Neuntes Kapitel.

[218] Wie Pantagruel den Panurg fand, den er sein ganzes Leben lang lieb hätt.


Als eines Tags Pantagruel vor der Stadt, nach der Abtey Sanct Anton zu spazieren ging, mit seinen Leuten und etlichen Schülern in philosophischem Zwiesprach begriffen, traf er euch einen Menschen an, von schöner Statur und wohl formirt in allen Leibesproportionen, aber an mehreren Stellen elend zerlumpt und so übel zugericht, daß er den Hunden entlaufen schien, oder vielmehr einem Aepfelbrecher aus dem Percher-Land ähnlich sah. Sobald Pantagruel ihn von weitem erblickte, sprach er zu seinen Gefährten: Seht ihr den Menschen der dort von der Charenton-Brucken auf uns zukommt? Er ist bey meiner Treu nicht arm als durch Unglück: denn ich sage euch, seiner Physionomi nach zu schliessen, hat die Natur ihn aus einem reichen und adligen Geschlecht erzeugt. Aber die Fata der Wißbegierigen haben ihn so in Dürftigkeit und Mangel gebracht. – Und wie er nun eben bis mitten unter sie gekommen war, rief er ihn an: Mein Freund, ich bitt euch, wollet allhie ein wenig verziehen und mir auf meine Fragen Bescheid thun: es soll euch auch fürwahr nicht reuen, denn ich hab eine gar grosse Neigung euch beyzustehen in eurer Noth dar inn ich euch seh': ihr jammert mich sehr. Darum, mein Freund, sagt mir: wer seyd ihr? von wannen kommt ihr? wohin denkt ihr? was sucht ihr? und wie heisset ihr? – Der Gesell antwortet ihm hierauf in Germanischer Sprach: Junker, Gott geb euch Glück und Heil zuvor. Lieber Junker, ich laß euch wissen, das da ihr mich von fragt, ist ein arm und erbärmlich Ding, und wer viel darvon zu sagen, welches euch verdruslich zu hören, und mir zu erzelen wer, wiewol die Poeten und Orators vorzeiten haben gesagt in iren Sprüchen und Sentenzen, daß die Gedechtnus des Ellends und Armuot vorlangst erlitten ist ain grosser Lust.[219] – Da sprach Pantagruel: Mein Freund, ich versteh nicht dieses Kauderwelsch; drum redet eine andre Sprach, wenn ihr wollt, daß man euch versteh. – Und der Gesell antwortet ihm: Albarildim gotfano dechmin brin alabo dordio falbroth ringuam albaras. Nin portzadikin almucatin milko prin alelmin en thoth dalheben ensouim: kuthim al dum alkatim nim broth dechoth porth min michais im endoth, pruch dalmaisoulum hol moth danfrihim lupaldas im voldemoth. Nin hur diavosth mnarbotim dalgousch palfrapin duch im scoth pruch galeth dal Chinon, min foulchrich al conin butathen doth dal prin.

Versteht Ihr was? frug Pantagruel die Versammelten. – Ich glaub, antwortet' Epistemon, es ist die Sprach der Antipoden; der Teufel selber kriegt da nix los von. – Drauf sagt Pantagruel: Gevatter, ich weiß nicht ob euch etwann die Mauern verstehen, doch von uns hie kein Mensch ein Wort. – Da sprach der Gesell: Signor mio, voi vedete per essempio che la cornamusa non suona mai, s'ella non ha il ventre pieno: cosi io parimente non vi saprei contare le mie fortune, se prima il tribulato ventre non ha la solita refettione. At quale è adviso che le mani e li denti habbiano perso il loro ordine naturale e del tutto annichillati. – Es ist all eins; eins wie das andr', antwort Epistemon. – Da sprach Panurg: Lord, if you be so vertuous of intelligence, as you be naturally releaved to the body, you should have pity of me: for nature hath made us equal, but fortune hath some exalted, and others deprived; nevertheleß is vertue often deprived, and the vertuous men despised: for before the last end none is good. – Noch weniger, antwort Pantagruel. – So sprach Panurg: Jona[220] andie guaussa goussy etan beharda er remedio beharde versela ysser landa. Anbat es otoy y es nausu ey nessassust gourray proposian ordine den. Nonyssena bayta facheria egabe gen herassy badia sadassu noura assia. Aran hondavan gualde cydassu naydassuna. Estou oussyc eg vinan soury hien er darstura eguy harm. Genicoa plasar vadu. – Habt ihrs itzt weg? antwort Eudämon, gelt, Genicoa?

Stoß mich der Schott Sanct Trinian, rief Karpalim, wenn ichs nicht bald verstanden hätt! – Panurg antwortet: Prust frest frinst sorgdmand strochdt drnds pag brlelang Gravot Chavigny Pomardiere rusth pkaldracg Deviniere bey Nays. Hod kalmuch monach drupp del meupplist rincq drlnd dodelb up drent Loch minc stz rinq jald die Win ders Franzkan bur jocst plckholzen. – Darauf sagt' Epistemon: Redest du christlich, Freund, oder Patelinisch? Nein, es ist die Laternensprach. – Panurg fuhr fort: Heere, ik en spreeke anders geen täle dan kersten däle; my dunkt noghtans, al en seg ik u niet een woordt, mynen noot verklärt genögh wat ik begeere: geeft my uyt bermhertigheyt yets waar van ik gevoet magh zyn. – Deßgleichen, sprach Pantagruel. – Panurg versetzt': Senor, de tanto hablar yo soy cansado, porque sublico a vuestra reverentia que mire a los preceptos evangelicos, para que ellos movan vuestra reverentia a lo que es de conscientia, y sie ellos non bastaren, para mover vuestra reverentia a piedad, yo suplico que mire a la piedad natural, la qual yo creo que le movera como es de razon: y con esso non digo mas.[221] – Darauf antwortet' Pantagruel: Ey Freund, ich zweifel keineswegs daß ihr nicht mehrere Sprachen könnt reden, aber saget uns was ihr wollt, in einer die wir verstehen können. – Da sprach der Gesell: Min Herre, endog ieg med ingen tunge talede, ligesom börn, oc uskellige creature. Mine klädebon oc mit legoms magerhed uduiser alligeuel klarlig huad ting mig best behof gioris, som er sandelig mad oc dricke. Huorfor forbarme dig ofuer mig, oc befal at giue mig noguet, af huilcket ieg kand styre min giöendis mage, ligeruiis som mand Cerbero en suppe forsetter. Saa skalt du lefue länge oc lycksalig. – Ich glaub, sprach Eusthenes, so haben die Gothen geredt; und, geliebt' es Gott, würden wir so mit dem Arsche reden.

Itzt sprach der Gesell: Adon, scalôm lecha: im ischar harob hal hebdeca bimeherah thithen li kikar lehem; chanchat ub laah al Adonai cho nen ral.

Darauf antwortet Epistemon: Jetzt hab' ichs verstanden, es war Hebräisch und gut rhetorisch ausgedruckt.

Der Gesell sprach weiter: Despota tinyn panagathe, diati sy mi ouk artodotis? horas gar limo analiscomenon eme athlion, ke en to metaxy me ouk eleis oudamos, zetis de par emou ha ou chre. Ke homos philologi pantes homologousi tote logous te ke remata peritta hyparchin, hopote pragma afto pasi delon esti. Entha gar anankeï monon logi isin, hina pragmata (hon peri amphisbetoumen), me prosphoros epiphenete. – Was? was? sprach Karpalim,[222] Pontagruels Leiblakay, dieß ist ja Griechisch: ich habs verstanden. Ey wie dann? hast du in Griechenland hausiret?

Und der Gesell sprach: Agonou dont oussys vous denagnez algarou: nou den farou zamist vou mariston ulbrou, fousques voubrol tam bredaguez moupreton den goulhoust, daguez daguez nou cropys fost pardonnoflist nougrou. Agou paston tol nalprissys hourtou lod ecbatonous, prou dhouquys brol pany gou den bascrou noudous caguous goulfren goul oustaroppassou.

Dieß mein ich zu verstehen, sprach Pantagruel: denn es ist entweder meine Utopische Landessprach, oder kommt ihr doch dem Schall nach ziemlich nah. – Und wie er nun eben ein Gespräch anfangen wollte, sprach der Gesell: Jam toties vos per sacra perque deos deasque omnes obtestatus sum, ut si qua vos pietas permovet, egestatem meam solaremini, nec hilum proficio clamans et ejulans. Sinite, quäso, sinite, viri impii, quo me fata vocant abire, nec ultra vanis vestris interpellationibus obtundatis, memores veteris illius adagii, quo venter famelicus auriculis carere dicitur.

Aber, mein Freund, sprach Pantagruel, könnt ihr denn nicht Französisch reden? – Ey freylich, Herr, antwort der Gesell: ist Gott sey Dank meine leibliche Sprach, meine Muttersprach, denn ich bin im Garten von Frankreich, in Tourain' geboren und groß erzogen. – Nun dann, so sagt uns, sprach Pantagruel, euern Namen und wo ihr her kommt; denn meiner Treu ich hab euch schon so sehr ins Herz geschlossen, daß wenn ihr mir willfährig seyn wollt, so sollt ihr mir nicht von der Seiten kommen, und ihr und wir wolln ein neues Freundespaar werden, wie Aeneas und Achates.[223]

Gestrenger Herr, spricht der Gesell, mein eigentlicher und wahrer Taufnam ist Panurg und komm itzunder aus der Türkey, wohin ich nach dem Unglückszug vor Metelin, in Gefangenschaft kam; und wollt euch gar gern meine Fata erzählen, die wunderlicher als die Fahrten des Ulysses gewesen sind: weil es euch aber einmal beliebt mich bey euch zu behalten, auch ich das Erbieten gern ergreif mit Betheuerung nimmer von euch zu lassen, und wenn ihr zu allen Teufeln ginget: so werden wir wohl ein andermal bey guter Weil und gelegnerer Zeit davon reden können. Denn für itzo hab ich fast dringende Essenslust, leeren Magen, scharfe Zähn, verdürrte Gurgel, brüllenden Hunger; alles ist darauf eingericht. Wenn ihr mir Arbeit geben wollt, wird es ein Fest seyn mich mumpfen zu sehen. O um Gottes Willen bestellet es! – Da befahl Pantagruel daß man ihn in sein Quartier brächt und ihm tüchtig zu leben auftrüg: wie auch geschah. Und aß zu Abend meisterlich, ging mit den Hühnern zu Bett und schlief bis andern Tags zur Tischstund, da er dann wieder mit drey Schritten und einem Sprung vom Bett am Tisch war.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 218-224.
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