Elfter Auftritt


[445] Verwandlung.

Großer Platz in Massana im griechischen Stil erbaut. Seitwärts der königliche Palast. Stufen führen aufwärts, auf welchen der Griechische Tod, ein bleicher Jüngling mit der umgekehrten, ausgelöschten Fackel, geschlossenen Augen und mit gesenktem Haupte sitzt. Viele Personen in Trauer, viele nicht, gehen händeringend über die Straße.


Kurzer Chor.


Jammer, sag, wann wirst du scheiden

Von Massanas Unglücksflur?

Große Götter, hemmt die Leiden,

Eure Macht vermag es nur.


Gehen trauervoll ab.

Lucina kömmt und betrachtet mit Wehmut den Palast. Die ganze Szene muß von beiden Seiten langsam und feierlich gesprochen werden.


LUCINA.

Mich erfaßt ein widrig Schauern,

Blick ich auf dies Trauerschloß.

Schon seh ich den Jüngling lauern.

Armer Fürst, dein Leid ist groß.


Mit erhobener Stimme.


Du, des Todes Genius,

Magst durch Antwort mich beglücken,

Wirst du heut den eisgen Kuß

Auf Massanas Lippen drücken?

GENIUS DES TODES hebt sein Haupt, stets bleibt die Fackel gesenkt, er spricht kalt und ernst im tiefen Tone.

Wenn die Nacht den Tag verjagt,

So heischts Hades' Rachesinn,

Hat Massana ausgeklagt –


Kurze Pause


Rauscht das Meer darüber hin.

LUCINA.

Und wie wird der König enden?

Wirst du freundlich ihn umfahn?[446]

GENIUS.

Hades kann nur Schrecken senden

Düster wird sein Ende nahn.

LUCINA.

Wehmut seufzt aus deiner Kunde,

Und doch frommt sie meinem Plan.

Mich beglückt die Unglücksstunde,

Wenn ich dich erweichen kann.

Schenk das Leben mir von zweien,

Die nicht Hades' Fluch getroffen,

Die nicht an die Zahl sich reihen,

Die Erbarmen nicht zu hoffen.

GENIUS.

Nimm das Leben hin von zweien.


Lächelnd.


Du entziehst mirs dennoch nicht.

LUCINA.

Möchtest du mir noch verleihen,

Daß Heraklius' Auge bricht,

Eh des Landes Festen beben?

GENIUS.

Eh den Turm noch küßt die Well,

Lischt des kranken Königs Leben.

LUCINA.

Doch Massana muß dann schnell,

Eh die Zeit Sekunden raubt,

In dem Augenblick versinken,

Wo auf einem fremden Haupt

Wird des Königs Krone blinken.

GENIUS läßt das Haupt sinken und sagt dumpf und langsam.

Wird versinken –


Pause, dann noch mit gesenktem Haupte.


Laß mich lauschen.

LUCINA.

Ist dein Aug zum Schlaf erlahmt?

GEJAMMER in der Szene von mehreren Stimmen.

Hülf! Er stirbt.[447]

GENIUS.

Hörst dus rauschen?


Hebt das Haupt.


Dorthin ruft mein eisern Amt.


Er steht auf, sein Haupt ist etwas gebeugt. Die rechte Hand streckt er gegen den Ort aus, wo der Schall hertönt, als zeigte er hin. Die linke hängt, die umgestürzte Fackel haltend, gerade herab. So eilt er gemessenen Schrittes in die Kulisse, doch auf die entgegengesetzte Seite des Palastes.


LUCINA blickt gegen Himmel.

Götter, die Ihr gnädig waltet

Und doch unbegreiflich schaltet!


Geht langsam auf die entgegengesetzte Seite ab.


Quelle:
Ferdinand Raimund: Sämtliche Werke. München 1960, S. 445-448.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die unheilbringende Zauberkrone
Raimundalmanach / Die unheilbringende Zauberkrone: Oder König ohne Reich, Held ohne Mut, Schönheit ohne Jugend

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Fräulein Else

Fräulein Else

Die neunzehnjährige Else erfährt in den Ferien auf dem Rückweg vom Tennisplatz vom Konkurs ihres Vaters und wird von ihrer Mutter gebeten, eine große Summe Geld von einem Geschäftsfreund des Vaters zu leihen. Dieser verlangt als Gegenleistung Ungeheuerliches. Else treibt in einem inneren Monolog einer Verzweiflungstat entgegen.

54 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon