Zehnter Auftritt


[319] Verwandlung.

Kurzer Kerker. Nacht.

Alzinde, welche nach dem ersten Auftritt ihr Gesicht mit Falten bemalte, ohne eine Larve vielleicht zu nehmen, muß während des vorhergehenden Auftrittes sich jugendlich schminken, welches man bei der Dunkelheit der Bühne jetzt nicht bemerkt. Sie wird von dem Kerkermeister hereingeführt und setzt sich ermattet auf einen Stein.


KERKERMEISTER. Hier kannst du bleiben, Hexe, bis dich die Flamme ruft. Ab.

ALZINDE. Hier kerkert man mich ein, und zur Gefährtin gibt man mir die Finsternis. Seid mir gegrüßt, ihr Unglücksmauern, aufgebaut, um Elend zu betrachten! Du feuchter Boden, von den Reuezähren der Verbrecher naß! Sei mir gegrüßt, du melancholscher Ort, ich weihe dich zu meinem Prunksaal ein. Hier will ich meinen Gram mit düstern Bildern säugen, hier will ich herrschen über kriechendes Gewürm, von meinen Tränen will ich eine Krone flechten und denken, daß ich sei des Schmerzes Königin. Ich leb allein von allen meinen Lieben. Mein Volk ist tot, versteinert ists, und mein Gemahl – o mein Gemahl, der Erste stets an deines Heeres Spitze, betratest du den mörderischen Boden deines Reiches? – ja, auch er ist tot, alles tot, alles! Springt auf. So ists recht, Alzinde, so ists recht – denn herunter muß das Leben, wenn der Geist sich schwingen soll. Oh, wie stärkt ein rein Gewissen! Götter, fordert meinen Geist, jetzt bin ich dazu bereitet.


Kurze klagende Musik.

Der Genius der Vergänglichkeit tritt ein, als ein grauer Mann mit grauem langem Kleide, etwas Kahlkopf und langem Bart. Seine Miene ist sanft und seine Sprache gemütlich und tröstlich.


GENIUS DER VERGÄNGLICHKEIT. Alzinde, ich bin hier.

ALZINDE. Wer bist du, bleicher ungeladner Gast? Was willst du von der Dunkelheit und mir?

GENIUS DER VERGÄNGLICHKEIT. Ein Vater will ich deinen Leiden sein.

ALZINDE. Ein Vater? ach, mein Vater ist dort oben.[320]

GENIUS DER VERGÄNGLICHKEIT. So kehre heim zu ihm. Reich mir deine Hand, Alzind. Ich bin kein Jüngling, der die Ewigkeit zum Liebesschwur mißbraucht. Sieh, unsere Locken sind sich gramverwandt, darum schenke mir die teuren Reste des Vertrauens, die dein Unglück dir gelassen hat. Sieh hin! Die Hälfte der Hinterwand bildet einen Kerkerbogen. Diese Wand geht auf, und man sieht durch den finstern Bogen eine kleine Insel von einem See umgeben, auf welcher ein indisches Monument steht mit dem blaß transparenten Namen Alzinde, von Zypressen umgeben, die Gegend ist vom Mondlicht hell bestrahlt. Der Kerker bleibt finster. Nach jenem Eiland führ ich dich, das kein lebendger Schiffer noch geschaut. Nichts wird dort deine süße Ruhe stören. Was immer dich auf dieser Welt betrübt, gekränkt, Verfolgung, Neid und Undank bleiben fern von dir. Dort leget unter einsamen Zypressen der Ruhm beschämt die goldnen Kränze ab. Der wutentbrannte Haß und alle Leidenschaften dieser Erde löschen ihre Fackeln schweigend aus. Irdsche Freuden werden dir nicht winken, doch milde Sterne werden dein verklärtes Haupt umglänzen, und der lichte Engel deiner reinen Tugend führet deinen Geist auf Himmelswolken zu dem Thron der ewgen Wonne hin.

ALZINDE. Ja, ich verstehe dich, ich kenn dich nun, es sinket eine mächtge Stunde nieder und gebietet einer Königin. Du bist der Friedensengel, der den bösen Streit beendet, den der Mensch mit seinem Glück hier führt. Du bist das große Ziel, zu dem uns alle Wege führen.

GENIUS DER VERGÄNGLICHKEIT. Ich bin der kräftige Magnet, der alles Leben an sich zieht, wie du dich auszuweichen auch bemühst, es ist umsonst, denn könntest du durch tausend Sonnen wandeln, du trittst auf einen Pfad, und eh du es noch ahnst, gelangst du in mein Reich.

