Fünfter Akt.

[165] Das Publicum, Chor der Haidschnucken.


CHOR.

Was hältst du, Freund, von diesem neuen Trauerspiel?

PUBLICUM.

O zum Entsetzen meisterhaft! Zum Fressen schön!

CHOR.

Wie antisophokleisch er's behandelt hat!

PUBLICUM.

Anachronismen eingestreut zu tausenden!

CHOR.

So ganz unendlich tragisch! Alle sterben fast.

PUBLICUM.

Bis auf die zwei Hebammen.

CHOR.

Diese hat gewiß

Die böse Pest mit weggerafft.

PUBLICUM.

Wie aber kam

Die Sphinx bis in's Orchester? Dieses that sie, scheint's,

Auf eigne Faust?

CHOR.

Ja, leider war die treffliche

Schauspielerin, der Rolle wegen, aufgebracht!

Sie stellte sonst Liebhaberinnen, zärtliche

Koketten dar, und sollte nun ein heidnisches

Geschwänztes Ungeheuer spielen; dieserhalb

Sprach aus dem Stegreif jene grobe Rede sie.

PUBLICUM.

Doch ihr Costüm war ausgesucht! Welch himmlischer

Theaterschneider!

CHOR.

Allerdings! Doch ist er auch

Weit besser, Freund, als bloße Dichter, honorirt,

Und Wem da viel gegeben ist, von Diesem wird

Auch viel gefordert.

PUBLICUM.

Aber sieh! Wer naht sich uns?[166]

CHOR.

Ein Exilirter aus Berlin, er heißt Verstand.

PUBLICUM.

Ihn hab' ich nennen hören, aber nie gesehn.


Die Vorigen, der Verstand.


CHOR.

Du hast das hohe Meisterwerk mit abgehorcht:

Nun gieb ein Unheil!

VERSTAND.

Alles schien so lappenhaft

Geflickt, und eins an's Andre nur so hingenäht,

Daß ich den Bühnenschneider für den wirklichen

Verfasser halte.

PUBLICUM.

Sagt' ich nicht dasselbe just?

Wie herrlich war der Königin Jokaste Schlepp!

Kind's Frack allein war schmutzig.

CHOR.

Weil der Frack es war,

Den ein Pygmäencorporal getragen einst,

Von eines Kranichs Blut besprützt! Die blutige

Tragödiendichtung aber ist von Nimmermann.

VERSTAND.

Ich will es glauben, ausgenommen Einzelnes,

In keinem Fall die Verse; doch der Plan gewiß.

Auch hat vielleicht ein lustiger Vogel hier und dort

Was Witziges eingeflochten, unterhaltender

Das lahme Spiel zu machen.

CHOR.

Also kennst du nicht

Die Mode, daß man Tragisches jetzt und Komisches

Naturgemäß zusammenschachtelt insgemein,

Weil ja das Menschenleben selbst buntschäckig ist?

VERSTAND.

Das Leben freilich; aber sicher nicht die Kunst.

PUBLICUM.

Oh! Kritisiren, lieber Herr, ist federleicht,

Doch Bessermachen schwierig.

VERSTAND.

Ja, ich wünschte selbst,

Daß Einer käme, welcher ganz auf praktischem

Weg euren Stümpern zeigte, daß sie Stümper sind;

Denn nie geglaubt noch haben sie's den Kritikern.[167]

Auch wird Kritik noch stümperhafter ausgeübt,

Und meist von Dichterlingen selbst. Verrücktes wird

Gemüthlich tief, Gedankenloses klar genannt,

Und Plattes höchst natürlich; aber dieses Lob

Ist nicht das Schlimmste! Denn es wird Vorzügliches

Zugleich herabgewürdiget durch den leichten Kniff,

Zu sagen: Dieses fehlt dem Werk, und freilich muß

Gar Vieles jedem Werke fehlen, freilich ganz

Unmöglich ist es, Calderon und Aeschylus,

Moliere und Aristophanés zugleich zu sein!

PUBLICUM.

Es spricht der Mann gescheuter, als ich's dachte mir,

Und freigesinnt fast macht er mich: Ich glaubte sonst,

Daß Alles, was ein Recensent abdrucken läßt,

Buchstäblich wahr sei.

