[Froh naht der Frühling und die Zeiten lachen]

Froh naht der Frühling und die Zeiten lachen;

Komm auf die Flur, ein wicht'ger Tag ist heut;

Die Zeit, wo Freuden und Genüsse wachen,

Und Lust des Lieblings Rosenwange beut.

Die Erde grünt, geschmückt sind alle Bäume;

Erschliess' dein Seelenaug' der Schöpfungspracht;

Geweckt ist, wen noch gestern wiegten Träume,

Zum Leben ist, wer jüngst verschied, erwacht.

Die Erde hat im Winter Wein genossen,

Der nun, im Frühling, sie in Blumen fasst,

Und Blatt und Gras hold taumelnd lässt entsprossen,

Und Bäume segnet mit der Früchte Last.

Mit Huris ist diess Paradies geschmücket,

Voll Tulpen prangt die Flur, durch Gottes Huld;

Des Gartens Bräute sind berauscht, entzücket,

Und wiegen sich in schöner Ungeduld;

Nie hat man Strafgeld ihnen auferleget,

Doch sieht man Gold und Silber sie verstreu'n.

Sieh, wie der Wind den trunk'nen Zweig beweget,

Und wie sich Ahorn und Cipresse freu'n.

Die Lilje zieht das Schwert, der rauhen Miene

Des Frostes wehrend, den Bĕhmēn beschützt;

Die Gräser sind das Fussvolk; die Jasmine

Die Peïks der Rose, die zu Pferde sitzt.

Das Veilchen trauert ob der Flucht der Rose,

Um deren Spur es den Jasmin befrägt;

Der spricht: »Wie zeichn' ich dir das Zeichenlose,

Das mir die Brust mit Wunden zeichnend schlägt?«

Dann senkt er hold das Haupt und wird bestürzet,

Weil dem Verschämten eine Antwort fehlt. –

Basilikon ist's, das den Dorn durchwürzet,

Seit Rosennass die Schönen hat entseelt.

Warum wohl sieht den Lotos man erblassen?

Er eifert, weil am Dorn die Rose blüht:

So soll auch dich die Eifersucht erfassen,

Der du für gleiche Schönheit bist entglüht.[77]

Die Hiacinthe blickt auf die Narcisse,

Als spräche sie: »Gib Kunde mir vom Hain!«

Die spricht: »Was willst du, dass ich von ihm wisse?

Ach, mich berauscht ja seiner Reize Wein!

Selbst Trauben sollst du um Bescheid nicht fragen,

Und klagen, gleich Berauschten, Tag und Nacht.« –

Die Blumen sind, sammt neuen Festestagen,

Am Saum des Feldes und des Stroms erwacht.

Der Storch bringt von den Vögeln frohe Kunde,

Und preist den Herrn des Lichtes und der Gluth,

Und spricht: »Im Himmel und im Erdenrunde

Ist Alles dein; d'rum nütze es auch gut.«

Wem mag der Ruf der Turteltaube gelten?

Dem Freund, denn noch verbirgt sein Gau ihr sich.

Der Wiedhopf bringt Bescheid aus and'ren Welten:

»Auf! Auf! dich ruft dein König, spute dich!«

Den Sprosser hört man tausendstimmig weinen,

Er stöhnt, in dichte Zweige eingehüllt,

Von weingefärbten, rothen Edelsteinen,

Vom jungen Liebchen, das den Wunsch erfüllt:

Der Rose gilt die Klage seiner Lieder,

Der Zarten, die ihn hart in Fesseln schlug.

Die Taube fliegt auf Wällen auf und nieder,

Und hofft den Mond zu finden auf dem Flug.

Der Falke holt, dem König zu gefallen,

Das Repphuhn und die Wachtel jagend ein;

Den Kandel liebt der Papagei vor Allen,

Und zuckersüss soll seine Lippe seyn.

Lass dir zu Sinne das Geheimniss dringen,

Das tausendfach aus allen Kehlen bricht,

Denn Hunderttausende von Vögeln singen:

»Beständigkeit wohnt auf der Erde nicht.«

Wenn Dieser heut, muss Jener morgen scheiden;

D'rum nütz' den Augenblick zur Lust bestellt;

Du kannst den Gang zum Tode nicht vermeiden;

D'rum säe Tugend auf der Reinheit Feld.[79]

Ergeh' im Wald, im Rosenhain dich heute,

Wie? oder thust du auf den Lenz Verzicht?

Geniess' der Gegenwart als einer Beute,

Und denk' beim Weintrunk seiner Folgen nicht.

Die Zeit entschwindet; trachte sie zu nützen

Im Hain, auf Bergen, auf der Rosenflur;

Wie lang noch bleibst du in der Ecke sitzen,

Da nun zum reichen Schatz ward die Natur?

Der Frühling gleicht der Auferstehungsfeier,

Wo klar sich zeigt, was im Verborg'nen lag;

Das Gute und das Böse sprosst da freier:

D'rum schliess' von ihm nun auf den jüngsten Tag.

Dem Scharfsinn g'nügt Ein Wort aus weisem Munde,

Aus tausend Zeichen braucht er zweier kaum;

Der äuss're Lenz gibt dir vom inn'ren Kunde,

Der Apfelkern vom fruchtbelad'nen Baum.

Geniess' der Datteln und der süssen Feigen,

Des Pfirsichsaft's, der dir Erfrischung beut;

Bald wird der Frühling sich zum Herbste neigen:

Unwiderbringlich flieht die Lebenszeit!

Entsag' der Welt, wenn du Bestand willst finden,

Sie kann vergänglich nur und treulos seyn;

Und soll sich Lust und Freude dir verbinden,

So halte dich an Küsse und an Wein.

O möchtest Folge meinem Rath du leisten,

Denn liebevoll ertheilt dir ihn mein Mund:

»Schweig', weiser Mann! Wer schweigt, sagt oft am Meisten:

So gibt der Lenz auch das Geheimste kund.«

Quelle:
Rumi, Ǧalal o’d-din: Auswahl aus den Diwanen. Wien 1838, S. 75-81.
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