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[189] Der Termin der Gerichtseröffnung war herangekommen, die neue Jury war gebildet und in das Städtchen schien sich die ganze Bevölkerung des Countys ergossen zu haben, um Zeuge der Verhandlungen des Mordprozesses zu sein. Schon von früh an belagerten bunte Haufen das Courthaus, um das Oeffnen der Thüren zu erwarten und allerwärts cursirten die seltsamsten Geschichten über den Ausgang der Untersuchung. Bald waren so reiche und vornehme Familien in die That verwickelt, daß an eine Veröffentlichung des eigentlichen Verlaufs des Verbrechens gar nicht zu denken war – bald war der Staatsanwalt und die Jury bestochen, daß schon die Nichteinigung der Jury im Voraus ausgemacht sei, um den Prozeß weiter hinauszuschieben, bis der Unwille des Volkes verraucht und der Thäter ohne Gefahr freigelassen werden könne. – Ein Mord war etwas seltenes in den friedlichen Thälern, aber es war nicht nur die Besorgniß, einen Theil der Befriedigung ihrer Neugierde zu verlieren, was sich unter den Massen aussprach; es war ein vollkommen ausgebildetes Mißtrauen gegen die Ehrlichkeit und Unbestechlichkeit der Gerichtsbeamten, und der denkende Beobachter, der zwischen den Menschen hindurchging, konnte leicht zu der Wahrheit gelangen, das ausbrechende »Mobs« und »Lynchgerichte« weniger in der Zügellosigkeit der Massen, als in der tief eingefressenen Ueberzeugung von der Corruption aller öffentlichen Beamten liegen.
Helmstedt war, zur Vorbeugung jeder Straßenunruhe, schon bei Tagesgrauen in ein Zimmer des Courthauses gebracht worden. Morton hatte ihm, kurz nachdem er die Vorschläge von dessen junger Frau abgewiesen, einen der bekanntesten Advocaten der Gegend als Vertheidiger zugesandt, aber der Gefangene hatte sich auch gegen diesen in keine Erklärung über seinen Aufenthalt zur Zeit des Mordes[190] einlassen wollen. »Können Sie einen haltbaren Vertheidigungsgrund aus einer Angabe formen, für die nicht der geringste Beweis da ist?« hatte er ihm gesagt, »oder meinen Sie, ein Alibi glaubhaft machen zu können, wo eben nur Gott der Zeuge meines Aufenthaltes war? Kundschaften Sie den Aufenthalt Elliots und seiner Familie aus, daß ich ihnen schreiben kann; dort liegt meine einzige Hoffnung, ohne die Alles, was ich auch sagen könnte, vergebens ist.« Seit der Zeit hatte sein Vertheidiger den Punkt nicht wieder berührt, aber auch eben so wenig Etwas von einem Erfolge seiner Forschung nach Elliot erwähnt. Die Grandjury hatte kurze Zeit darauf eine Anklage gegen den Verhafteten »wegen Theilnahme an dem Morde Henry Bakers« eingereicht, und jetzt saß er, die sich um das Courthaus anhäufenden Menschen betrachtend, und erwartete die Stunde seiner Vorführung.
Es mochte acht Uhr sein, als sein Advocat zu ihm ins Zimmer trat. »Verteufelt kalt!« sagte er, sich in die Hände reibend, »haben Sie nicht bei diesem Wetter bisweilen in Ihrem Loche frieren müssen? Wir sind hier gar nicht auf ein so strenges Winterregiment eingerichtet und unser Gefängniß am allerwenigsten. – Ich denke, wir werden bald vorkommen,« fuhr er fort, sich mit dem Rücken ans Feuer stellend, als sich Helmstedt mit Gewalt aus seinen Gedanken aufriß, aber nicht gleich antwortete, »nur den Muth nicht verloren, junger Freund«. Haben wir auch keine Entlastungszeugen vorzuführen, so fehlen der Anklage doch ebenfalls die Hauptzeugen zu ihrer Unterstützung. Elliot ist nicht da, wenn er nicht mitten in der Nacht angelangt ist. Alle kleineren Zeugnisse der schwarzen Gesichter werden als unstatthaft zurückgewiesen, es bleiben also nur die bei der Todtenschau ermittelten Thatsachen stehen, und es kommt einzig darauf an, wie diese aufgestutzt und entkräftet werden. Jedenfalls wird es eine der interessantesten Verhandlungen geben. Unser Staatsanwalt ist ein geriebener Patron und es ist möglich, daß er einen Ehrenpunkt daraus macht,[191] trotz der mangelnden Grundlage die Anklage aufrecht zu erhalten; lassen Sie sich aber dadurch nicht einschüchtern und zeigen Sie der Jury eine offene Stirne – der Eindruck, den der Angeklagte macht, ist in Fällen, wie der Ihrige oft Alles.
Helmstedt fühlte sich zu aufgeregt, als daß er auf die kalte geschäftliche Weise, seine Aussichten zu besprechen, hätte eingehen mögen und er war froh, als der Beamte eintrat, um ihn vor den Gerichtshof zu führen. Der hohe, geräumige Saal war überfüllt von Menschen, und ein geräuschvolles Murmeln zog durch die Menge, als er, bleich von innerer Spannung und ausgestandener Haft, aber mit frei gehobenem Kopfe und sorgfältiger Toilette nach dem ihm angewiesenen Platze schritt. Kaum hatte er sich gesetzt und sein Vertheidiger den Platz vor ihm eingenommen, als auch der Richter Ruhe gebot und der Staatsanwalt seine Anklage eröffnete. Es war keine Advocatenrede, voll logischer Schlüsse und Gesetzesstellen, die er begann, es war ein rhetorisches Meisterstück, voll Leben und Wärme; der Ankläger wurde zum Dichter, zum Maler, zum Geschichtsschreiber. Er schilderte die Zustände im Staate, die allgemeine Sicherheit, wie sie im offenen Walde und auf dem freien Felde geherrscht habe, wie selten es der Landbewohner für nöthig gehalten, Nachts die Thür seines Hauses zu verschließen, wie das allgemeine Vertrauen der sicherste Schutz und der Segen für den Staat geworden. Er gab eine statistische Uebersicht der Verbrechen und wies nach, wie in einer Reihe von Jahren kein Kapital-Verbrechen geschehen, das nicht offen vor dem Auge von Zeugen vollbracht und aus augenblicklicher Leidenschaft entsprungen gewesen, die selbst in ihrer Offenheit noch etwas Edles an sich getragen habe. Er schrieb diese Zustände dem glücklichen Charakter der eingeborenen Bevölkerung zu, er wünschte sich und seinen Mitbürgern Glück, Bewohner von Alabama zu sein. Jetzt, nach langer Zeit zum ersten Male, waren die Bürger in[192] ihrer Sicherheit durch eine gräßliche That aufgerüttelt worden, ein Mord war geschehen in dunkler Nacht auf freiem Felde – ein Mord, der nichts mit dem Ueberwallen der offenen Leidenschaft zu thun gehabt, der nach seiner Seite hin den Stempel des heimlichen Ueberfalles, des feigen Meuchelmordes an sich trug, ein Mord, der, so lange nicht der Thäter entdeckt, wie ein Gespenst durch das Land schleichen, den Farmer aus seinem ruhigen Schlummer aufjagen, den einsamen Wanderer erschrecken, Vertrauen und Glück verscheuchen müsse. Selten sei es so nothwendig gewesen, mit so unerbittlicher Strenge gegen den Thäter, wo er sich auch finde, einzuschreiten, als gerade in dem jetzigen Falle. Wie es aber auch natürlich sei, lege sich kein Verdach der That auf einen Bürger Alabama's; ein Fremder sei es, der die Gastfreundschaft ihres Landes mit Verbrechen vergolten, ein Fremder, gegen den er die Anklage erhebe, und wenn er die Jury bitte, ohne Schonung und Mitleid ihr Schuldig auszusprechen, so geschehe es nur, um ein Exempel zu statuiren, das Andern die Lust vertreibe, Alabama zum Tummelplätze ihrer Unthaten zu machen.
Dann begann er auf Helmstedt selbst überzugehen lind es schien ihm kaum ein Moment von dessen Leben in Amerika unbekannt zu sein. Er schilderte ihn, wie er hergekommen, ohne Mittel und Empfehlungen als die eines jüdischen Pedlars, der selbst eine unklare Person und seit Beginn des Prozesses verschwunden sei – wie er vertrauensvoll in eine der besten Familien aufgenommen worden und das Vertrauen nur benutzt habe, um in unendlich kurzer Zeit die Tochter des Hauses aller Sitte und ihrer kindlichen Pflichten abtrünnig zu machen, wie seinen Speculationen nur der von den Eltern erkorene Schwiegersohn im Wege gestanden und er kein anderes Mittel gewußt, um seine Zwecke zu erreichen, als ihn aus dem Wege zu räumen. Jetzt begann er mit schlagender Logik alle gegen Helmstedt sprechenden Thatsachen, sowie seine nächtliche Abwesenheit[193] an einander zu reihen und versprach für jede die nöthigen Zeugen vorzuführen. »Aber,« schloß er, »das liefert noch nicht den Beweis, daß er den Todesstreich geführt – nein! und ich habe auch jetzt kein Recht, irgend eine Anklage dahin zu erheben – wenn aber die Thatsachen, wie sie vor uns liegen, nicht genügend sind, um den ganzen moralischen Theil es Verbrechens auf ihn zu legen und wenigstens die thätliche Beihilfe zu begründen, so mag nur Alabama die Zeit seines Friedens als gewesen betrachten, so mag nur Niemand bei Dunkelwerden ohne Waffe aus dem Hause gehen und der Landbewohner seine Thüren mit Sicherheitsschlössern versehen – denn Alabama wird bald das gelobte Land alles liederlichen und verbrecherischen Gesindels anderer Staaten werden!«
Eine Todtenstille herrschte im Saale als der Staatsanwalt schwieg, und das siegesgewisse Auge, mit welchem er Richter, Jury und Publikum überschaute, zeigte, daß er sich des ganzen Eindrucks bewußt war, den seine Rede hervorgebracht. Nur Helmstedt, auf den sich jetzt die Blicke von allen Seiten richteten, schien wenig die Beredtsamkeit der Anklage zu würdigen und saß, das Auge fest auf den Staatsanwalt gerichtet, in voller Ruhe da; selbst die auffallende Blässe seines Gesichts hatte sich verloren und einer lebhafteren Farbe Platz gemacht. Eine augenscheinliche Erschütterung machte sich indessen bei ihm geltend, als jetzt zwischen einer Gruppe von Advocaten, welche eine Ecke innerhalb des für das Gericht bestimmten Raumes eingenommen hatten, Elliot hervortrat, um als erster Zeuge für die Anklage zu dienen, ohne nur einen Blick nach dem Angeklagten zu wenden. Und als hätte Helmstedts Vertheidiger dessen Gedanken errathen, wandte er sich nach ihm um: »'s ist wie gesagt, ein geriebener Patron, der Staatsanwalt, ich ahnte schon heute Morgen eine Ueberraschung!« sagte er. »Aber er soll uns nicht verblüffen und wenn er seine Zeugen vom Nordpol holte. Nur Muth und ein[194] freies Gesicht, denken Sie daran, unsere Zeit zu reden wird auch kommen!«
Was sich aber in Helmstedts Innern regte, war nichts was eine Ermuthigung dieser Art bedurfte. Er hätte ein Stück von seinem Leben hingeben wollen, wenn er vor den Verhandlungen Elliot hätte sprechen, ihm den Sachverhalt darlegen und zu seinem Herzen, das er zu kennen glaubte, hätte reden können. Es war ihm, als hätte sich jede Verwickelung ganz von selbst lösen müssen, wenn er nur gegen ihn sein eigenes Herz frei gemacht – und nun stand Elliot da zur Unterstützung der Anklage, und jedes Wort, das Helmstedt zu seiner Rechtfertigung hätte sagen können, mußte nur zur Verstärkung dessen dienen, was die Meinung des Volkes über sein Verhältnis mit Ellen zusammengereimt und ein neuer Schlag auf des Vaters Haupt sein, dessen gedrücktes Auftreten schon jetzt deutlich aussprach, welche Last auf ihm ruhte.
Elliots abgegebenes Zeugniß bestätigte Helmstedts Abwesenheit aus dem Hause zur Zeit des Mordes und dessen eigenes Zugeständniß derselben, gab auch an, wie der Angeklagte schon am Tage nach seiner Ankunft in Alabama bei einer zufälligen Begegnung auf einem Spazierritte mit seiner Tochter dem Ermordeten ohne besonderen Grund entgegengetreten, und erwähnte dabei, daß das Mädchen schon am nächsten Morgen mit ihrer Mutter eine Besuchsreise angetreten habe und bis zum Tage vor Neujahr abwesend gewesen sei, was irgend ein Verständniß ihrerseits mit dem Angeklagten zu einer Unmöglichkeit mache. Und wenn aus dem aufgefundenen Briefe seiner Tochter Etwas gefolgert werden solle, so könne dies nur der Trotz eines verzogenen Kindes sein, das zum ersten Male auf einen ernsten Willen bei seinen Eltern treffe und sich, durch das einschmeichelnde Wesen des neuen Hausgenossen verführt, zu einem unbedachten Schritte habe hinreißen lassen.
Helmstedt senkte den Kopf, über das Gesicht seines Advocaten[195] aber zog ein sarkastisches Lächeln. »Wirklich fein!« flüsterte er dem jungen Manne zu, »was er da sagt, könnte als Entlastungszeugniß für uns gelten, wenn nicht Jeder wüßte, daß nur das väterliche Gefühl aus ihm spricht, und so muß nach den Verhältnissen, die er darstellt, die Jury noch einen größern Begriff von Ihrer Durchtriebenheit bekommen. Wir kennen aber die Taktik!« Helmstedt schien nichts zu hören, er hatte das Auge wieder gehoben und hielt es starr auf den Zeugen gerichtet, als verfolge er einen Gedanken, der eben in ihm lebendig geworden. – Die weiteren Aussagen stellten die durch die Todtenschau schon bekannten Thatsachen fest; eins aber habe er noch hinzuzufügen, bemerkte Elliot am Schlusse, da ihm kein Punkt zu unwichtig erscheine, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen, das sei die Erzählung seines Schwarzen Dick, den er mit Helmstedt bei der aufgefundenen Leiche als Wache zurückgelassen habe, von dem sonderbaren damaligen Benehmen des Angeklagten. Der Leichnam mit seinen offenen gläsernen Augen und verzerrten Zügen habe auf jeden Menschen einen grausigen Eindruck hervorbringen müssen, so daß sich auch der Schwarze so weit davon weg gemacht habe, als es mit seiner Pflicht verträglich gewesen; Helmstedt aber habe sich neben den Todten gestellt und ihm unverwandt in das Gesicht geblickt, gerade wie Einer, der sich ein fertig gebrachtes Werk noch einmal aufmerksam betrachtet, so daß es der Schwarze nicht mehr habe mit ansehen können und dem Angeklagten zugerufen habe – –
»Damn! das geht zu weit!« rief jetzt Helmstedts Advocat mit kaum halb unterdrückter Stimme und erhob sich.
»Möge mir der Gerichtshof ein Wort erlauben, ich muß gegen jedes Zeugniß, was sich auf die Angabe von Negern gründet oder durch diese selbst beigebracht wird, als vollkommen unstatthaft protestiren –« er wurde aber von Helmstedts Hand durch einen Griff an seinem Arme unterbrochen. Er wandte sich um und ein kurzes leises Gespräch[196] entstand zwischen Beiden, in welchem der Angeklagte eifrig auf seinem Willen zu bestehen schien. Mit einem Achselzucken wandte sich endlich der Advocat wieder dem Richter zu. »Es kann wol in keinem Falle mehr die Weisheit des Gesetzes hervortreten, Neger nicht als giltige Zeugen zuzulassen, als in dem vorliegenden,« sagte er; »ein unwissender, abergläubischer Schwarzer, der sich vor dem Opfer eines Mordes entsetzt, sieht einen vorurtheilsfreien, gebildeten Mann die Züge des Todten betrachten, vielleicht mit einem wissenschaftlichen Interesse, von dem Jener nie auch nur eine Ahnung haben kann; in seinem Geiste entstehen sofort unheimliche Vermuthungen, nach denen sich färbt, was er sieht, und er ist bereit, als Zeuge die abenteuerlichsten Gebilde seiner eigenen Phantasie als Thatsachen anzugeben und zu beschwören. Trotz alledem glaubt mein Client seiner guten Sache und der Entdeckung der Wahrheit zu schaden, wenn er sich auch nur einem einzigen Zeugnisse zu entziehen sucht und er wünscht deshalb, im Gegensatze zu meinem vorigen Proteste, der Anklage volle Freiheit zu geben und jeden Zeugen, den der Gerichtshof selbst als zulässig erachtet, vorzuführen.« Der Advocat setzte sich, ein leises Murmeln lief durch die Reihe der Zuschauer, der Staatsanwalt aber sandte dem Vertheidiger einen heimlichen Blick voll schalkhafter Drohung zu, als handele es sich nur um einen gelungenen Streich, den dieser eben gegen ihn ausgeführt. »Ich halte es für meine Pflicht, von der zugestandenen Erlaubniß Gebrauch zu machen,« sagte er sodann, einen tiefen Ernst wieder vor das Gesicht nehmend, »da in der Dunkelheit, welche das Verbrechen umgibt, jedes Zeugniß über einzelne Umstände, und sollte es das eines Kindes sein, doppelten Werth gewinnt und wir werden sehen, ob die Vertheidigung den weitern Aussagen mit derselben Zuversicht entgegentritt, wie sie sich jetzt den Anschein zu geben versucht.« Er winkte einem der dienstthuenden Beamten, welcher den Saal verließ, aber nach[197] wenigen Minuten mit Cäsar zurückkehrte. Er war der Zeuge, welcher bei einem Gange nach Oaklea von weitem gesehen, wie Helmstedt dem heranreitenden Baker den Weg versperrt, in der Entfernung aber und in gleicher Linie mit den Reitern, die sich einander deckten, hatte er von den Bewegungen Beider nur wahrnehmen können, wie sich plötzlich Bakers Pferd gebäumt und davongesprengt sei, wie dieser es wieder gezügelt, zurückgeritten und dann gegen Helmstedt die Faust erhoben habe. Von einem Schlage, den Helmstedt geführt, hatte er nichts bemerkt, so sehr auch der Vertheidiger ihm das Gedächtniß über diesen Punkt zu schärfen versuchte, um einen Hauptanschuldigungsgrund gegen Helmstedt, der sich auf den unweit des Todten gefundenen Reitpeitschenknopf stützte, zu entkräften. Seine Bemühungen schienen nur dazu zu dienen, Helmstedts Angabe, daß er bei diesem Zusammentreffen den Knopf eingebüßt, als eine Ausflucht erscheinen zu lassen. Als Cäsar zurücktrat, folgten drei andere Zeugen, reiche Plantagenbesitzer aus der Umgegend, welche sich über den Charakter des Ermordeten, den Helmstedt nach seinem eigenen Zugeständnisse habe aus der Gegend treiben wollen, weil er ein Schwindler und Spieler sei, aussprachen, und bezeugten, daß sie mit Baker durch die besten Familien im Osten bekannt geworden und ihn immer nur als tadellosen Gentleman gekannt hätten. Zuletzt kamen die Beamten, welche Helmstedts Sachen durchsucht und über diese wie über Ellens Brief berichteten, der vor dem Staatsanwalt auf dem Tische lag und jetzt vorgelesen ward. – Das ganze Zeugniß war so gelungen geordnet, daß ohne jedes verbindende Wort die Ueberzeugung von Helmstedts Schuld und der Beweggrund, der die That erzeugt, sich wie ein logischer Satz in der Seele eines Jeden bilden mußte.
Es war lange Mittag vorüber, als der letzte Zeuge für die Anklage gesprochen, und der Richter hob die Sitzung für eine Stunde auf. Von der Masse der Zuschauer schien[198] indessen ein großer Theil entschlossen, den Platz zu behaupten; die meisten aus dem Lande Gekommenen hatten sich mit des Lebens Nothdurft versehen und kaum hatten Gerichtshof und Advocaten ihre Plätze verlassen, als auch die gelöste Spannung sich in einem wirren Durcheinander von Stimmen Luft machte. Der Angeklagte ward wieder nach dem früher von ihm eingenommenen Zimmer geführt, an dessen Thür sich sein Vertheidiger mit der Ermahnung, sich das Mittagessen nicht durch unnöthig trübe Gedanken verderben zu lassen, von ihm verabschiedete. Helmstedt fand ein bedecktes Tischchen mit kalten Fleischspeisen und einer Flasche Madeira seiner wartend; er ahnte, wem er diese freundliche Sorge für ihn zu danken hatte, und ein wohlthuendes Gefühl, wenigstens nicht ganz verlassen dazustehen, kam über ihn. Er hatte seit Tagesgrauen nichts zu sich genommen, fühlte aber dennoch seinen Magen wie zugeschnürt und erst als er ein Glas Wein getrunken, schien sich das beklemmende Gefühl zu lösen. – Gleich beim Beginne der Nachmittagssitzung sollte die Vertheidigung ihren Anfang nehmen – er mußte essen, wenn er dann seine Kräfte bei einander haben wollte; langsam in tiefem Sinnen schritt er das Zimmer auf und ab, bald ein paar Bissen zu sich nehmend, bald einen Schluck Wein trinkend; sein Gesicht begann nach und nach aufzuleben, Gedanke auf Gedanke schien sich in ihm zu entwickeln, und als er endlich wi der nach dem Gerichtszimmer gerufen wurde, nahm er seinen Platz so freien, glänzenden Blickes ein, als ginge er irgend einem glücklichen Ereigniß und nicht seiner wahrscheinlichen Verurtheilung entgegen.
Der Richter gebot Ruhe, und der Vertheidiger erhob sich. »Lassen Sie mich selbst mit ein paar Worten beginnen, wenn das erlaubt ist!« flüsterte diesem Helmstedt mit erregter Stimme zu, »ich denke, es soll der Sache nicht schaden und Sie mögen dann mit Ihrer Gesetzeskenntniß nachbessern.«[199]
Der Advocat sah ihm einen Augenblick überrascht in die Augen. »'S ist Ihre eigene Sache, Sir, das ist Alles, was ich sagen kann!« erwiderte er dann, »das Wort kann Ihnen Niemand abschneiden, wenn Sie's verlangen; ich halte es aber jetzt für meine Pflicht Ihnen zu sagen, daß ich selbst eines sichern Ausgangs noch nicht gewiß bin. Ich habe bis jetzt auf einen wichtigen Entlastungszeugen in Ihrer Sache gehofft, der aber leider noch nicht eingetroffen ist, und dessen Ankunft ich nach dieser Zögerung auch durchaus nicht mehr verbürgen möchte.«
»Um so mehr denke ich selbst nachhelfen zu müssen, wo ich die Kraft fühle,« sagte Helmstedt und sein Gesicht nahm eine erhöhte Farbe an, »zu verderben fürchte ich nichts und Ihrer Rechtslogik bleibt dann immer noch die Hauptsache!«
Der Advocat nickte und zeigte dem Gerichtshofe an, daß der Angeklagte für einige Bemerkungen selbst das Wort ergreifen werde. Die Ankündigung rief eine allgemeine Bewegung unter dem Publikum hervor, daß der Richter von Neuem Ruhe gebieten mußte, und alle Blicke richteten sich gespannt auf die Anklagebank, wo sich Helmstedt langsam aber mit frei aufgerichtetem Kopfe und lebendigem Gesichte erhob.
Er begann die ersten Worte mit einer Stimme, der man die tiefe Erregung anhörte, und eine Stille legte sich über die Versammlung, in der das Summen einer Fliege vernehmbar geworden wäre. Seiner Aussprache des Englischen klebte noch überall der deutsche Accent an; aber seine Ausdrucksweise, seine Wendungen waren neu, ungewohnt für die Zuhörer und darum um so anregender. Jeder fühlte, daß die Worte mitten aus dem Herzen des Redenden kamen, und je weiter er sprach, je freier schien er zu werden, je leichter und reicher schien sich Gedanke und Ausdruck in ihm zu entwickeln. Er bat um Entschuldigung, daß er selbst das Wort ergreife, wenn es auch ungewöhnlich sei; ich meine aber, jeder Jury müsse es nur recht sein, den Angeklagten, über den sie abzuurtheilen habe, selbst und nicht erst durch[200] die zweite Hand des Vertheidigers kennen zu lernen – und wenn das Institut der Jury nur dazu gestiftet worden, daß der Bürger durch den geraden offenen Verstand seiner Mitbürger gerichtet und nicht ein Opfer von Rechts- und Gesetzesdeuterei werde, so wisse er nicht, warum ein Advocat für ihn sprechen solle, wo seine klare Sache nichts zu fürchten habe, als nur absichtliche Verwickelung und Verdrehung, wie sie der öffentliche Ankläger zum Ruhme seiner Rednergabe, aber nicht seines Herzens und Gewissens angewandt. Als schlichter Mann schlichten Männern gegenüber wolle er zu ihnen reden und den Fall in seiner Einfachheit vorführen. Ein Mord sei begangen worden und er sollte dazu geholfen haben. Die Beweise, die ihnen vorlägen, seien es aber sicherlich nicht, die ihn auf die Anklagebank gebracht hätten – die Reitpeitsche, von welcher der Knopf gefunden worden, hänge Tag und Nacht in einem offenen Stalle, jeder Hand zugänglich – sein bloßes Nachhausekommen erst nach der Zeit des Mordes könne ihn eben so wenig zum Uebelthäter stempeln als jeden Andern, der zu dieser Zeit noch aus dem Hause gewesen sei; und daß er sich geweigert habe, über sein Verbleiben Auskunft zu geben, müsse eher für ihn sprechen – ein so kaltblütiger Bösewicht, der nach eben geschehener Blutthat offen wieder in sein Haus tritt und sich ruhig den Blicken seiner Hausgenossen preisgibt, wie er es gethan, habe sicherlich auch wenigstens auf einen Vorwand für seine Abwesenheit gedacht; alle diese Beweise seien nichts; sie erhielten aber eine furchtbare Unterstützung durch Umstände, die allgemein als bestehend angenommen würden, durch ein Liebesverhältniß seinerseits mit der Tochter des Hauses, welchem der Ermordete durch seine Heirathsbewerbungen im Wege gestanden habe. – Er, der Angeklagte, solle nur Helfer bei dem begangenen Verbrechen gewesen sein; wer sei denn aber der wirkliche Mörder? Wenn hauptsächlich nur durch sein Verhältniß zu der jungen Dame die Anklage gegen ihn, als Helfershelfer bei dem Morde,[201] einen Grund erhalte, so sei dadurch doch auch schon ausgesprochen, daß Niemand die eigentliche That vollbracht haben könne, als die Tochter des Hauses selbst – wer anders hätte sich sonst für ein Interesse, das sie Beide allein betraf, zu dem Verbrechen hergeben können? Denke sich nur Jemand, es sei erwiesen, daß sie die Thäterin nicht sei, nehme nur Eins an, daß ein Verhältniß, wie es das Volk zusammengefabelt, um einen Grund für die That zu haben, nicht bestehe – wo liege denn nachher der geringste Grund für eine Theilnahme an der That, deren er selbst beschuldigt worden? – Und nun wolle er fragen, fuhr er fort und seine Stimme ward bewegter, ob wol Männer unter den Jurors seien, welche die junge Dame kennten? ein harmloses Kind, das noch kaum einen Tag aus dem Schooß ihrer Familie und von der Seite der Mutter gekommen, dem noch kein unfreundlicher Wind die Seele aus ihrer Ruhe gerüttelt! Wer aber wirklich ihm, dem Angeklagten, so übernatürliche Kräfte zutraue, daß er während der kurzen Zeit seiner Anwesenheit im Hause ein reines kindliches Herz bis zum Morde habe verführen können, der möge sich doch die einfache Thatsache ansehen, die bereits von ihrem Vater bezeugt, daß zwei Tage nach seiner Ankunft die Tochter mit ihrer Mutter das Haus verlassen und erst am Abend des Mordes zurückgekehrt sei, der möge sich zugleich selbst fragen, wie unter den Augen der Eltern während dieser Zeit ein Verhältniß zu dem Grade habe reifen können, wie es den eigentlichen moralischen Halt der Anklage bilde. – Er machte hier, die Hand vor die Augen drückend, eine kurze Pause. Einen einzigen Punkt habe er noch zu berühren, fuhr er dann fort, das sei der aufgefundene Brief des Mädchens an ihn; aber nur der blinde Eifer oder eine verdorbene Seele könne etwas Anderes darin herauslesen, als ein gedrängtes Herz, das sich scheu an einen Unbekannten, von dem es Hilfe hoffe, wendet. Er erzählte, wie er durch Bakers Zudringlichkeit auf dem Spazierritte mit Ellen von[202] dem Zwange, unter welchem sie leide, unterrichtet worden, daß er diesen für einen Schwindler gehalten und dem Mädchen versprochen habe, Nachrichten über ihn einzuziehen, daß Elliot nichts gegen den Mann habe hören wollen und sie sich deshalb auf brieflichem Wege über das, was er erfahren, bei dem Angeklagten erkundigt habe. – »Das ist der einfache Stand der Dinge, Gentlemen,« schloß er, »ich habe keine Beweise, keine Zeugen für mich, nichts als die Kraft der Wahrheit. Sicher aber wird sie in der gesunden Urtheilskraft eines Jeden das ihre thun, einer Anklage gegenüber, die kein Mittel zur Aufrechterhaltung der Beschuldigung scheut und, wenn ihr die Beweise fehlen, den Fremden, der die Gastfreundschaft des Staates sucht, zum Verbrecher machen möchte, nur weil er ein Fremder ist.«
Eine Todtenstille herrschte, als er sich niedersetzte, kein Zeichen des Beifalles, keines des Mißfallens, wie es sonst trotz aller gebotenen Ordnung sich hörbar macht, wurde laut, die Jurors sahen ernst vor sich hin oder geradeaus in die Luft, und ein Gefühl der Unsicherheit, einer fehlgeschlagenen Hoffnung fing an in Helmstedts Seele heraufzukriechen. Der Platz seines Vertheidigers vor ihm war leer; als er aber jetzt ausblickte, sah er diesen, augenscheinlich erregt, zwischen den Menschen hervorkommen. Helmstedt fing einen Wink von ihm auf, den er sich nicht deuten konnte. In diesem Augenblicke aber trat der Advocat in die Mitte des Saales und sagte laut: »Wolle mir der Gerichtshof das Wort erlauben, ich werde im Stande sein, einige Zeugen zu Gunsten der Vertheidigung vorzuführen!« und aus der Menge heraus folgte ihm ein alter Herr in Begleitung von zwei verschleierten Damen. Helmstedt erkannte Morton, als dieser den Zeugenplatz einnahm und das Gesicht nach ihm drehte; die eine von dessen Begleiterinnen schien ihm Pauline zu sein; die zweite aber, schlanker und von eleganteren Formen als jene, war ihm unmöglich zu errathen. Es war nur von verhältnißmäßig untergeordneter Bedeutung,[203] was Morton auszusagen hatte; er legte mehrere beschworene Aussagen von New-Yorker Kaufleuten vor, welche die Meinung des Angeklagten über Baker bestätigten und diesen als einen Mann ohne bestimmtes Geschäft schilderten, der theils durch das Spiel, theils auf andern verbotenen Wegen sein Leben gemacht, stets aber im Sommer in den fashionablen Badeorten zu finden gewesen sei und so sich eine gewisse Scheinstellung in der Gesellschaft zu verschaffen gewußt. Morton gab an, daß sämmtliche Aussagen der Betreffenden auf seine an sie ergangene Bitte gemacht worden seien. Er trat hinweg und die zweite seiner Begleiterinnen erhob sich. Sie schlug kräftig den Schleier zurück, als sie zur Eidabnahme vorschritt und ein jugendliches bleiches Gesicht erschien, das sich mit einem Lächeln, wie ein heller Sonnenblick zwischen Frühlingsregen, nach der Anklagebank richtete. Helmstedt fuhr halb von seinem Sitze auf und unterdrückte mit Mühe einen Schrei – in demselben Augenblicke aber entstand eine Bewegung in einem andern Theile des Gerichtsraumes. »Ellen!« rief mit dem Ausdrucke des Staunens, hastig zwischen seinen Umgebungen hervortretend, »wie kommst du hierher, Kind – was willst du hier?« Das Lächeln starb auf des Mädchens Gesichte und machte einem Ausdrucke des Leidens Platz. »Ich komme nachher zu dir, Vater,« sagte sie, »ich muß erst Zeugniß ablegen.«
»Was um Christi willen willst du bezeugen, wer hat dich denn hierher gebracht?«
»Was ich muß, Vater,« erwiderte sie, ihm groß in die Augen sehend, »laß mich jetzt, ich komme nachher zu dir!«
Aller Augen waren gespannt auf die Scene gerichtet; Elliot, dem das hervorgerufene Aufsehen erst jetzt beifallen mochte, sah um sich und trat zögernd zurück. Ellen aber warf einen neuen lächelnden Blick voll Tröstung und Verheißung nach Helmstedt und leistete dann den Zeugeneid. »Sie habe nichts von dem ganzen Falle, der jetzt verhandelt werde, erfahren,« begann sie und ihre klare, weiche[204] Stimme berührte eigenthümlich wohlthuend jedes Ohr – »sie sei mit ihrer Mutter schon seit Wochen auf einer Besuchsreise abwesend gewesen, sonst hätte sie längst ihr Zeugniß angeboten, und sie halte es jetzt für eine heilige Pflicht, dies abzugeben, wie es ihr Gewissen verlange, ohne Rücksicht auf sich selbst oder einen andern Menschen. Soviel sie gehört,« fuhr sie fort und ihr Gesicht begann sich leise zu röthen, »weigere sich der Angeklagte, seinen Aufenthalt zu der vermuthlichen Zeit des Mordes anzugeben, sie werde und müsse es aber an seiner Statt thun.« Sie begann jetzt schmucklos zu erzählen, wie Baker in ihr Haus eingeführt worden und ihr Ton war fast kindlich, sprach von ihrem Widerwillen gegen ihn und von dem Zureden ihrer Eltern, seine Bewerbungen anzunehmen, berichtete dann Helmstedts Eintritt in die Familie und seinen ausgesprochenen Verdacht gegen den Freier, erwähnte, wie der Tag ihrer Verlobung festgesetzt und ihr, dem unbeugsamen Willen ihrer Eltern gegenüber, nichts übrig geblieben sei, um bestimmte Auskunft zu erhalten, als die Nacht vor Neujahr zwischen zehen und elf Helmstedts Mittheilungen von ihrem Fenster aus entgegen zu nehmen, und wie die Furcht, gehört zu werden, ihn hinauf zu ihrem Fenster und dann durch seine unsichere Stellung in ihr Zimmer getrieben habe. Ein glühendes Roth übergoß sie, als sie den letzten Satz beendet. »Sie könne über jede ihrer Handlungen in der Zeit von Helmstedts Aufenthalt bei ihr vor Gott Rechenschaft ablegen,« fuhr sie langsam den Kopf hebend fort und ihre Stimme nahm einen Anstrich von Feierlichkeit an, »sie dürfe aber auch selbst die Lästerzunge der Menschen nicht scheuen, wenn es sich darum handele, der Wahrheit die Ehre zu geben und einen Mann zu retten, der am Ende das Opfer seiner Discretion werden könne. Helmstedt habe ihr Zimmer erst verlassen, als die Stimme des Vaters, der wegen der flüchtigen Sklaven geweckt worden, im Haus laut geworden sei.« Langsam warf sie einen leuchtenden[205] Blick auf den Angeklagten, erbleichte aber, als ihr rückkehrendes Auge auf den starren Blick ihres Vaters traf, senkte den Blick zu Boden und trat zurück.
»Möge mir der Gerichtshof erlauben,« ließ sich jetzt der Staatsanwalt vernehmen, »der Angeklagte selbst hat uns auf das Schlagendste nachgewiesen, wie seine Schuld gar nicht ohne die der eben abgetretenen jungen Dame bestehen kann, und das von ihr abgegebene Entlastungszeugniß scheint mit Rücksicht darauf so verdächtig, daß ich mich verpflichtet fühle, auf vorläufige Verhaftung derselben anzutragen.«
Der Anblick der einzelnen Gruppen im Saale hätte in diesem Momente den Stoff zu einer der effectreichsten Genrebilder dargeboten. Unter den Zuschauern war bei dem Antrage des Staatsanwalts eine plötzliche Bewegung entstanden; die Köpfe der Vordersten richteten sich mit dem Ausdrucke der Befriedigung in die Höhe, die Hinteren streckten die Hälse und erhoben sich auf den Zehen, ein Murmeln, das mit jedem Augenblicke stärker wurde, zog durch die Menge und der Beobachter mußte überzeugt werden, daß nur eine Meinung das Publikum beherrschte, welcher der Staatsanwalt jetzt Ausdruck gegeben; – Elliot war rasch neben seine Tochter getreten, als wolle er sie schützen, und sah mit einem Ausdrucke, halb Zorn und halb Entsetzen auf den Ankläger; – mit ihm zugleich war Morton hastig vorgeschritten und stand gegen den Richter gekehrt, als erwarte er nur den günstigen Augenblick zum Reden; – der Staatsanwalt ließ einen Blick voll hämischer Befriedigung von der erregten Menge nach der Anklagebank laufen, wo Helmstedt so weiß und starr wie ein Steinbild stand und nichts von dem unzufriedenen Blicke sah, den ihm der Vertheidiger zuwarf; – der Richter aber hatte sich erhoben und rief zur Ordnung. Die Unruhe in der Menge schien sich eben legen zu wollen, als eine Bewegung am Eingange des Saales entstand, Stimmen wurden laut, die Zuschauer in der Nähe der Thür erhoben sich und drehten[206] die Köpfe – der Richter gebot von Neuem Ruhe, aber ohne Erfolg.
»Wenn Sie Beamter sind, so rufen Sie mir den Vertheidiger, ich muß vor – hier handelt sich's um mehr als um Pfannenkuchen!« klang jetzt eine ärgerliche Stimme klar in den Saal herein; Helmstedts Advocat horchte auf und brach sich dann Bahn in den Zuschauerraum. Ein paar Minuten voll stiller Spannung folgten und selbst der Richter schien neugierig der Dinge zu harren, die sich entwickeln würden; bald er schien der Vertheidiger wieder und hinter ihm trat gebückt ein hoher alter Mann aus der Menge, welchem zwei Frauen in der Tracht der niederen Stände folgten. »Wolle mir der Gerichtshof erlauben, einige weitere Zeugen vorzuführen, ehe dem gestellten Antrage seitens der Anklage stattgegeben wird!« begann der Advocat mit lauter Stimme; in diesem Augenblicke aber schoß die eine der Frauen durch den Raum zwischen ihr und dem Zeugenstande, fiel vor Elliot und dessen Tochter in die Knie und umfaßte die Füße Beider mit den Armen. Die Kappe, die ihre Züge bedeckt hatte, fiel in ihren Nacken und ein schwarzes Gesicht kam zum Vorschein, in welchem sich die überwallende Empfindung soeben durch ein ausbrechendes Weinen und Schluchzen Luft machte.
»Sarah ist es, Vater! 's ist Sarah!« rief Ellen, die bis jetzt mit ängstlich gespanntem Gesichte, aber sichtlich ohne rechtes Verständniß den Vorfällen gefolgt war; sie bog sich zu der Negerin und schien in ihrer Ueberraschung einen Augenblick den Ort und ihre Stellung gänzlich vergessen zu haben; eine neue Bewegung begann sich der Versammlung zu bemächtigen; der Richter aber gab dem dienstthuenden Beamten einen Wink, die Schwarze ward, noch immer schluchzend, nach ihrem früheren Platze zurückgeführt und die Drohung des Richters, bei weiterer Störung den Saal von Zuschauern räumen zu lassen, schaffte Ruhe.
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Der Pedlar
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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro