Das V. capitel.

Der schlangen böse regiment.


"Als sich ehemals für alten tagen

Auch mit der schlang hat zugetragen.

Die wonet in eim holen stein

Gar sicher an eim grünen hain

Und wandert aus und ein viel jar,

Weil sie still und vorsichtig war.

Ja alle tier fürchten sie hoch,

Ließen ihr fried in ihrem loch,

Bis endlich sich der schwanz beschwert,

Er würd an seinem recht gefert,

Das wolt er nicht lenger nachgeben,

Dabei aufsetzen leib und leben.

Denn er wer des heupts gleicher man,

Het einrlei fleisch und leder an;

Ja das heupt könt nicht sicher bleiben,

Jederman würd sich an ihm reiben,[247]

Wenn nicht des schwanzes gift da wer

Und setzet sich zur gegenwer.

Dennoch würd all sein recht und macht

Vom heupt so gar schimpflich veracht,

Das der schwanz in des hauses ecken

Blieb in eim finstern winkel stecken,

Das heupt seß vornen an der tür,

Schauet alles was gieng dafür.

Wenn sie auch beid wolten spazieren,

Sehe man das heupt vornan stolzieren,

Der schwanz must in dem staub nachtrecken,

Als wenn es wer ein hirtenstecken.

Ja wenn ein not vorhanden war,

Macht sich das heupt aus der gefar,

Das es zuerst zum loch einkem

Und der schwanz dann die schleg annem.

Das wolt er hinfort nicht gestehn,

Er wolt auch selber vornan gehn,

Und das huept soll ihm schleifen nach.

Das wer für got ein billig sach. –

Das heupt widerriet die unweis,

Soviel es kont, mit allem fleiß,

Weil es viel gefar auf sich hette,

Wider got und natur auch tete.

Denn es wer zwar kein besonder man

On das ihm got die ere gan,

Augen und oren dazu gab,

Das er verwaret den vortrab,

Wie an allen tieren zu sehen;

Sonst ließ es die sach wol geschehen,

Ließ einen andern hinfort wachen,

Sich viel sorg, mühe und erbeit machen,

Wie der ganz leib blieb unbeschwert,

Würde beschützt, gefürt, ernert.

Nun folgs hierin got und natur,

Dem billig folg all creatur. –

Der schwanz antwort: Hast nie gesehen

Den krebsschwanz hinterrücklich gehen,[248]

Und das der kopf ihm folgen muß,

Ob er gleich hat zehn ander fuß?

Wie des regenwurms und raupen sterz

Wenns ihm gefellt geht hinterwerts;

Dazu kan der maulworf nicht sehen,

Die bien und flieg hört niemand gehen,

Dennoch haben sie nicht gefragt,

Wer ihn die straß und wege sagt.

Nun bin ich sterkr, lenger, geschwinder,

Denn diese sein und all ihr kinder;

Darum solt du auch folgen mir,

Wie ich zuvor gefolget dir!

Das sagt er und wolt nirgend fort.

Es gieng denn auch nach seinem wort,

Und schlang sich um die beum und stein,

Das heupt kunt sein nicht mechtig sein,

Das endlich auch aus ungeduld

Das heupt sprach: Nun, es sei dein schuld,

Wenn du aus unvorsichtigkeit

Uns beiden wirst bringen in leid.

Gehe immer hin, das es got walt,

Da wir zu essen finden bald! –

Damit lief der schwanz in ein trab

Den steinern hohen berg hinab,

Das er bald in das eichholz kem

Und seiner speise da warnem;

Dieweil er aber war stockblind,

Wie blindschleichen und spulwurm sind,

Und darum nach gedünken gieng,

Gar manchen stoß er selbst empfieng,

Schleift auch unbarmherzig herein

Das heupt durch dorn und scharfe stein,

Das ihm zu schwindeln ser anfieng,

Hören und sehn zugleich vergieng,

Und obs gleich rief: Halt ein, halt ein,

Odr meins lebens wird nimmer sein!

So kert sich doch der schwanz nicht dran,

Gedacht, ich geh itzt vornen an,[249]

Du must nun auch zu lon empfangen,

Wie du mit mir vor bist umgangen!

Und lief wie die rasenden pferd,

Denen wedr zaum noch peitschen wert.

Damit stürzten sie ab ins tal,

Dadurch gieng ein farweg, sehr schmal,

Mit tiefgesenkten wagenleisen,

Da wolt der schwanz sein kunst beweisen

Und auch eilend darüber streichen,

Ehe denn ihn das rad kont erreichen.

Es wolt aber nicht folgen der trab

Also berg auf wie vor bergab,

Sondrn wenn er sich aus einer hub,

So stürzt er in die ander grub,

Bis das wagenrad in die quer

Ueber die schlang gieng mitten her

Und der leib kriegt ein riß ser groß.

Sein eingweid auch kleglich vergoß.

Der schwanz sich aber hin und her

Rang und wand in die leng und quer,

Sprang fertig auf und legt sich wider,

Cirkelt und streckt sich hoch und nider,

Wie die alfisch im gras und sand,

Wenn man sie fengt und geust aufs land,

Kont sich aber nicht machen los;

Der schad war zu schmerzlich und groß,

Und sprach: Ach mein herzliebes heupt,

Dir sei dein recht wider erleubt.

Für uns zu unserm loch aus not,

Oder wir bleiben beide tot. –

Das heupt war zornig und erschrocken,

Zittert wie für dem wind der rocken,

Biß seine zeen, blies auf die lung,

Fasset das gift auf seine zung,

Als wenn es wolt sein zorn beweisen,

An dem verlaufnen rad ausbeißen,

Und antwortet: Mein lieber schwanz,

Was hilft uns dein kleglicher tanz?[250]

Was nützts, das ich mein fleiß anwend,

Nun ich geschendt bin und geblendt?

Den karrn bringt man so schlecht nicht weg

Aus der pfützen und tiefen dreck,

Als man ihn leicht füret hinein;

Du weißt, die schuld ist dein allein.

Hilf uns nun auch wider heraus

Und für uns gesund heim zu haus,

Als ich viel tausend mal getan,

Fieng die sach nicht so nerrisch an. –

Der schwanz wolt haben gar kein schuld

Und rief noch laut aus ungeduld:

Bist du so nasweis und so klug,

Warum schlugst dus nicht ab mit fug?

Du hast uns selbst hiezu gebracht,

Das du mir gabest so viel macht.

Mit willen nicht, sprach das heupt wider,

Bis das ein mantier kam ernider

Und hieb sie vollend gar auf stücken.

So pflegt die tumkünheit zu glücken,

Die gutem rat nicht folgen will

Und helt alzeit das widerspiel."
[251]

Quelle:
Georg Rollenhagen: Froschmeuseler. Zwei Theile, Teil 1, Leipzig 1876, S. 247-252.
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