Fünfter Auftritt.

[233] Baronin. Sophie. Dann Löwenklau und Ritter.


BARONIN. O weh! weh! Sie setzt sich erschöpft auf einen Schemel.

SOPHIE. Ach Gott! hätten Sie sich nur dem Baron –

LÖWENKLAU tritt aus der Kammer auf die Vortreppe.

BARONIN. Du hast Recht – wäre er hier – mit Freuden –

LÖWENKLAU.

Wer wagt es hier noch Löwenklau zu sein?

Und was will Fliederthee im Mannsrock hier?

SOPHIE neben der Baronin auf die Knie sinkend. Gott erbarme sich unser! Da ist der Löwenklau![233]

BARONIN.

Entsetzlich Schicksal, wüthend schleuderst du

Von einem Schreckniß mich dem andern zu!

LÖWENKLAU ist herabgestiegen.

RITTER ist ebenfalls aus der Kammer getreten, und kommt während des Folgenden auch herab.

LÖWENKLAU.

Ha! Traum der Sommer- oder Winter-Nacht!

Vermummt in Kraft hier zwei Gebrechlichkeiten?

Ist's Königin Gertrud und Ophelia?

BARONIN nebst Sophien aufstehend, für sich. Gerechter Gott! er ist wahnsinnig. Nun ist mir alles klar. Laut zu Löwenklau. Herr von Löwenklau, ich kann nicht läugnen, daß ich die Recensentin Ihres »Atreus und Thyestes« bin. Vielleicht hat mich mein Eifer zu weit geführt, und, ist dies der Fall, so thut es mir herzlich leid. Hören Sie nur die Bitte einer wehr- und schutzlosen Frau. Lassen Sie sich die Unruhe und Angst genügen, die Sie mir schon verursacht haben.

SOPHIE. Ja, gnädiger Herr, ich habe schon so viel vor Angst geweint, wie man mit dem besten Willen über ein Trauerspiel weinen kann.[234]

RITTER bei Seite. Hilf Himmel! die sind verrückt!

LÖWENKLAU zu Rittern.

Ha, Bruder Trinkulo! hat Williams Sturm

Uns auf das Eiland Prosperos geworfen?

Daß diese Dunst- und Spukgestalten hier,

Nicht Kön'gin Gertrud, nicht Ophelia,

Frau Hurtig nur und Dortchen Lakenreißer – –

RITTER ihn zurückdrängend. Ich bitte Dich, Löwenklau, lass' mich reden – Gnädige Frau, es muß hier ein Mißverständniß obwalten. Sie sprechen, als hätten wir die Ehre Ihnen bekannt zu sein.

BARONIN. Und sind Sie es nicht allzu wohl? Haben Sie nicht den Commissionsrath Till und seinen Gehülfen grausam gemißhandelt, um meinen Namen zu erfahren? Haben Sie nicht mit blutiger Rache gedroht? nicht eine entehrende Erklärung von mir verlangt?

LÖWENKLAU.

Ha! wo sind Macbeths Hexen? Hexen her!

Es giebt 'nen Sabbath hier auf dürrer Haide.

RITTER. Ich bitte Dich, schweig. Nein, gnädige Frau,[235] wir haben das alles nicht gethan, kennen auch keine von den Personen, deren Sie erwähnen. Für mich ist alles unbegreiflich, vielleicht aber vermögen Sie das Räthsel zu lösen, wenn Sie erfahren, was uns begegnet ist. Gegen vier Uhr Nachmittags kommen wir bei dem nächsten Städtchen an. Wir ruhten einige Augenblicke in einem Kastanienwäldchen aus, und fanden dort ein Mädchen, eine Kammerjungfer, die bei dem Namen Löwenklau in eine unglaubliche Angst gerieth.

LÖWENKLAU. Ha! bei Othello, Hamlet, König John.


Auf Sophien zeigend.


Da steht das Nichts aus dem Kastanienwald.

RITTER. Ja, beim Himmel!

SOPHIE. Ach ja, gnädige Herren, ich bin es. Lassen Sie mich nur ein Nichts bleiben.

LÖWENKLAU.

Du sollst es bleiben, will Dich nicht vernichten,

Weil ein vernichtet Nichts ein Etwas wär'.

BARONIN zu Rittern. Ich bitte recht sehr, fahren Sie fort.

RITTER. Wir wollten in der Stadt übernachten, aber[236] kaum hatten wir das Wirthshaus betreten, so wurde Löwenklau vor den Polizeidirector gefordert der mancherlei unbegreifliche Fragen an ihn richtete. Eben so unbegreiflich war das Erscheinen eines ältlichen Herrn, eines Unbekannten.

LÖWENKLAU.

Kein Unbekannter war's, 's war Güldenstern,

Und wo nicht Güldenstern, so Rosenkranz,

Und 'nen Minister lieh er mir zum Ohm.

