II

[193] Im Gegenteil: Der Herr von den »Allgemeinen Flugblättern« hat recht. Allgemeine Flugblätter? Zeitschrift. Hinten drauf steht: »Wir wollen deutsch und scharf sein.« Vorn gibt es Proben von deutsch und scharf: Aus dem Atlilied. Wahrhaftig aus dem At-li-Lied. (Denn noch deutscher als germanisch ist germanistisch.)


»Atli sandte einst zu Gunnar

Einen kundigen Reitersmann, Knefröd geheißen.

Zur Grenze kam er der Gibiche und zu Gunnars Halle,

Zu den herdumgreifenden Bänken und zum Biere, dem süßen.«


Na ja. Ein anderer von den Tatütataa-Leuten sagt, Picasso ist ... Mist, weil ... Dazu am Bierhimmel der Atliliedersänger ein speckiger Holzschnitt für Haus und Reise. Also Ahnungslose. Aber ist dieser Dümmling nicht mit Recht betroffen? Heinrich Manns Roman hat nichts mit Kunst zu schaffen. Dafür muß jeder, der ein Herz hat, Herrn Heinrich Mann danken. Mann war in der »Jagd nach Liebe« der größte Techniker von Deutschland; dafür innere UnSicherheit,[193] Menschenkenntnis mit Naturromantik. Überall wurden ihm junge Herren, die das Knie ihrer Geliebten in Florentiner Hügeln sahen, nachgeschrieben.

Aber dieser »Untertan« ist nicht mehr für sich selbst da. Er ist eine Stimme. Stimme der Empörung. Daß er nicht die des Aufstandes ist, ist unsere Schuld. Warum halten wir nicht Deutschlands Wut auf solcher Hitze, daß Gemäßigtes gar nicht möglich wäre!

Wir müssen Heinrich Mann danken. Dafür, daß er sich nicht mehr um Kunst kümmert, sondern um Großes, Übergeordnetes: Geistiges, um Politisches. Um den Willen: Hinter ihm steht heute unser aller Drang nach Änderung. Umsturz. (Oh, wär er nur noch utopischer; noch verlachbarer; noch verzweifelter!) Hat denn ein Mensch, der in Deutschland die Feder eintunkt, einer, den alle sehen, diesen Mut? Schmutzige Partikularisten!

Umsturz! Absicht in diesem Buch. Ziel! Wer wagt das sonst bei uns!

Die Herren Deutschen sind lumpenhafte Erfolgsfeiglinge. Sie haben Angst, nicht gelesen zu werden, kein Jeld zu kriegen. Der Willen über einem Werk schädige die Kunst. (Kunst bringt Zinsen.) Alter Beweis die Nazarener; Gutzkow. Sollt es nicht daran liegen, daß diese Unerträglichen nicht – ja, deutlich – nicht radikal genug waren; nicht genug gewollt haben; den Geist noch durch Kunst trübten?

In Frankreich, der berühmte Herr Anatole France, präsidiert Arbeiterversammlungen und schreibt darnach neckische Bücher. Da habt ihr eure Kunst. Das ist ja Hermann Bahr: Gott als Anregung zur Produktion. Wie herrlich, wie ruhmvoll, nein, wie anständig ist dieser Deutsche Heinrich Mann: ein öffentliches Leben dazu da, um Aufreizendes zu verbreiten. Eine Schrift, nicht der Unzufriedenheit, sondern der Deutlichkeit. Ein Buch, wirkend, daß die Bourgeoisie, die es lesen muß, sich selbst ins Gesicht kotzt.

In dem Lande Rußland ist ein Dichter ein Prophet. In Italien ein Führer, in England ein Aufrüttler, in Frankreich ein Parteimann. In Deutschland ein Dreck. Mit Recht:
[194]

Ich bin ein Dichter und dichte.

Doch einmal kommt der Tag,

Wo ich euch alle vernichte

In meinem eignen Verlag.


In Deutschland weiß man alles mögliche vom Dichter. Am ehesten, mit wem er in Krach liegt und wieviel er verdient.

Eins weiß man bei uns nicht: daß er eine aktive Wirkung ausüben kann. (Wenn sich nach dem Werther die Leute totschießen, so ist das Buch gut; wenn sie auf andere schießen, besser.) Heinrich Mann, zu fällig, kann das. Früher gingen Nebenwirkungen von ihm aus, zur Radikalisierung; junge Herren, hoffnungslos frisiert nach Claude Marehn, waren zwar Mißverständnisse, aber zersetzend. Jetzt, unter dem unverpackten, von draußen drängenden politischen Willen des »Untertans« werden in Deutschland viele tausend ahnungslose Frauen und Männer politisches Blut eingespritzt bekommen. Ach, zunächst wird die Wirkung noch sehr zweideutig sein; Organisation, Partei, Parlament. (Jüdisch-sozialdemokratische Reserveoffiziere.) Man wählt. Statt hundertelf Stimmen im Reichstag hundertundfünfzehn. Also wie ist das mit Frankreich? Wo der berühmte Herr Anatole France offen sagt: Ich bin stolz, Aufrührer zu sein; und darnach neckische Bücher schreibt.

Besser Bücher, die stolz darauf sind, Aufrührer zu sein. Wir müssen Heinrich Mann für den »Untertan« danken. So lange, bis er einen »Roman« schreibt, der selbst Aufrührer ist. Wonach, als Wirkung des Buches, nicht mehr gewählt, sondern getan wird. »Kunst« kann nie diese Wirkung haben, nur der Geist. Dann wird auch unser Dank für den (vorhergehenden) »Untertan« ganz überflüssig sein. Dann wird nämlich Heinrich Mann im Gefängnis sitzen, und seine Leser wissen, daß sie vorstoßen müssen.

Quelle:
Ludwig Rubiner: Der Dichter greift in die Politik. Leipzig 1976, S. 193-195.
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