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Alles ist liegengeblieben während der letzten Woche – meine Aufzeichnungen, meine literarischen Pläne und wohl selbst meine Gedanken. Man lebte nur in den Vorbereitungen für das große Fest, und ich lebte mit. Wir gingen zu dem von Delius bezeichneten Schneider, fanden ihn nach langem Suchen in einer entlegenen Straße und fanden ihn recht merkwürdig. Er kenne Delius schon seit Jahren, erzählte er uns, und habe öfters für ihn gearbeitet – ein sehr gelehrter Herr, der Herr Delius. Und die Art, wie er dann die Kostümfrage eingehend erörterte, über den Schnitt antiker Gewänder sprach und mit ernster, nachdenklicher Miene die Maße nahm, erweckte den Eindruck, als ob auch auf ihn etwas von dem Geist des Altertums übergegangen sei.

Wir gingen Trikots kaufen und suchten zahllose Geschäfte durch, bis wir rotes Weinlaub für die Kränze und symbolische Tautropfen aus Glas fanden. Ich hatte die Idee des Flötenbläsers aufgegriffen, Konstantin wußte mir ein sonderbares Instrument zu verschaffen, das zur Not eine phrygische Hirtenflöte darstellen konnte, und ich saß viele Stunden allein zu Hause, um mich darauf einzuüben. Dazwischen mußte ich wieder Chamotte trösten, daß ich ihn diesmal wohl nicht gut mitnehmen könnte.

Einen Abend waren wir bei Hofmanns und halfen ein wenig bei den Zurüstungen. Dabei ging es heiter und lebendig her, es wurden keine dunkeln Gespräche geführt, und beide waren von einer wirklich herzlichen, zwanglosen Liebenswürdigkeit, so daß ich mich recht wohl fühlte. (Das dritte Zimmer stand an diesem Tage[192] offen, aber es war niemand darin.) Die Mädchen sprachen halb im Scherz davon, wie ich mich mit dem Flötenblasen abmühe, man neckte mich damit und fand es sehr anerkennenswert. Bei diesem Gespräch sah der Professor mich zum erstenmal richtig an, und ich hatte einen Moment das Gefühl, als verstände er vielleicht etwas von dem, was in mir lebt, anstatt wie bisher mich einfach mit dem Vermerk abzutun, ich sei ein wundervoller Mensch.

Dann war schließlich der Tag herangekommen – ich saß noch bis zur Dämmerung zu Hause am Fenster und blies auf meiner Flöte. Dabei kam eine ganz verträumte Stimmung über mich, ich meinte wirklich ein Hirt zu sein, der eine antike Landschaft mit seinem Spiel erfüllte, vielleicht auch ein geliebtes Mädchen dadurch herbeizulocken suchte. Aber es kam kein Mädchen, es kam nur Chamotte, um zum Aufbruch zu mahnen – und ich war wieder Herr Dame, der ein griechisches Kostüm trug und den man dazu verurteilte, heute abend die Syrinx zu blasen.

Und ich blieb auch bei dem Fest Herr Dame.

Als Anblick und Stimmung war es schon etwas Wunderbares, ja, ich kann wohl sagen: als wir zu früher Morgenstunde das gastliche Haus verließen, waren auch meine Empfindungen bis zu einem Zustand inneren Taumels gesteigert, der noch heute nicht ganz erloschen ist. Und doch – und doch – ich wollte, ich wäre in der Lage, zu behaupten, man müsse seine Feder in heidnisches Blut tauchen, um Wahnmochinger Bacchanale zu schildern, und wenn ich mein Buch schreibe, werde ich es wohl auch so ausdrücken.

Ich denke nach – dort drüben am Sofa liegen noch mein[193] Kostüm und die Hirtenflöte – und nun will mir wiederum scheinen, als übertriebe ich nach der anderen Seite. Es lag doch viel heidnischer Glanz und Schimmer über dieser Nacht – bei einigen war es vielleicht nur allgemeine frohe Feststimmung – Maria, Susanna sind sicher bei jeder Redoute ebenso bacchantisch aufgelegt – bei anderen wohl auch eine tiefe Entrücktheit aus der heutigen Welt. So Delius, der als römische Matrone in schwarzen Gewändern erschienen war; auf dem Kopf trug er einen schwarzen Schleier und in der Hand einen metallenen Triangel, dem er mit einem Stäbchen melodische Töne entlockte. Und auch bei dem Professor, der den indischen Dionysos darstellte, in purpurrotem Gewand mit Weinlaubkranz und einem langen goldenen Stab. Beim Tanzen raste er wild daher, und seine Augen rollten, mir fiel auf, daß er eigentlich ein schöner Mann ist mit seiner mächtigen Gestalt und dem dunklen Bart. Er schien auch vielen Frauen gut zu gefallen, und er sah sie alle mit verzückten Blicken an und fand sie alle namenlos schön. An Rauschfähigkeit fehlte es ihm sicher nicht, und er lebte ganz in seiner Rolle, wenn man es so nennen darf – außer bei einer kleinen Szene. Maria verfiel in einem animierten Moment darauf, an seinem ungeheuren goldenen Stab emporzuklettern – er schaute sie froh entgeistert an, hielt ihr den Stab hin, und der Stab brach in der Mitte durch. Schade, aber in diesem Moment versagte sein heidnisches Empfinden, und er wurde ärgerlich. Nach meinem Gefühl dürfte Dionysos sich nicht ärgern, wenn Bacchantinnen oder Hermaphroditen etwas entzweibrechen. Aber außer mir hat es wohl niemand bemerkt.

Den Meister sah ich zum erstenmal aus der Nähe, als[194] Cäsar in weißer Toga und mit einem goldenen Kranz um die Stirn – er mischte sich ungezwungen unter die Menge, und es gab ihn wirklich. Dabei behält er doch immer eine gewisse Ferne, und seine Geste schien mir schön und würdig.

Das Fest begann mit einem feierlichen Umzug: voran schritt eine Bacchantin, die ein ehernes Becken schlug, dann kam Dionysos mit seinem goldenen Stab, ihm folgten der Cäsar – er trug eine Art kugelförmigen, durchbrochenen Krug, in dem ein Licht brannte – und die in Schwarz gehüllte Matrone, daneben und dazwischen bekränzte Knaben mit Weinbechern. Wer in antikem Gewande war, folgte, die übrigen blieben zur Seite stehen. Denn viele waren auch anders kostümiert – Renaissance, alte Germanen oder orientalisch. Der arme Georg, Marias Rechtspraktikant, der durch die Eckhäusler eingeladen war, hatte den Charakter des Festes entschieden nicht begriffen, er war als Pierrot gekommen, und es war ihm dann sehr unbehaglich. Willy, dem er sein Leid klagte, sagte, er müsse eben versuchen, sich wie der Narr in einem Shakespearischen Drama aufzufassen. Er empfand wohl die Bosheit nicht, die darin lag, und fühlte sich getröstet.

Der Umzug ergab tatsächlich ein ungemein wirkungsvolles Bild und durch den eigenartigen Gesang, der dabei angestimmt wurde, eine fast beklommen weihevolle Stimmung. Selbst Georg in seinem Pierrotanzug war ganz davon angetan und stand wie erstarrt in einer Fensternische. Es waren nur ein paar Verse, die liturgisch, das heißt in dumpfnasalem Ton gesungen wurden, wobei man alle Silben gleichmäßig betonte und ins Unendliche ausdehnte. Sie lauteten:[195]


Wir sind gewohnt,

Wo es auch thront,

Hinzubeten, es lohnt.

Wie unser Ruhm zum Höchsten prangt

Dieses Fest anzuführen,

Die Helden des Altertums

Ermangeln des Ruhms,

Wo und wie er auch prangt,

Wenn sie das Goldene Vlies erlangt –

Wir die Kabiren...


Zwei-, dreimal wurde dieser Gesang wiederholt, während der Umzug sich durch sämtliche Räume bewegte. Adrian saß am Flügel und spielte eine Art dumpfe, getragene Begleitung.

Dann löste sich alles in bewegtes Durcheinander, Tanz und die sonst üblichen festlichen Betätigungen auf. Ich sehe in der Erinnerung ein buntes Gemisch von einzelnen Bildern und Eindrücken, die ich wohl festhalten möchte, ehe sie sich verwischen. Der Professor – Dionysos – in einem Kreise von Damen – er redet in Versen, wohl eine halbe Stunde lang, man bewundert ihn, und mit Recht, denn es war wirklich eine Leistung. Die Kappadozische schmachtet ein wenig und ist ganz Bewunderung – sie hatte ein eigentümliches Kostüm an mit großen Metallplatten an den Ohren (vermutlich kappadozisch). Dann sehe ich Delius, die römische Matrone, in der Hand einen Teller mit zierlichen Butterbrötchen, die er versunken in den Mund schiebt. Er ist heute ganz in seiner wahren Welt. Seine Mutter (er lebt mit seiner Mutter zusammen und soll sie sehr verehren) irrt zwischen den Gästen umher und sucht ihn: Wo ist[196] mein Sohn – haben Sie meinen Sohn nicht gesehen? Endlich entdeckt sie ihn, aber er wendet sich ab und will sie nicht anerkennen. Ganz betroffen flüchtet sie zur Frau des Hauses, die sie lächelnd beruhigt.

