1. Herbstfrühlingslied

[266] So oft der Herbst die Rosen stahl,

Ich weiß nicht, wie's entsprungen,

Doch ist mir hell noch jedesmal

Ein Frühlingslied entklungen.


Der Frühling, der vorüberfuhr,

Und der aus Zukunft winket,

Die beiden werden einer nur,

Des Glanz mein Herz durchblinket.


So hoff' ich, wenn den Lebensbaum

Des Alters Hauch entlaubet,

Nicht soll ein goldner Jugendtraum

Dem Herzen sein geraubet.


Die Jugend, die vorüberfuhr,

Wird sich im Liede paaren

Mit jener, die auf Edens Flur

Nicht wird vorüberfahren.


Quelle:
Friedrich Rückert: Werke, Band 1, Leipzig und Wien [1897], S. 266.
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