RITTER. Allerdings; Dadurch befreite er ihn aus den Händen der Polizei. Mein Freund, aufgebracht über dieses Ereigniß, wollte nun nicht in der Stadt bleiben; ich gab nach; wir kamen hierher. Für einen Thaler räumte uns der Waldhüter endlich jene Kammer ein. Kaum hatten wir uns zurückgezogen, so kam der Herr, den Löwenklau an der Stimme für seinen Befreier erkannte, und mit ihm ein gewisser Horst.

BARONIN. Himmel! mein Onkel und der Herr von Horst.

RITTER. Sie sind also vermuthlich die Nichte, von der die Rede war; Sie würden bald ankommen, hieß es; Horst sollte ein Vorspiel mit ihr spielen, ein[237] gewisser Till sollte die Sache aufs Aeußerste treiben, und endlich ein Baron als Retter am Fenster erscheinen.

BARONIN. Der Baron? Till? mein Onkel? Horst? Himmel! jetzt besinne ich mich, Horst ist des Barons jüngerer Stiefbruder. Nun ist mir alles klar. Zu Löwenklau. Sie haben also den Atreus und Thyestes nicht geschrieben?

LÖWENKLAU.

Hat Shakspeare je von Menschenfraß geschrieben?

Und schrieb ich je, so schrieb ich Shakspear'n ab.

RITTER. Ich kann auf meine Ehre versichern, daß mein Freund noch nie etwas geschrieben hat.

BARONIN. Meine Herren. Sie haben mir zufällig einen höchst wichtigen Dienst erwiesen, und es ist Ihnen vielleicht angenehm zu erfahren, daß Sie diesen Dienst der nicht unbekannten Schriftstellerin Aurora Abendroth geleistet haben.

RITTER. Wir schätzen uns sehr glücklich.

BARONIN. Sie haben keine Undankbare verpflichtet. Sollten[238] Sie in Ihrer Laufbahn je des Beistandes bedürfen, so wird es mich freuen, wenn Sie sich an mich wenden, wie an eine Freundin, eine Schwester. Jetzt aber bitte ich Sie dringend, sich zu entfernen und verborgen zu halten, bis ich dieses Haus verlassen habe, dann aber über die Vorgänge dieses Tages das tiefste Schweigen zu beobachten. Versprechen Sie mir das?

RITTER. Sie können darauf rechnen, gnädige Frau.

LÖWENKLAU auf Sophien deutend.

Ist aber diese, Herrin, Eure Magd,

So seid ja Ihr's, die William hat gelästert.

BARONIN. Ich Shakspearn gelästert? den großen Dichter, dem Keiner an Wahrheit und Tiefe gleich kommt? Ich bewundere ihn, ich bete ihn an.

LÖWENKLAU mit ausgebreiteten Armen.

Komm! meine Tochter, komm, Cordelia,

Ans Herz des vielgekränkten Königs Lear.

BARONIN. Zu Ihrer Tochter bin ich wohl zu alt. Sein Sie Laertes, ich Ophelia.[239]

LÖWENKLAU ihr die Hand reichend.

Leb Schwester wohl!


Auf die Kammer deutend.


Ich gehe nach Paris.

Leb wohl ist bitter; doch Willkommen, süß!


Er kehrt mit Rittern in die Kammer zurück.


BARONIN. Mein Kopf glüht von diesen Träumen des Wahnwitzes.

SOPHIE. Ach, gnädige Frau, ich weiß gar nicht, ob ich noch einen Kopf habe.

BARONIN. Abscheulicher, schändlicher Verrath!

SOPHIE. Hätte ich nur meine Thränen wieder, die ich so umsonst vergossen habe!

BARONIN. Und grade von denen, die ich für die Treusten hielt, vom Baron, von Till. –

SOPHIE. Ja, der abscheuliche Commissionsrath! Ich wünschte, er heirathete mich, wie wollt' ich ihm das Leben schwer machen.

BARONIN. Guter Gott! wie konnte ich so thöricht sein? Wenn dieser Vorfall ruchbar wird, so bin ich verloren.[240] Und wird nicht die Kunde davon, bei der Berühmtheit meines Namens, den ganzen Kreis der Zeitschriften reissend durchlaufen, wie die Flamme die dürre Stoppel? Schreckliches Schicksal! Die gefeierte, beneidete Dichterin wird ein Gegenstand des Spottes und Hohnes; vielleicht sogar auf dem Theater dem Gelächter der Menge Preis gegeben.

SOPHIE. Aber, gnädige Frau, Sie könnten sich ja nun stellen, als hätten Sie alles errathen.

BARONIN. Was würde es helfen? Ich stehe allein; meine Behauptung wäre verdächtig. Dein Zeugniß ebenfalls – – Es gäbe ein anderes Mittel – – gewiß – – das hülfe. – Ich höre kommen, wahrscheinlich ist es Till.

SOPHIE geht nach der Thür, Till tritt ein.


Quelle:
Ernst Raupach: Dramatische Werke komischer Gattung. Hamburg 1829, S. 233-241.
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