zweifle, daß, hätte er länger gelebt, er manches damals Geschriebene geändert, verbessert – vielleicht manches vertilgt haben würde.[389]

Lebhaft erinnere ich mich der Lesung der Rosamunde. Er hatte zu Mittag bei uns gegessen, und las uns nach Tische das Trauerspiel vor, das voll höchst effektreicher Szenen war, und den nicht ganz züchtigen Gegenstand mit einer Zartheit und Rücksicht für seine Geliebte, welcher die Titelrolle bestimmt war, behandelte, wie sie nur in einem reinen Jünglingsherzen wohnen konnte. Auch bei diesem Stücke waren oft auf einer Seite kaum drei oder vier Korrekturen – und sowohl meine Mutter als ich ganz erhoben und entzückt von dem Werke. Am andern Tage schrieb ich ihm mütterlich dankend für die Freude, welche mir gestern nicht bloß sein Dichtertalent, sondern der Blick in sein schönes Gemüt gegeben. Ein allerliebstes Sonett, in dem er mich, wohl etwas zu hoch, als eine Priesterin im Tempel des Ruhmes gestellt hatte, erhielt ich dafür; bewahrte es – es war das einzige Blatt von seiner Hand – als kostbares Andenken, und habe es dennoch nicht mehr! Verloren im eigentlichen Sinn kann ich es nicht haben; denn es hatte seinen angewiesenen Platz bei ähnlichen Gedichten und Briefen an mich; aber wahrscheinlich wurde es mir abgeborgt unter irgend einem Vorwande, und nicht mehr zurückgegeben oder aus der Sammlung entwendet.

Zriny las er bei Frau v. Weissenthurn, mit der ich damals häufiger als jetzt umging, da unsere Töchter sich herzlich gut waren und dutzten. Meine Mutter war ebenfalls gegenwärtig, und wir alle, auch die Mädchen hörten mit dem größten Interesse zu; als er an die Szene kam, wo Juranitsch seine Helene ohne weiteres ersticht, schrie meine Mutter auf, und sie sowohl als Frau v. Weissenthurn wollten ihn bereden, die Szene zu ändern, weil dieser kaltblütige Mord gar zu gräßlich,[390] zu unnatürlich sei, sagte meine Mutter. Unnatürlich? erwiderte Körner mit seiner Naivität. – Es hat mir eben so in der Hand gelegen. Wir mußten alle über diese Antwort lachen; er aber ließ die Szene stehen, und bei der ersten Aufführung, bei der ich zugegen war, bestätigte sich die Richtigkeit der Empfindung meiner Mutter, denn die Zuschauer waren ebenso empört wie sie durch diesen Auftritt; ein allgemeines Zischen beurkundete das allgemeine Mißfallen, und hätte, ohne den höchst effektvollen fünften Akt, besonders bei der ungebührlichen Länge des Stückes, diesem beinahe den Untergang gebracht.

Mit seiner Liebe zu Toni nahm auch Körners Tätigkeit für das Theater zu. Fürst Lobkowitz, der damalige Direktor des Theaters, der Körnern schätzte und Toni sehr wohl wollte, bestimmte ihm mit der Zeit die Stelle eines Theatersekretärs, und eröffnete ihm somit die Aussicht, sich dann vermählen und in Wien etablieren zu können. Man sprach davon, daß seine Eltern den nächsten Sommer ebenfalls nach Wien kommen sollten, um diese Stadt und die Geliebte ihres Sohnes kennen zu lernen, und so dauerte ein lebhaft bewegtes Leben in literarischen, geselligen und politischen Verhältnissen – so angenehm und so ungestört als es die damaligen Zeitereignisse gestatteten, noch eine Weile fort.

Körners Eltern, Fräulein Stock, die Schwester seiner Mutter, und Emma, seine Schwester, kamen diesen Sommer von 1812 nach Wien. Er führte sie sogleich zu uns, und nun sahen wir diese würdige Familie sehr oft. Mancher Abend an den Tagen, wo wir ohnedies Besuch erwarteten, der oft sehr zahlreich ausfiel, ging aufs angenehmste hin, wenn die jungen Leute entweder tanzten oder Körners verehrter Vater am Klavier den[391] Gesang seiner beiden vortrefflich unterrichteten Kinder und meine Tochter begleitete. Das waren sehr schöne Stunden! – Wo sind die Menschen hin, welche sie mir so genußreich verfließen machten? Wie viele leben noch? Solche wehmütige Betrachtungen mischen sich nur zu oft in die Erinnerungen an jene Zeit.

Bald sollte ich auch damals einen empfindlichen Verlust dieser Art haben. Frau v. Flies, die mir mit einer Art von mütterlichem Wohlwollen zugetan war, erkrankte mit sehr bedenklichen Zufällen, welche auf eine Brustentzündung oder so etwas schließen ließen. Ich besuchte sie den dritten oder vierten Tag, und fand sie zwar sehr angegriffen und leidend (sie klagte hauptsächlich über Mangel an Atem), doch hegte sie selbst keine Vorstellung von Gefahr. Sie hatte sich vielmehr für denselben Abend eine Spielpartie bestellt, und redete mit mir über eine projektierte Fahrt nach Hietzing zu ihrer Schwägerin Baronin Eskeles, welche nächsten Sonntag hätte statthaben sollen, und wo wir mit Körner zusammen gebeten waren. Voll guter Hoffnung für ihre Besserung, verließ ich sie um ein Uhr mittags – um drei Uhr machte ein Schlagfluß ihrem Leben ein Ende, und in ihr verlor ich – was jedermann gewiß als einen bedeutenden Verlust anerkennen wird – eine teilnehmende, verständige und warme Freundin. Friede sei mit ihrer Asche!

Wenige Wochen nach ihrem Tode kam ein Brief Goethes an die Verstorbene an, der eigentlich mich betraf, und den ihre Schwägerin, die nun auch verstorbene Baronin Eskeles, mir mit vieler Güte zusandte. Früher schon hatte ich durch die Vermittlung eben dieser Freundin, der Frau v. Flies, einen Brief von dem Hochbewunderten erhalten, der direkt an mich lautete.[392] Er sammelte nämlich Handschriften, gab Frau v. Flies, mit der er fast jährlich in Karlsbad zusammentraf, den Auftrag, ihm deren in Wien zu verschaffen, und sie, die gern jedermann verpflichtete, und in ihrer isolierten Stellung als kinderlose Witwe hierin einen Lebenszweck fand, nahm denn Goethes Auftrag willig an, gab auch mir die weitere Weisung, mich um Autographen bedeutender Menschen in Wien umzusehen, und als ich einige, namentlich von Mozart und Haydn, erhalten hatte, riet sie mir, sie Herrn v. Goethe mit einem Briefe selbst zu übersenden. Dies geschah denn alles wie meine mütterliche Freundin in ihrer liebevollen Geschäftigkeit angeordnet hatte, und ich erhielt durch sie Goethes sehr höfliche, aber diplomatisch steife, umsichtige Antwort, in der er sich, wie es schien, vorgesetzt hatte, ja nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig zu sagen, und die mich darum sehr wendig freute.

Ganz anders war der zweite – jener Brief an meine bereits verstorbene Freundin. Hier hatte er sich gehen lassen, und war eben dadurch recht liebenswürdig erschienen. Der ganze Brief betraf meinen Agathokles. – Er hatte ihn gelesen, das Buch hatte ihm gefallen, aber – sehr begreiflicherweise hatte ihn Calpurnia viel mehr als Larissa angesprochen, so daß er sich versucht fühlte, den Roman so umzuarbeiten, daß jene, nicht Agathokles die Hauptperson sein sollte – und, schrieb er, die Pichler kann es mir als Verdienst anrechnen, daß mir ihr Buch so wohl gefiel, obwohl die Grundsätze, welche darin triumphierend auftreten, nicht die meinigen sind, und meiner heidnischen Sippschaft im Kaiser Hadrian übel mitgespielt wird. Kurz, der Brief freute mich sehr, denn er sprach ein unaufgefordertes, unparteiisches Lob über ein Buch aus, das denn auch nun allmählich[393] bekannt zu werden, und sich in Deutschland und Frankreich, in dem es Frau v. Montolieu durch ihre Übersetzung einführte, Bahn zu machen anfing.

Viel Ehre und Auszeichnung hat mir dies Werk erworben, mehr noch, als jedes folgende einzelne, es war gleichsam die Ehrenpforte, durch welche die übrigen in die Welt einzogen. Aber mehr als alle diese Auszeichnung und Aufmerksamkeit hat mich jederzeit die gute Meinung, das Zutrauen, das Wohlwollen so vieler, mir ganz unbekannter, in entfernten Ländern lebender Menschen erfreut, die durch den Agathokles und meine andern Schriften, hauptsächlich aber durch jenen bewogen – sich entweder brieflich oder auf Reisen persönlich an mich gewendet, und öfters mich um Rat, Empfehlungen, Trost oder Beruhigung angesprochen haben. Wie manches edle Herz wurde mir auf diese Weise zugewendet, wie manches Gute gewirkt oder Nützliche verbreitet! Das alles erkenne ich nun freilich mit dankbarer Demut als ein Geschenk und gnädige Fügung Gottes, welche nicht allein jene Gabe der Dichtkunst in meine Seele gelegt, sondern auch mein Geschick durch edle Eltern und würdige Freunde so geleitet hat, daß dies Talent sich aufs Rechte und Gute gelenkt, und mir so jene Freuden erworben hat, aber ich muß mit Tassos Sanvitale sagen:


Am Ende bist du's doch, und hast es doch –


es kam mir doch vielfältig zu Guten und ebnete und verschönte meinen Lebensweg.

In der Mitte des Sommers hatte Pichler abermals eine Reise in die Gebirge hinter Lilienfeld bis Maria-Zell usw. zu machen. Er ging allein, denn meiner Mutter Jahre erlaubten ihr nicht mehr, so wie früher geschehen,[394] wo sie mit uns in Steiermark und Oberösterreich gewesen war, uns durch mehrere Wochen zu begleiten, und ich durfte auch nicht daran denken, sie auf so lange Zeit zu verlassen; aber fünf, sechs oder acht Tage konnte ich mich doch entfernen, da ich damals jenes junge Mädchen, ein Fräulein Kirchstettern, nach dem Tode ihres Vaters ins Haus genommen hatte, welche meiner Mutter Gesellschaft leisten, ihr vorlesen, und im Hause an die Hand gehen konnte. So wurde denn verabredet, daß ich Pichler in St. Pölten abholen, und mit ihm einen, mir noch ganz neuen Weg über Waidhofen, Gaming und Lunz nach Maria-Zell machen und von dort über Lilienfeld nach Hause kehren sollte. Ein sehr werter, nun auch schon vorausgegangener Freund, der Regierungsrat Ridler, ein Mann, der als Gelehrter und Mensch mir gleich schätzbar, und ein Liebhaber von Berggegenden war, entschloß sich, uns zu begleiten, und die kleine Tour mit uns zu machen, da er die Lunzerseen noch nicht gesehen hatte. Schon ehe wir abreisten, schrieb mir mein Mann aus Lilienfeld sehr viel von einem Geistlichen daselbst, dem damaligen Prior P. Ladislaus, den wir mehrere Jahre früher als Bibliothekar dort getroffen, und schon damals eine Geistesbildung, wie sie in den Klöstern nicht sehr gewöhnlich ist, in ihm erkannt hatten. Dieser Mann, der jetzt, wie gesagt, Prior, und bei der bevorstehenden Prälatenwahl nahe daran war, diese Würde zu erlangen, hatte sich meinem Manne als ein sehr wertvoller Dichter gezeigt, und Pichler mir einige seiner Gedichte in Briefen mitgeteilt. Ihn näher kennen zu lernen, war mir daher eine angenehme Aussicht, und so trafen wir denn, Ridler, meine Tochter und ich mit Pichler, der von ein paar Kreisbeamten begleitet war, an einem[395] schönen Sommerabend in St. Pölten zusammen, und freuten uns herzlich des Wiedersehens nach einer Trennung von mehreren Wochen.

Sogleich den andern Tag traten wir unsern fernern Weg an, aber das Wetter begünstigte uns nicht. Regenströme stürzten nieder, und nur immer durch wenige heitere Stunden konnten wir uns des Anblicks der wunderschönen Gebirgsketten erfreuen. So kamen wir nach Gaming, eine jetzt zerstörte Kartause in einem eng umschlossenen stillen, melancholischen Tale, eine Stiftung Albrecht des Lahmen oder Weisen von Österreich, aus dem vierzehnten Jahrhundert; gegründet, wie man sagt, infolge eines Gelübdes, welches Albrecht für die Befreiung seines unglücklichen Bruders Friedrich aus der Haft zu Trausnitz gemacht hatte. Das Porträt Albrechts war hier zu sehen – eine edle Gestalt mit sehr angenehmen Zügen, da aber das Gemälde offenbar einer spätern Zeit angehört, so läßt sich über die Treue nichts sagen, als daß Albrecht der Weise, der als Fürst und Mensch die Achtung seiner Zeitgenossen besaß, wohl so ausgesehen haben konnte, und die Habsburgische Familienähnlichkeit auch zu bemerken war. In dieser Hinsicht war es mir auffallend, als 1809, während der Anwesenheit der Franzosen, Professor Fischer (der damals noch lebende berühmte Bildhauer) auf Befehl des Kronprinzen von Bayern (jetzt König Ludwig) die Büste eben jenes unglücklichen Friedrich des Schönen nach noch vorhandenen Denkmälern arbeiten mußte, daß diese Züge besonders um den Mund herum, einige Ähnlichkeit mit denen unsers hochverehrten Erzherzogs Karl trugen.

Unter Regenströmen fuhren wir von Gaming nach Lunz. Auf dem Wege, noch voll von den Bildern und[396] Empfindungen, welche Gaming und die Geschichte der beiden edlen Brüder in mir erregt hatte, dichtete ich die Romanze: Gaming, welche jene Geschichte besingt und so beginnt:


Der Regen strömt, die Wälder brausen,

Die Nebel hängen tief ins Tal –


Ein einsamer Wanderer kommt in diesem Unwetter in das stille Gaming – er ist unglücklich – er findet hier Frieden, und vernimmt von einem der Klosterbrüder, der das Gelübde des Schweigens zuweilen brechen darf, die Geschichte Albrechts und Friedrichs.

Über Lunz, den Zellerrain und noch manche andere sehr hohe Berge setzten wir, teils im Wagen, teils zu Fuße, wie es die Witterung erlaubte, unsern Weg fort, und gelangten endlich nach Neuhaus, das ganz auf der Spitze eines Berges liegt, zu Fuße dritthalb Stunden abwärts steigend nach Maria-Zell, das mir auch dies wie alle übrigen Male, so oft ich es betreten, wie ein Hafen der Ruhe und stillen Freude in Gott erschien.

Am zweiten Tage kamen wir nach Lilienfeld, das ich nun schon mehrere Jahre nicht gesehen hatte, und wo eine gewaltige Überschwemmung das schöne Tal indessen verheert, die blühenden Wiesen mit Schutt bedeckt, und eine ebenso zerstörende Feuersbrunst das Gebäude großenteils in Asche gelegt hatte; das Dormitorium, dieses schöne Überbleibsel des Mittelalters, war vernichtet, und somit die meisten Urbilder aus dieser Gegend, welche mir bei der Dichtung der Hohenberge vorgeschwebt, verändert oder ganz zerstört worden.

Der Herr Prior, eben jener Dichter, und ein paar andere Geistliche, deren ich mich aus früheren Besuchen erinnerte, empfingen uns gastfreundlich. Die[397] Unglücksfälle, welche das Stift indessen getroffen, und die nahe bevorstehende Prälatenwahl waren die Gegenstände unserer lebhaften Gespräche, und mir schien immer, wenn ich P. Ladislaus betrachtete, als sähe ich schon die goldene Kette mit einem Kreuze an seiner Gestalt, welche durch einen feinen Anstand und ein sehr gebildetes Benehmen sich gar wohl dazu qualifizierte.

Was wir damals dachten, geschah auch bald – und noch denselben Herbst besuchte uns der neue Herr Prälat, der seitdem noch ganz andere Stufen geistlicher Würden erstiegen hat, in Wien, und von dieser Zeit an besuchten auch wir ihn öfters in seinem Stifte, dessen romantische Lage sehr einladend ist, und wo wir von ihm immer mit der größten Gastfreundlichkeit aufgenommen wurden.

Pichler hatte stets warmen Anteil an allen meinen literarischen Arbeiten genommen, sie immer zuerst gelesen, wie ich sie am Morgen niedergeschrieben und oft selbst noch nicht überschaut hatte. Nun hatte er schon seit längerer Zeit den Wunsch geäußert, daß ich mich einmal im Dramatischen versuchen und etwas für das Theater schreiben sollte. Ich tat es nicht gern. Meine ganze Geistesrichtung war nicht für das Lebhafte, Anschauliche, welches eine wichtige Handlung mit allen ihren Motiven und Folgen in schneller Entwicklung vor Augen stellt. Ich liebte es vielmehr, langsam und wohlberechnet die Fortschritte der Empfindungen, die unmerklichen Übergänge in den menschlichen Gemütern mit beobachtendem Auge zu verfolgen und darzustellen, wozu sich denn der Roman, vorzüglich der in Briefen, ganz besonders eignet. Doch wollte ich Pichlers Wunsch nicht abweisen, und so fing ich denn an,[398] mich nach einem Stoff zu einer Tragödie (denn daß ich kein Lustspiel schreiben konnte, war ich überzeugt) in der Geschichte umzusehen. Unsers verewigten Freundes Collin Beispiel leuchtete mir hell vor, die ganze Richtung meiner Bildung, die eigentlich das war, was man jetzt im Gegensatze mit dem Romantischen klassisch nennt, stimmte dazu. – Tacitus war stets ein mir sehr zusagender Autor gewesen, und Germanicus' Charakter und Schicksal vor vielen Helden des Altertums würdig, edel und hochtragisch erschienen. Überdies lag in diesem Geschick und Charakter noch eine nahe und geheime Beziehung, welche mich diesen Helden vor vielen andern zu wählen bestimmte. Ich fand nämlich in der militärischen Größe desselben, in seiner menschlichen Würde, und in manchen amtlichen und vom bösen Willen anderer herrührenden Verfolgungen viel Ähnlichkeit mit unserm, von mir stets so innig geachteten Erzherzog Karl. Dies machte mir den Neffen des Tiberius noch teurer – und mein Stoff war gewählt.

Nun sah ich mich noch in der römischen Geschichte etwas genauer nach der Epoche um, in welche ich meine Handlung verlegen wollte, und so trat denn allmählich aus dem Dunkel meiner Seele der fertige Plan zu dem Stücke hervor, und die Liebesgeschichte, welche ich hineinverweben zu müssen glaubte, schien mir damals anziehend, passend, und ein glücklicher Gedanke. Viele Ausdrücke im Tacitus weisen darauf hin, daß Agrippinens Charakter ernst, würdig, aber nicht angenehm gewesen sein mußte. Leidenschaftliche Heftigkeit und unweibliche Schärfe mögen sie oft über die zarten Schranken gerissen haben, die Sitte und Pflicht der Frau vorschreiben. Ihr Gemahl selbst warnt sie noch[399] auf dem Todbette davor, und empfiehlt ihr, ihr Rachegefühl zu bemeistern. Dieser achtungs-, aber nicht liebenswürdigen Frau mußte nun – so entwarf ich, wie ich jetzt wohl einsehe mit zu modernem Sinn, den Plan – Germanicus nur aus Familienrücksichten die Hand gereicht, doch auf jeden Fall eine zufriedene und von der Welt geachtete Ehe mit ihr geführt haben. Seine schönern Jugendempfindungen waren seiner ersten Liebe, eben jener Plancina zugewendet, die er in Asien nach langer, ganz hoffnungsloser Trennung als die unglückliche Gattin seines bittersten Feindes, des Prokonsul Calpurnius Piso wiederfindet. Plancina hat ebenfalls den Jugendgeliebten nicht vergessen, und da ihr die Rachepläne ihres Gemahls bekannt werden, wagt sie es, als Sklave verkleidet, den Feldherrn zu warnen. Er erkennt sie – ihre Herzen öffnen sich gegeneinander; aber die Pflicht gebeut, sie sind getrennt und bleiben es, bis der Tod durch Gift, den Calpurnius dem Germanicus bereitet, und ihm Plancina aus Eifersucht oder Rache voraussendet, sie vereinigt. Das zu Moderne, und daher der Würde der Tragödie nicht Entsprechende leuchtete mir später wohl ein, aber es stand nicht mehr zu ändern; denn das hätte ein gänzliches Umarbeiten des Planes erfordert, und da ich wohl berechnen konnte, daß das Stück auch dann kein großes Glück machen würde, so ließ ich es, wie es war.

Das Stück wurde ohne meinen Namen aufgeführt. Es mißfiel eben nicht, aber es erlebte – was vorauszusehen war – nur wenige Vorstellungen. Ich verstand das Theater, und das, was man theatralischen Effekt nennt, zu wenig, und ich glaube, daß überhaupt die heroische Tragödie etwas ist, dessen glückliche Bearbeitung über den Horizont weiblicher Kräfte geht.[400]

Indessen mein hauptsächlichster Zweck, Pichlers Wunsch zu erfüllen, und ihm Freude zu machen, war erreicht. Er war zufrieden auch mit dem wenigen Sukzeß, den dieser erste Versuch seines Weibes erlangt, und feuerte mich an, ferner auf dieser Bahn fortzuschreiten.

Es war dies im Winter von 12 auf 13 geschehen. In dieser Zeit, die überhaupt sehr angenehm war, kam ich auch oft in das Haus des Fürsten von Lobkowitz, der sich, so wie seine vortreffliche Gattin (sie beide sind auch längst dahingegangen) lebhaft für meine Arbeiten interessierte, und bei dessen Abendgesellschaften, theatralischen Vorstellungen oder Konzerten ich mich sehr oft mitten unter dem höchsten Adel, ja in Gegenwart eines oder des andern unserer kaiserlichen Prinzen fand. Nie aber, ich müßte unwahr sein, wenn ich es anders behaupten wollte, wurde ich durch irgend eine Unart oder Zurückweisung von Seite der Damen an den Unterschied unsers Standes in der Gesellschaft erinnert. Sei es nun, daß meine Stellung als Schriftstellerin, die mich gleichsam mit Künstlern in eine Reihe zu ordnen schien, oder ein bescheidenes, zurückhaltendes Betragen von meiner Seite, welches stets danach eingerichtet war, diesen Damen zu zeigen, daß ich mich ebensowenig als ihresgleichen betrachtete, als ich fern davon war, mir ihre Artigkeiten als Gnaden anzurechnen – mir diese recht angenehme Stellung zu der haute volée verschaffte, genug, ich hatte sie, und die Erinnerung an die genußreichen Abende, die ich in diesem Hause zubrachte, und wo ich auch den seligen Erzherzog Rudolf mit seltener Fertigkeit Beethovensche Tonstücke auf dem Fortepiano vortragen hörte, wird mir stets wert bleiben.[401]

Es war eine lebhaft bewegte Zeit damals – eine Zeit, in der die Geister großer Begebenheiten ihnen schon ahnungsvoll in Deutschland vorangingen, und dadurch eine Stimmung erzeugten, welche auch auf die Literatur großen Einfluß hatte. Im Jahre 1811 war unser Hof in Dresden mit Napoleon zusammengekommen und der Feldzug gegen Rußland verabredet worden, wozu unser Kaiser ein Hilfskorps unter dem Kommando des Fürsten von Schwarzenberg zu geben versprochen hatte. Im Jahre 1812 fand dieser Feldzug statt, und seine Geschichte, der Brand von Moskau, der Untergang des französischen Heeres, und das Non plus ultra, welches die göttliche Vorsicht auf Rußlands Eisfeldern dem kühnen Eroberer setzte, sind noch lebhaft in jedermanns Gedächtnisse. Wohl erinnere ich mich der sehr verschiedenen Sensation noch, welche die Nachricht jenes Brandes in Wien erregte. Mir brachte sie eines Morgens meine, in diesem wie in vielen andern Dingen gleichgesinnte Freundin, Frau von Schlegel, und ich fühlte mich so wie sie begeistert, erhoben von diesem zwar grausamen, aber heldenmütigen und notwendigen Entschlusse Rostoptschins. – Wir gaben uns die Hände, wir dachten an Sagunt, Numantia, Saragossa – und freuten uns, in unsern Tagen noch solche wahre, antike Größe zu erleben. Andere, z.B. meine Mutter, unser Freund Hofrat Büel, ein sonst durchaus deutschgesinnter Mann, schauderten darob, und nannten diesen Brand eine gräßliche, barbarische Tat. Ebenso verschieden fielen auch die Urteile der Menge aus; aber wir, die gleich vom Anfange dafür gestimmt hatten, erlebten die Genugtuung, daß der Erfolg die Zweckmäßigkeit dieses Mittels vollkommen gerechtfertigt hat.[402]

In der Literatur, auf welche der Zeitgeist jedesmal einen unausweichlichen Einfluß übt, hatten der Fremdendruck, die Unsicherheit aller Lebensstellungen, die stets erneuerten Stürme, denen auch der ruhigste, unbefangenste Bürger nicht zu entgehen imstande war, eine Ansicht des Lebens hervorgerufen, welche dem Fatalismus sehr ähnelte, und mir nach meinem Dafür halten, obwohl der erste Impuls dazu von dem christlichen, ja katholischen Z. Werner in seinem vierundzwanzigsten Februar ausgegangen war, sehr unchristlich schien. Dies waren die sogenannten Schicksalsdichtungen: Die Schuld, jener vierundzwanzigste, und der neunundzwanzigste Februar u.a., und diese Richtung verbreitete, wie jede Mode, sich schnell und weit. Es erschienen Novellen, Theaterstücke, Gedichte, alle in diese trüben Schleier gehüllt, wo der – oft willenlos, oft im Sturm der Leidenschaft ausgesprochene Fluch des Schwergereizten – oft eine Familiensage, ein unschuldiges Werkzeug, an welches sich Unglück knüpfte, hinreichte, um das Lebensglück guter harmloser Menschen zu zerstören, und wo also die Vorsehung, dieser Ansicht nach, zur Vollstreckerin des Willens und Ausspruchs der Rache, des Hasses, oft der Dummheit gemacht wurde. Wie gänzlich dies der christlichen Moral zuwiderläuft, leuchtet wohl jedem ein, der es unparteiisch betrachtet; damals aber fanden, durch die Modetendenz hingerissen, auch die Besten und Frömmsten keinen Anstoß daran. Was mich betrifft, so verfehlte wohl die Aufführung der Schuld ihres gewaltigen dramatischen oder eigentlich theatralischen Eindrucks auf mich nicht. Ich war sehr ergriffen, besonders von der Szene, wo Hugo und Elvire sich über Carlos Tod, ihre früher schon genährte Leidenschaft mit geheimen[403] Schauern besprechen, das Theater sich allmählich verdunkelt, und nun plötzlich, von dem Lichte, das der Knabe vorträgt, hell beleuchtet, ihnen das Bild des Verratenen, Ermordeten in der Gestalt und den Zügen seines Vaters entgegentritt. Im Traume der folgenden Nacht quälten mich Erinnerungen an die Schreckensszenen, die ich angesehen, dennoch erkannte ich das höchst Unmoralische, ja Antichristliche dieses Stückes, und mußte dem Urteil eines sehr verständigen alten Herrn, des Grafen von Chotek beipflichten, der mir beim Herausgehen sagte, es sei ein gottloses Stück.

Körners reine, gesunde Seele wurde von dem Hauche der Modetheorie nur leicht gestreift. In seinen Stücken ist wenig Spur davon, wenn nicht vielleicht ein kleines, nicht eben sehr glückliches Trauerspiel in einem Akte: Die Sühne, zu dieser Gattung zu rechnen ist. Ihn bewahrte Schillers – des Freundes seiner Eltern – Genius, und es ist klar zu erkennen, wie großen Einfluß dieser überhaupt auf des jungen Mannes Geist hatte.


*


Unter solchen Beschäftigungen, Ansichten, Lektüren und mitunter sehr trüben Aussichten in die nächste Zukunft für das Allgemeine ging das Jahr 1812 zu Ende, und mit dem folgenden traten wir und ganz Europa in eine Periode des Umschwungs, der Veränderung, der Umstaltung darf man wohl sagen, von der noch ein Jahr vorher wohl niemand etwas geahnt, und selbst als die ersten Zeichen der kommenden Dinge sich sehen ließen, noch niemand das Ende vorhersehen oder sich versprechen konnte, das wirklich erfolgte.

Die französische Armee war durch den Winter auf russischen Eisfeldern, durch die Affären an der Beresina,[404] durch den Brand von Moskau so gut wie vernichtet, und so wie die letzten Reste dieser Unglücklichen durch die preußischen und deutschen Lande ihrer Heimat zuzogen, schien es, als richtete, dicht hinter ihnen, der deutsche Geist, der deutsche Mut, die Hoffnung besserer Tage sich empor. Man sprach von den Rüstungen der Preußen. Hier und da ließen sich Stimmen hören, die einen frischen kriegerischen Klang hatten, und bei dem Worte empor denkt man gleichsam unwillkürlich an Rückerts geharnischte Sonette, worunter eines die Etymologie des Wortes Empörung eben von Empor, vom Aufrichten unterm Druck, vom Erheben des Geistes aus der Schmach ebenso wahr als sinnig herleitet. Auch Körner ließ seine Saiten erklingen, und eines Abends wurde, trotz der Anwesenheit des, übrigens sehr liebenswürdigen und uns allen werten Freiherrn von der Malsburg – damals bei der westfälischen Gesandtschaft angestellt – Körners Jägerlied nach Schubarts Melodie: Auf, auf, ihr Brüder und seid stark! beinah im Chorus bei uns gesungen. Solchen Anklang, solchen tiefempfindenden Widerhall fanden die Worte des Liedes.

Bald darauf war es entschieden, daß Preußen die Waffen gegen Frankreich ergreifen, sich, wie es Napoleon nannte, empören würde, und Mut und Todesverachtung, Vaterlandsgefühl und bange Sorge, Hoffnung, und Furcht regte sich in allen Teilen Deutschlands, und so auch bei uns. Was unser Hof beschließen würde, war unbekannt. War doch die Kaisertochter mit dem allgemein Gefürchteten, Gehaßten, aber Allmächtigen vermählt, und ein Kind – ein Sohn hatte dies Band fester gezogen und heiliger geknüpft. Dies Band, das Napoleon, der Wahrheit zur Steuer muß es gesagt werden,[405] selbst sehr zart und treu hielt, seiner Gemahlin mit Liebe und Achtung begegnete, und als bei ihrer schweren Entbindung die Ärzte einige Augenblicke zweifelhaft waren, ob sie Mutter oder Kind retten sollten – schnell entschied, daß man die Mutter erhalten solle, obwohl ihm unendlich viel an der Geburt eines Kindes, das eigentlich seine neue Dynastie gründen und besiegeln sollte, gelegen sein mußte.

Immer lebhafter ward die Bewegung um uns her. In jungen Leuten regte sich kriegerischer Sinn, und Körner war einer der ersten, welcher sich erklärte, preußische Dienste nehmen zu wollen. Dieser rasche Entschluß befremdete in vieler Hinsicht das Publikum, dem der junge Mann durch sein schönes Talent und besonders durch dessen Anwendung auf die Bühne schon gleichsam angehörte. Noch war, trotz des drückenden Gefühles der Unterjochung und des glühenden Franzosenhasses, der fast in jedem Herzen lebte, und trotz des lebhaften Wunsches vieler Bessern, das schmähliche Joch auch mit großen Aufopferungen abzuschütteln, die Zuversicht auf einen glücklichen Erfolg dieses Versuches nur gering. Es war mehr ein begeisterndes Ehr- und Nationalgefühl, als eine klare Vorstellung von dem möglichen Gang der Dinge, was die meisten aufregte. Überdies waren Körners Eltern in Dresden angesiedelt, und der Vater stand im Dienste des Königs von Sachsen, der sich fest an die französische Partei angeschlossen hatte. Des Sohnes Schritt konnte und mußte also den Vater kompromittieren. Dazu kam noch das allbekannte Verhältnis Körners zu Fräulein Adamberger, welches seinen Entschluß, die Waffen in einer Zeit zu ergreifen, wo ihm das Glück der Liebe und Häuslichkeit an der Seite eines ausgezeichneten Mädchens[406] winkte, sehr überraschend machte, da Körner hier sehr geachtet war, und bei den trüben Aussichten, der in jeder Hinsicht so achtungswerte Jüngling doch allen viel zu gut für Kanonenfutter dünkte. Dies war nämlich der Gesichtspunkt, aus dem damals die meisten seinen Entschluß und den wahrscheinlichen Erfolg des Unternehmens der Preußen betrachteten.

Allmählich änderte sich diese Stimmung. Die Furcht, die Verzagtheit, erzeugt durch ein Unglück vieler Jahre und durch die niederschlagenden Erfahrungen, wie übel uns Österreichern in den Jahren 1805 und 1809, so wie Preußen 1806 der Versuch bekommen war, sich der Riesenmacht Napoleons entgegenzusetzen – fing nach und nach an, sich aus den allzu gedrückten Gemütern zu verlieren. Sicher war nach den Ereignissen des Winters 1812 die französische Armee nicht mehr das, was sie vor dieser Epoche gewesen. Und hatten wir Österreicher nicht die erhebende Erfahrung gemacht, daß jene Armee in ihrer ganzen frühern Stärke und Macht im Angesicht unserer Vaterstadt 1809 durch den Erzherzog Karl war geschlagen und in eine Lage versetzt worden, welche, wenn die Umstände – oder andere uns verborgene Triebfedern nicht entgegengewirkt, und die Verfolgung dieses glänzenden Sieges gehindert hätten, den furchtbaren Feind vielleicht von seiner, bis dahin glänzenden Siegesbahn schon damals zurückgedrängt haben würde? Diese Erfahrung hatten wir für unsere beginnenden Hoffnungen, und so manches historische Beispiel, wo ernster Entschluß und verzweifelter Mut Unglaubliches bewirkt, und kleine Haufen zu Siegern über große Heere gemacht hatten, konnte jeder sich selbst ins Gedächtnis rufen. Sie wurden uns aber auch in Gedichten und andern Schriften in Erinnerung[407] gebracht, und trugen das Ihrige bei, um die Hoffnung auf glücklichen Ausgang zu erheben, oder im schlimmern Fall den mutigen Entschluß zum letzten entscheidenden Kampf zu stählen.

Von verschiedenen Seiten kamen nun insgeheim oder mehr öffentlich Nachrichten von Bewegungen, die sich an mehreren Punkten zu gestalten anfingen, ähnlich den ersten Tropfen des schmelzenden Eises nach der starren, stummen Winternacht, wenn der erste noch schwache Strahl der Sonne es berührt, und das leise Geräusch, das die fallenden machen, auch der erste Lebenslaut der bis dahin toten, erstarrten Natur scheint. Man flüsterte sich von Tirol, von einigen deutschen Fürsten zu, und die Hoffnung regte die jungen Flügel stärker.

In den geselligen Kreisen waren diese Hoffnungen sehr oft der Gegenstand der Gespräche und die Dichtungen unserer vorzüglichen Geister – Schillers, Collins, Raupachs – dessen Name dazumal genannt zu werden begann – deren ganzer Geist ernst, würdig und dahin gerichtet war, den Kampf der Freiheit mit der Naturnotwendigkeit zu begünstigen, machten sehr oft, von einem oder mehreren, nach den Rollen verteilt, vorgelesen, ein Hauptvergnügen unserer Abendunterhaltungen aus. Längst schon hatten wir in unserm Hause Goethes, Schillers und anderer Stücke auf diese Weise mit großem Genusse vorgetragen. Jetzt – im März 1813 – war es beschlossen worden, bei der Baronin von Matt, einer sehr gebildeten, sogar gelehrten Dame, welche sich mit Astronomie beschäftigte und eine Sternwarte in ihrem Hause hatte errichten lassen, die Braut von Messina vorzulesen. Bei dieser Frau hatte sich wöchentlich einmal derselbe Kreis von gemeinschaftlichen[408] Freunden, worunter sich sehr gebildete Frauen und mehrere ausgezeichnete Gelehrte, wie Hammer, Schlegel, Adam Müller usw. befanden, versammelt, der früher im Hause meiner verstorbenen Freundin Flies zusammenkam. Baron Hormayr und ein Herr Rupprecht, der selbst ein artiger Dichter war, hatten die Rollen der beiden Söhne übernommen; eine sehr hübsche Frau, der man ein sehr lebhaftes Interesse für den einen dieser Herren zuschrieb, sollte die Beatrice, und ich die Rolle der Mutter lesen. Ich war in jener Zeitepoche sehr oft unwohl und litt häufig an aufgereizten Nerven, an Migräne, Krämpfen usw., eine sehr begreifliche Folge der Zeitenstürme, die seit ungefähr zehn, zwölf Jahren über uns alle ergangen waren, und vielleicht auch meiner Beschäftigung mit Poesie. Eben an dem Montag, wo jene Vorlesung statthaben sollte, es war der 7. März, und wenn ich nicht irre, der Geburtstag von Hormayrs älterer Tochter, der sehr verdienstvollen jetzigen Baronin v. Kreß, überfiel mich eine so heftige Migräne, daß ich unmöglich außer dem Bette bleiben, Toilette machen und vorlesen hätte können. Sehr unzufrieden, die verabredete Unterhaltung stören zu müssen, blieb mir dennoch nichts übrig als zur Baronin Matt zu senden und mich entschuldigen zu lassen. Weder ich noch sonst jemand von uns allen hatte auch nur von fern eine Ahnung von der Katastrophe, welche, auch wenn ich gesund geblieben und bei Matt gewesen wäre, unsere projektierte Lesung auf eine schreckhafte Art zunichte gemacht haben würde.

Es war noch früh am andern Morgen, als man mir, die an nichts so Schreckendes, und überhaupt für den gegenwärtigen Augenblick an nichts Arges dachte, einen – Sekretär, oder was der Mann eigentlich war,[409] des Grafen von Széchény meldete, dieses ausgezeichneten Mannes, in dessen Hause ich eben mit Hormayr, der (wenn ich nicht irre) den Grafen bei mir eingeführt hatte, oft zusammen getroffen und genußreiche Stunden im Kreise höchst würdiger und gebildeter Menschen, wie es die ganze Széchénysche Familie war, genossen hatte.

Dieser Beamte des Grafen trat ein, und erkundigte sich mit verlegener, bestürzter Miene, ob ich den vorigen Abend bei der Baronin von Matt gewesen, und welche Auskunft ich dem Grafen über die beunruhigende Nachricht geben könne, daß gestern Abend Baron Hormayr in seiner Wohnung arretiert und von Wien weggeführt worden sei?

Ich war aufs höchste erstaunt und sogleich bestürzt. Hormayr gehörte zu den nähern Freunden unsers Hauses; ihm verdankte ich manche genußreiche Unterhaltung, manche belehrende Nachweisung in der Geschichte meines Vaterlandes, in welche ich durch ihn eigentlich eingeführt worden war, so wie in die Geschichte überhaupt, und manche bedeutende Gefälligkeit, die er mir und den meinigen, denen er allen wert war, erwiesen hatte. Noch gestern Abend sollte ich mit dem verehrten Freund eine gemeinschaftliche Lesung unternehmen; wie wenig dachte ich, wie wenig mag wohl er selbst an die Möglichkeit gedacht haben, daß unser Projekt auf diese Art gestört werden sollte! Bevor er sich zur Lesung einfinden wollte, beging er mit einigen Freunden zu Hause den Geburtstag seines Kindes, und hier ereilte ihn sein Schicksal! Ich war unaussprechlich von diesem Ereignis ergriffen, dessen mögliche Folgen mir schauderhaft in jenem ersten Augenblicke des Schreckens vorschwebten.[410]

Da ich gänzlich unwissend über alles war, konnte ich auch dem Grafen Széchény nichts antworten lassen, was das verworrene Dunkel dieser Gefangennehmung erklärt hätte; bald darauf vernahm ich, daß ein dumpfes Gerücht von dem, was in jenem Augenblicke mit Baron von Hormayr geschehen war, sich schon gestern bei der Baronin von Matt verbreitet hatte, daß alle bestürzt waren, vorzüglich aber der damals als Diplomat und Gelehrter, als eifriger Freund des deutschen Vaterlandes bekannte und gerühmte Freiherr von Gagern. Dieser ausgezeichnete Mann war ein Freund Hormayrs und mit ihm von einerlei Gesinnung, einerlei Streben, den niedergedrückten Geist seiner Landsleute aufzurütteln und sie zu mutigen Entschlüssen zu begeistern. Zu diesem Behufe hatte er damals die Nationalgeschichte der Deutschen zu schreiben begonnen, wovon der erste Band, mit typographischer Eleganz ausgestattet, in Quarto zu Wien noch im Jahre 1813 herauskam. Sie war in ernstem, edlem Geist, aber in einem Stile geschrieben, der fast zu sehr an Tacitus und Johannes Müller erinnerte. Baron Gagern besuchte auch unser Haus, wie denn damals die in der Literatur ausgezeichneten Männer häufig und gern die Gesellschaften besuchten, wo gebildete Personen verschiedener Stände, Geschlechter und Lebensbedingungen sich zu heiterm Gespräch oder Lektüre oder andern geselligen Vergnügungen zusammenfanden. So war es von meiner Kindheit an in meiner Eltern und später in meinem Hause gewesen, so waren die Abende bei Frau von Flies und Baronin Matt, bei Baronin Pereira, bei den trefflichen Piquot und bei andern; für mich eine Quelle stiller, aber tiefempfundener geistiger Genüsse. Das ist nun jetzt anders geworden;[411] aber ich glaube nicht, daß das gesellige Leben dadurch gewonnen hat.

An jenem verhängnisvollen Abend wollten nun die bei Baronin Matt Gegenwärtigen eine unverkennbare Betroffenheit an Baron Gagern bemerkt haben, und durchaus nicht unwahrscheinlich ist es wohl, daß er entweder im Ganzen für die Erfüllung seiner patriotischen Wünsche viel von Hormayrs Tätigkeit erwartet hatte, die nun, wie durch einen Blitzstrahl, plötzlich gelähmt war, oder daß er vielleicht nicht ganz fremd in den Plänen und Unternehmungen war, welche seinem Freunde diese erschütternde Katastrophe zuzogen.

Vergebens bemühte man sich, zu erraten, von welcher Art diese Unternehmung gewesen oder welche Verräterhand sie mitten im Entstehen schon vereitelt. Vage Gerüchte und Mutmaßungen wiesen auf Unterhandlungen mit den Tirolern hin, die im Jahre 1809, nachdem ihre Tapferkeit allein sie von der Knechtschaft der Franzosen befreit hatte, dennoch im Friedensschluß abermals abgetreten werden mußten. Man erzählte sich, daß mehrere dieser seiner unglücklichen Landsleute Umgang und Verkehr mit Hormayr gepflogen, daß neuerdings Entwürfe zur Abschüttelung des fremden Joches gemacht worden, und daß Hormayr hier im stillen tätig gewesen sein sollte. Andere erzählten Unglaublicheres, das an Rittermärchen grenzte, und das mir und vielen allzu romantisch, gewagt und – daß ich es frei sage – zu unrecht und töricht schien, um vernünftige und sogar sehr hochgestellte Männer, die die Lage der Dinge und die Menschen kennen mußten, solcher chimärischen Pläne fähig zu halten.

Wie dem immer gewesen sein mag, Hormayr ward[412] gefangen von hier weggeführt, niemand wußte warum? und wohin? bis es nach einiger Zeit bekannt wurde, daß man ihn nach Munkács gebracht, und seine Freunde waren voll Trauer um ihn besorgt, ohne etwas für ihn tun zu können.

Indessen hatte der Gang der allgemeinen Ereignisse manche ausgezeichnete Menschen nach Wien geführt, mit welchen ich in nähere oder fernere Berührungen kam. Mein Zusammentreffen mit Alexander von Humboldt bei Schlegel, wo ich schon dessen Bruder und Schwägerin längere Zeit vorher getroffen, hätte mir wohl den bedeutendsten Genuß gewährt, wenn es etwas mehr als ein bloßes von Gesicht Kennenlernen gewesen wäre. Aber er teilte – und noch weiß ich durchaus nicht warum? – die Nichtachtung, ich möchte sagen Geringschätzung gegen mich, welche mir seine Verwandten bewiesen hatten, so daß, da der Kreis, in dem wir uns bei Schlegel befanden, sehr wenig zahlreich war, ich bald ohne alle Ansprache, wie verloren, da gesessen hätte, indes Herr und Frau vom Hause mit ihren ausgezeichneten Gästen beschäftigt waren, wenn nicht ein sehr schönes und interessantes Mädchen, Fräulein Nina, die Nichte des Hofrats von Hartl, nachmalige Frau von Overbeck, sich meiner angenommen, und ein Gespräch mit mir angeknüpft hätte. Eine zweite, gegen mich viel freundlicher gesinnte Erscheinung war der damalige österreichische Hauptmann, jetzt, wie ich glaube, General Baron von Pfuel in preußischen Diensten. Ihn hatte, so wie Varnhagen und andere, der Zeitensturm nach dem Unglück seines Vaterlandes in den Jahren 1806–1807 nach Österreich geführt, das ja auf dem Festlande, Spanien vielleicht ausgenommen, allein noch in Waffen gegen den allgemeinen[413] Unterdrücker stand. Baron Pfuel war der erste Errichter oder Einrichter der, nachher durch ihre Nützlichkeit so bewährten Schwimmschulen hier und in Prag. Bei nicht angenehmen, fast häßlichen Gesichtszügen machte ihn eine schöne Figur und ungemeiner Anstand, eine Klarheit des Geistes, die ganz aufs Praktische zu gehen schien, und dennoch das Übersinnliche, das Unbegreifliche mit großer Gewalt erfaßte, sowie ausgebreitete Kenntnisse und der feinste Ton im Umgang zu einer höchst bedeutenden Persönlichkeit. Bei Frau von Flies und auch in unserm Hause sah und sprach ich ihn oft, und eine homogene Art über die allgemeinen Ereignisse zu denken und zu empfinden, machte ihn uns allen wert.

Ein anderer ausgezeichneter Mann war Adam von Müller, später österreichischer Konsul in Leipzig und zuletzt Hofrat in der Staatskanzlei. Er war mit seiner sehr angenehmen Frau und zwei damals kleinen Mädchen nach Wien gekommen, um, wie es schien und sich auch bewährte, hier Dienste zu suchen. Er schrieb politische Aufsätze für ein Journal, welches Schlegel damals herausgab, und hielt in den Seitenzimmern der Redoute Vorlesungen über »die schönen Redekünste«.

Bei diesen Vorlesungen zeigte er sich wahrlich als einen Redekünstler. Sein Vortrag war gewählt, stets zierlich, zuweilen kräftig, ja ergreifend. So z.B. als er jene berühmte Parlamentssitzung schilderte, in der Fox und Burke, die sonst Freunde gewesen waren, um ihrer verschiedenen, ja entgegengesetzten politischen Ansichten willen, sich öffentlich und auf immerdar trennten. Mit Vergnügen und Erschütterung hörte man diese Schilderung, indes will ich nicht behaupten, daß jene nicht[414] recht hatten, welche Müllern einige Koketterie im Vortrage vorwarfen. Sichtlich war er viel mehr als Friedrich von Schlegel bei seinen Vorlesungen bemüht, sie angenehm zu machen. Er las mit gemäßigter, nicht ganz von Manier freier Stimme, zusammenhängend, in geregeltem Flusse aus seinem Manuskripte, das vollkommen vor der Lesung geordnet zu sein schien. Schlegel hingegen, obwohl sein Vortrag lebendig und natürlicher als der Müllers war, mußte oft in seinen Blättern den Zusammenhang nachsuchen, die Einschiebsel nachholen, manchen Satz wiederholen. Das war nun freilich etwas störend, und dies wußte Müller zu vermeiden.

Doch war manches, worin ich mit Müller durchaus nicht übereinstimmen konnte. Auch er nannte Schiller – nach der Weise der neuen Schule – einen rhetorischen Dichter oder vielmehr eigentlich gar keinen Dichter, sondern bloß einen Rhetor. Er erzählte uns in einer Gesellschaft die Geschichte des gräßlichen Kleistschen Wechselmordes auf eine Art, welche mir genugsam zu zeigen schien, daß ihm das Verbrecherische, Verkehrte, ja Widersinnige einer solchen Handlung vor dem sogenannten Grandiosen der Gesinnung, welche sich über alle bisher gewohnten und anerkannten Schranken hinauszusetzen wagt, verschwand. –

Überhaupt schien sich, seitdem diese neue oder romantische Schule ihre Lehren verbreitet, so manche früher verehrte Autorität in der literarischen Welt vom Altare gestoßen, so manches früher allgemein anerkannte Verdienst zu bezweifeln und zu benagen angefangen hatte, dieser Geist der Neuerung, dies Herabziehen alles früher Verehrten, dieser Kampf gegen so viele konventionelle Schranken – auch auf die gesellige Welt und die sittlichen Begriffe zu erstrecken. Man schalt[415] Kotzebue und Lafontaine als unsittlich, weil sie das Laster oder die Sinnlichkeit in täuschender Hülle und unter versöhnenden Formen in ihren Werken einführten, und man hatte hierin recht; obgleich man mit diesem allerdings gerechten Tadel das übrige Verdienst dieser beiden Literaturen nicht ganz niederschlagen konnte, wie man wohl gewollt; denn Kotzebues Stücke, erhalten sich nach 40–50 Jahren noch auf unsern Bühnen, ebenso viele von Iffland, über dessen spießbürgerliche Charaktere, über dessen beschränkte, allzu hausbackene Ansichten man sich ebenfalls zu lachen und zu spotten erlaubte. Was wollte denn die neue Schule nun eigentlich, da ihr der eine zu locker, der andere zu beschränkt war? Das glaube ich, wußte niemand, selbst die Koryphäen derselben nicht. Sie rissen nur ein, ohne aufzubauen, sie brachten nur eine Verwirrung der Begriffe hervor, und nannten Worte oder Darstellungen oder auch wohl Handlungen sittlich, schön, erhaben, welche gegen alle bisher bekannten Vorschriften der Sittlichkeit und Würde stritten. Eheliche Treue, Gehorsam gegen Eltern, Fügen in häusliche Verhältnisse, Achtung für eingeführte Sitte usw. wurden als beengende Schranken, die einen starken und unabhängigen Geist nicht abhalten dürfen, dargestellt, und das Hinwegsetzen darüber war eben jenes Grandiöse, wie das damals in Mode gekommene Wort hieß, womit man jeden Verstoß gegen hergebrachte Formen, jedes Auflehnen gegen Pflicht, ja, jede Übertretung derselben beschönigen zu können glaubte. So verwirrten sich die Begriffe von Recht und Unrecht, von Erlaubt und Verboten, ja von Wahrheit und Lüge, und es lassen sich vielleicht in den Grundsätzen und Beispielen, welche diese Schule in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts[416] aufzustellen begann, die Keime und ersten Wurzeln der widrigen und verderblichen Geistesrichtungen nachweisen, die in der literarischen und geselligen Welt zu Extravaganzen, Zerrüttung der Familien, Untergang schöner Talente, ja oft zum Selbstmorde führten.

Damals fielen diese Ungewöhnlichkeiten wohl auch auf, aber wichtigere, aufs Allgemeine – von dem doch das Einzelne stets abhängt – gerichtete Sorgen ließen jene kleinen Ereignisse aus unsern Blicken verschwinden. Preußen erhob sich mächtig und laut, und es blieb kein Zweifel mehr, daß es das Joch zerbrechen wolle, unter dem Frankreich es gefangen hielt. Auf Rußlands tätige Mitwirkung war seit den Ereignissen von 1812 und dem Brand von Moskau zu zählen; was die deutschen Rheinbundfürsten tun würden oder eigentlich, was sie tun durften, war ungewiß. In vielen edlen Herzen, wie z.B. in dem des damaligen Kronprinzen, jetzigen Königs von Bayern, regte sich die deutsche Gesinnung, der Wunsch, das fremde Joch abzuschütteln, mit Macht; aber keiner wollte oder durfte einzeln hervortreten. So richteten sich vieler Augen sehnsüchtig und gespannt auf Österreich, welches durch enge Verwandtschaftsbande an Napoleon gebunden, und von den deutschen Fürsten mehr als einmal im Stich gelassen, allein zu bluten und zu weichen gezwungen worden war. Aber nichts verlautete von seinen Gesinnungen, und trüb und ängstlich standen wir, mitten in der frisch aufblühenden Natur des Frühlings von 1813, unruhig in die so nahe und so dichtverhangene Zukunft blickend.

Preußen hatte den Krieg offen erklärt. Die Feindseligkeiten begannen; die Schlachten von Lützen und Bautzen waren vorüber. Mit welcher Spannung hatte[417] man diese Nachricht erwartet, und wie wenig war sie geeignet, unsere Hoffnungen aufzurichten. O, ich erinnere mich noch wohl eines wunderschönen Abends, wo wir im Garten mit einer sehr werten Freundin Henriette Ephraim und der liebenswürdigen Marianne Saaling unter Blüten und Blumen beisammen saßen, die trüben Ereignisse der Gegenwart, die noch düsterere Zukunft mit schwerem Herzen erwägend, und wie gerade das unaufgehaltene Entwickeln der Natur in ihren festgezeichneten Kreisen, während in der moralischen Welt solche Stürme tobten, mir so schmerzlich erschien: diese frommen Blüten, diese stillen Lenzesfreuden, welche uns Segen und Fülle verhießen, gegenüber gezogenen Schwertern, angeschlagenen Feuergewehren und erbittertem Haß!

Um diese Zeit führte sich der berühmte Bruder einer später noch viel berühmtern Schwester, Herr Clemens von Brentano, mittelst eines Briefes von Tieck, wenn ich mich recht entsinne, bei mir ein. Tieck war im Jahre 1808 oder 1809 mit seiner Schwester öfter bei uns gewesen, und ich darf wohl nicht erst sagen, daß diese Bekanntschaft für mich sehr großen Wert hatte und noch hat, und daß ich stolz darauf bin, daß Tieck meiner noch öfter freundlich gedacht, und mir die Bekanntschaft bedeutender Personen, wie z.B. noch viel später des edlen, unvergeßlichen Carl Maria von Weber verschaffte. Damals, wie ich ihn sah, war Tieck ein hübscher, schlank, obwohl nicht hochgewachsener Mann von etwa 30 oder 32 Jahren, an dessen gefälliges Äußere mich ebenfalls im Äußerlichen der Dichter Nikolaus Lenau, den ich erst vor kurzem kennen gelernt, lebhaft erinnert hat. Seine Schwester war als Frau viel weniger hübsch, aber sie war eine Dichterin, eine geniale Frau,[418] die ihrem Gemahl Bernhardi, wie man sagte, davon gegangen war, und mit einem Herrn von Knorring, den sie später auch heiratete, herumreiste. Das war so damals die Art, wie geistreiche Frauen die Lehren der romantischen Schule aufs Leben anwandten.


*


Doch ich kehre zum Faden der Geschichte im Jahre 1813 und Herrn von Brentano zurück. Auch er gehörte dieser neuen Geistesrichtung an, und obwohl seine sehr markierte Originalität, sein poetisches Talent und seine geistreiche Unterhaltung mir manche angenehme Stunden machte, so fand ich doch auch vieles so heterogen in unserer beiderseitigen Denkart, daß ich ihn oft mit Erstaunen sprechen hörte, und ebenso oft ganz und gar nicht begriff, was er meinte und sagte. Dies Nichtbegreifen der Reden und Schriften anderer, oft sehr gelehrter oder sinnreicher Männer, begegnete mir damals schon zuweilen, seitdem aber immer öfter. Ich habe mich schriftlich darüber ausgesprochen, und erlaube mir nun die Frage zu wiederholen, ob denn nur an mir – die auch früher ernste Bücher gelesen und verstanden hatte – oder nicht vielmehr an der Vortragsweise dieser Schriftsteller die Schuld davon liege? –

Brentano las uns in drei Abenden, sein großes dramatisches Gedicht: Die Gründung von Prag, das bei vielen einzelnen Schönheiten sehr barokke, sehr grelle Auftritte und Redensarten und manches mir eben auch Unverständliche hatte; wie ich denn über eine mystische Person, ein Mädchen, Trinitas, wenn ich mich recht erinnere, genannt, nicht recht ins Klare und zu dem eigentlichen Verständnis des Dichters gelangen konnte.

Indessen verbreitete sich die lange und ängstlich ersehnte[419] Nachricht: Österreich sei den andern gegen Frankreich oder vielmehr gegen Napoleon verbündeten Mächten beigetreten. Unser edler Kaiser hatte sein Vatergefühl das zweitemal bezwungen, wie es bei der Vermählung seiner Tochter zum erstenmal geschah, und ihrem Gemahl und dem Lande, dem sie nun angehörte, den Krieg erklärt. – Am 17. August wurde der Waffenstillstand aufgekündigt und die Furie des Krieges entfesselt.

Schon früher hatten Dichter und andere Schriftsteller, gedrängt von der traurigen Lage des gemeinsamen Vaterlands, sich erhoben und glühende Wünsche ausgesprochen, daß die Deutschen sich ermannen, den alten Zwiespalt vergessen, sich vereinigen und mit gesamten Kräften das fremde Joch abschütteln möchten. So hatte der kräftige Rückert sein »geharnischten Sonette« gedichtet. So rief der edle Schenkendorf den Deutschen zu, sich unter ihrem ehemaligen Haupte zu sammeln, in dem schönen Gedichte:


Deutscher Kaiser! deutscher Kaiser!

Komm zu rächen, komm zu retten,

Löse deines Volkes Ketten,

Nimm den Kranz, dir zugedacht! usw.


Beinahe noch schöner und in ganz prophetischem Geiste gesungen war sein anderes Gedicht: Die Preußen an der kaiserlichen Grenze.


Wir grüßen dich mit Waffentänzen,

Wir neigen uns an deinen Grenzen,

Du klangreich Böhmerland!

O Herr! im Schmuck der grünen Reiser,

Wir rufen: Heil und Sieg dem Kaiser!

Der deinen Sinn erkannt.

– – – – – – – –

Der Geister Zorn versank in Aschen,

Des Rächers Hand hat abgewaschen,

Was widers Recht geschehn.[420]

Nicht mehr nun trennt uns Süd und Norden,

Ein Lied, ein Herz, ein Gott, ein Orden!

Ein Deutschland stark und schön.


Und dann in der fünften so wie in der letzten Strophe die genau erfüllte prophetische Vorempfindung:


Wo halten wir die Siegesfeier?

Wo wir die Lese halten heuer,

Dort, bei des Rheines Kraft.–


Im Herbst kamen die verbündeten Heere an den Rhein, und später nach Frankreich und der Schweiz, ans Ufer der Rhone.


Wir sprengen Kette kühn auf Kette,

Und hängen an des Rhodans Bette

Den deutschen Eichenkranz.


Pünktlich erfüllte sich diese Voraussicht und bestätigte in mir den Gedanken oder das Gefühl, das manche Sprachen auch durch das Wort bezeichnen, daß im echten Dichter etwas Prophetisches lebe; so nennt ihn der Römer: Vates.


*


Ich hatte einen schätzbaren Freund, den schon erwähnten Baron von Merian, der in früherer Zeit auch Hormayrs Freund gewesen, und von diesem bei uns eingeführt worden war. Seit 1810 hatte er Wien verlassen, und war in Dresden bei der kaiserlichen Gesandtschaft angestellt. Wir wechselten fleißig Briefe, und Merian, der ebenfalls Deutschland und seine Freiheit mit warmem Herzen umfaßt hatte, und dem es sehr leid tat, daß Österreich im Jahre 1812 ein Hilfskorps zu der französischen Armee gestellt hatte, verließ die kaiserlichen Dienste und nahm eine russische Anstellung an, weil er, wie er mir schrieb, von Scythen und Gelonen das hoffte, was ihm die Deutschen nicht tun zu wollen[421] schienen. Jetzt war auch er zufrieden gestellt, und da der Kurierwechsel in jener Periode sehr lebhaft zwischen Wien und Dresden war, hatte ich sehr oft, ja in manchen Perioden täglich einen Brief von Merian; aber auch manchmal was für wunderliche! Eines Morgens z.B. weckte man uns zeitig, und überreichte uns ein ziemlich konsiderables Paket, das ein russischer Kurier gebracht hatte. Pichler, den natürlicherweise jede Nachricht aus Dresden in jenem Zeitpunkte interessierte, erbrach schnell den Brief. – Was enthielt er? Einen kurzen, ziemlich gleichgültigen Brief und einen sorgfältig zusammengelegten Bogen Löschpapier, auf dem von Merians Hand das Wort »Ballast« geschrieben stand. Merian hatte, wie er später schrieb, nicht Zeit gehabt, mir ausführlich zu schreiben; wollte doch ein Lebenszeichen, und dem Kurier nicht ein bloßes Billet mitgeben; so verfiel er auf jenen wunderlichen Gedanken des Ballasts, der aber im ganzen nicht wunderlicher war, als mancher andere, den er in seinen Briefen, und wohl auch in seinem Leben ausgeführt. Wie oft bekam ich, eben auf dem Kurierwege, dicke Pakete, die denn kaum in einigen Zeilen Nachricht von dem fernen Freunde, hingegen große Auszüge oder Notaten aus Büchern enthielten, wie sie Merian eben damals las. Bei allen diesen Sonderbarkeiten waren mir seine Briefe oder Blätter stets eine erwünschte Erscheinung, und mit warmem Andenken ruf ich dem Langedahingegangenen einen herzlichen Scheidegruß in jene Welt nach, in welcher wir uns bald begegnen werden.

Es war im August 1813, schon gegen das Ende des Monats, und ich hatte mit einer Pünktlichkeit, die ich mancher Offiziersfrau an meiner Stelle gewünscht hatte, beinahe täglich einen Brief von Merian aus Dresden erhalten.[422] Nicht als ob diese Nachrichten von dem fernen Freund mir nicht erwünscht gewesen wären, aber weil ich sie doch mit sehr großer Ruhe erwartete, und wenn sie einmal ausblieben, ohne lebhafte Unruhe vermissen konnte. Auch war bis gegen Ende des Monats noch nichts Entscheidendes vorgegangen, und nur von kleinern Gefechten Nachricht gekommen, bei deren einem schon etwas früher Körner verwundet worden war, und sein so frommergebenes, so heldenkräftiges Sonett:


Die Wunde brennt, die bleichen Lippen beben –


gedichtet hatte; worauf er sich zu seiner Heilung nach Karlsbad begab, wo damals sich seine Eltern aufhielten; dann aber wieder zu seinem Korps stieß, um mit dem Schwerte zu streiten, wie er es früher mit der Leier gegen den allgemeinen Feind getan. Eines Tages gingen wir eben zu Tische, und ich fand, wie es damals fast jeden Tag der Fall war, einen Brief von Merian auf meinem Teller. Es war ein kurzer Zettel – wie gewöhnlich. Ohne weitere Aufschrift oder Einleitung enthielt er ein Gedicht auf Körners Tod, von Apel – und unten bei Körners Namen die Note: Geblieben in einem Gefecht bei Gadebusch im Mecklenburgschen den 26. August 1813.

Das war die Weise, wie der sonderbare und nur zu originelle Mann einer Frau, die er gewiß achtete und der er wohl wollte, den Tod eines Jünglings verkündete, den er selbst vor anderthalb Jahren mit warmer Empfehlung an sie gewiesen, und die sich seitdem in ihren Briefen so oft und mit so herzlicher Teilnahme über den talentvollen, edlen Theodor ausgesprochen hatte. Ich war aufs Äußerste betroffen, doch hatte ich die Gewalt über mich, meiner Mutter und meinem Manne, denen der Verstorbene ebenfalls sehr wert gewesen, und[423] die mich nach dem Inhalt von Merians Briefe befragten, weil diese Nachrichten unter uns Gemeingut waren, die trostlose Botschaft zu verschweigen, um ihnen nicht das Mittagsmahl zu verderben, wie es mir verdorben war. Übrigens glaube ich, daß ich ziemlich die erste in Wien war, die diesen großen Verlust erfuhr – aber auch auf welch unpassende Weise!

Bald verbreitete sich die Kunde durch die ganze Stadt, und das bedeutende Opfer, das in Theodors Person, auf welchen ganz Deutschland mit Achtung blickte, der guten Sache ohne Nutz und Förderung bis dahin gefallen war, diente nicht dazu, unsere Hoffnungen zu beleben oder unsern Mut zu erhöhen.

Brentano führte in diesen Tagen oder etwas früher, bald nach der Kriegserklärung, ein paar fremde Damen aus Breslau, wenn ich nicht irre, bei mir ein. Es war von dem beginnenden Kriege, von unsern Aussichten, Anstrengungen usw. die Rede. Mit jener liebenswürdigen Naivität, mit welcher West- und Norddeutsche (diese ganz vorzüglich) sich berechtigt glaubten, Österreich nicht allein tief unter sich zu sehen, sondern es uns bei jeder Gelegenheit ins Gesicht zu sagen, rief Brentano, in seiner Lebhaftigkeit aus: Mein Gott! wie können sich die Wiener Hoffnung machen, Napoleon zu schlagen, da sie so viel Wohlgefallen an ... (ich weiß nicht mehr, welchen mittelmäßigen Schauspieler er hier nannte) finden! Dann begannen die Damen mit derselben Ungeniertheit mir ihre Ansichten zu demonstrieren; denn natürlich war aller in Deutschland vorhandene Verstand das Erbteil der Preußen und Norddeutschen, und für uns arme Österreicher und Katholiken nichts übrig geblieben. Derlei Verbindlichkeiten erlaubten sich die Fremden sehr oft, uns ins Gesicht zu[424] sagen; aber wir berechtigten sie auch dazu durch den gar zu großen Mangel an allem Nationalgefühl, den wir leider mit allen Deutschen teilen, aber sie in diesem Stücke noch übertreffen. Wäre ich so unzart gewesen wie diese Personen, so hätte ich mit Fug und Recht diese Preußinnen an den totalen Sturz ihrer Monarchie im Jahre 1806 erinnern können, und wie doch Österreich noch viel respektabler im Jahre 1809 aus dem Kampfe geschieden war. Aber das hätte mir unwürdig geschienen, und so ließ ich sie reden. Vielleicht aber hätte ich es rügen sollen, und vielleicht wäre mancher solche Übermut der Fremden gegen uns unterblieben, wenn wir ihnen die Zähne gezeigt hätten, so wie Bürger singt:


Viel Klagen hör ich stets erheben

Vom Hochmut, den der Große übt.

Der Großen Hochmut wird sich geben,

Wenn unsre Kriecherei sich gibt.


*


Indessen hatten doch Preußen und Rußland dem Beitritt Österreichs zu ihrem Bunde mit Verlangen entgegengesehen, und nur davon sich Heil und das Gelingen ihrer Pläne versprochen. Mein Herz jauchzte auf über diesen Beitritt, und wie immer auch die Schicksale sich gestalten sollten, es schien mir ehrenvoller, mit dem ganzen deutschen Vaterland zu Grund zu gehen, als allein ruhig stehen zu bleiben, wenn die übrigen kämpften, bluteten – eine Rolle, die Preußen früher beim Basler Traktat, wenn ich nicht irre, und im Jahre 1805 nicht verschmäht hatte, zu spielen. Es war ihnen 1806 schrecklich, heimgekommen und darum nichts mehr davon! Schenkendorf sprach es ja aus: Nicht mehr nun trennt uns Süd und Norden. – Damals galten wir[425] auch für Deutsche, eine Benennung, die man uns früher, und auch jetzt wieder in so mancher Beziehung vom Norden und Westen aus nicht immer zugestehen will.

Österreich erhob also den Schild – und wahrlich, es schien mir in diesem Kampfe, in dem zwar jede der drei Mächte mit allen ihren Waffen im Felde erschien, als ob Preußen das Schwert, Rußland die ferntreffende Lanze und Österreich der Schild war, der sich vor die übrigen noch unversehrten Gaue Deutschlands stellte, um die Schrecken des Krieges von ihnen abzuhalten.

Alle diese Hoffnungen, Befürchtungen, Erwartungen und Zweifel hatten mein Innerstes lebhaft erregt, und allerlei Entwürfe, das, was mich bewegte, in poetischer Gestaltung auszusprechen, stiegen und sanken wechselweise in mir auf und nieder. Meines Mannes Wunsch entschied endlich für ein dramatisches Gedicht, und ich erinnere mich nicht mehr bestimmt, welche Veranlassung mich auf einen Punkt der deutschen Geschichte führte, wo ein (zwar deutscher Kaiser, aber von undeutscher Geburt) nämlich Friedrich II., der wohl oft das Glück Deutschlands seinen italienischen Bestrebungen unterordnete, eben (nach der Meinung einiger Geschichtsschreiber) mit seinem Sohne Heinrich in Kampf geriet, weil dieser sich seines Vaters Plänen, Italien zu unterjochen, und sich dazu der Kräfte Deutschlands zu bedienen, entgegensetzte. Es gibt viele Geschichtsschreiber, die diese Begebenheit anders berichten, und bei denen Heinrichs, des römischen Königs Unrecht gegen seinen Vater deutlicher hervortritt. Nur muß man nicht vergessen, daß, da seit der Reformation bis ganz nahe an unsere Zeit die Geschichtsschreibung meist in den Händen der Protestanten war, schon der unglückliche und mit so viel Kraft geführte Kampf gegen die[426] Macht des Papstes, Friedrich II. in den Augen dieser Historiker einen Glanz verlieh, der vor dem unparteiischen Richterstuhl der Wahrheit vielleicht nicht ganz anerkannt werden dürfte, indem dieses Monarchen Charakter italienische Schlauheit, Härte, Irreligiosität und Nichtachtung der öffentlichen Meinung (wie seine sarazenische Leibwache in jener Zeit des kindlichsten Glaubens bewies), eine Mischung von Elementen zeigt, die ihn, nach meiner Meinung, tief unter seinen edleren und echten deutschen Ahn Barbarossa stellen.

War diese meine Ansicht ein Irrtum, so war es doch ein unfreiwilliger, entstanden – wie jede Ansicht pflegt – aus den angebornen Neigungen, aus den Eindrücken meiner Erziehung und der Einwirkung der Zeitumstände. Genug, ich entwarf den Plan zu meinem »Heinrich von Hohenstauffen«, in dessen Verschlingungen ich passenden Raum für vieles, was damals mich und Tausende mit mir bewegte, zu finden dachte. Es war Deutschland, welches von einem kräftigen, aber nicht wohlgesinnten Fürsten und Kriegshelden seinen anderweitigen Plänen für Größe und Ehre aufgeopfert werden soll; es waren deutsche Fürsten, die, uneins unter sich, nur ihren eigenen Vorteil, nicht den des gesamten Vaterlandes im Auge hatten; es war endlich Österreich, welches in der Person seines letzten (Babenbergischen) Herzogs Friedrich und dessen Schwester Margaretha, Gemahlin des unglücklichen Kaisersohnes Heinrich, vermittelnd und schützend in der gewaltigen Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn auftritt.

Jetzt sehe ich die großen Fehler, die auch dieses Stück an sich hat, vollkommen ein, und bin durch eigene Erfahrung von dem oft gehörten Satze überzeugt worden,[427] daß Frauenzimmer sich nicht auf den Kothurn wagen sollen. Schon damals hatte ich eine warnende Ahnung davon gehabt, und ich kann nichts zu meiner Rechtfertigung sagen, als daß es meines Mannes deutlich ausgesprochener Wunsch und seine herzliche Freude an diesen meinen Arbeiten war, was mich bestimmte, mich zuweilen auf dieser gefährlichen Bahn zu versuchen.

Unter schweren Sorgen für das Gelingen des großen Kampfes um die allgemeine Freiheit des deutschen Vaterlandes, und wie oft unter Tränen arbeitete ich an diesem Heinrich von Hohenstaufen, und das lebendige Gefühl dieser Sorge sprach sich in den vielen Anspielungen auf die damaligen Zeitumstände aus, wozu der Stoff Veranlassung bot und welche dies Stück, als es späterhin aufgeführt wurde, für ein Gelegenheitsstück, das eigens zu der Feier des 18. Oktobers gedichtet worden sei, halten machten. Dem war aber nicht so. Ich arbeitete fast den ganzen Sommer daran, und Gott sah meine und Millionen anderer Sorgen und Tränen an. Er erhörte die brünstigen Bitten, und so konnte ich, als das Stück aufgeführt wurde, wohl mit innigem Dankgefühl sagen: Die mit Tränen säen, werden mit Frohlocken ernten.

Begeisterung für die Sache des Vaterlandes hatte alle Stände, alle Alter in allen Teilen Deutschlands ergriffen. Freiwillig eilten Jünglinge aus jenen Reihen der Staatsbürger, die nie zum Kriegsdienste verpflichtet gewesen wären, zu den Waffen. Beamte verließen ihre Bureaus, um Teil an dem Kampfe zu nehmen, und vor vielen dünkte mich der Entschluß junger Ärzte lobenswert, sich dem Dienste der Kranken und Verwundeten in den Feldspitälern zu weihen. Unser Haus besuchten damals[428] zwei solche junge Männer, wovon der eine Dr. Ed. Pohl, aus Sachsen gebürtig, seine Studien hier vollendete, und erst kürzlich als geschätzter Arzt und verehrter Familienvater hier gestorben ist. Der andere war ein junger Lief- oder Esthländer, Gust. Ad. Fichtner genannt, der sich durch seltene Bildung und durch feines Betragen vorteilhaft auszeichnete, dessen Herkunft und übrige Lebensverhältnisse aber in ein geheimnisvolles Dunkel gehüllt waren. Wir nannten ihn auch unter uns im Scherze: das Kind der Ostsee. Diese beiden Jünglinge nun entschlossen sich, zur Armee nach Böhmen abzugehen, und Dienst in den Feldspitälern zu nehmen. Fichtner hatte, ebenso wie Körner es in seinen Gedichten getan, in den Gesprächen mit uns seine Todesahnung ausgesprochen. Er hatte mich beim Abschiede gebeten, wenn er – wie er nicht zweifelte – sterben würde, seine kleine Büchersammlung als Andenken anzunehmen. Ich teilte, wie natürlich, diese seine düstere Ahnung nicht, und so nahm ich, als er, der lebensvolle, blühende Mann, nebst Dr. Pohl gerade an den denkwürdigen Tagen des 25. und 26. August (an welchen nämlich unter unaufhörlichen Regengüssen, die auch in Wien herrschten, die Linien bei Dresden gestürmt wurden, der unglückliche Moreau seinen unpatriotischen Entschluß mit dem Leben büßte, die Schlacht an der Katzbach geschlagen worden, und der teure Körner bei Gadebusch gefallen war sich von uns beurlaubte – mit herzlichen Segenswünschen für beider Wohl und mit der festen Hoffnung, sie beide wieder in Wien zu sehen, von ihnen Abschied.

Kurz darnach kamen alle jene Nachrichten an, und ich beeilte mich, Pohl und Fichtner von dem traurigen Verlust des ausgezeichneten Dichters und werten Freundes[429] von beiden auf eine schonende Art zu unterrichten, ehe sie denselben durch Zeitungen erfuhren. Ach! noch reut mich, daß ich es getan; denn diese Nachricht war es, die vielleicht den letzten Ausschlag bei dem frühen Tode des guten Fichtners gab, so wie eben ein letzter Tropfen das zu volle Glas überfließen macht. Mein, Brief war an Dr. Pohl gerichtet, mit dem ich in nähern freundschaftlichen Verhältnissen als mit Fichtner stand. Indessen teilten sich die jungen Leute gern die Nachrichten mit, die ihnen aus Wien und dem gewohnten Kreise, in dem sie heimisch gewesen waren, zukamen. Damals standen beide bei einem kaiserlichen Spital in Böhmen, und wenn wir den Mut der Kämpfer ehren, welche im Schlachtgewühl ihr Leben aufs Spiel setzen, wo der Lärm des Kampfes, der Donner des Geschützes, die Menge der Mitstreiter und Zeugen, die Töne der Kriegsmusik, endlich die Begeisterung der Sympathie das Gemüt erweitert, und dem Tode seine meisten Schrecken nimmt: so muß auf der andern Seite die Aufopferung eines Arztes, der im Spital vielleicht einem ebenso gewissen Tode, nur einsam, unbeachtet, unter entmutigenden Umständen, und bloß von dem Gedanken seines nützlichen Wirkens für andere gestärkt, entgegengeht, nicht minder gepriesen werden. Es hat ein junger Arzt und Dichter, Dr. Friedländer, den ich später kennen gelernt, über diese Aufopferung der Ärzte in den Feldspitälern, welchem Dienst auch er sich in dieser denkwürdigen Epoche weihte, ein schönes Gedicht verfaßt: Die Asklepiaden des Heeres, welches mit sehr poetischer Empfindung die Stellung dieser stillen, unbeachteten Helden schildert, und ich bedaure nur, dies Gedicht nicht bei der Hand zu haben, um einige seiner schönen Stellen hier mitteilen zu können.[430]

Fichtner war schon unwohl gewesen, er war aber noch außer dem Bette, als mein Brief mit der Nachricht von Körners Tode ankam. Pohl, an den er gerichtet war, las ihn ihm vor; diese Nachricht ergriff den ohnedies Kranken heftig; ein starkes Fieber trat ein, er mußte sich niederlegen, und – er stand nicht wieder auf. Seine Ahnung hatte ihn ebensowenig als Körnern getäuscht, und es ist mir stets seltsam und wehmütig aufgefallen, daß des einen Tod auf gewisse Weise den des andern nach sich gezogen hat.

Indessen waren der August und die ersten Tage des Septembers vergangen. Ängstlich wurde auf jede Nachricht von der Armee gewartet, die nicht, wie man glaubte, dem Befehl des Erzherzogs Karl, sondern dem des Fürsten Schwarzenberg untergeordnet war, und der nun, samt den vereinigten Scharen der Preußen, Russen und sogar der Schweden, der Armee Napoleons gegenüberstand, so daß man täglich einer entscheidenden Schlacht mit der höchsten Spannung entgegensah.

Mit welcher freudigen Überraschung erfüllte uns in Wien nun eines Tages die Siegesnachricht von der Schlacht bei Kulm, welche Fürst Paar brachte, und mit welchem Jubel umringte das Volk seinen Wagen, auf dem er die erbeuteten Fahnen führte. Nach so viel Angst, nach so viel vereitelten Hoffnungen, nach so viel düstern Vorzeichen nun endlich ein Sieg, und welcher! der ganz Böhmen vor dem Einbruch der Armee des Vandamme rettete, und wo Ostermann mit den vereinigten russischen und österreichischen Truppen, wie ein Cherub mit dem Flammenschwerte, sich vor das bedrängte Vaterland gestellt hatte!

Jetzt, nach mehr als 25 Jahren erinnere ich mich der Zeitfolge der Begebenheiten nicht ganz genau – nur[431] das weiß ich, daß die frohen Nachrichten von der Schlacht an der Katzbach, von der bei Kulm, bei Dennewitz usw. sich bald folgten und die gesunkenen Gemüter mächtig aufrichteten, indem jeder Teil der verbündeten Nationen sich mit eben der herzlichen Empfindung der Siege ihrer Alliierten, sowie der eigenen freute, und wirklich Schenkendorfs Worte:


Ein Lied, ein Herz, ein Gott, ein Orden,

Ein Deutschland hoch und frei!


und Körners:


Denn Brüder sind wir allzumal!


wenigstens bei uns in Wien, in den warmen, arglosen Herzen meiner Landsleute in schöne Erfüllung gingen.

So kam denn unter abwechselnden, aber meist freudigen, erhebenden Nachrichten von den verbündeten Armeen, die alle nur eine gute und gerechte Sache verteidigten, der Oktober heran. Napoleon stand noch immer bei Leipzig und sah, wie es schien, ruhig den Kreis, den die verbündeten Heere um ihn herzogen, immer enger werden, und ganz Deutschland blickte mit unruhiger Erwartung dem Ausgang oder wenigstens einer entscheidenden Krisis des großen Kampfes entgegen. –

Endlich brach der Morgen des 18. Oktobers an, dieser für alle Zeiten merkwürdige Tag, an dem Deutschland seine lange und schmählich getragenen Ketten zerbrach, die so viele von uns wund gedrückt, so viele erdrückt hatten: Gott hatte uns den Sieg gegeben!

Wenige Tage darauf erscholl die frohe Nachricht in Wien. Graf Neipperg brachte sie, und sein Einzug mit dieser alle beglückenden Botschaft war ein Freudenfest für Wien. Einen Zug der Größe und erhabenen Vergessens seiner selbst über dem Wohl des Vaterlandes[432] von unserem angebeteten Erzherzog Karl, den man sich damals erzählte, will ich hier wiederholen. Als der Kurier des Feldmarschalls Fürsten Schwarzenberg vor dem Palast des Erzherzogs vorbeiritt, eilte der Fürst in seiner edlen Freude über die Rettung des Vaterlandes, alle persönliche Rücksicht vergessend, die Treppe herab, um den Siegesboten zu begrüßen, und sich näheres von ihm berichten zu lassen.

1

Viele werden sich noch der goldenen Kreuze mit der Inschrift: »Dem Retter Germaniens« erinnern, die man damals trug und die ihre Stiftung einer Fürstin von Fürstenberg verdankten.

Quelle:
Pichler, Caroline: Denkwürdigkeiten aus meinem Leben. 2 Bände, Band 1, München 1914, S. 433.
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Die Vögel. (Orinthes)

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Zwei weise Athener sind die Streitsucht in ihrer Stadt leid und wollen sich von einem Wiedehopf den Weg in die Emigration zu einem friedlichen Ort weisen lassen, doch keiner der Vorschläge findet ihr Gefallen. So entsteht die Idee eines Vogelstaates zwischen der Menschenwelt und dem Reich der Götter. Uraufgeführt während der Dionysien des Jahres 414 v. Chr. gelten »Die Vögel« aufgrund ihrer Geschlossenheit und der konsequenten Konzentration auf das Motiv der Suche nach einer besseren als dieser Welt als das kompositorisch herausragende Werk des attischen Komikers. »Eulen nach Athen tragen« und »Wolkenkuckucksheim« sind heute noch geläufige Redewendungen aus Aristophanes' Vögeln.

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