Ein sehr grosses Erlebnis

[87] Im Jahre l882 flog durch vulkanische Eruption die Südseeinsel Krakatao in die Luft. Viele hunderttausend Menschen wurden von der Flutwelle getötet. Eine Riesenwolke feinen Staubes blieb in der Luft, umkreiste mehrmals die Erde und brachte die tiefen farbigen Dämmerungserscheinungen hervor, die von jener Zeit bis Mitte der neunziger Jahre in der ganzen Welt sichtbar waren. –

Es ist mir immer klar gewesen, dass die Farbenwolken des Krakatao in innigster Beziehung stehen zu den neuen Malerfarben, den bunten Worten, den Neobildern, den Nuancen dieser Jahre.

Das ist ein Erlebnis, ein tellurisches. Objektiv, real, nicht abzustreiten. Ist das nun gross genug? Und alles, damit einige Malerateliers mehr gebaut werden? Ja? Alles, damit unser Sicherheitsgefühl in Europa steigt, einige Bilder mehr an den Wänden hängen, einige Bücher mehr erscheinen, Loie Füller unter Beifall Farben-Variété macht, die Fabriken bunte Blusenstoffe in die Welt setzen, Geniesser vom »Farbenfleck« reden?

Darum? Diese flach teleologischen Fragen sind notwendig, solange wir noch an das Erlebnis glauben.

Und als die Malerfarben wieder blasser wurden, die Gedichte schilderungsfreier, da: ein europäischer Krieg, um das Erlebnis zu erneuern? Kameraden, ewiger Weltboykott diesen Teleologen! (Meyerbeer mietete sich ein Hausorchester, weil[87] er sich Klangkombinationen nicht denken konnte, sondern sie praktisch erleben musste. Wer aber hat sich den Weltkrieg gemietet? Wir, zum Teufel, wir leben nicht für Schilderungen der Komponisten, Maler, Lyriker oder Romanciers!)

Quelle:
Ludwig Rubiner: Der Mensch in der Mitte, Potsdam 21920, S. 87-88.
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