ALZINDE. So nimm mich mit dir, guter Vater, an jenen Ort, wo ewge Freude herrscht, ich werde meinen Hoanghu dort sehn und alle meine teuern Lieben, die meinen herben Leiden sind vorausgeeilt. Komm, ich folge dir.


Der Genius hält sie in seinem Arm und will sie fortführen. Da ertönt Hoanghus Stimme, und die hintere Wand schließt sich. Kerker wie vorher.[321]


HOANGHU von innen. Hier soll ich meine Gattin finden?

ALZINDE. Götter, welche Stimme?


Hoanghu tritt ein, mit ihm der Genius der Tugend.


HOANGHU. Fast erblinden meine Augen, da ich statt den goldnen Wolken, die ich erst mit dir durchsteuert, dieses Abgrunds Tiefe schaue. Und hier muß Alzinde schmachten?

ALZINDE. Götter, das ist Hoanghu!

HOANGHU. Ja, dies ist ihr holder Ton, zeig dich, Brust, aus der er klingt, daß ich dich an meine drücke.

GENIUS DER TUGEND. Siehst du dort die zwei Gestalten, 's ist Alzinde und der Tod.

HOANGHU. Ist sie denn an ihn vermählet, daß sein Arm sie so umschließt?

GENIUS DER TUGEND. Er ist ihre eigne Wahl, weil sie dich verloren wähnte. Suche, sie ihm abzuringen, schnell, es ist die höchste Zeit.

HOANGHU. Sag, Alzinde, bist dus wirklich, denn ich kann dich nicht erkennen, sehe nur die Truggestalt, die mein Traum mir drohend wies.

ALZINDE. Ja, ich bins, mein Hoanghu! Laß mich los, du grauer Riese, der sich jetzt dem Blick erst zeigt! Laß mich hin in seine Arme, nur dem Gatten schlägt mein Herz, warum hältst du mich umklammert, niemals werd ich deine Braut!

GENIUS DER VERGÄNGLICHKEIT. Hast du mir dich nicht verlobet? Du bist mein, ich laß dich nicht.

ALZINDE. Nein, dies wendet den Vertrag. Du warst nur ein Rettungsmittel, meinen Gatten wollt ich suchen in den Himmelsräumen dort, doch ich hab ihn hier gefunden, nun gehör ich dieser Welt. Ha, wie sich der düstre Kerker jetzt mit holden Farben schmückt, wie das schaurige Gewölbe nun auf goldnen Säulen ruht, wie mir seine dunkle Kuppel hell erglänzt wie Chrysolith, und dies alles schafft Hoanghu, der wie eine zweite Sonne neu für mich die Welt bestrahlt. Und ich soll ein Leben lassen, erst geboren durch die Liebe, soll mit dir, du düstrer Alter, in dein[322] ernstes Schattenreich? gib mich auf, du lästger Freier, nimmer wird Alzinde dein.

HOANGHU. Laß sie los, du graue Schlange, oder ich zerhaue dich. Will mit dem Schwerte auf ihn dringen.

GENIUS DER VERGÄNGLICHKEIT. Armer, sinnverlorner Kämpfer, mit dem Tod drohst du dem Tode, durch mich selbst willst du mich morden? senk die Waffe, denn der leichtgewebten Luft kann sie keine Wunden schlagen.

HOANGHU. O du stolzgesinnter Prahler, du bist dennoch meinesgleichen! Bist ein Feldherr, ausgesendet, um das Leben zu erobern, bist ein Held, der sein Panier hin auf Leichenhügel pflanzt und das grause Siegerhaupt sich mit Rosmarin bekränzt. Und so willst du an mir handeln, du des Undanks echter Sohn, willst ihr Leben mir versagen, eines schwachen Weibes Leben, und ich habe so viel tausend kräftge Männer dir geweiht?

GENIUS DER VERGÄNGLICHKEIT ironisch. Und wie hast du dies begonnen, laß doch hören, tapfrer Junge?

HOANGHU. Was war Indiens Schlachtfeld anders als dein blutger Opferherd? Warst du nicht in meinen Siegen stets das große Losungswort, das die Chöre der gefallnen Krieger wimmerten zu deinem Lob? Hat die blutbespritzte Fahne deinen Ruhm nicht stolz verkündet? Und die giftgen Pfeile, die wir rauchend aus dem Leib der Feinde rissen, daß mit offnem Munde dich unheilbare Wunden priesen? Sieh, so habe ich gehandelt an dir, undankbarer Geist, hab das rüstge Sein bestohlen und den Schatz dir zugesendet. Darum forder ich ihr Leben als mein rechtlich Eigentum.

ALZINDE. Oh, wie liebt mich mein Gemahl!

GENIUS DER VERGÄNGLICHKEIT. Du hast nur dein Recht beschirmet. Dies gibt dir kein Recht an mich. Von dem Leben magst du fordern, Leben fordern darf nur ich.

HOANGHU. Nun, so will ich mit dir handeln, Wuchrer, der so bittre Zinsen nimmt. Schenke mir Alzindens Leben, und ich will von meinem dir gern die beßre Hälfte geben.

ALZINDE. O mein Hoanghu, was tust du?[323]

GENIUS DER TUGEND. Götter, stärket sein Gemüt!

HOANGHU.

Sieh, so groß ist meine Liebe, daß sie in den Staub mich zieht.

So warst du noch nie geehret, daß ein König vor dir kniet.


Er kniet.


Meine Waffen leg ich nieder, meine Hände heb ich auf,


Er bittet mit gehobnen Händen.


Laß dich, guter Tod, erweichen, schließ den vorteilhaften Kauf.

Was willst du mit ihrem Leben, das vor Alter bald zerfällt?

Nimm dir meine rüstge Hälfte, trotzig steh ich noch der Welt.

Sieh die festgestählten Muskeln, sieh die hochgewölbte Stirn.

Leicht ist der Gewinn zu rechnen, Kaufmann, frage dein Gehirn.

Sei doch nicht so unerbittlich, sieh, mein Auge tränt vor Schmerz,

Es sind meine ersten Tränen, und sie schänden nicht mein Herz.


Weint.


ALZINDE vor Freude außer sich.

Götter, Sonne, all ihr Welten, seht, Hoanghu weinet hier.

Schaut herab von euren Wolken, seine Tränen fließen mir.

Welche Gattin kann sich rühmen, daß ihr Gatte so sie liebt,

Daß er Freude, Glück und Leben, daß er alles für sie gibt?

Ha, wie alle Nerven beben, wie sein Anblick mich entzückt!


Edel ausgelassen.


Wie ich glücklich bin und lache – wie die Freude mich berückt!

Perlen treten in mein Auge, doch ich weine nicht aus Schmerz,

Freudentränen ist ihr Name, Freude sprenget mir das Herz.


Augenblicklich fällt rauschender Chor ein, vollstimmig und hehr.


[324] Chor.


Freudentränen, Freudentränen

Heißt das große Losungswort!


Zugleich Verwandlung, die Alzindens Reich, die Dekoration der Eingangsszene, bietet.

Alles Volk ist entsteinert. Die Tugendgeister knien freudig um den Tempel. Der Genius der Vergänglichkeit verschwindet. Alzinde hat sich in ihre vorige Gestalt verwandelt, doch im weißen einfachen Kleide. Alzinde und Hoanghu stürzen sich

freudig in die Arme.


HOANGHU.

O Alzinde!

ALZINDE.

Mein Hoanghu!

Ewig, ewig bist du mein!

HOANGHU.

Nie soll uns der Tod mehr trennen!

ALZINDE.

Denn wir sterben im Verein!

GENIUS DER TUGEND tritt in ihre Mitte.

Heil der Tugend, die auf Erde

Zählet solch erhabnes Paar,

Das ein edles Herz bewährte

In so schrecklicher Gefahr.


Schrecklicher Schlag. Schwarze Donnerwolken ziehen über die Bühne, aus welchen Blitze zischen.


Seht, schon zieht aus euren Landen

Donnernd Moisasurs Geist.


Zum Volk.


Ihr seid frei von seinen Banden,

Eure Königin hier preist!

So läßt sich die Welt bezwingen,

So wird Erdenneid versöhnt!

Groß kann nur der Nachruhm klingen,

Wenn er sich durch Tugend krönt.


Alzinde und Hoanghu knien nieder, der Genius der Tugend steht in ihrer Mitte und blickt gegen Himmel, von oben schweben Genien herab mit einer Lilienkrone und bleiben in der Mitte der Bühne hängen. Das Opferfeuer im Tugendtempel flammt hoch auf. Priester, Volk und Tugendgeister bilden eine Gruppe, die von griechischem Feuer beleuchtet wird.

Der Vorhang fällt.

Ende.


Quelle:
Ferdinand Raimund: Sämtliche Werke. München 1960, S. 319-325.
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