CHOR.

Schweige nun! Es nähert sich

Der Stolz des Weltalls.

PUBLICUM.

Nimmermann?

CHOR.

Er ist es selbst!


Die Vorigen. Nimmermann.


CHOR.

Auf, auf, o Genossen! Den Sänger begrüßt!

Er bezwingt die Natur, fügt Steine dem Bau,

Lehrt Bären den Tanz! Im Erschaffenen rings

Kommt nichts Ihm gleich; es besiegt sein Lied

Der Cicade Gezirp und den Unkengesang

Und des Kuckucks reiche Gedanken!


Auf, auf, o Genossen! Er kommt! O bedenkt,

Da ein Schöpfer er selbst, was bieten wir ihm?

Ach! Würde sofort des Gehegs Sumpfteich

Ein befruchtender Strom, und ein Lorbeerwald

Dieß Haidegewächs, und die Wolken umher

Babylonische hangende Gärten!


Auf, auf, o Genossen! Er wandelt heran

Lichtschön wie Apoll, der Köcher und Pfeil[168]

Im Gebüsch ablegt, und die Leier bezieht

Mit Saiten! Es spühlt der kastalische Quell

An die Knöchel des Gotts, und es schleicht Sehnsucht

In die liebliche Seele der Musen!

NIMMERMANN.

Mit Dank empfang' ich wohlverdienten Lobtribut.

PUBLICUM.

Dich selber übertrafst du nun, das herrliche,

Superlativische Trauerspiel Cardenio,

Und manches andere Kraftprodukt, durch neidische

Kritiken blos verspottet.

VERSTAND.

Diese nannten es

Hochschule für die Wissenschaft der Gähnerei,

Des Mittelmäßigen Mittelmeer, und ähnliche

Verbrauchte Bilder.

NIMMERMANN.

Und du selbst? Was denkst du denn?

VERSTAND.

Anmaßend wär' ich, wollt' ich noch urtheilen, wo

Deutschland entzückt gerichtet!

NIMMERMANN.

Zwar veracht' ich dich;

Doch zürnt dem armen Knaben nicht der höchste Gott,

Der ihm das Rauchfaß knieend bei der Messe schwingt;

Ich lasse mir dein Lob gefallen: Räuchere!

VERSTAND.

Wer kann erschöpfen dein Verdienst?

NIMMERMANN.

Ich bin zugleich

Poet und Kriminal Jurist und Recensent,

Von drei Talenten eine Trippelallianz!

VERSTAND.

Wie ist der Staat zu beneiden, dem du dergestalt

Nach allen Seiten dienst!

NIMMERMANN.

Es ist der preußische.

VERSTAND.

Glückseliges Oestreich!

NIMMERMANN.

Bin ich nicht ein großer Mensch?

Berlin vergöttert meine Kunst, und meiner Kunst

Kritiken stehn im Hegelischen Wochenblatt,[169]

Als Pfand von seinem Werthe. Dort erklärt' ich auch,

Weshalb der getaufte Heine, mein Mitstrebender,

Kein Byron blos mir, aber ein Petrarca scheint.

VERSTAND.

(Du ganz completter Gimpel!) Mir ein Pindarus.

NIMMERMANN.

Ihn nennen hätt' ich dürfen auch den Pindarus

Vom kleinen Stamme Benjamin; er nannte mich

Des jetzigen Zeitabschnittes ersten Tragiker!

VERSTAND.

O Lessing! Lessing! Drehe dich im Grab herum!

NIMMERMANN.

Nie hört' ich diesen Namen noch.

VERSTAND.

O Winckelmann!

NIMMERMANN.

Was für Pedanten rufst du an? Wer sind sie denn?

VERSTAND.

Mein großer Klopstock!

NIMMERMANN.

Welch ein Kleeblatt nennst du da?

VERSTAND.

Ein schönes Kleeblatt; aber längst dahingewelkt!

NIMMERMANN.

