61. De Hauptsak

[356] Herr Moritz Gimpel kamm nah Stuer,

Dor was sin Blümchen in de Waterkur,

Un seggt tau Kahlen – dunn was Kahl

Dor Dokter bi de Waterpump

Un heilt Herrn Moritz sin Gemahl

Mit Venusgürtel, natten Strump,

Mit Regenbäder un mit Duschen,

Mit käuhlen Drunk von baben bet nah unn'n;

Ok müßt schön Blümchen männig Stun'n[356]

In so'n verdammtes Sitzbad kuschen –,

Un seggt tau Kahl'n: »Herr Dokter«, seggt'e,

»In eine Notsach' bin ich hier,

In der ich wohl das Blümchen sprechen möchte:

Was noch ein Bruder is von ihr,

Der Mauses, der is tot.«

Je, seggt nu Kahl, wenn't hadd so grote Not,

Denn müßt dat sin, denn künn hei dat nich hinnern,

Hei süll de Äwerraschung äwerst minnern,

Hei süll ehr't nah un nah bibringen;

De ganze Kur künn süs mißlingen,

Denn Blümchen wir sid gistern morg'n

Tau sine Freud sihr elend word'n,

Un tau de Freud' von jedermann

Füng sei all an tau duften an.

»Das nenn'n wir 'Krisis', wir Doktoren,

Und was 'ne Krisis is, Herr Moritz Gimpel,

Das weiß in Stuer jeder Simpel.«


Na, Moritz Gimpel ward von Kahl

Herinner nödigt in den Saal,

Dor sitt sin Blümchen blaß un welk

Un stippt en Stuten in de Melk

Un fohrt tau Höcht: »Nu, Gimpelche, wos is?

Zu Haus' is wos pessiert gewiß.«

»Wos süll da gepessiert denn sain?

Pessieren? – Nu, pessieren tut's

Ja alle Tag', bald Schlimm's, bald Gut's.

Doch halt mol still! Da fällt mer ain,

Der Borsch, der Itzig Rosenstain,

Der hat gewoltsam Schläg' gekriegt.«

»Wo vor denn?« – »Nu, vor's Rathaus von's Gericht.«

»Das frag' ich ja nich, Gimpelleben!

Worüber hob'n sie ihm die viele

Grausame Prügel denn gegeben?«

»Worüber? – Über die Machile.«[357]

»Ih, Gimpel, hör mich doch mal ahn!

Ich frage jo, wos hot er denn getan,

Daß sie so grausam schlugen ihn?«

»Getan? Getan? – Au waih! hat er geschrien.«

»Ih, Moritz, hör' doch nur, ich main ...«

»Ich hob genug. Loß sain! Loß sain!

Genung vor dich, daß er se hot!

Ich hob zum Schmusen kaine Zait,

Du bist nu prächtig vorbereit't,

Verschreck dir nich: der Mauses, der is tot.«

»Der Mauses tot?« Un sackt tauhopen

Un kreg't Beswimen von't Verfiren,

Un all', de üm ehr rümmer wiren,

De krigen't Rönnen un dat Lopen.


Doch Kahle bringt dat stracks in'n Gliken,

Hei lett ehr an koll Water rüken

Un hett sei ut de Ahnmacht weckt

Un treckt Herrn Moritz ut den Hümpel.

»Herr Gimpel sind ein wahrer Simpel!

Sie hab'n sie bis zum Tod erschreckt;

So was ist nicht für kranke Ohren,

Die ganze Kur ist jetzt verloren,

So etwas kennen wir Doktoren.«

»Au waih geschrie'n! Mein Geld! Die ganze Kur!

Doch warten Sie, Herr Dokter, nur!«

Un schüwwt de annern utenanner

Un geiht an sin schön Blümchen ranner.

»Wo haißt? Wos is? Wos fällt dir ain?

Wo kannst du so verschrecklich sain?

Du wirst die ganze Kur verderben!

Der Mauses is nicht tot.

Woßu soll denn der Mauses sterben?

Und wenn er stirbt, sind wir die Erben.«

Un geiht herut. »Ich hob nich Zait;

Ich muß zu Haus' zaruck noch heut.«[358]

Sin Wagen steiht denn ok bereit,

Un as uns' leiw Herr Moritz Gimpel

Heruppe stiggt up sin Gerümpel,

Dunn stahn de Kurgäst vör de Dör,

Un't Lachen geiht nu hen un her.

Dunn kickt Herr Moritz von den Wagen

So höhnschen op de Gäst hendal

Un ward sick an de Taschen slagen

Mit sine langen, dreck'gen Knäbel.

»Geld is de Hauptsach' doch, Herr Kahl.

Un, meine Herrn, besuchen Se mich in Räbel!«

Quelle:
Fritz Reuter: Gesammelte Werke und Briefe, Band 2, Rostock 1967, S. 356-359.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Geschichte der Abderiten

Geschichte der Abderiten

Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«

270 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon