[Des Herzens Caba pilgernd zu umkreisen]

Des Herzens Caba pilgernd zu umkreisen

Sei, hast du ja ein Herz, dir Pflicht und Lohn:

Denn eine geist'ge Caba ist dem Weisen

Das Menschenherz, das Lehm dir scheint und Thon.

Gott hat, die ird'sche Caba zu umwallen,

Durch heil'ge Satzung dir gebothen zwar;

Doch als ein Mittel nur ihm zu gefallen,

Und ihm ein Herz zu opfern, treu und wahr.

Hast du zu Fuss die Caba auch umkreiset,

Und tausendmal diess fromme Werk geübt,

So fürchte doch dass Gott zurück dich weiset,

Wenn du ein einz'ges Menschenherz betrübt.

Entsage willig des Besitzthum's Rechte,

Und handle liebevoll ein Herz dir ein:

Denn selbst im Leichentuch der finstern Nächte

Bestrahlt dich dieses Herzens klarer Schein.

Bringst tausend Säcke du mit gold'ner Fülle

Der Majestät des Herrn zum Opfer dar,

So spricht der Herr: »Ein Herz nur ist mein Wille,

Wenn ja dein Wille mir zu opfern war:

Denn Gold und Silber kann mich nimmer ehren,

Es hat in meinen Augen keinen Werth:

Ein Herz nur ist mein sehnliches Begehren,

Wenn anders je auch du nach mir begehrt.«

Wohl höher als des Himmels höchste Zinne,

Und als des Schicksals Tafel und sein Rohr

Steht ein verödet' Herz; – doch deinem Sinne

Kömmt es unscheinbar, gleich dem Halme, vor.

D'rum wolle nimmermehr ein Herz verkennen,

Wenn es auch klein dir und verächtlich schien:

Denn heilig ist ein Menschenherz zu nennen:

Es webt und lebt der Heiligste darin.

Ein ödes Herz gleicht einem Prunkgefilde,

Auf das mit Lust des Schöpfers Auge schaut.

Beglückte Seele, die des Bauherrn Milde

Zu neuem Leben herrlich aufgebaut![209]

Ein Herz beleben das, dem Gram verfallen,

Vom Schmerz in hundert Theile ward zerstiebt,

Ist Gott gefäll'ger als des Pilgers Wallen,

Der nur die äussern Glaubenspflichten übt.

Ein Herz, das der Verödung Qual empfunden,

Ist ein verborg'ner, Gott geweihter Schatz;

Nur in der Oede wird der Schatz gefunden;

Dort wird dem Gräber reichlicher Ersatz.

Umgürte dich um Herzen treu zu dienen,

Und Jenem, der den Herzen treu sich weiht;

Die Bahn, die ein Geheimniss dir geschienen,

Sie zeigt vor dir sich offen dann und breit.

O streu' des Dienstes Korn, mit treuem Sinne,

Hin auf der Herzen wunderbares Feld:

Dann werden dir, zu bleibendem Gewinne,

Die geist'gen Ernteschober hingestellt;

Aus deiner Zunge wird zur selben Stunde

Des Lebens Wasser strömen klar und rein,

Und, gleich dem Worte aus Messias' Munde,

Dich von der Krankheit herben Qual befrei'n.

Aus Liebe bloss zu einer einz'gen Seele

Erschuf der mächt'ge Gott das Weltenpaar:

»Für dich allein schuf Gott die Himmels-Säle«

Diess hehre Wort, vernimm es immerdar:

Denn sonst bestände Zeit und Raum wohl nimmer,

Und nimmer auch der Welten hoher Bau,

Und nicht die Sonne, nicht des Mondes Schimmer,

Die Erde nicht und nicht des Himmels Blau.

Schweig'! Dich zu loben, der im Himmel waltet,

Ist jede Zunge viel zu schwach und klein,

Wär' in zweihundert Zungen auch umstaltet

Ein jedes Härchen, noch so zart und fein.

Quelle:
Rumi, Ǧalal o’d-din: Auswahl aus den Diwanen. Wien 1838, S. 207-211.
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