Sechster Auftritt


[432] Verwandlung in eine romantische Gegend. Vorne links ein kleines Häuschen mit einem Schilde, worauf eine goldene Schere gemalt ist. Diesem gegenüber eine natürliche Rasenbank, von einem Baume überschattet.

Die Musik geht nach der Verwandlung in Simplizius' Ariette über. Simplizius in bürgerlicher Kleidung.


Ariette


's gibt wenig, die so glücklich sind

Wie ich auf dieser Welt,

Ich hab kein Weib und hab kein Kind

Und hab kein Kreuzer Geld.[432]

Wenn ich auch keine Schulden hätt,

Ich wüßt vor Freud nicht, was ich tät.


Ich will in voraus nicht stolziern,

Mein Glück fangt erst recht an,

Mir scheint, ich werd mein Gwerb verliern,

Dann bin ich prächtig dran.

Und 's Überraschendste wird sein,

Wenn s' kommen wern, und sperrn mich ein.


Dann schau ich um ein Freund mich um,

Der in der Not mich tröst,

Der macht, daß ich auf d' Festung kumm,

Da sitz ich erst recht fest.

Und wenn s' mich dort vielleicht noch schlagn,

Das war ein Glück – nicht zum ertragn.


Ja, ja, mancher, der mich so reden hört, würde sagen: Oje! da kommt schon wieder einer daher, der lamentiert, daß er kein Geld hat und voller Schulden ist und daß er soll eingsperrt werdn, ojemine, das ist eine alte Gschichte. Hochdeutsch. Ja, wenns aber nicht anders ist, was soll man denn machen? Es ist einmal so, ich hab einmal kein Geld, und sie sperren mich einmal ein, vielleicht auch zweimal, wenn sie in einen guten Humor sind. Lokal. Und wenn das so fortgeht, so komm ich aus den Einsperren gar nicht mehr heraus. Ich bin ein rechtschaffener Mann, doch von was soll ich denn zahlen? Ich bin zwar der angesehenste Schneider hier im Ort, aber ich hab nur eine einzige Kundschaft, und das ist mein Gläubiger, ein Weinhändler, der weint um seine fünfhundert Taler, so oft er mich anschaut. Jetzt bin ich ihm das Geld schon sieben Jahr schuldig. Er ist aber schon lang gezahlt, denn statt den Interessen hat er mit mir ausgemacht, daß ich ihm alles umsonst arbeiten müßt, was in seinen Haus angschafft wird. Da kommen aber die Leut von ganzen Dorf in sein Haus, lassen sich das Maß nehmen, ich muß ihnen umsonst arbeiten, und er laßt sich zahlen dafür. – Da hab[433] ich jetzt einen Zimmerherrn drin, Deutet auf sein Haus – geheimnisvoll. der zahlt auch nichts. Ist ein Schmied. Ein Reimschmied. Schreibt jetzt gar ein Theaterstück. Auf die Letzt bringt er mich noch in ein Stuck hinein. Denn ich hör, jetzt können s' gar kein Stuck mehr aufführen, wo s' nicht was von einen Schneider drin haben. Und er gar, er schreibt eins, das heißt: »Die getrennten Brüder«. Das wird doch auf Zusammnähen hinausgehn. Er erwartet immer das Geld von der Post, und jetzt ist ein so ein schlechter Weg, da bleibts halt stecken. Ruft zum Fenster hinein. Guten Morgen, Monsieur Ewald, schon wieder fleißig? Scribendum?

EWALD schlägt von innen auf den Tisch. So stören Sie mich doch nicht mit Ihrem unsinnigen Geschwätz. Kommt heraus im einfachen Gehrock mit einem Manuskript und Tinte und Feder. Es ist nicht möglich, daß ich einen vernünftigen Gedanken fassen kann, wenn Sie in meiner Nähe sind.

Gehen Sie doch hinein, ich will hier schreiben.

SIMPLIZIUS. Schreiben Sie, wo Sie wollen und an wem Sie wollen, aber sein Sie nicht unartig mit mir.

EWALD. Lieber Meister, nehmen Sie meine Heftigkeit nicht so auf, Sie sehen, ich bin ein Dichter, ein begeisterter Mensch. Wenn man in Jamben arbeitet – Sie verstehen das nicht so, es sind fünffüßige Verse.

SIMPLIZIUS. Ja, das ist ja eben das Unglück, wenn die Vers eine Menge Füß haben und keinen Kopf. Das tragt nichts ein. Ich wollt, ich hätt so viel Füß als Ihre Schlampen oder Jamben, was Sie da schreiben! Ich war schon lang davon gloffen, auf meine kann ich mich nicht mehr verlassen.

EWALD. Sie sprechen dummes Zeugs. Lassen Sie mich ungestört. Er setzt sich auf die Rasenbank und überlegt. Der letzte Akt. Mir fehlts an Stoff.

SIMPLIZIUS. Mir auch. Wenn ich so ein paar hundert Ellen Gros de Naples hätt, ich wollt Ihnen Ihre Getrennten schon herausstaffiern.

EWALD. Nun hab ich aufhören müssen. Jetzt ist der ganze Dialog zerrissen.[434]

SIMPLIZIUS. Ich wollt, es war alles zerrissen, so krieget ich doch eine Arbeit.

EWALD aufspringend. Aber lieber Meister, wenn Sie einen Rock zuschneiden, so wünschen Sie doch ungestört zu sein?

SIMPLIZIUS. Nun Sie werden doch erlauben, daß es eine andere Aufgab ist, wenn ich einen Rock zuschneid, als wenn Sie da eine halbe Stund nachdenken, und hernach fällt Ihnen erst nichts ein. Wenn Sie einen Vers um ein paar Ellen zu lang machen, so streichen sie s' halt weg, aber wenn ich einen Ärmel um eine halbe Ellen zu kurz mach – Er streift seine Rockärmel hinauf. was gschieht denn hernach?

EWALD stampft mit dem Fuße. Zum letzten Male rat ich es Ihnen, mich ungestört zu lassen, oder Sie werden mich wütend machen.

SIMPLIZIUS erschrocken. Nu, nu, nur nicht so heftig, meine schwachen Nerven bitt ich zu verschonen. Überhaupt zwingen mich verhältnislose Umstände, mit Ihnen tragisch zu reden. Ich kann zwar nichts gegen Sie sagen, Sie sind ein ordentlicher Mann, Sie bleiben mir meinen Zins schuldig, wie es sich gehört. Aber Sie sind ein Dichter, der sehr schöne Ideen hat, warum kommt Ihnen nicht auch die Idee, mich zu bezahlen?

EWALD. Sie sollen Ihr Geld erhalten.

SIMPLIZIUS. Ja wann? ich werd heut noch eingsperrt.

EWALD. Warum?

SIMPLIZIUS. Weil ich blessiert bin und nicht ausrucken kann – Deutet aufs Zahlen. Wenn aber das geschieht – wenn sie mich einsperren – Herr von Ewald – Sie sind mir schuldig, ich gebrauch mein Recht – Sie müssen zu mir hinein. Wir sind Männer, wir werden unser Schicksal zu ertragen wissen. Geht gravitätisch ab ins Haus.


Quelle:
Ferdinand Raimund: Sämtliche Werke. München 1960, S. 432-435.
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