Das walte Gott!

Die Vorrede

Dieses Schau- und Freuden-Spiels

wird gehalten von einem

Weibesbilde / welches geheissen

[237] DIE WARHEIT. Das gedencket und urtheilet ihr doch wol / hochwerthe / vielgeehrte und von mir / ohne einiges Ansehen der Personen / sonders Geliebte Zuhörer / oder vielmehr Zuschauer / daß ich unansehnliches / schlechtgekleidetes / armes Weibesbild so kühnlich / ja so frisch und freudig / für einer so grossen Menge / allerhand Standes Personen / am heutigen Tage darff erscheinen / den Anfang dieses itztbestimmten neuen Schau und Freudenspieles zu machen? Und / was meinet ihr wol / wer ich sey / die ich für allen meinen Spielgenossen zum allerersten auff diesem Schauplatz mich lasse sehen / vielleicht auch von manchen öffentlich verhöhnen unnd außlachen? Glaubt mir sicherlich / ihr theils vernünfftige / theils vorwitzige Zuschauer / das ich mich selbet zum höhesten verwundere dieses meines schier unglaublichen Unterfangens / daß ich / nachdemal mir sehr wol wissend / welcher Gestalt ich von aller Welt auff das äusserste werde gehasset und verfolget / mich gleichwol einem so gewaltigen Hauffen Volckes freymühtig darff für die Augen stellen! Ey / ey bin ich doch ein rechter Spott der Leute und Verachtung deß Volcks! Und / was leben doch für Menschenkinder unter[237] dem Himmel / die mich nicht anfeinden und hassen? Sehr wenige / Ja wol gar keine werden derselben gefunden. Jst doch kein Ort in der Welt mehr / woselbst ich mit Frieden wohnen könte! Die Gotteshäuser / welche ja billich Freystädte und sichere Plätze für alle / sonderlich die Tugendhaffte Menschen seyn solten / sind mir zu meinem Auffenthalt sehr gefährlich / und wil man mich auch in den Kirchen fast gar nicht mehr leyden. Komme ich nach Hofe / so sihet man daselbst den schwartzen Teuffel auß der Höllen lieber / als mich / und zwar / so habe ich mich der Allerhöhesten Ungnade nicht etwan nur von den Hofedienern / sondern auch wol von den Fürsten selbst zu befahren / es wil mich der Höheste so wenig als der Geringste daselbst wissen / und wenn man mir noch grosse Gunst erweiset / so lässet man mich mit Hunden hetzen und über Halß und Kopff vom Hofe hinweg jagen. Spatzire ich ferner nach den Rahtshäusern der Reichs-Kauff- und Handelsstätte / so bin ich daselbst eben so wilkommen als ich zuvor bey Hofe gewesen. Man empfähet mich an solchen Oerteren so freundlich / als der Bauer einen Dieb im Kohlgarten oder auff dem Kornboden / und wann man gar höfflich mit mir wil umbgehen / so fraget man mich / wer mich an diese Oerter zukommen befehliget / und ob ich etwan lust habe mich eine Zeitlang unter die Erde stecken zu lassen? oder sonst einen von Stein gemaurten Rock anzuziehen? Verfüge ich mich hin zu den Kauffleuten / Handwerckern / Schiffleuten / Ackersgesellen / Taglöhnern / und was sonst mehr für mancherley Standes Menschen in der Welt leben mögen / so werde ich von allen / unnd einem jedweden besonders dermassen gehasset und angefeindet / daß ich nirgends mehr weiß zu bleiben / muß mich also auff daß allererbarmlichste von der gantzen Welt / sonderlich aber von den meisten Kriegesleuten (die mich schon längst deß Landes verwiesen / und auß ihrer Gesellschafft[238] gebannet haben) plagen und biß auff den Tod verfolgen lassen. Nun werdet ihr / meine hochgeehrte Zuhörer / zweiffels frey bey euch selber gedencken / vielleicht auch wol einer zum anderen sagen: Daß muß wol ein gar elendes betrübtes Weib seyn / welche in der gantzen Welt keine bleibende Stätte hat! Sie wird es aber auch vielleicht darnach machen / und ihren Wandel und Leben also anstellen / daß kein Mensch ihr hold seyn / noch in guter Vertrauligkeit mit ihr ümmegehen kan. Aber / Nein ihr lieben Leute / mir wiederfähret dieses falles das höheste Unrecht / ich habe niemalen einigen Menschen / auch nur die allergeringeste Unbillichkeit zugefüget. Und / ich bitte euch / saget mir / welchen unter euch habe ich jemalen beleidiget? ich weiß gewisse / keinen / und nichtes desto weniger bin ich gnugsam versichert / daß kein eintziger Mensch unter diesem gantzen Hauffen zu finden / der mir von rechten Hertzen hold oder günstig sey / Ja / wenn ich meinem Gebrauch nach etwas offenhertzig mit euch reden solte / so würde ich gar leicht einem jedwedem unter euch mit dem geringsten Worte erzürnen / denn ich mehr als zu wohl weiß / wie daß ihr meine Reden gar nicht könnet leiden / wie würde ich mich denn einiger Freundschafft von euch gegen mir zu versehen haben? Jch spühre aber an Euren heimlichen Unterredungen und auffmerckenden Gebehrden / daß euch gar sehr verlanget zu wissen / wer ich denn endlich sey / und was ich verhassetes Weib eigentlich für ein Ambt und Namen führe? So wisset denn / ihr meine sonders geliebte Zuschauer / daß mein Vatterland oder Heimaht nicht ist von dieser Welt / weiß auch von keinen leiblichen Eltern allhie zu sagen; Sondern / meine Geburt-Statt ist der Himmel / in welchem der Allerhöchste GOtt wohnet / welcher auch mein allerliebster HErr und Vatter ist / und werde ich in reiner teutscher[239] Sprache die Warheit genennet / die Warheit sage ich / welche von dem heiligsten GOtt so hertzlich geliebet / von der grundbösen Welt aber so gar erschrecklich wird angefeindet / geneidet / gehasset / geplaget unnd verfolget. Kennet ihr mich denn nun endlich / hochgeehrte liebe Zuhöhrer? Jch halte Ja / Jhr müsset mich / die Warheit / ja kennen / dafern ihr mich anderst nur kennen wollet. Habe ich euch aber zu Anfange meiner Rede nicht recht gesagt / daß man mich unglückseliges Weib / nemlich die Warheit / nirgends wolle leiden? Fraget nur Eur eigen Gewissen / ob ihr dem jenigen wol günstig seyd / welcher euch die Warheit unter die Nase reibet? Ja wol! was gilts / ob ihr nicht auff gut Pilatisch sagen werdet: waß ist Warheit? hinweg mit der Warheit / wer die Lauten der Warheit schlägt / und ein recht klingendes Stück darauff spielet / dem soll man das Saitenspiel auff den Kopffe zertrümmern / packe dich Warheit! Ob ich nun zwar wol weiß / das diesem nicht anders ist / als wie ich gleich jtzt davon geredet habe / so muß euch doch die Warheit etliche Sachen verkündigen oder anmelden / welche vielen von Hertzen lieb / vielen vielleicht nicht wenig Leid seyn werden. So mercket denn nun auff / ihr teutsche Zuhörer / ich wil es gar kurtz machen / denn ich spühre schon / daß ich von etlichen sehr scheel werde angesehen / und diesem nach meines bleibens hieselbst nicht lange seyn wird / wiewol ich es mit euch allen / ja auch mit einem Jedweden insonderheit / auß dem Grunde meines Hertzen gut meine. Wollan denn / so höret mir zu und nehmet itzt wol in acht / alles / was euch die Warheit zu verstehen gibt:

Teutschland / ach ja / Teutschland das herrlichste Käiserthumb der Welt / ist nun mehr auff den Grund außgemergelt / verheeret und verderbet / diß bezeuget die Warheit! Der grimmige Mars oder der verfluchte Krieg ist die allerschrecklichste Straffe und abscheulichste Plage / mit welcher[240] GOtt die übermachte Boßheit und unzehlige Sünden deß unbußfertigen Teutschlandes nunmehr gantzer dreissig Jahre hat heimgesuchet / diß saget die Warheit!

GOtt / der da überreich ist von Gnade unnd Barmhertzigkeit / hat endlich durch so viele heisse Seufftzer und Zähren frommer / und mit unnachlässigen Beten anhaltender Christen / am allermeisten der jungen Kinder und Säuglingen sein zorniges Hertz lassen erweichen / daß er nunmehr daß höchstbedrängte / und in den letzten Zügen liegende Teutschland mit dem alleredelsten Frieden widerumb beseeliget / und nach so vielen außgestandenem grossen Jammer und Elende hat erfreuet / das saget euch die Warheit!

Ob aber ermelter Honigsüsser Friede beständig in Teutschland verbleiben / und viele Jahre seine Wohnung darinn wird bevestigen / das kan man euch in der Warheit nicht sagen.

So seyd denn nun emsig / auffmerckig und andächtig zu hören und zu sehen / was euch in diesem Schauspiele soll fürgestellet werden / lasset euch dasselbe / als eine liebe Tochter der himlischen Warheit / in eure gute Gunst befohlen seyn / urtheilet nach der Billigkeit und Warheit von demselben / gebraucht es zu eurem Nutzen / fürnemlich aber zur Besserung eures bößlich geführten Lebens und Wandels / und haltet euch versichert / daß eure hieselbst angewendete Zeit / Mühe unnd Kosten euch nimmermehr werde gereuen. Bleibet GOtt in der Warheit befohlen!

Quelle:
Johann Rist: Sämtliche Werke. Berlin und New York 1972, S. 237-241.
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