Ich entdecke Sendt, der alleine in heiterer philosophischer Ruhe hinter einem Glase Wein sitzt und die kleine Szene ebenfalls beobachtet hat. Halb betäubt lasse ich mich neben ihm nieder.

»Trinken Sie, junger Mann«, sagt er, »wie bekommt Ihnen denn das Flötenblasen – es machte mir aufrichtiges Vergnügen, Sie neben dem Dionysos einherschreiten zu sehen. Solange die Maskerade Maskerade bleibt...«

»Ach, lieber Doktor, wenn Sie nur Philosoph bleiben. – Ich bin wirklich freudig überrascht, Sie hier zu treffen.«

»Oh, warum nicht; ich amüsiere mich ausgezeichnet, und es gibt wirklich allerhand zu sehen – zum Beispiel Delius –, können Sie sich wohl denken, weshalb er seine Mutter nicht erkennen wollte?«

Ich meinte, er wollte wohl nicht aus der Stimmung herausgerissen werden, und als römische Matrone...

Sendt lächelte.

»Die Matrone gilt vielleicht nur für Outsider. – Ich habe munkeln hören, daß er den Eingeweihten die große Urmutter darstellt – obwohl diese von Rechts wegen unsichtbar ist. Deshalb trägt er wohl auch den schwarzen Schleier auf dem Haupt. Sie begreifen, daß es nun wirklich stillos wäre, sich mit seiner Mama zu unterhalten, wenn man sich selbst als Urmutter empfindet.«

Ich versank in tiefes Staunen – Maria kam angestürzt und warf sich in einen Sessel:

»Da sitzt ihr wieder und redet, statt zu tanzen. – Hören[197] Sie, Sendt, der Sie alles wissen, warum ist der Dionysos so rot? – Ich dachte immer, er wäre nackt und nur mit Weinlaub.«

»Zügeln Sie Ihre schlimmen Phantasien, Maria! Der indische Dionysos, den Sie heute in unserem Professor verkörpert sehen, wird im langen wallenden Gewande dargestellt. Und für Sie, lieber Dame – der Kult der großen Mutter kam aus Asien, deshalb mag wohl auch der indische als der Ur-Dionysos gelten.«

»Wie langweilig«, sagte Maria, »jetzt gibt's schon wieder einen Umzug, und ich wollte gerade mit Georg tanzen.«

Wir sahen in der Tat, daß man sich wieder zum Zuge ordnete; von allen Seiten strömten die Bacchanten, Jünglinge und Hermaphroditen mit erhitzten Gesichtern herbei. Dionysos schwang einen laubumkränzten Stab, den seine Frau ihm statt des zerbrochenen goldenen hergerichtet hatte. Nur Delius blieb ruhig an seinem Platz stehen, Adrian lief an ihm vorbei und fragte, ob er sich denn nicht beteilige, aber er antwortete gemessen: »O nein, es handelt sich diesmal nur um einen Privatumzug des Cäsar.«

Man fühlte, daß alle in erhöhter Stimmung waren, denn es ging lauter und lebendiger zu als am Anfang, bis der Cäsar sich in Bewegung setzte und wieder der eintönige dumpfe Gesang erscholl.

Wir, die Kabiren...

»Was sind Kabiren?« fragte Maria leise.

»Thrakische Urgötter«, sagte Sendt und schenkte sich ein neues Glas ein.

Die Helden des Altertums

Ermangeln des Ruhms...[198]

Und nun wollte ich wieder wissen, warum. »Ich dachte gerade, sie wären enorm?«

»Die Kabiren sind eben noch enormer«, erwiderte der Philosoph. »Übrigens sind die Verse aus dem Faust.« Und Maria ganz enttäuscht: »Aus dem Faust? – Ich meine, von Hofmann – sie sehen ihm so ähnlich.«

»Nein, nun hört auf, Kinder!« sagte der Philosoph. »Ihr fragt mich zu Tode? Lieber wollen wir nächstens wieder ein theoretisches Souper veranstalten – Je me sauve«, und damit verläßt er uns, um einer schönen Griechin die Cour zu machen.

Ich tanze mit Maria, mit einer Unbekannten, dann treibe ich mich herum und suche nach Susanna, die ich noch kaum gesehen habe. Die vier Hermaphroditen, deren Kostüm bis ins kleinste Detail übereinstimmt, sind durchaus verwirrend. Darin hat Susanna wohl recht gehabt. Ich denke, sie ist es, die vor mir steht, und lege sanft den Arm um sie – es ist Konstantin – er dreht sich um und schaut mich an wie ein schönes Mädchen:

»Nein – dort in der Fensterbank sitzt sie«, sagt er.

Die Lampen blenden, ich sehe nur ein paar schlanke schwarze Beine, ein weißes Obergewand, den roten Kranz, ich trete näher heran – Schnurrbart – Zwicker – es ist Adrian. Er unterhält sich gerade mit einem Franzosen, klärt ihn über die Bedeutung des Festes auf und weist auf eine Gruppe von Knaben und Bacchantinnen hin, unter denen es stürmisch und zärtlich zugeht. Ich höre Adrian sagen:

»Mais c'est une orgie – vraiment, c'est une orgie – un bacchanal!«

»Oui, oui, oui – parfaitement«, erwiderte der Franzose.[199]

Hoffnungslos wand ich mich weiter durch die menschenvollen Räume, aber nun begegnete mir die wirkliche Susanna und zog mich mit:

»Ein neuer Zinnsoldat«, sagt sie, »er ist sehr nett, kommen Sie nur mit.«

Ja, er war wirklich recht nett – ein blonder Gutsbesitzer, der sich stilvoll in ein großes Pantherfell gewickelt hatte. – Wir etablierten uns in einer stillen Ecke, Susanna schmiegte sich an das Pantherfell und ließ mir ihre linke Hand. Sie weiß, daß ich mich dann schon etwas glücklicher fühle.

So saßen wir, schwätzten, ruhten uns aus und betrachteten das festliche Getriebe. Willy und Orlonsky tauchten manchmal auf, grollten etwas, weil sie nicht tanzen wollte, blieben eine Weile oder verzogen sich wieder. Heinz kam vorbei – dann sein Freund, der Indianer; ich erfuhr jetzt endlich von Susanna, daß er Petersen heißt und aus einer nordischen Heidegegend stammt – deshalb wird er auch trotz seiner dunklen Haare als blonder Germane eingeschätzt. An diesem Abend trug er ein orientalisches Kostüm und einen langen falschen Bart. Ich rief ihn an, da ich ihn doch kannte, aber er zuckte die Achseln und antwortete mit einem unverständlichen Gemurmel, was wohl bedeuten sollte, daß er nicht für mich zu sprechen sei.

»Er ist ein orientalischer Priester«, erklärte Susanna, »und es gehört dazu, daß er uns nicht kennt. – Überhaupt zu seinem Stil; er gilt gerne für verschlossen und herrisch.«

Es war schon spät; in der Mitte des Zimmers begann jetzt ein weibliches Wesen, anscheinend eine Mänade, die fast nur in rote Schleier gehüllt war und Hörner auf[200] dem Kopf trug, Solo zu tanzen – alles schob sich zur Seite, um zuzuschauen. Delius in seinem schwarzen Gewande schritt um die Tanzende herum und ließ leise seinen Triangel ertönen. Ich erkannte die schwarze Malerin, die ich bei Heinz gesehen.

»Das ist die ›Murra‹«, sagte Susanna leise, »ich weiß nicht, wie sie sonst heißt. Der Petersen ist Bildhauer und hat sie kürzlich als ›erdhaftes Weib‹ modelliert – es ist nur ein Kopf, der nicht recht aus dem Stein heraus will. Er sollte eigentlich die Urzeit heißen, aber irgend etwas stimmte nicht, und er taufte es dann die ›Murra‹. Der Name soll eben das Dunkle, Erdhafte wiedergeben. Man fand es enorm, und das Mädchen ist sehr stolz darauf.«

Der Panther hörte aufmerksam zu und schien sich nicht besonders zu wundern – er muß doch nicht ganz fremd in Wahnmoching sein.

Die ›Murra‹ tanzte und bog sich in verzückter Gelenkigkeit vorwärts – rückwärts, man hatte manchmal Angst, sie könnte ohne weiteres durchbrechen. Alle Zuschauer waren völlig hingerissen, nur der Mann im Pantherfell machte ziemlich laut eine abfällige Bemerkung, und der Indianer – nein, diesmal war er ja Priester – warf ihm einen furchtbaren Blick zu. Die kappadozische Dame sah interessiert zu uns herüber, sie hoffte wohl, es würde wieder Blut fließen. Aber nun ergriff der Priester einen Gong und trat selbst in die Arena. Mit dröhnenden Schlägen und düsterer Miene schritt er auf die Tänzerin zu, um sie herum, und feuerte sie zu immer wilderen Sprüngen an. Sie erntete ungeheuren Beifall, ihre roten Schleier flogen auf und nieder, ich fühlte mich schließlich wie hypnotisiert, ich sah und empfand nichts[201] mehr als rote Schleier – rote Schleier, hörte nichts mehr als die dröhnenden Gongschläge. Vielleicht war das wirklich der dionysische Rauschzustand, den dieses Fest ja herbeiführen sollte. Der Professor kam an den Tisch, und ich teilte ihm meine Empfindungen mit; er schien hocherfreut und sah mich voller Sympathie an. Dann zog eine Bacchantin ihn fort; der Panther gürtete sein Fell und mischte sich ebenfalls in das Gewühl. Susanna hatte bisher wohlig in unser beider Armen geruht; nun der andere gegangen war, konzentrierte sie sich auf mich. Ich war sehr glücklich und auch wieder melancholisch, denn ich wagte endlich die Frage, zu der ich mich schon lange verurteilt fühlte:

»Ach Susanna – kann ich Ihnen denn niemals mehr sein als ein Zinnsoldat?«

Und sie antwortete nur: »Das ist schwer zu wissen.«

Der Panther kam zurück und mit ihm der Philosoph; die beiden waren anscheinend schon bekannt und unterhielten sich eifrig miteinander. Immer noch tanzte die ›Murra‹, sie schien überhaupt nicht mehr aufhören zu können – dann plötzlich schleuderte der Indianer seinen Gong weit von sich und drehte sich rasch und immer rascher um sich selbst wie ein Derwisch. Das gab das Signal zu einer allgemeinen Ekstase, alles begann zu tanzen, zu drehen, in einem rasenden Tempo herumzuwirbeln – paarweise, allein oder zu mehreren, wie es gerade kam. Eine ganze Schar von Mänaden schwang sich im Kreise um den Dionysos, der verzückten Blickes bald eine, bald die andere ansah und einzufangen versuchte. Auch Susanna hatte ihre Faulheit abgeschüttelt und bildete mit Konstantin und Adrian ein unentwirrbares[202] Ensemble von schwarzen Beinen und rotumlaubten Köpfen.

Wir hielten unterdessen an unserer Ecke fest, sie glich immer mehr einer umbrandeten Insel. Adrian trat wieder zu uns und betrachtete das bewegte Schauspiel durch seinen Zwicker.

»Hören Sie, Sendt«, sagte er hingerissen, »wenn Sie immer noch nicht zugeben wollen, daß wir in Wahnmoching noch einmal ein dionysisches Zeitalter erleben werden...«

»Meinetwegen – erleben Sie es«, entgegnete der Philosoph trocken. »Es ist ja im späteren Altertum schon einmal vorgekommen, daß die dionysischen Kulte eine wohlgeordnete patriarchalische Weltanschauung wieder über den Haufen rannten und...«

Adrian horchte gespannt auf: »Was? Das wußte ich ja gar nicht.«

»Nun, dann wird es Sie sicher interessieren, daß auch damals die Frauen wieder zu Mänaden und Hetären wurden, und – hören Sie nur gut zu, Adrian – auch damals lernte ein ernüchtertes Zeitalter wieder den Rausch einer tieferen und glühenderen Lebensempfindung kennen – was, soviel ich weiß, die verborgene Hoffnung Wahnmochings ist. Eben jene nächtlichen dionysischen Feste mit rasenden Tänzen, die Opfertiere, die von den Mänaden zerrissen und roh verschlungen wurden.«

»Pfui Teufel«, sagte der Panther.

»Weil in ihrem Blut der Gott selbst enthalten war.«

»Stierblut«, fiel Adrian, sich plötzlich erinnernd, ein.

»Ja, Stierblut, weil der Gott in der Gestalt eines Stieres erschien und man somit seine Substanz in sich aufnahm – aber bitte, lesen Sie es lieber in Ihrem Bachofen nach,[203] ich habe nicht die Absicht, hier weitere Vorträge zu halten.«

Adrian nahm einen Zettel aus seinem Gewande und notierte sich etwas. Der Panther hatte derweil nachgedacht und sagte bedächtig: »Es wäre eigentlich doch nicht so übel!« Dann stand er auf und reckte sich. Adrian faßte ihn am Arm.

»Kommen Sie, Panther! – Tanzen wir, rasen wir, stürzen wir uns unter die Mänaden.«

»Gebt nur acht, daß sie euch nicht zerreißen«, bemerkte der Philosoph friedfertig.

Und die beiden tauchten in dem tobenden Chaos unter, das noch eine Zeitlang fortwogte und sich dann allmählich in erhitzte und ermattete Einzelgestalten auflöste.

Quelle:
Franziska Gräfin zu Reventlow: Romane. München 1976, S. 192-204.
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