Fast ahn' ich, welcher Dichterschule, Nüchterner,

Du Huldigung darbringest! Deiner Lieblinge

Modernster ist gewißlich jener Dürftige,

Von welchem längst behauptet meine Xenien,

Daß er die Verse, die er schreibt, vomire blos?

Gedankenarmuth, denn ich hab' ihn arm genannt,

Verbirgt er hinter Künstlichkeit!

VERSTAND.

Der Vogel, der

Sein Nest erbaut im zugeschornen Buchenlaub,

Bedient sich dessen als Natur.

NIMMERMANN.

Wer's nicht vermag,

Der also, glaubst du, könne keine Nester bau'n?

VERSTAND.

Ich zweifle d'ran. Weitschweifigen Halbtalenten sind[170]

Präcise Formen Aberwitz, Notwendigkeit

Ist dein geheimes Weihgeschenk, o Genius!

NIMMERMANN.

Ich glaube gar, du ziehst mir jenen gräflichen

Und herrschbegierigen Dichter vor, Aristokrat?

VERSTAND.

Noch hab' ich niemals Anarchie begünstiget,

Und anzugreifen einen weit Gewaltiger'n,

Ist eine That, die sicherlich Verderben bringt.

NIMMERMANN.

Sich breit zu machen, wagen Exilirte noch?

Die Pietisten haben dir Berlin verpönt

Mit Fug und Recht! Wer kümmert um Verstand sich noch?

Hat unser Hoffmann, jener große Callotist,

Dich nicht magnetisch eingelullt, mit Fug und Recht?

Die Schüler Hegels bieten dir spitzfindiglich

Die Spitze dar: Wer kümmert um Verstand sich noch?

Mich lies, Fouqué studiere dann, und sämmtliche

Franz Horn-Zigeunerzeunedeutsch-Berlinerei:

Wir haben keinen Theil an dir im Preußischen!

Aus meinen Augen weiche nur, werth bist du nicht

Mich anzuschau'n! Wer kümmert um Verstand sich noch!

VERSTAND.

Was fällt dir ein? Bezähme deinen Uebermuth!

Nicht kennst du mich, so scheint es. Muß ich zeigen dir,

Aufknöpfend meinen Ueberrock, den Ordensstern,

Wie die Fürsten thun in Kotzebue's Komödien?

Zwar als Verbannter schleich' ich jetzt allein umher;

Doch vom Exil abruft mich einst das deutsche Volk:

Schon jetzt erklingt im Ohre mir sein Reueton,

Schon zerrt es mich am Saume meines Kleids zurück!

Dir aber, welchen schonend ich behandelte,

Dir schwillt der Kamm gewaltig, bitter höhnst du mich,

Und hältst für deines Gleichen mich, Betrogener!

Für jener Leutchen Einen, welche sonst vielleicht[171]

Um deinen Schreibtisch drängten sich, beklatschten dich,

Von dir mit Schwulst sich stopfen ließen, Gänsen gleich.

Unseliger, der du heute nun erfahren mußt,

Welch einen Schatz beherzter Ueberlegenheit,

Biegsamer Kraft im Vorgefühl des Bewältigens,

Welch eine Suada dichterischer Redekunst

In meines Wesens Wesenheit Natur gelegt!

Denn jeden Hauch, der zwischen meine Zähne sich

Zur Lippe drängt, begleiten auch Zermalmungen!

CHOR.

Was thust du? Wehe! Höhne nicht das Kraftgenie!

VERSTAND.

Du blickst herab verächtlich auf Gescheutere,

Als Pfuscher pfuschend, spielst du noch den Kritikus;

Doch schelten darf nicht Jeder, das bedenke du!

Denn selbst die Schicksalsnymphen will ich lieber sehn,

Als dich, den Eimer füllend am Poetenborn:

Du bist die Rachel, welche nur die Schafe tränkt!

Und wäre Müllners Musengott ein Satyr auch,

Mit dir verglichen ist er ein Hyperion,

So wahr der Sohn der Maja mir die Laute gab,

Ja, selbst die Pfeife, die den Argus eingewiegt!

Du bist allein ein ganzer Tollhaushelikon,

Der neun und neunzig Musen hat zu Närrinen;

Der langen Weile nie versiechender Quell entspringt,

Wo nur den Boden stampfen mag dein Pegasus;

Wie Holperpflöcke pflanzest deine Verse du,

Auf daß du selbst im Rausche d'rüber stolperest,

Wofern der Krätzer, den ich biete, trunken macht:

Komm, thu' Bescheid mir, Bruder! Ich kredenze dir's!

Wie schäumt in meinem Becher dir der herbe Spott!

CHOR.

Weh! Schone deine Gurgel, Unersättlicher!

VERSTAND.

Und kraft der Vollmacht, welche mir die Kunst verlieh,

Und kraft des Scherzes, welchen ich bemeistere,

Der unter meinen Händen fast erhaben klingt,[172]

Als wär's der Andacht hoher Ernst, und kraft der Kraft

Zerstör' ich dich, und gebe dich dem Nichts anheim!

Zwar wäre, dich vernichten, eine kleine That;

Allein gesalbt zum Stellvertreter hab' ich dich

Der ganzen tollen Dichterlingsgenossenschaft,

Die auf dem Hackbrett Fieberträume phantasirt,

Und unsere deutsche Heldensprache ganz entweiht;

Ja, gleichwie Nero wünscht' ich euch nur Ein Gehirn,

Durch einen einzigen Witzeshieb zu spalten es,

Um aller Welt zu zeigen eine taube Nuß,

Mit ungenießbar'm Floskelmoder angefüllt.

Verstumme, schneide lieber dir die Zunge weg.

Die längst zum Aergernisse dient Vernünftigen!

An deiner Rechten haue dir den Daumen ab,

Mitsammt dem Fingerpaare, das die Feder führt:

An Geist ein Krüppel, werde bald es körperlich!

CHOR.

Flieh, Nimmermann, die mörderischen Trimeter!

VERSTAND.

Wohin du fliehn willst, nimmermehr entrinnst du doch,

Und gleich Armeen umzingeln dich Verwünschungen!

Sachwalter giebt es keine für den Versifex,

Und aus dem Schooße schütteln dich die Wenigen,

Die noch geneigt dir waren, wie gemeinen Staub!

In meinen Waffen spiegle dich, erkenne dich,

Erschrick vor deiner Häßlichkeit und stirb sodann!

Ich bin im Jambenschleudern ein Archilochus,

Ein Zeus in meinem Sylbenfall, ein Donnerer:

Indem sie treffen, blenden meine Keile dich,

Von mir getödtet, gaffst du noch Bewunderung!


Ab.

Nimmermann. Publicum. Chor.


PUBLICUM.

O Grobian!

NIMMERMANN.

O Grobian!

CHOR.

O Grobian![173]

PUBLICUM.

Doch schien mir ziemlich wahr zu sein, was Jener sprach.

CHOR.

Auch ich empfinde manichfach mich umgestimmt;

Nur sprach er, dünkt mich, viel zu viel, und überdieß

War dieser Mensch handfester noch, handgreiflicher,

Als ein Tyrolerjäger aus dem Zillerthal.

NIMMERMANN.

Tyrol? Wie wird mir! Jucken mich Tragödien?

CHOR.

Gieb acht, er brütet wieder was Dramatisches!

NIMMERMANN.

Der Himmel hangt voll Geigen, voll abscheulicher,

Fünffüßiger Jamben uns! O seht!

PUBLICUM.

Wie rüttelt ihn

Begeisterung! Wie scheint er außer sich zu sein!

Weswegen kratzt er aber auf dem Schädel sich?

CHOR.

In seinen Lorbeern nistet jenes kluge Thier,

Das wohl versteht zu schätzen einen Mann von Kopf.

NIMMERMANN.

O mein Andreas Hofer, der erschossen wird!

PUBLICUM.

Erschossen? Nicht doch! Schone diesen Ehrenmann!

NIMMERMANN.

Nicht lass' ich selbst erschießen ihn, ein Engel thut's:

Schon warf in eine Felsenschlucht das Mordgewehr,

Vom Kriege matt, der Bauerngeneral Tyrols;

Ein Engel höhlt es aber aus der Schlucht zurück,

Und legt's dem Helden wiederum zur Seite hin,

Um ihn zu Grund zu richten. Vom Historischen

Abweichen darf ich nimmermehr!

PUBLICUM.

Der Engel soll

Zum Teufel gehn mit seiner Scheindienstfertigkeit!

NIMMERMANN.

Es ist ein Engel, den man auch weglassen kann,

Wie mir es vorschwebt darzuthun im Vorbericht.

PUBLICUM.

Doch dünkt es mich entsetzlich, ohne Geld und Paß,[174]

Verfolgt von Gassenjungen, durch die Welt zu ziehn,

Als weggelassener Engel eines Trauerspiels!

NIMMERMANN.

Ich folge treu den respektiven Zeitungen

Damaliger Zeit, mich haltend an's Historische,

Beginnend, eurem Dichterling Horaz zu Trotz,

Mit Leda's Ei die Pusterthaler Ilias.

PUBLICUM.

Doch werden dann behaupten unsre Kritiker,

Daß dir Erfindungsgabe ganz und gar gebricht,

Wenn lediglich den unverdauten Stoff du reichst;

Denn öfters hört' ich sagen über ein Trauerspiel,

Es wäre mit Begebenheiten vollgepropft,

Doch ganz erfindungslos.

CHOR.

Dann aber weißt du nicht,

Was als Erfindung rühmen uns Romantiker:

Histörchen, Abentheuer, plattes Volksgewäsch,

Statt folgerechten Gegenstands Entwickelung.

NIMMERMANN.

Was seh' ich? Oder besser noch, was riech' ich da?

Es wehet aus Tyrol mir ein verloderter

Papiergeruch! O wehe mir! Die Depeschen sind

Zu Staub verbrannt, an denen Hofers Leben hing!

PUBLICUM.

Was riecht er denn? Jetzt scheint er ganz verzückt zu sein.

NIMMERMANN.

Treuloses Weib! Verräthst du deinen Ehemann,

Dem wandelbar'n Franzosenoffizier zulieb?

Untreu verläßt auch dieser dich; doch kehrt er ein

In deine Hütte wiederum, du aber brennst

Ihm über'm Kopf das Haus zusammen, während er

Das Schreiben trägt in seiner Ficke Heiligthum!

PUBLICUM.

Jetzt scheint er mir verrückt zu sein!

NIMMERMANN.

O schändliche

Depeschenmordbrandehebruchstyrolerinn![175]

PUBLICUM.

Wahnsinn umflammt den Zirkel seines Dichteraugs!

CHOR.

Weh! Offen gesteht's des Gesangs Wehmuth:

Der berühmte Poet ist übergeschnappt!

Nun klage das All, nun werfe Natur

Nachtflöre des Tods Auf jede Geburt des Frühlings!

NIMMERMANN.

Faßbinder, bindet wieder mir ein Tintenfaß,

Meins ist vor Schmerz zersprungen! Meine Thräne fließt!

CHOR.

Schon plätschert herab sein Zährenerguß,

Und dem Haidegefild droht Sündfluthschmach!

Wo entdeck' ich des Heils noachidischen Kahn?

Wo verheißt Trost uns

Ein poetischer Regenbogen?

NIMMERMANN.

Dieß sing' ich dir, mein Heine, Samen Abrahams!

CHOR.

Er stirbt, und wimmernd fleht er schon Freund Hein herbei!

PUBLICUM.

Du irrst, er ruft Freund Hein ja nicht, den herrlichen

Petrark des Lauberhüttenfests beschwört er blos.

NIMMERMANN.

Du bist der ersten Dichter einer, sagst du selbst!

PUBLICUM.

Wahr ist's, in einem Liedelein behauptet er's;

Doch keiner glaubt's, wie's immer bei Propheten geht.

NIMMERMANN.

Welch einen Anlauf nimmst du, Synagogenstolz!

PUBLICUM.

Gewiß, es ist dein Busenfreund des sterblichen

Geschlechts der Menschen Allerunverschämtester.

NIMMERMANN.

Sein Freund, ich bin's; doch möcht' ich nicht sein Liebchen seyn;[176]

Denn seine Küsse sondern ab Knoblauchsgeruch.

PUBLICUM.

Drum führt er sein Riechfläschchen auch beständig mit.

NIMMERMANN.

Mein Heine! Sind wir beide nicht ein Paar Genie's?

Wer wagt zu stören, Süßer, uns den süßen Traum?

CHOR.

Mir ist's, als hört' ich schlagen eine Pendeluhr,

Die einen sehr gefährlichlauten Wecker hat.

NIMMERMANN.

Wär's möglich? Drohte meinem Stern Verfinsterung?

PUBLICUM.

Dem deinen nebst noch vielen, wenn ihr Sterne wärt;

Doch Blendlaternen schließen blos Talgstümpfchen ein.

CHOR.

Ihr seid die Jungfrau'n, deren Lampen ausgelöscht:

Was ist zu thun? Schon naht sich euch der Bräutigam,

Klangvollen Takt in seiner Schritte jeglichem,

Und bräutlich ruht am Busen ihm die Poesie!

NIMMERMANN.

Auch ihr verhöhnt mich?

PUBLICUM.

Lieber, komm! Ich führe jetzt,

Um Muße dir zu schaffen, dich an jenen Ort,

Den Britten Bedlam heißen, Deutsche Narrenhaus.

CHOR.

Er sagt es englisch, weil er dich Shakespear genannt.

NIMMERMANN.

Auch ihr verhöhnt mich? Wessenthalb, Verblendete?

PUBLICUM.

Wir waren's, lieber Nimmermann! Der heilende

Verstand benahm die Schuppen uns als Augenarzt.

NIMMERMANN.

Ihr wolltet Shakespear'n länger nicht anbeten mehr?

PUBLICUM.

Wir lieben Shakespear; aber wärst Shakespear du selbst,

Der nichts du bist, als seiner Affen grinzendster,

Du kämst zu spät der Forderung des Augenblicks:

Es hat die Welt verschleudert ihren Knabenschuh![177]

NIMMERMANN.

O wehe, weh mir! Meine letzte Stütze wankt.

PUBLICUM.

Einfache Wahrheit blos gefällt, kein Stelzenschritt,

Kein Harlekinsrock über einem Katafalk!

NIMMERMANN.

Weh, wehe meinen siebenfach geseiherten,

Phantastischplatten Quintessenztragödien!

CHOR.

O Kraft der Wahrheit! Also selbst gestehst du es?

NIMMERMANN.

Wem deklamir' ich künftig euch? Weh, wehe mir!

PUBLICUM.

In jener Anstalt fehlt es nicht an Hörenden:

Wahnwitzige bilden ebenfalls ein Publicum,

Ein sehr gemischtes, überaus vollzähliges.

NIMMERMANN.

So treff' ich auch jenseitige Mäcenaten an?

PUBLICUM.

Tollhäusler zwar; doch immerhin Bewunderer.

NIMMERMANN.

Triumph! Ich gehe, führe mich! Triumph! Triumph!


Vom Publicum abgeführt.


CHORFÜHRER an den Rand der Bühne vortretend.

Wenn streng der Poet, voll feurigen Spotts, der empor sich schraubenden Ohnmacht

Schwerfälligen Wahn, der platt, wie er ist, den begeisterten Schwärmer sogar noch

Will spielen, wie einst in die Saiten Apolls des Silens Maulesel hineingriff:

Wenn streng der Poet ihn strafte, verdient er den Dank und die Liebe der Mitwelt.

Da die Feinde zumal und die Hefe des Volks und die Stimmangeber in Deutschland

Ihn tief in den Staub ziehn möchten, damit er verliere sich unter der Mehrzahl,

So geziemt es gewiß der befreundeten Schaar, um so mehr ihn rettend zu flüchten,[178]

Auf prangendem Schild ihn tragend empor, den Beherrscher des Worts in der Dichtkunst!

Seit ältester Zeit hat hier es getönt, und so oft im erneuenden Umschwung,

In verjüngter Gestalt aufstrebte die Welt, klang auch ein germanisches Lied nach.

Zwar lange verhallt ist jener Gesang, den einst des Arminius Heerschaar

Anstimmend gejauchzt in des Siegs Festschritt, auf römischen Gräbern getanzt ihn;

Doch blieb von der Zeit des gewaltigen Karls wohl noch ein gewaltiges Lied euch,

Ein gewaltiges Lied von der mächtigen Frau, die erst als zarteste Jungfrau

Dasteht, und verschämt, voll schüchterner Huld, dem erhabenen Helden die Hand reicht,

Bis dann sie zuletzt, durch's Leben gestählt, durch glühende Rache gehärtet,

Graunvoll auftritt, in den Händen ein Schwert und das Haupt des enthaupteten Bruders.

Auch lispelt um euch der melodische Hauch aus späteren Tagen des Ruhms noch,

Als mächtigen Gangs zu des Heilands Gruft die gepanzerten Friedriche wallten;

An den Höfen erscholl der Gesang damals aus fürstlichem Mund, und der Kaiser,

Dem als Mitgift die Gestade Homers darbrachte die Tochter des Normanns,

Sang lieblichen Ton! Kaum aber erlosch sein Stamm in dem herrlichen Knaben,

Der, unter dem Beil hinsterbend, erlag capetingischer teuflischer Unthat,

Schwieg auch der Gesang, und die göttliche Kunst fiel unter die Meister des Handwerks.

Spät wieder erhub sie die heilige Kraft, als neue befruchtende Regung[179]

Weit über die Welt, aus Deutschlands Gau'n, der begeisterte sächsische Mönch trug;

Doch strebte sie nun langsamer empor, weil blutiger Kriege Verderbniß

Das entvölkerte Reich, Jahrhunderte lang, preisgab der unendlichen Rohheit;

Weil Wechsel des Lauts erst hemmte das Lied, da de bibelentfaltende Luther

Durch männlichem Ton auf immer vertrieb die melodische rheinische Mundart.

Doch sollte das Wort um so reicher erblühn, und es lehrte zugleich es Melanchthon

Den gediegenen Klang, den einst anschlug die beglücktere Muse von Hellas,

Und so reifte heran die germanische Kunst, um entgegen zu gehn der Vollendung!

Lang schlich sie dahin, lang schleppte sie noch nachahmende Fessel und seufzte,

Bis Klopstock naht und die Welt fortreißt in erhabener Odenbeflüglung,

Und das Maß herstellt, und die Sprache beseelt und befreit von der gallischen Knechtschaft,

Zwar starr noch und herb und zuweilen versteint, auch nicht Jedwedem genießbar;

Doch ihm folgt bald das Gefällige nach und das Schöne mit Goethischer Sanftheit.

Manch großes Talent trat später hervor, und entfaltete himmlischen Reichthum;

Doch Keiner erschien, in der Kunst Fortschritt, dem unsterblichen Paare vergleichbar:

Keusch lehnt Klopstock an dem Lilienstab und um Goethe's erleuchtete Stirne

Glühn Rosen im Kranz! Kühn wäre der Wunsch, zu ersingen verwandte Belohnung!

Ansprüchen entsagt gern unser Poet, Ansprüchen an euch! An die Zukunft[180]

Nicht völlig, und stets wird löblicher That auch löblicher Lohn in der Zukunft!

Er beneidete nie die gefeierte Schaar um ein rauschendes Zeichen des Beifalls,

Wenn lallenden Tons sie zu stammeln begann die gestotterte Phrase der Unkunst;

Denn er hörte sie wohl und erkannte sie wohl, und verbiß die gerechte Verachtung:

Nie wird er sie nun mehr hören vielleicht, und er wandelt im Garten Europa's,

Der ihn schadlos für manchen Verlust, für manches verkannte Gedicht hält:

In dem Pinienhain, an den Buchten des Meers,

Wo die Well' abfließt voll triefenden Schaums,

Geht gern er allein, und wofern kein Ohr

Ihm mehr zuhorcht jenseits des Gebürgs,

Dann spornt zum Gesang zwar kein Beifall

Der Befreundeten ihn,

Doch Fülle des eigenen Wohllauts.


Quelle:
August von Platen: Die verhängnisvolle Gabel / Der romantische Ödipus. Stuttgart 1979, S. 165-181.
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